Janina hat geschrieben:ThomasM hat geschrieben:Janina hat geschrieben: Ich wüsste gerne, was an der Vorstellung von "virtuellen Teilchen" falsch sein soll, abgesehen davon, dass diese Vorstellung bereits ... sagen wir mal - anstrengend ist.
Der Fehler entsteht, wenn Leute wie Pluto das Model mit Realität verwechseln, also denken, dass da tatsächlich und real irgendwo unterhalb der Sichtlinie virtuelle Teilchen herumschwirren.
Ja tun sie das denn nicht? Wir können doch deren Veränderung des Coulomb-Potentials sehen, oder deren Kraftwirkung auf die Leiterplatten. Das stelle ich mir schon recht teilchenhaltig-dynamisch vor.
Wie schon in mehreren Antworten an Pluto betont, muss man bei Darstellungen mit virtuellen Teilchen unterscheiden zwischen Darstellungen zum Vakuumzustand und zum Casimir-Effekt einerseits und zu Wechselwirkungsprozessen, z.B. solchen, wo Coulomb-Potentiale beteiligt sind, andererseits.
Beim Vakuumzustand und beim Casimir-Effekt sind keine virtuellen Teilchen beteiligt, bei Wechselwirkungsprozessen aber sehr wohl. Ich vermute mal, mit der Veränderung des Coulomb-Potentials meinst du z.B. die Vakuumpolarisation, die dazu führt, dass auf sehr kurzen Abständen die elektromagnetische Wechselwirkung stärker zunimmt, als nach dem 1/r^2-Gesetz zu erwarten wäre? Nehmen wir, um virtuelle Teilchen bei Wechselwirkungsprozessen besser zu verstehen, mal ein einfacheres Feynman-Diagramm als das der Vakuumpolarisation, nehmen wir das für die Möller-Streuung zweier Elektronen:
https://de.wikipedia.org/wiki/M%C3%B8ller-Streuung
Da wird zwischen den beiden Elektron ein virtuelles Photon ausgetauscht. Naiverweise könnte man dieses Feynman-Diagramm jetzt so interpretieren, dass da tatsächlich eines der beiden Elektron irgendwann ein virtuelles Photon aussendet, dieses dann zum zweiten Elektron hin fliegt, und dann von dem zweiten Elektron absorbiert wird. Gerüchten zufolge soll Feynman sich das sogar selber so gedacht haben.
Wenn man sich aber mal die Grundlage für Feynman-Diagramme ansieht, die S-Matrix-Theorie, so stellt man sehr schnell fest, dass es für so eine direkte bildliche Interpretation von Feynman-Diagrammen gar keine Veranlassung gibt. Tatsächlich geht man da von dem gleichen qualitativen Mechanismus für die Streuung der beiden Elektronen aus wie schon in der klassischen Elektrodynamik: jedes der beiden Teilchen wechselwirkt lokal mit dem elektromagnetischen Feld, und dieses Feld transportiert Energie und Impuls zwischen beiden Teilchen. Berechnet man das Resultat diesen Vorganges mit den Mitteln der S-Matrix-Theorie, dann taucht in dem zentralen mathematischen Ausdruck der S-Matrix-Theorie, nämlich der S-Matrix, eine Zweipunktfunktion des elektromagnetischen Feldes auf, die sich durch Einsatz eines mathematischen Tricks, nämlich der Verwendung des quantenmechanischen Wechselwirkungsbildes, genauso schreiben lässt wie eine analoge Zweipunktfunktion, die beim freien Strahlungsfeld die Ausbreitung eines Photons beschreibt. Daraus hat sich die Sprechweise entwickelt, dass die Streuung der beiden Elektronen durch ein virtuelles Photon vermittelt würde, und darauf aufbauend hat sich Feynman dann seine Diagramme und deren Konstruktionsregeln ausgedacht.
Zurück zur Vakuumpolarisation. Eines der zugehörigen Feynman-Diagramme ist das links unten in diesem Bild:
http://de.academic.ru/pictures/dewiki/5 ... _ee_ww.png
Es enthält zwei virtuelle Photonen und ein virtuelles Fermion-Antifermion-Paar (z.B. Elektron-Positron-Paar). Das Auftreten dieses virtuellen Fermion-Antifermion-Paares kann man so verstehen, dass das Zusammenspiel der beteiligten Felder komplizierter ist als im Diagramm der Möller-Streuung. Während bei der Möller-Streuung lediglich das elektromagnetische Feld vermittelnd zwischen zwei elektrisch geladenen Teilchen (Fermionen) wirkt, wechselwirkt bei der Vakuumpolarisation zusätzlich noch das elektromagnetische Feld mit sich selbst, und zwar unter Vermittlung des zu den geladenen Fermionen gehörenden Feldes.
Man sieht hier wieder ein Charakteristikum der QFT: zu jeder Teilchenart gehört ein Feld und umgekehrt. Es gibt kräftetragende Felder (elektromagnetisches Feld, starke nukleare Felder, schwache nukleare Felder), zu denen Teilchen gehören (Photonen, Gluonen, W- und Z-Bosonen) und Materiefelder, die zu Teilchen gehören (Elektron/Positron -> Elektronenfeld, Myon/Antimyon -> Myonenfeld, Quark/Antiquark -> Quarkfeld, ...), wobei die kräftetragenden Felder bosonisch sind und die Materiefelder fermionisch. Und nur in erste Näherung gilt, dass allein die kräftetragenden Felder kräftetragend, also wechselwirkungsvermittelnd, sind: bei der Vakuumpolarisation wirkt auch das beteiligte Materiefeld (z.B. Elektronenfeld) kräftetragend.
Nochmal zur Vakuumpolarisation: in populärwissenschaftlichen Darstellungen wird häufig das Bild vermittelt, dass z.B. ein Elektron von einer Wolke aus virtuellen Elektron-Positron-Paaren umgeben sei. Das gehört auch eher in die gleiche Kategorie wie virtuelle Teilchen beim Vakuumzustand: als popularisierte Darstellung verbreitet, aber darüberhinaus zu nichts zu gebrauchen.
Janina hat geschrieben:Die Verletzung der Parität ist auch so ein Ding, das sich der Vorstellung komplett entzieht. Man kann sich als Krücke einen Schraubensinn denken, ok. Aber die Berechnung der Gamma-Matritzen sind doch auch kein Grund, jeglichen Schraubensinn abzulehnen, nur weil in den Gleichungen kein Gewinde steht.
Ähm, du redest jetzt davon, dass bei Fermionen, die durch die Dirac-Gleichung beschrieben werden, die Wellenfunktion nicht bei einer Drehung um 360° wieder in sich selbst übergeht, sondern erst bei einer Drehung um 720°? Es wäre natürlich möglich, dass dies mit einer inneren Struktur der Fermionen zu tun hat, die durch die Dirac-Gleichung nicht erfasst wird. Das hieße aber, dass die Theorie der Dirac-Gleichung unvollständig wäre, und durch eine darunterliegende Theorie vervollständigt werden müsste. Solange man die Theorie der Dirac-Gleichung für vollständig hält, folgt daraus, dass es keine solche innere Struktur gibt.
Zur Verletzung der Parität: als Paritätsverletzung bezeichnet man eigentlich ein ganz anderes Phänomen, das mit der schwachen Wechselwirkung zu tun hat und bei Teilchenzerfällen beobachtet werden kann.