Alles Teufelszeug? IV

closs
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#701 Re: Alles Teufelszeug? IV

Beitrag von closs » Do 13. Okt 2016, 08:27

sven23 hat geschrieben:Eben, nachdem man den Sachverhalt geklärt hat, folgt die Bewertung. Und die fällt nun mal sehr kritisch aus im Falle der historischen Jesusforschung
Ja - nur sollte dies nicht innerhalb der HKM stattfinden - eine rational-kritische Disziplin kann Dinge nicht bewerten, bei denen es um Transzendenz geht.

sven23 hat geschrieben:Das ist ja auch gar nicht das Thema der Forschung.
Aber sie macht es zum Thema - der als Faktum daherkommende Satz "Jesus hatte eine Naherwartung" ist eines der vielen Beispiele dafür. - Sie sollte es bei Sacharbeit belassen.

sven23 hat geschrieben:Die Sachlage ist eindeutig: Jesus hatte eine Naherwartung.
q.e.d. - Es ist eben keine "wirkliche Sachlage", sondern eine "methodische Sachlage. - Es ist EIN gut begründeter Vorschlag, was vor 2000 Jahren WIRKLICH historisch war - aber es ist nicht der einzige.

sven23 hat geschrieben:Viele "theologische Grundsatzfragen" entpuppen sich bei genauer Betrachtung als Scheinprobleme der Theologie.
Das mag im Einzelfall sein - unabhängig davon sind es in der Regel ontologische Fragen, die es in jeder Hochkultur gibt.

Münek hat geschrieben:Als Leitmethode wissenschaftlicher Bibelauslegung bemüht sich die historisch-kritische Exegese zu ermitteln, welchen SINN ein biblischer Text zur Zeit seiner Abfassung hatte.
Nicht schlecht - zwei Dinge fallen auf:

1) Es geht um die Sinngebung durch den Quellenverfasser und nicht um die Sinngebung durch Jesus.
2) Es geht um die Sinngebung durch den Quellenverfasser und nicht um die Sinngebung durch uns.

Genau so ist es richtig - reine SACHARBEIT und nicht Bewertungs-Arbeit. - Die HKM soll feststellen und liefern - will sie aus heutiger weltanschaulicher Sicht interpretieren, kann sie das natürlich auch - aber nur wenn ihr selber klar ist, dass sie es tut. - Hier scheint es ein Defizit zu geben.

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Münek
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#702 Re: Alles Teufelszeug? IV

Beitrag von Münek » Do 13. Okt 2016, 12:45

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Eben, nachdem man den Sachverhalt geklärt hat, folgt die Bewertung. Und die fällt nun mal sehr kritisch aus im Falle der historischen Jesusforschung
Ja - nur sollte dies nicht innerhalb der HKM stattfinden - eine rational-kritische Disziplin kann Dinge nicht bewerten, bei denen es um Transzendenz geht.
Die Königsherrschaft Gottes sollte hier auf Erden errichtet werden, nicht im transzendenten Jenseits. Im "Himmel" herrschte Jahwe bereits. Jesus verkündigte kein jenseitiges, sondern ein diesseitiges Gottesreich - wie die Propheten (vgl. z.B. Sacharja 8:3) .

Das Reich Gottes sollte zu den Menschen kommen - nicht umgekehrt. Auch der richtende Menschensohn sollte mit den Wolken des Himmels
und den Engelscharen auf die Erde herabkommen. Du verrennst Dich immer mehr.

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#703 Re: Alles Teufelszeug? IV

Beitrag von closs » Do 13. Okt 2016, 15:04

Münek hat geschrieben: Jesus verkündigte kein jenseitiges, sondern ein diesseitiges Gottesreich - wie die Propheten (vgl. z.B. Sacharja 8:3) .
Genau das ist eben NICHT das NT-Verständnis - "mein Reich ist NICHT von dieser Welt".

Münek hat geschrieben:Du verrennst Dich immer mehr.
Sicherlich nicht - aber es wird eines immer klarer: Der NT-Paradigmenwechsel wird auch nach 2000 Jahren nicht verstanden - gleichzeitig wundert man sich, dass es Paulus nicht sofort alles gecheckt hat.

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Münek
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#704 Re: Alles Teufelszeug? IV

Beitrag von Münek » Fr 14. Okt 2016, 03:28

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben: Jesus verkündigte kein jenseitiges, sondern ein diesseitiges Gottesreich - wie die Propheten (vgl. z.B. Sacharja 8:3) .
Genau das ist eben NICHT das NT-Verständnis - "mein Reich ist NICHT von dieser Welt".
Von einem NT-Verständnis in Deinem Sinne kann ja wohl ernsthaft keine Rede sein.

Wenn der Verfasser des Johannesevangeliums meinte, Jesus diesen Satz gegenüber dem römischen Präfekten Pontius Pilatus unbedingt
in den Mund legen zu müssen (er schrieb etwa 70 Jahre nach Jesu Tod, war also kein Augenzeuge), muss bedacht werden, dass er als einziger Evangelist die Präexistenz Jesu im Reich seines Vaters im Himmel postulierte.


Nur vor diesem Hintergrund wird diese Aussage verständlich. Denn als Jesus vor Pilatus stand, hatte sich das von ihm angekündigte Reich Gottes/die Königsherrschaft Gottes auf Erden noch nicht verwirklicht. Es war nah, aber noch jenseitig.

Nun ist sich die Jesusforschung allerdings ziemlich einig, dass nahezu alle Reden und Aussprüche Jesu im jüngsten Evangelium Erfindungen/Kompositionen des gnostisch angehauchten Verfassers waren, die sich eklatant von Jesu Aussprüchen und Reden
in den synoptischen Evangelien unterschieden.

Jesus kann nicht zugleich wie in den synoptischen und im Johannesevangelium geredet haben.


closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Du verrennst Dich immer mehr.
Sicherlich nicht - aber es wird eines immer klarer: Der NT-Paradigmenwechsel wird auch nach 2000 Jahren nicht verstanden - gleichzeitig wundert man sich, dass es Paulus nicht sofort alles gecheckt hat.
Ist nicht weiter schlimm. Dafür haben wir ja jetzt Dich. Du bist - wie Du immer wieder beweist - der absolute Ober-Checker. :thumbup:

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#705 Re: Alles Teufelszeug? IV

Beitrag von closs » Fr 14. Okt 2016, 10:00

Münek hat geschrieben:Von einem NT-Verständnis in Deinem Sinne kann ja wohl ernsthaft keine Rede sein.
Dann hätte das, was man "NT" nennt, nicht stattgefunden. - Ist es das, worauf es rauslaufen soll?

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sven23
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#706 Re: Alles Teufelszeug? IV

Beitrag von sven23 » Fr 14. Okt 2016, 11:39

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Von einem NT-Verständnis in Deinem Sinne kann ja wohl ernsthaft keine Rede sein.
Dann hätte das, was man "NT" nennt, nicht stattgefunden. - Ist es das, worauf es rauslaufen soll?
Das neue war die Thoraverschärfung und dass Jesus glaubte, dass die Gottesherrschaft unmittelbar bevorstand, im Gegensatz zum traditionellen Judentum. Ansonsten war er ganz der jüdischen Glaubenstradition verhaftet.
Alles andere, besonders die Vergottung, Trinität usw., waren nachträgliche christlich-kirchliche Konstrukte, die dem guten Jesus wohl eher die Tränen in Gesicht getrieben hätten.
Aber das hatten wir ja alles schon.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#707 Re: Alles Teufelszeug? IV

Beitrag von closs » Fr 14. Okt 2016, 16:05

sven23 hat geschrieben:Das neue war die Thoraverschärfung und dass Jesus glaubte, dass die Gottesherrschaft unmittelbar bevorstand, im Gegensatz zum traditionellen Judentum.
Also gäbe es de facto tatsächlich kein NT. - Du zeigst auf eindrucksvolle Weise (und möglicherweise bist Du gar nicht weit weg von einigen christlichen Denominationen), dass der Paradigmen-Wechsel des NT auch nach 2000 Jahren weitgehend nicht stattgefunden hat. - Um so verständlicher ist es, wenn dieser Paradigmenwechsel nicht zur Grundlage der Forschung genommen wird. - Insofern ist Dein System in sich geschlossen schlüssig.

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sven23
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#708 Re: Alles Teufelszeug? IV

Beitrag von sven23 » Fr 14. Okt 2016, 17:32

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Das neue war die Thoraverschärfung und dass Jesus glaubte, dass die Gottesherrschaft unmittelbar bevorstand, im Gegensatz zum traditionellen Judentum.
Also gäbe es de facto tatsächlich kein NT.
Natürlich gibt es ein "NT". Es ist ja nachweislich geschrieben worden. Nur muss man differenzieren zwischen dem "Paradigmenwechsel", den Jesus selbst wollte und dem Paradigmenwechsel, den Schreiber und Kirche herbeiführen wollten. Da hat die Forschung nun mal eine große Diskrepanz herausgearbeitet.

closs hat geschrieben: - Um so verständlicher ist es, wenn dieser Paradigmenwechsel nicht zur Grundlage der Forschung genommen wird. - Insofern ist Dein System in sich geschlossen schlüssig.
Selbstverständlich ist der Paradigmenwechsel, der von Schreibern und Kirche beabsichtigt war, Gegenstand der Forschung. Nur hat der sehr wenig zu tun mit dem "was der Fall" war, Jesus betreffend.
Insofern kann man schon verstehen, warum Paulus kein Interesse am historischen Jesus hatte und die Kirche ins selbe Horn stößt. Der historische Jesus ist ein Störfaktor für das eigene Glaubenskonstrukt.
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#709 Re: Alles Teufelszeug? IV

Beitrag von closs » Fr 14. Okt 2016, 18:50

sven23 hat geschrieben:Nur muss man differenzieren zwischen dem "Paradigmenwechsel", den Jesus selbst wollte und dem Paradigmenwechsel, den Schreiber und Kirche herbeiführen wollten. Da hat die Forschung nun mal eine große Diskrepanz herausgearbeitet.
Diesbezüglich gibt es im Großen und Ganzen schon eine Übereinstimmung zwischen Jesus und Kirche - wer (auch von Dir als authentisch bezeichnete) Aussagen Jesu geistig interpretiert (also nicht so, als sei er lediglich ein Wanderprediger gewesen), sieht den Weg von Jesus zur (idealen) Kirche (wir reden hier nicht von den Fehlleistungen der Kirchen).

Die Diskrepanz, die die (säkular-kritisch-rationale) Forschung herausarbeitet, ist im Wesentlichen eine Interpretations-Diskrepanz.

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sven23
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#710 Re: Alles Teufelszeug? IV

Beitrag von sven23 » Fr 14. Okt 2016, 21:15

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Nur muss man differenzieren zwischen dem "Paradigmenwechsel", den Jesus selbst wollte und dem Paradigmenwechsel, den Schreiber und Kirche herbeiführen wollten. Da hat die Forschung nun mal eine große Diskrepanz herausgearbeitet.
Diesbezüglich gibt es im Großen und Ganzen schon eine Übereinstimmung zwischen Jesus und Kirche - wer (auch von Dir als authentisch bezeichnete) Aussagen Jesu geistig interpretiert (also nicht so, als sei er lediglich ein Wanderprediger gewesen), sieht den Weg von Jesus zur (idealen) Kirche (wir reden hier nicht von den Fehlleistungen der Kirchen).
Diese "Übereinstimmung" ist aber herbeigeschrieben worden. Aus den Quellen läßt sich diese Übereinstimmung nicht begründen. Schönes Beispiel ist die Trinität, für deren Legitimation die Kirche nicht davor zurückschreckte, ihre eigenen Phantasietexte in bestehende hineinzufälschen.

"Als entlarvt gilt in der Forschung das sog. Comma Johanneum in 1. Joh, 5,7. Hier hat eine spätere
Redaktion die Trinität in einen Bibelvers hineingefälscht.
„Denn drei sind, die das bezeugen im Himmel: der Vater, das Wort und der Heilige Geist,
und diese drei sind eins; und drei sind es, die Zeugnis ablegen auf Erden : Der Geist und
das Wasser und das Blut; und die drei stimmen überein.“
Die kursiv gesetzten Stellen kamen
erst später hinzu.
Es gab also eine ganze Reihe von sich noch im Fluss befindlichen Vorstellungen. Und keine dieser
Vorstellungen geht auf Jesus zurück. Bis zur Formulierung der Trinitätslehre war es noch ein weiter
Weg. Und weder die Urgemeinde noch Petrus noch Paulus, ja nicht einmal Jesus selbst war
rechtgläubig im Sinne der späteren Theologie der Kirche. In vielen, gerade konservativen und
traditionalistischen Kirchen würde man ihn heute nicht einmal zum Abendmahl zulassen.
Noch absurder wird es, wenn man versucht, die Trinitätslehre gar schon im Alten Testament
dingfest zu machen. Auch dies haben Theologen versucht."

Kubitza, Der Dogmenwahn

Ein oft verwendetes Muster in der Bibel. Spätere Generationen fälschen Texte in die Evangelien hinein, um ihre eigene Theologe zu legitimieren.

closs hat geschrieben: Die Diskrepanz, die die (säkular-kritisch-rationale) Forschung herausarbeitet, ist im Wesentlichen eine Interpretations-Diskrepanz.
Nein, man kann nicht alles auf die Interpretation abwälzen. Die Befundlage ist ernüchternd bis desaströs.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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