Descartes und die menschliche Seele

Philosophisches zum Nachdenken
closs
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#361 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von closs » Mi 19. Okt 2016, 20:55

Pluto hat geschrieben:Dein Glaube (=Vermutung) ist stark, aber die Last der Hinweise die das auf das Gegenteil weisen, ist erdrückend.
ISt sie NICHT - weil Deine (wissenschaftlich ganz sicher richtigen) Hinweise keine Rückschlüsse auf die Frage zu lassen, was zuerst war - Geist oder Materie.

Pluto hat geschrieben:Weil das der modernen Bedeutung entspricht.
Klar - jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen.

Pluto hat geschrieben:Gewusst haben sie gar nichts!
"Wissen" tut man eh nur system-intern - insofern bringt diese Diskussion wenig.

Pluto hat geschrieben:Deine Betonung des Wortes "materialistisch" in Ehren, aber Bewusstsein ist nun mal das Forschungsthema Nr. 1 in der Neurologie.
NAtürlich - aber eben in materialistischer Perspektive (anders kann die Naturwissenschaft ja gar nicht).

Pluto hat geschrieben:Wieder das Kampfwort "Materialismus".
Das ist genauso wenig ein Kampfwort wie "christlich" oder "moslemisch" - es ist eine definierbare Größe. - Warum sollte "Materialismus" ein Kampfwort sein?

Pluto hat geschrieben:Sprache verändert sich im Konsens der Mehrheitsmeinung, und wird nicht diktatorisch bestimmt.
Naja - Demokratie war immer autokratisch gelenkt - sei es durch Diktatoren oder philosophische Strömungen. - Nichtsdestoweniger: Ja - es ist ja akzeptiert, führt aber dazu, dass,wenn wir uns über "Geist" und "Bewusstsein" unterhalten, beide etwas anderes meinen.

Pluto hat geschrieben:Will man aber mit der Außenwelt kommunizieren, ist es schon sehr ratsam, sich den von der Mehrheit verwendeten Begriffe zu bedienen.
Geht nicht in diesem Fall - denn dann müsste man sämtliche Bibel-Übersetzungen und die meisten philosophischen Werke umschreiben. - Man müsste sogar dafür ganz neue Worte erfinden, weil die geeigneten demokratisch im Sinn umgedreht wurden. Das funktioniert nicht.

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fin
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#362 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von fin » Mi 19. Okt 2016, 23:13

Hallo Allerseits,

Pluto hat geschrieben:Ich habe Heidegger gelesen, und finde sein kompliziertes Geschwurbel enthält nichts Greifbares ==> Lauwarme Luft.
Kein Problem, nicht jeder kann etwas mit MH anfangen.

closs hat geschrieben:Erstens: Ja. _ Zweitens: Dies kann man dialektisch umkehren - dann trägt sich der geistige Mensch "zu Markte". - Da ist nichts zu wollen: Andere Setzungen ermöglichen Umkehrungen des Sinns.
Von welchen Setzungen sprichst du?

SilverBullet hat geschrieben: (Achtung: das ist der dritte und letzte Versuch (...)
lol :)

Okay, ich unterbreite dir einen Vorschlag. Bevor wir in einen Dialog treten, sollten wir vielleicht vorher erörtern, was du/ich darunter verstehen. Du darfst gerne den Anfang machen. Was also ist das Wesen eines Dialogs?

Beste Grüße
fin
Zuletzt geändert von fin am Do 20. Okt 2016, 01:27, insgesamt 1-mal geändert.

closs
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#363 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von closs » Do 20. Okt 2016, 00:21

fin hat geschrieben:Von welchen Setzungen sprichst du?
Generell.

Gehen wir zurück auf die Mutter aller Fragen, deren jeweilige Beantwortung zu unterschiedlichsten Beantwortungs-Systemen führt, nämlich:
Ist Materie Folge von Geist oder Geist Folge von Materie.

Je nach dem, wie man diese Frage beantwortet, bekommt komplett unterschiedliche ERgebnisse in Bezug auf Wissenschaft, Philosophie, Geist, Bewusstsein, etc. - Auch die Bibel versteht man komplett unterschiedlich.

Die Setzung nun besteht nun darin, dass weder die Antwort "Geist ist Folge von Materie" noch die Antwort "Materie ist Folge von Geist" falsifizieren kann - beides ist ontologisch nicht nachweisbar. - Also setzt man das eine oder das andere (gesteuert vom eigenen Profil der intellektuellen und/oder emotionalen Erkenntnis).

Insofern - lass uns zum konkreten Fall zurückgehen - beurteilt man die hier verlinkten Aussagen von Heidegger (es gilt genauso für Aussagen der Bibel) aufgrund dieser oder jener Setzung komplett unterschiedlich UND meint jeweils, der Aufgeklärtere zu sein. - Und wie Tucholsky sagte: "Jeder hat ja so recht".

Und das stimmt sogar - beide Seiten haben WIRKLICH Chancen, recht zu haben, wenn sich die von ihnen entschiedene, nicht-falsifizierbare Setzung irgendwann als zutreffend erweisen sollte. - Aber das weiss man nicht, sondern kann es nur glauben - beiderseits.

Die Chuzpe an der Sache:
Während bspw. die RKK ausdrücklich sagt "Folgendes gilt, wenn man setzt, dass Gott Geist ist, aus dem alles kommt", sich also ihrer Setzung bewusst ist, zieht es der Materialismus vor zu glauben, seine Setzung sei KEINE Setzung, und immunisiert sich damit selbst UND meint dann auch noch, seine materialistische Weltanschauung setze sich qualitativ von bewussten Glauben-Weltanschauungen ab.

Der Glaubende denkt sich dann, wenn ihn für einen Moment die Demut verlässt: "Wenn hier jemand aufgeklärt ist, sind WIR es - denn wir merken zumindest, dass und was wir setzen. - Und schon fühlen sich zwei Systeme gegenseitig überlegen.

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fin
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#364 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von fin » Do 20. Okt 2016, 01:21

Hallo closs,

closs hat geschrieben:
fin hat geschrieben:Von welchen Setzungen sprichst du?
Generell. (...) Und schon fühlen sich zwei Systeme gegenseitig überlegen.
Ja, das leuchtet ein :idea: gut erklärt - Danke!

lg
fin

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#365 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von Pluto » Do 20. Okt 2016, 08:39

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Dein Glaube (=Vermutung) ist stark, aber die Last der Hinweise die das auf das Gegenteil weisen, ist erdrückend.
ISt sie NICHT
Doch. Du brauchst dazu nur die Forschungsberichte lesen.

closs hat geschrieben:weil Deine (wissenschaftlich ganz sicher richtigen) Hinweise keine Rückschlüsse auf die Frage zu lassen, was zuerst war - Geist oder Materie.
Wie gesagt, die Hinweise sind erdrückend, dass Materie zuerst da war. Das Universum bezeugt die Existenz von geistloser Materie.
Wenn so wäre wie du es sagst... Wo sind denn die Zeichen für Geist ohne Materie?

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Gewusst haben sie gar nichts!
"Wissen" tut man eh nur system-intern - insofern bringt diese Diskussion wenig.
Wo sind diese "Systeme"?

closs hat geschrieben:Warum sollte "Materialismus" ein Kampfwort sein?
Weil du es andauernd so verwendest.

closs hat geschrieben:Nichtsdestoweniger: Ja - es ist ja akzeptiert, führt aber dazu, dass,wenn wir uns über "Geist" und "Bewusstsein" unterhalten, beide etwas anderes meinen.
Wie gesagt, wenn du Bewusstsein mit Transzendenz gleich setzt, dann betrachtest du nur einen winzigen Teilaspekt und übersiehst was Bewusstsein alles kann.
Dazu habe ich Mühe mit der Darstellung des "Selbst" in form von Transzendenz.

closs hat geschrieben:Geht nicht in diesem Fall - denn dann müsste man sämtliche Bibel-Übersetzungen und die meisten philosophischen Werke umschreiben.
Ja, so ist es.
closs hat geschrieben:Man müsste sogar dafür ganz neue Worte erfinden, weil die geeigneten demokratisch im Sinn umgedreht wurden. Das funktioniert nicht.
Dass es funktioniert, beweist uns der Alltag.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#366 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von closs » Do 20. Okt 2016, 09:24

Pluto hat geschrieben:Wie gesagt, die Hinweise sind erdrückend
Du machst hier wirklich einen entscheidenden Fehler - eigentlich einen Zirkelschluss. - Denn Du ziehst eine Disziplin zu Rate, die als Naturwissenschaft naturgemäß nur die materielle Natur untersuchen kann, also von dieser (einen) Seite an die Fragestellung herangeht.

Das Ergebnis ist zu Recht: Sucht man materiell nach Nachweisen für Korrelationen zwischen Materie und Geist, findet man sie im Materiellen. - In anderen Worten: Die Neurowissenschaften haben von ihrer Seite aus recht. - ABER: Sie können aus Kompetenzgründen gar nicht kommentieren, was von der anderen Seite aus zu sagen ist, weil es nicht Sache der Neuorwissenschaften ist, eine andere Seite zu beleuchten.

Deine Aussage wäre also wissenschaftlich korrekt:
Die Neurowissenschaft kann von materieller Seite her erdrückende Nachweise bringen, dass es eine Korrelation zwischen Materie und Geist gibt, die sich materiell ablesen lässt ("Korrelationen" - denn Kausalitäten kann man nicht beobachten, sondern nur interpretieren).

Pluto hat geschrieben:Wo sind diese "Systeme"?
Deines ist das naturwissenschaftliche.

Pluto hat geschrieben:Dass es funktioniert, beweist uns der Alltag.
Im materiellen Alltag funktioniert ist - da kann man es sogar erfolgreich als "Bewusstsein" bezeichnen, wenn es eine Fledermaus schafft, kunstvoll um Hindernisse rumzufliegen.

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#367 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von closs » Do 20. Okt 2016, 09:24

fin hat geschrieben:Ja, das leuchtet ein :idea: gut erklärt - Danke!
Oh - das freut mich. :) - Denn ich bin gewohnt, dass ich NICHT verstanden werde. :lol:

ThomasM
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#368 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von ThomasM » Do 20. Okt 2016, 10:00

closs hat geschrieben: Die Chuzpe an der Sache:
Während bspw. die RKK ausdrücklich sagt "Folgendes gilt, wenn man setzt, dass Gott Geist ist, aus dem alles kommt", sich also ihrer Setzung bewusst ist, zieht es der Materialismus vor zu glauben, seine Setzung sei KEINE Setzung, und immunisiert sich damit selbst UND meint dann auch noch, seine materialistische Weltanschauung setze sich qualitativ von bewussten Glauben-Weltanschauungen ab.
Ganz so krass ist es nicht, denn der Begriff "Materialismus" beinhaltet ja die Setzung, dass Materie alles ist und alles begründet. Insofern ist philosophisch alles ok.
Was natürlich nicht bedeutet, dass Pluto und Co sich dieser Setzung als Setzung bewusst sind und ein sich selbst immunisierendes Überlegenheits-Bewusstsein entwickeln.

Dein (bzw. der RKK) Problem ist - im Gegensatz zum Materialismus - die der Definition der Basis.
Was meine ich denn eigentlich mit der Aussage "Gott ist Geist"? Das ist die Voraussetzung, aber was sagt sie aus? Du bist wiederholt bei dem Versuch der definitorischen Klarheit gescheitert. Dabei ist Philosophie heutzutage auch ganz wesentlich "klarmachen, was ich eigentlich meine".

Dieses Problem hat der Materialismus nicht, denn der Ausgangspunkt "Materie" ist wesentlich klarer. Daher haben Pluto und Co eindeutig einen riesigen Vorsprung.
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

closs
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#369 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von closs » Do 20. Okt 2016, 11:18

ThomasM hat geschrieben:Dieses Problem hat der Materialismus nicht, denn der Ausgangspunkt "Materie" ist wesentlich klarer. Daher haben Pluto und Co eindeutig einen riesigen Vorsprung.
Kritisch-rational ist das richtig - aber leider nicht vermeidbar. - Denn der Vorteil von "Materie" ist, dass sie als Objekt auf derselben Ebene ist, auf der Popper Kritischer Rationalismus anwendbar ist.

Oder als Frage formuliert:
Wie soll man auf Basis einer materialistisch beschränkten Methodik bei geistigen Fragen einen Vorsprung kriegen, wenn es um Geist geht?
Um es pointiert zu sagen: Dieser Vorsprung ergibt sich, wenn man Gott als materialistische Größe versteht - aber genau das ist Gott eben NICHT.

ThomasM hat geschrieben:Du bist wiederholt bei dem Versuch der definitorischen Klarheit gescheitert.
Auf materialistischer Basis, die hier mehrfach gefordert wird, ja. - Ich wüsste auch nicht, wie es PRINZIPIELL möglich sein sollte.

ThomasM hat geschrieben:Was meine ich denn eigentlich mit der Aussage "Gott ist Geist"? Das ist die Voraussetzung, aber was sagt sie aus?
Dazu gibt es sehr wohl Antworten:
(1) Die Theologie versteht unter "Gott = Geist", dass es ein Wesen gibt, das allmächtig, allwissend, allpräsent über allem Materiellen ist. Dieses Wesen ist für menschliche Wahrnehmung nicht fassbar, sondern nur über dessen Offenbarungen (= Herunterbrechen des Geistes auf unsere Wahrnehmungs-Ebene). - Man versteht also "Gott = Geist" über seine geglaubten Eigenschaften und die danach verstandenen Offenbarungen.

(2) Ontologisch versteht man unter "Gott = Geist", dass das Wort "Gott" nur dann einen Sinn hat, wenn es dazu keine Anti-These gibt (also nichts, was auf gleicher Ebene steht). - Insofern ist Gott die Aufhebung der Dialektik selbst, in der es weder Materie noch Zeit, sondern nur noch all-gegenwärtigen Geist gibt - verstanden als "Holon", also Ganzes - christlich formuliert als "Alles in EINEM".

(3) Dieser ontologischen Sichtweise kommt der sogenannte "Omegapunkt" nah, den auf ganz unterschiedliche Weise von Teilhard de Chardin (Theologe und Naturwissenschaftler) und Frank Tipler (physikalischer Mathematiker) thematisieren. - Bei allen Unterschieden verstehen sie unter "Gott" eine Singularität, die in sich alles umfasst, was in der Zeit "ist" (aus unserer Wahrnehmungs-Sicht: "war", "ist" und "sein wird"). - Der große Unterschied bei Tipler zu de Chardin: Tipler versteht Gott als Teil der Physik.

Das Interessante: Sowohl (1), (2) als auch (3) sagen im Kern dasselbe aus!!!

Und jetzt kommt ein Problem (hier etwas giftig formuliert): Es ist einfacher, sich kritisch-rational über 08/15-Methodik Vorsprünge zu erarbeiten, als sich in komplexe Zusammenhänge einzuarbeiten, die wirklich nur mit großen Bögen ersichtlich werden können. - Besser machen kann es da nur die Variante (4):

(4) Mit geistigem Instinkt versteht man unter Gott etwas, was in einem ist, weil man es spürt. - Aber eine solche Variante ist weder intersubjektiv ((1) Kritischer Rationalismus) noch (onto-)logisch (2) vermittelbar.

Was (3) angeht: Da Du versierter Physiker bist, würden Dir die Gedankengänge Deines Kollegen Tipler leicht verständlich sein - Du würdest ihm aber als Christ nicht zustimmen können, da sicherlich auch aus Deiner Sicht Gott nicht Teil der Physik ist. - Trotzdem würde eine Lektüre Sinn machen, weil darin auf (möglicherweise physikalisch überholte) physikalische Weise etwas dargestellt wird, was auch den ontologischen Ansatz (2) gut wiederspiegelt.

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#370 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von fin » Do 20. Okt 2016, 12:51

closs hat geschrieben:
fin hat geschrieben:Ja, das leuchtet ein :idea: gut erklärt - Danke!
Oh - das freut mich. :) - Denn ich bin gewohnt, dass ich NICHT verstanden werde. :lol:
Das könnte sich jetzt ändern ...

closs hat geschrieben: Oder als Frage formuliert: Wie soll man auf Basis einer materialistisch beschränkten Methodik bei geistigen Fragen einen Vorsprung kriegen, wenn es um Geist geht?

:D :clap:
Zuletzt geändert von fin am Do 20. Okt 2016, 12:56, insgesamt 1-mal geändert.

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