Alles Teufelszeug? III

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Münek
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#601 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von Münek » So 17. Jul 2016, 03:30

closs hat geschrieben:Ob eine Schrift Jesu oder die heute vorliegenden Quellen:
In beiden Fällen muss sich der Mensch in einen Zustand des Erkennen-Könnens bringen (lassen) - das ist gemeint mit "Heiliger Geist" - das ist auch der Grund, warum mir das "Solus Spiritus" wichtiger erscheint als das "Sola Scriptura".
Aus theologisch-historisch-wissenschaftlicher Sicht ist der "Heilige Geist" so interessant wie das "Gespenst von Canterville". :)

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Alle Puzzelteile hat die Forschung zusammengetragen und sie fügen sich zu einem plausiblen Bild.
Ein METHODISCH plausibles Bild - mehr nicht. - Es ist IHR Bild, aber nicht DAS Bild.
Das GLAUBENSBILD ist auch nicht DAS Bild, sondern beruht lediglich auf der subjektiven Vorstellung des Gläubigen. Das kanns ja wohl nicht sein.

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sven23
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#602 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von sven23 » So 17. Jul 2016, 08:09

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Und wie macht sie das?
Indem sie einen übergeordneten Entwurf hat, wie er die sekundären Erkenntnisse zusammenbauen kann. - Selber bauen sie sich nämlich nicht zusammen - dafür ist "sekundär" zu wenig.
Eben, es gibt keine sich selbst offenbarende Logik dahinter, sondern es ist ein willkürliches Konstrukt.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: aber sie kann Quellen untersuchen und daraus Schlüsse ziehen.
Dazu braucht sie aber eine Basis - und diese bekommt sie von den Quellen NICHT. - Die HKM hat ihre Basis indirekt in ihren methodischen Vorgaben, die sie Jesus nur lediglich als Wanderprediger und sonst nichts sehen lassen. -
Das ist definitiv keine Vorgabe. Die Forschung zeichnet doch den Prozess der Vergottung des Wanderpredigers nach. Deine Forderung, sie müsse auch selbst dran glauben, ist einfach nur Unsinn, weil es eine andere (glaubensdogmatische) Baustelle ist. Das heißt aber nicht, dass es in der Forschung keine Theologen gibt, die daran glauben.


closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Punkt 1: Wie erklärt man z. b. die Ethik Jesu, die auf kurze Zeit angelegt war? (verkaufe deinen Besitz und folge mir nach). Daseinsvorsorge war nicht mehr nötig.
Das gilt auch heute noch - ehrlich, das ist echt GANZ anders gemeint.
Aber da haben wir es wieder mal:
Man interpretiert etwas aus seinem komischen Weltbild heraus, was NICHTS mit der eigentlichen Sache zu tun hat, und macht daraus ein Argument für Naherwartung. - Es ist nicht zu fassen.
Möglicherweise bist du ja auch auf dem Holzweg, weil du die Schrift aus heutiger Sicht interpretierst. Das ist aber ein Fehler, der zugegeben auch der frühen historischen Jesusforschung unterlaufen ist, den man aber als solchen erkannt und behoben hat.
"Verkaufe deinen ganzen Besitz, gebe ihn den Armen und folge mir nach" ist eine ziemlich radikale Forderung, die aber zu einem religiösen Eiferer/Radikalen ganz gut passt. Ein Reicher/Wohlhabender kommt ja auch aus einem sozialen Umfeld. Er soll also seine Familie verlassen, seine möglichen sozialen Verpflichtungen als Arbeitgeber aufgeben und mit arbeitslosen Junggesellen durch die Lande ziehen. Ist das für eine Gesellschaft ein tragfähiges Zukunftsmodell? Wohl eher nicht. Es macht nur Sinn, wenn man das baldige Ende erwartet. So sieht es auch die theologische Forschung.

"Dieser Radikalität des Anspruches der Gottesherrschaft entspricht auch die Ethik Jesu. Dabei ist festzuhalten, dass Jesus kein geschlossenes ethisches System entfaltet hat, sondern an konkreten Einzelfällen jeweils einen grundsätzlichen Horizont eröffnete. Maßstab für das Handeln der Menschen ist wiederum Gott als Schöpfer (Mt 5,43-48). Damit stellte Jesus das Gerechtigkeitsverständnis der Welt fundamental in Frage (Mt 20,1-15). Gerecht ist, wer kompromisslos gütig und barmherzig handelt (Lk 10,30-35). So handeln kann nur, wer sein Vertrauen ganz auf Gott und seine anbrechende Herrschaft setzt. Für irdische Lebenssicherung bleibt da kein Platz (Mt 6,24 par)."
Quelle: bibelwissenschaft.de


closs hat geschrieben: Zur Sache selbst:
Gemeint ist damit, dass der Mensch sich von weltlichen Gütern weitgehend lösen soll, weil dies dem göttlichen Reich im Wege steht. - Das hat mit Naherwartung in Deinem Sinn üüüüüüüüüüberhaupt nichts zu tun.
Da irrst du dich gewaltig, siehe oben.
Die Kirche hielt ja auch nicht viel von Armut und Besitzlosigkeit, im Gegenteil. Ausnahme waren die Mönchsorden. Aber nur in dieser von der Gesellschaft abgetrennten Welt ist so ein Konzept durchführbar und es hat viele durch Entbehrung und Selbstkasteiung in einen vorzeitigen Tod geführt.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Punkt 2: Warum hat Jesus, der angeblich des Lesens und Schreibens mächtig war, keine einzige schriftliche Zeile hinterlassen? Auch hier paßt die Antwort zur Naherwartung. Wenn das Gottesreich unmittelbar bevorstand, war es unnötig, der Nachwelt Schriftliches zu hinterlassen.
Eine sehr phantasievolle Interpretation - würde man normalerweise nicht draufkommen.
Doch genau darauf muss man kommen, wenn man sich mit dem Thema beschäftigt. Die nicht vorhandene schriftliche Hinterlassenschaft ist ein wichtiges Argument der Radikalkritiker für einen rein literarischen Jesus. Allerdings muss man dann auch erklären, warum die Schreiber eine rein literarische Figur mit dem Makel der enttäuschten Naherwartung versehen, die ihnen dann große Probleme bereitet.

closs hat geschrieben: Ob eine Schrift Jesu oder die heute vorliegenden Quellen:
In beiden Fällen muss sich der Mensch in einen Zustand des Erkennen-Könnens bringen (lassen) - das ist gemeint mit "Heiliger Geist"
Zumindest müßte dann closs nicht mehr die Ausrede benutzen, die Naherwartung sei nur die Rezeption der Schreiber.
Übrigens ist "Heiliger Geist" auch nur eine Chriffre. ;)

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Alle Puzzelteile hat die Forschung zusammengetragen und sie fügen sich zu einem plausiblen Bild.
Ein METHODISCH plausibles Bild - mehr nicht. - Es ist IHR Bild, aber nicht DAS Bild.
Gerade weil es mit einer wissenschaftlich sauber angewandten Methode erarbeitet wurde, ist das Bild glaubwürdig.
Mit kanonischer Exegese läßt sich kein Blick hinter die Kulissen werfen, weil sie sich gar nicht für die urprüngliche Bedeutung eines Textes interessiert. Wenn sie dann auch noch die Irrtumslosigkeit der Schrift vorraussetzt, findet sie sich - welche Überraschung - in den Schriften bestätigt.
Ratzinger lobt zwar die historisch-kritische Methode, lehnt aber ihre Ergebnisse ab. Es wäre nun seine Aufgabe gewesen, zu zeigen, dass die Forschung die Methode falsch angewendet hat. Das kann er aber nicht und deshalb bleibt ihm nur die Aufforderung zum Glaubensentscheid.
Sorry, aber das ist einfach zu wenig.
Zuletzt geändert von sven23 am So 17. Jul 2016, 10:24, insgesamt 1-mal geändert.
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#603 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von closs » So 17. Jul 2016, 09:56

Münek hat geschrieben:Wenn es um die historische Rekonstruktion von etwas tatsächlich Geschehenem auf der Grundlage der überlieferten Quellen, hier insbesondere der echatologischen Worte Jesu geht, mit Sicherheit nicht.
Das ist der methodische Anspruch - ich spreche von dem, was WIRKLICH war. Und da bleibt es offen.

Münek hat geschrieben:und die Zunft der Exegeten zuckt erschreckt zusammen
Das müssen sie auch so wissen - das gilt für jeden wissenschaftlichen oder philosophischen Ansatz.

Münek hat geschrieben: Deine Vorliebe für Konjunktive zeugt von einer gewissen argumentativen Hilflosigkeit.
If-Abfragen sind auch bei Software-Leuten eine Selbstverständlichkeit. - Wenn man sich nicht selber ideologisch festklopfen will, MUSS man Alternativen ernsthaft durchspielen.

Münek hat geschrieben:Diese Tatsache wird von den Exegeten aber bei ihren historischen Rekonstruktionen durch Nichtberücksichtigung gebührend berücksichtigt.
NAtürlich tun sie das - aber nach ihrer weltanschaulichen Kalibrierung. - Auch das tut jeder.

Münek hat geschrieben:Mit dieser verqueren Auffassung wirst Du keine Anhänger finden.
Das ist unter Wissenschaftlern bzw. Wissenschafts-Theoretikern allgemein bekannt - da muss man unter Fachleuten keine Anhänger finden. - Allerdings ist es gut möglich, dass es Wissenschaftler gibt, die sachlich sehr gut arbeiten können, aber nicht über die Grundlagen ihrer Methodik nachdenken.

Münek hat geschrieben:Pluto hat recht. Fakt ist, dass einem kanonisch arbeitenden Exegeten nicht mehr Informationen zur Verfügung stehen als seinen Kollegen von der wissenschaftlichen Zunft.
Natürlich - habe ich doch bestätigt. - Der Gag liegt doch darin, dass DIESSELBEN Quellen bei unterschiedlichen Perpsektiven zu unterschiedlichen SChlussfolgerungen führen können.

Münek hat geschrieben:Bei den (mit höchster Wahrscheinlichkeit) authentischen Aussprüchen Jesu handelt es sich selbstverständlich NICHT um Rezeptionen;
JEGLICHE Quelle ist Rezeption, da das Original Jesus selbst ist. - Es gibt keine verbindliche, primäre Urschrift.

Münek hat geschrieben: Sie versuchen u.a., mit viel Akribie und Sachverstand "echte" (= authentische) Worte Jesu, von "unechten" zu unterscheiden.
Das wird sicherlich auch zu einem Teil gelingen. - Aber was nützt das, wenn man ihn dann grottenfalsch interpretiert?

Münek hat geschrieben:Bei den (mit höchster Wahrscheinlichkeit) authentischen Aussprüchen Jesu handelt es sich selbstverständlich NICHT um Rezeptionen
Die Wiedergabe durch die Schreiber = Rezeption: "So habe ich, SChreiber, Jesus verstanden".

Münek hat geschrieben:Was den von Dir erwähnten "übergeordneten Entwurf" betrifft, handelt es sich lediglich um eine simple Glaubensannahme
Der übergeordnete Entwirf der HKM ist, dass Jesus lediglich ein Wanderprediger ist - simple Glaubensannahme.

Münek hat geschrieben:Aus theologisch-historisch-wissenschaftlicher Sicht ist der "Heilige Geist" so interessant wie das "Gespenst von Canterville".
Das ist ok, heisst aber auch, dass die HKM über technische Dienstleistung an die Theologie nichts erbringen kann.

Münek hat geschrieben:Das GLAUBENSBILD ist auch nicht DAS Bild, sondern beruht lediglich auf der subjektiven Vorstellung des Gläubigen.
Ich hatte das auf die HKIM bezogen.

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sven23
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#604 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von sven23 » So 17. Jul 2016, 10:06

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Aus theologisch-historisch-wissenschaftlicher Sicht ist der "Heilige Geist" so interessant wie das "Gespenst von Canterville".
Das ist ok, heisst aber auch, dass die HKM über technische Dienstleistung an die Theologie nichts erbringen kann.
Trotzdem kann die Forschung doch die Entstehung des Glaubens an den "Heiligen Geist" rekonstruieren. Was erwartest du von der Forschung?
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#605 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von closs » So 17. Jul 2016, 10:28

sven23 hat geschrieben:es gibt keine sich selbst offenbarende Logik dahinter
Das sollste schon so sein - das Problem ist woanders: Es gibt je nach Perspektive unterschiedliche logische Schlüssigkeiten.

sven23 hat geschrieben:Deine Forderung, sie müsse auch selbst dran glauben, ist einfach nur Unsinn
Das tue ich doch nicht. - Meinst Du ernsthaft, ein Wissenschaftler müsse an alle Versionen glauben, die er ernsthaft durchspielt?

sven23 hat geschrieben:Die Forschung zeichnet doch den Prozess der Vergottung des Wanderpredigers nach.
Aber sie kann nicht die Frage beantworten, ob dieser Prozess eine Authentisierung zu Jesus hin oder eine De-Authentisierung von Jesus weg ist. - Da fehlt ihr der Maßstab - es sei denn, sie setzt einen.

sven23 hat geschrieben: Es macht nur Sinn, wenn man das baldige Ende erwartet.
DAS ist aus heutiger Sicht interpretiert. - Im Grunde geht es bei diesem Gleichnis um das "Totenhemden haben keine Taschen"-Motiv - was soll der Mensch an weltlichen Gütern sammeln, wenn er sie doch nicht mitnehmen kann? - Und mit dem "Mitnehmen" ist nicht die zeitnahe Apoklypse gemeint, sondern der eigene leibliche Tod.

sven23 hat geschrieben:"Dabei ist festzuhalten, dass Jesus kein geschlossenes ethisches System entfaltet hat, sondern an konkreten Einzelfällen jeweils einen grundsätzlichen Horizont eröffnete" (bibelwissenschaft).
Genau dieser Satz ist wichtig. - Es geht nicht darum, ob die Apokalypse in 1 Mio Jahren oder morgen früh ist, da es für den Einzelnen eh wurscht ist - es geht um den grundsätzlichen Horizont.

sven23 hat geschrieben:Die Kirche hielt ja auch nicht viel von Armut und Besitzlosigkeit, im Gegenteil.
Stimmt. - Wobei man allerdings unterscheiden sollte zwischen "Besitz der Kirche" und "Besitz der Geistlichen" - aber das wurde in der Tat oft vermischt. - Aber was hat das mit Jesus zu tun? Wichtig wäre die Frage, was er dazu gemeint hat.

sven23 hat geschrieben:Allerdings muss man dann auch erklären, warum die Schreiber eine rein literarische Figur mit dem Makel der enttäuschten Naherwartung versehen, die ihnen dann große Problem bereitet.
Weil sie ehrlich waren - sie haben so geschrieben, wie sie es/ihn verstanden haben. - Im übrigen (man muss es regelmäßig wiederholen) hat nicht jeder, der "Das Gottesreich ist nah" vertreten hat, es im Sinne einer apokalyptischen Naherwartung verstanden. - Du erinnerst Dich sicherlich an das Bibel-Zitat: "Das Reich Gottes ist mitten in (oder unter?) Euch".

sven23 hat geschrieben:Gerade weil es mit einer wissenschaftlich sauber angewandten Methode erarbeitet wurde, ist das Bild glaubwürdig.
"Man kann mir technisch keine Fehler nachweisen, also muss was dran sein" - das ist zu wenig. - Glaubwürdig ist die Sauberkeit der MEthode in Bezug auf Beobachtungen und deren Korrelationen - aber nicht in Bezug auf Interpretationen und WErtungen.

sven23 hat geschrieben:Mit kanonischer Exegese läßt sich kein Blick hinter die Kulissen werfen, weil sie sich gar nicht für die urprüngliche Bedeutung eines Textes interessiert.
Die kanonische Exegese hat ihren Schwerpunkt auf dem ursprünglichen Sinn der jesuanischen Aussagen.

Sie geht davon aus, dass Sven 2 Ohren hat und ändert diese Meinung nicht, wenn ein Schreiber meint, er habe 5 Ohren - INSOFERN könnte bei schier übermenschlichem etwas an Deinem Satz wahr sein. - Man interessiert sich also mehr für das, was Jesus gemeint hat, als für das, was ein Verfasser meint, bzw. wie man interpretieren könnte.

sven23 hat geschrieben:Wenn sie dann auch noch die Irrtumslosigkeit der Schrift vorraussetzt, findet sie sich - welche Überraschung - in den Schriften bestätigt.
Das stört mich genauso wie Dich - allerdings ist das mit der "Irrtumslosigkeit" nicht so vulgär gemeint, wie es gemeinhin zitiert wird. - Wie ich verstanden habe, ist damit die SChrift als Ganzes gemeint und NICHT irgendwelche Einzel-Episoden - denn die Theologie ist schon auch selber schlau genug, um zu wissen, dass es im Vergleich der SChriften Widersprüche gibt.

sven23 hat geschrieben:Ratzinger lobt zwar die historisch-kritische Methode, lehnt aber ihre Ergebnisse ab.
Nicht die sachlichen Ergebnisse, sondern deren Interpretations-Background - das ist ein wesentlicher Unterschied.

sven23 hat geschrieben: Es wäre nun seine Aufgabe gewesen, zu zeigen, dass die Forschung die Methode falsch angewendet hat
Das ist doch gar nicht das Problem. - Er geht vermutlich davon aus, dass die historisch-kritische Forschung ihre Methode NICHT falsch angewendet hat - es geht um die Interpretations-Grundlagen des historisch-kritisch ERmittelten.

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sven23
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#606 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von sven23 » So 17. Jul 2016, 11:16

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Die Forschung zeichnet doch den Prozess der Vergottung des Wanderpredigers nach.
Aber sie kann nicht die Frage beantworten, ob dieser Prozess eine Authentisierung zu Jesus hin oder eine De-Authentisierung von Jesus weg ist. - Da fehlt ihr der Maßstab - es sei denn, sie setzt einen.
Sie kann aber anhand der Quellen rekonstruieren, was möglichst authentisch ist und was Eigenkomposition der Schreiber. Genau das macht die Forschung.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Es macht nur Sinn, wenn man das baldige Ende erwartet.
DAS ist aus heutiger Sicht interpretiert. - Im Grunde geht es bei diesem Gleichnis um das "Totenhemden haben keine Taschen"-Motiv - was soll der Mensch an weltlichen Gütern sammeln, wenn er sie doch nicht mitnehmen kann? - Und mit dem "Mitnehmen" ist nicht die zeitnahe Apoklypse gemeint, sondern der eigene leibliche Tod.
Nein, die Forschung bemüht sich doch gerade darum, nicht aus heutiger Sicht zu interpretieren, wie das ein Laie gerne tut. Die Aufforderung an die Reichen, ihren Besitz zu verkaufen, alles sozialen Bindungen aufzugeben und mit ihm durch die Lande zu ziehen macht in dieser Radikalität nur Sinn vor dem Hintergrund der Erwartung des nahen Endes.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:"Dabei ist festzuhalten, dass Jesus kein geschlossenes ethisches System entfaltet hat, sondern an konkreten Einzelfällen jeweils einen grundsätzlichen Horizont eröffnete" (bibelwissenschaft).
Genau dieser Satz ist wichtig. - Es geht nicht darum, ob die Apokalypse in 1 Mio Jahren oder morgen früh ist, da es für den Einzelnen eh wurscht ist - es geht um den grundsätzlichen Horizont.
Doch, genau darum geht es. Nur vor dem Hintergrund des baldigen Endes ist der Verzicht auf Daseinsvorsorge verständlich. Da stimme ich der Forschung absolut zu. Oder meinst du, Jesus und seine Apostel hatten vor, sich bis an ihr Lebensende von anderen durchfüttern zu lassen? Er wurde ja von Zeitgenossen als Fresser und Weinsäufer bezeichnet, war also irdischen Genüssen nicht abgeneigt.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Die Kirche hielt ja auch nicht viel von Armut und Besitzlosigkeit, im Gegenteil.
Stimmt. - Wobei man allerdings unterscheiden sollte zwischen "Besitz der Kirche" und "Besitz der Geistlichen" - aber das wurde in der Tat oft vermischt. - Aber was hat das mit Jesus zu tun? Wichtig wäre die Frage, was er dazu gemeint hat.
Tja, was hat die Kirche mit Jesus zu tun? Eine gute Frage.
Jesus lehnte wohl eigenen Besitz ab. Weil er eh nichts besaß oder weil Besitztum vor dem Hintergrund des baldigen Endes irrelvant wird?

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Allerdings muss man dann auch erklären, warum die Schreiber eine rein literarische Figur mit dem Makel der enttäuschten Naherwartung versehen, die ihnen dann große Problem bereitet.
Weil sie ehrlich waren -
Wie wir inzwischen gesehen haben, stand die historische Ehrlichkeit nicht wirklich an erster Stelle bei den Schreibern. Und wenn Jesus eine rein literarische Erfindung wäre, sollte man nicht mehr von Ehrlichkeit sprechen.


closs hat geschrieben: Du erinnerst Dich sicherlich an das Bibel-Zitat: "Das Reich Gottes ist mitten in (oder unter?) Euch".
Das ist doch gerade ein Beispiel für das unmittelbar bevorstehende Gottesreich, das schon so nahe ist, dass es bereits zu wirken beginnt.

"Im Gegensatz zur Tradition sah Jesus aber bereits seine Gegenwart durch die in seiner Wirksamkeit hereinbrechende Gottesherrschaft geprägt (Lk 11,20; vgl. 10,18). Die entscheidende Heilswende vollzieht sich bereits. Die endgültige Vollendung der Königsherrschaft Gottes steht mit Gewissheit unmittelbar bevor (vgl. Mk 1,15f.; Mt 5,3f.par)"
Quelle: Bibelwissenschaft.de

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Gerade weil es mit einer wissenschaftlich sauber angewandten Methode erarbeitet wurde, ist das Bild glaubwürdig.
"Man kann mir technisch keine Fehler nachweisen, also muss was dran sein" - das ist zu wenig. - Glaubwürdig ist die Sauberkeit der MEthode in Bezug auf Beobachtungen und deren Korrelationen - aber nicht in Bezug auf Interpretationen und WErtungen.
Was willste bei "Ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende kommen..." noch großartig interpretieren? :roll:

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Mit kanonischer Exegese läßt sich kein Blick hinter die Kulissen werfen, weil sie sich gar nicht für die urprüngliche Bedeutung eines Textes interessiert.
Die kanonische Exegese hat ihren Schwerpunkt auf dem ursprünglichen Sinn der jesuanischen Aussagen.
Genau diese Aussagen versucht die Forschung zu ermitteln. Du hingegen behauptest, dies sei gar nicht mehr möglich, weil alles nur Rezeption sei. Was im Falle der Naherwartung natürlich eine leicht durchschaubare Zweckbehauptung ist.


closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Wenn sie dann auch noch die Irrtumslosigkeit der Schrift vorraussetzt, findet sie sich - welche Überraschung - in den Schriften bestätigt.
Das stört mich genauso wie Dich - allerdings ist das mit der "Irrtumslosigkeit" nicht so vulgär gemeint, wie es gemeinhin zitiert wird. - Wie ich verstanden habe, ist damit die SChrift als Ganzes gemeint und NICHT irgendwelche Einzel-Episoden - denn die Theologie ist schon auch selber schlau genug, um zu wissen, dass es im Vergleich der SChriften Widersprüche gibt.
Sie kümmert sich aber nicht um die Widersprüche und kann sie auch nicht auflösen. Dann müßte sie eingestehen, dass die Bibel Jesusworte enthält, die nicht authentisch sind. Das will sie aber auf keinen Fall und das ist das Problem.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Ratzinger lobt zwar die historisch-kritische Methode, lehnt aber ihre Ergebnisse ab.
Nicht die sachlichen Ergebnisse, sondern deren Interpretations-Background - das ist ein wesentlicher Unterschied.
Naherwartung, Geburtslegenden, unhistorisches Johannesevangelium sind doch sachliche Ergebnisse. Ratzinger lehnt sie aus ideologischen Gründen ab ohne eine sachliche Begründung zu liefern. So kann man wissenschaflicher Forschung nicht auf Augenhöhe begegnen und im Grunde weiß Ratzinger das auch. Deshalb sein hilflos aussehender Aufruf zum Glaubensentscheid.
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#607 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von closs » So 17. Jul 2016, 11:52

sven23 hat geschrieben:Sie kann aber anhand der Quellen rekonstruieren, was möglichst authentisch ist und was Eigenkomposition der Schreiber. Genau das macht die Forschung.
Was mutmaßlich von Jesus rezipiert wurde und was ganz neu geschrieben wurde - so würde ich es unterschreiben. - Aber nach wie vor: Sie kann nicht rekonstruieren, was INHALTLICH (also vom Sinn her) authentisch zu Jesus ist.

sven23 hat geschrieben:die Forschung bemüht sich doch gerade darum, nicht aus heutiger Sicht zu interpretieren, wie das ein Laie gerne tut
So ist es richtig - das ist ist ihre Aufgabe. - Aber gelingt das? Die Selbstverständlich, wie Du im Brustton der Überzeugung sagst, "Materiellen Besitz abgeben = Naherwartung" lässt daran zweifeln.

Auf die Zeit selbst bezogen, prallen hier natürlich AT und NT aufeinander:
Hier äußerer Reichtum als Zeichen göttlicher Gunst (AT), dort das Sich-prinzipiell-von-materiellen-Gütern-Abwenden" (NT). - Insofern ist es gut möglich, dass ein AT-Denker damals so interpretiert hat wie wir heute.

sven23 hat geschrieben:Nur vor dem Hintergrund des baldigen Endes ist der Verzicht auf Daseinsvorsorge verständlich.
Schlicht falsch - das ist modern-materialistisch alias alttestamentarisch gedacht. - Genau das ist ein Verkennen des Paradigmen-Wechsels - und wenn das die HKM genauso tut, braucht man nicht zu wundern.

sven23 hat geschrieben:Jesus lehnte wohl eigenen Besitz ab. Weil er eh nichts besaß oder weil Besitztum vor dem Hintergrund des baldigen Endes irrelvant wird?
Weder noch - weil er neutestamentarisch gedacht hat.

sven23 hat geschrieben:Wie wir inzwischen gesehen haben, stand die historische Ehrlichkeit nicht wirklich an erster Stelle bei den Schreibern.
Wie jetz? Ist es NICHT ehrlich, wenn jemand etwas schriftlich vermittelt, was ihm eigentlich nicht in den KRam passt?

sven23 hat geschrieben:Das ist doch gerade ein Beispiel für das unmittelbar bevorstehende Gottesreich, das schon so nahe ist, dass es bereits zu wirken beginnt.
Das ist gerade KEIN Beispiel für eine apokalyptische Naherwartung, weil hier die Zeit überhaupt keine Rolle spielt - es geht ums Individuum und dessen individuelles Seelenheil.

sven23 hat geschrieben:"Im Gegensatz zur Tradition sah Jesus aber bereits seine Gegenwart durch die in seiner Wirksamkeit hereinbrechende Gottesherrschaft geprägt (Lk 11,20; vgl. 10,18). Die entscheidende Heilswende vollzieht sich bereits. Die endgültige Vollendung der Königsherrschaft Gottes steht mit Gewissheit unmittelbar bevor (vgl. Mk 1,15f.; Mt 5,3f.par)"
So allgemein gesagt würden dem auch Ratzi und Berger zustimmen. - Aber man kann es offenbar komplett unterschiedlich verstehen (AT/NT).

sven23 hat geschrieben:Was willste bei "Ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende kommen..." noch großartig interpretieren?
Bei diesem EINEM Satz nichts - hier müsste man allenfalls nachschauen, welche Interpretationen es dazu in der Literatur gibt. - Bis dahin würde ich sagen, dass ein Schreiber irgendetwas so verstanden hat, dass er gemeint hat, Jesus käme apokalyptisch bald wieder zurück - als Deine Version.

sven23 hat geschrieben:Du hingegen behauptest, dies sei gar nicht mehr möglich, weil alles nur Rezeption sei.
Es ist schon möglich, aber nur per HKM nur äußerlich. - Was nützt es, wenn die HKM sprachliche und quellen-technische Erkenntnisse erwirbt und dann nicht auf die IDee kommt, "Das Reich Gottes ist nah" neutestamentarisch zu interpretieren, weil ihr die Grundlage dazu fehlt?

sven23 hat geschrieben:Dann müßte sie eingestehen, dass die Bibel Jesusworte enthält, die nicht authentisch sind.
Das sollte sie, wenn es nötig ist. Sie hat sich mit einer engen Auslegung des "Die Bibel ist Gottes Wort" selber ein Ei gelegt. - Das wird übrigens inner-theologisch genauso gesehen.

sven23 hat geschrieben:Naherwartung, Geburtslegenden, unhistorisches Johannesevangelium sind doch sachliche Ergebnisse.
Naherwartung als zeitnahe apokalyptische Naherwartung ist kein Sach-Ergebnis, sondern eine angreifbare Interpretation/These. - Dass Jesus nicht in Bethlehem geboren ist, kann gut sein - dann steht etwas historisch Falsches in der Bibel. - Dass das Johannesevangelium eher eine Kontemplation als eine historische Schrift ist, gilt auch längst (und VOR der HKM) als "normal".

Insofern sind wir gar nicht so weit weg - nur die Interpretation daraus ist vollkommen unterschiedlich.

sven23 hat geschrieben:So kann man wissenschaflicher Forschung nicht auf Augenhöhe begegnen und im Grunde weiß Ratzinger das auch. Deshalb sein hilflos aussehender Aufruf zum Glaubensentscheid.
Das sind naive Verschwörungstheorien, die zeigen, dass die eigentliche Substanz überhaupt nicht begriffen ist.

Wer "Naherwartung" nicht mit "Deiner" Interpretation versehen werden muss, ist von den Quellen her leichtest zu begründen - man muss nur neutestamentarisch denken. - Dass die Episode der Geburt aus irgendwelchen metaphorischen Gründen mit den "Drei Weisen" geschmückt ist,hat nichts mit Historizität zu tun. - Das Johannes Jesu Lehre geistig interpretiert hat, ist wirklich normal.

Das wertende "auf Augenhöhe" ist vollkommen daneben. - Ein Maurer ist genauso wenig auf Augenhöhe mit einem Architekten wie ein Architekten mit einem Maurer. - Jeder soll seine Arbeit machen.

Und so ist "der Maurer HKM" besser im Aufbau von Mauern und "der Architekt kanonische Exegese" besser in der Konstruktion des Hauses. - Und deshalb sollte weder ein Maurer dem ARchitekten reinreden noch der Architekt dem Maurer.

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#608 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von sven23 » So 17. Jul 2016, 13:31

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Sie kann aber anhand der Quellen rekonstruieren, was möglichst authentisch ist und was Eigenkomposition der Schreiber. Genau das macht die Forschung.
Was mutmaßlich von Jesus rezipiert wurde und was ganz neu geschrieben wurde - so würde ich es unterschreiben. - Aber nach wie vor: Sie kann nicht rekonstruieren, was INHALTLICH (also vom Sinn her) authentisch zu Jesus ist.
Deshalb hält sie sich an die Quellen und wenn die inhaltlich sagen, dass das nahe Gottesreich im Zentrum seiner Verkündigung stand, dann ist es eben so.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:die Forschung bemüht sich doch gerade darum, nicht aus heutiger Sicht zu interpretieren, wie das ein Laie gerne tut
So ist es richtig - das ist ist ihre Aufgabe. - Aber gelingt das? Die Selbstverständlich, wie Du im Brustton der Überzeugung sagst, "Materiellen Besitz abgeben = Naherwartung" lässt daran zweifeln.
So plump sagt das ja auch niemand. Die Naherwartung wird aber plausibel, wenn man Daseinsvorsorge für obsolet hält.

closs hat geschrieben: Auf die Zeit selbst bezogen, prallen hier natürlich AT und NT aufeinander:
Hier äußerer Reichtum als Zeichen göttlicher Gunst (AT), dort das Sich-prinzipiell-von-materiellen-Gütern-Abwenden" (NT). - Insofern ist es gut möglich, dass ein AT-Denker damals so interpretiert hat wie wir heute.
Das ist nun wieder richtig. Die Vertreter des sog. Wohlstandsevangeliums beziehen ihre Legitmation aus dem AT (Moses und Hiob).
Jesus hingegen lehnt materiellen Besitz ab, allerdings kam auch er nicht ohne Belohnungsversprechen aus, wenngleich keine materielle Belohnung.
(die letzten werden die ersten sein...) stellt er seinen Anhängern in Aussicht, die ja vorwiegend aus dem Prekariat der Gesellschaft kamen.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Nur vor dem Hintergrund des baldigen Endes ist der Verzicht auf Daseinsvorsorge verständlich.
Schlicht falsch - das ist modern-materialistisch alias alttestamentarisch gedacht. -
Nein, genau richtig.

"So handeln kann nur, wer sein Vertrauen ganz auf Gott und seine anbrechende Herrschaft setzt. Für irdische Lebenssicherung bleibt da kein Platz (Mt 6,24 par)."
Quelle: Bibelwissenschaft.de

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Jesus lehnte wohl eigenen Besitz ab. Weil er eh nichts besaß oder weil Besitztum vor dem Hintergrund des baldigen Endes irrelvant wird?
Weder noch - weil er neutestamentarisch gedacht hat.
Du vergißt immer wieder, dass Jesus Jude war, aus der jüdischen Tradition kam und noch nichts von einem neuen Testament wußte. Das NT ist nachträgliche christliche Rezeption, bzw. Okkupation des Juden Jesus.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Wie wir inzwischen gesehen haben, stand die historische Ehrlichkeit nicht wirklich an erster Stelle bei den Schreibern.
Wie jetz? Ist es NICHT ehrlich, wenn jemand etwas schriftlich vermittelt, was ihm eigentlich nicht in den KRam passt?
Wie jetzt? Immer betonst du, dass die Naherwartung die Meinung der Schreiber widerspiegelt und jetzt sollen sie die Naherwartung gegen ihre eigende Überzeugung angeführt haben? Ist das der closssche Paradigmenwechsel? :lol:
Außerdem betont sogar Paulus, dass er selbst daran glaubt, zumindest anfangs.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:"Im Gegensatz zur Tradition sah Jesus aber bereits seine Gegenwart durch die in seiner Wirksamkeit hereinbrechende Gottesherrschaft geprägt (Lk 11,20; vgl. 10,18). Die entscheidende Heilswende vollzieht sich bereits. Die endgültige Vollendung der Königsherrschaft Gottes steht mit Gewissheit unmittelbar bevor (vgl. Mk 1,15f.; Mt 5,3f.par)"
So allgemein gesagt würden dem auch Ratzi und Berger zustimmen. - Aber man kann es offenbar komplett unterschiedlich verstehen (AT/NT).
Es geht um die zeitlich unmittelbar bevorstehende Königsherrschaft. Deshalb mahnt Jesus doch zur Umkehr und zur Eile.

"Zum anderen fordert die Gottesherrschaft die ungeteilte Hinwendung des ganzen Menschen. Alle bisherigen Bindungen müssen angesichts der Heilswende aufgegeben werden (Lk 9,57-62)."
Quelle: bibelwissenschaft.de

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Was willste bei "Ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende kommen..." noch großartig interpretieren?
Bei diesem EINEM Satz nichts - hier müsste man allenfalls nachschauen, welche Interpretationen es dazu in der Literatur gibt. - Bis dahin würde ich sagen, dass ein Schreiber irgendetwas so verstanden hat, dass er gemeint hat, Jesus käme apokalyptisch bald wieder zurück - als Deine Version.
Aha, jetzt ist mal wieder der Schreiber Schuld. :shock:
Es ist schon gut, dass Leute wie closs nicht in der Forschung arbeiten. Das würde absolut katastrophal enden. :lol:


closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Dann müßte sie eingestehen, dass die Bibel Jesusworte enthält, die nicht authentisch sind.
Das sollte sie, wenn es nötig ist. Sie hat sich mit einer engen Auslegung des "Die Bibel ist Gottes Wort" selber ein Ei gelegt. - Das wird übrigens inner-theologisch genauso gesehen.
Das kann die kanonische Exegese von ihrem Selbstverständnis her nicht. Das macht sie doch so problematisch.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Naherwartung, Geburtslegenden, unhistorisches Johannesevangelium sind doch sachliche Ergebnisse.
Naherwartung als zeitnahe apokalyptische Naherwartung ist kein Sach-Ergebnis, sondern eine angreifbare Interpretation/These. - Dass Jesus nicht in Bethlehem geboren ist, kann gut sein - dann steht etwas historisch Falsches in der Bibel. - Dass das Johannesevangelium eher eine Kontemplation als eine historische Schrift ist, gilt auch längst (und VOR der HKM) als "normal".
Bei Ratzinger ist es nicht normal, denn er will von einem kontemplativen Johannesevangelium nichts wissen. Für ihn hat es die gleiche historische Zuverlässigkeit wie die Synoptiker, entgegen den Ergebnissen der historisch-kritischen Forschung.


closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:So kann man wissenschaflicher Forschung nicht auf Augenhöhe begegnen und im Grunde weiß Ratzinger das auch. Deshalb sein hilflos aussehender Aufruf zum Glaubensentscheid.
Das sind naive Verschwörungstheorien, die zeigen, dass die eigentliche Substanz überhaupt nicht begriffen ist.
Wieso Verschwörungstheorie? Sein Aufruf zum Glaubensentscheid ist doch dokumentiert.

closs hat geschrieben: Wer "Naherwartung" nicht mit "Deiner" Interpretation versehen werden muss, ist von den Quellen her leichtest zu begründen - man muss nur neutestamentarisch denken. -
Es ist nicht meine Interpretation, sondern sind die Ergebnisse von 200 Jahren Forschung, gut begründet und nach allen Richtungen ausgelotet. Ob nun ein Ratzinger oder Berger (ich bin hier der Exeget) wie ein kleines Kind mit den Füßen aufstampfen, ist irrelevant, so lange sie sachlich nichts vorzuweisen haben.

closs hat geschrieben: Dass die Episode der Geburt aus irgendwelchen metaphorischen Gründen mit den "Drei Weisen" geschmückt ist,hat nichts mit Historizität zu tun.
Es geht nicht um Metaphern, sondern darum, dem Nazarener nachträglich die Legitimation zu verschaffen, der im AT verheißene Messias zu sein. Man könnte statt von Geburtslegenden auch von Geburtslügen sprechen, aber das wäre zu viel Wertung. ;)

closs hat geschrieben: - Das Johannes Jesu Lehre geistig interpretiert hat, ist wirklich normal.
Gerade Strauss hat schon sehr früh erkannt, dass das Johannesevangelium zu Jesus wenig historisch Verläßliches beitragen kann. An dieser Einschätzung hat sich bis heute nicht viel geändert.

"Strauß hat auch als erster erkannt, daß das Johannesevangelium von theologischen Prämissen aus gestaltet und historisch weniger vertrauenswürdiger als die Synoptiker ist"
Quelle: Gerd Theissen


closs hat geschrieben: Das wertende "auf Augenhöhe" ist vollkommen daneben. - Ein Maurer ist genauso wenig auf Augenhöhe mit einem Architekten wie ein Architekten mit einem Maurer. - Jeder soll seine Arbeit machen.
Ist ja in der Regel auch so. Ich habe aber schon erlebt, dass ein versierter Maurer einem Architekten Planungsfehler nachgewiesen hat. Das gibts auch.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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Münek
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#609 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von Münek » So 17. Jul 2016, 15:51

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Wenn es um die historische Rekonstruktion von etwas tatsächlich Geschehenem auf der Grundlage der überlieferten Quellen, hier insbesondere der echatologischen Worte Jesu geht, mit Sicherheit nicht.
Das ist der methodische Anspruch - ich spreche von dem, was WIRKLICH war. Und da bleibt es offen.
Was WIRKLICH war, weiß auch die Dogmatik nicht. Das ist also kein Argument. Die historisch-kritische Untersuchung der überlieferten Quellen versucht, der historischen Wirklichkeit möglichst nahe zu kommen (höchste Wahrscheinlichkeit o.ä.). Deshalb unterscheidet sie zwischen "echten" (authentischen) Worten Jesu und "unechten" Aussprüchen Jesu.

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:und die Zunft der Exegeten zuckt erschreckt zusammen
Das müssen sie auch so wissen - das gilt für jeden wissenschaftlichen oder philosophischen Ansatz.
Kurt - ich habe nur einen Scherz gemacht. Da zuckt niemand zusammen. :)

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben: Deine Vorliebe für Konjunktive zeugt von einer gewissen argumentativen Hilflosigkeit.
If-Abfragen sind auch bei Software-Leuten eine Selbstverständlichkeit. - Wenn man sich nicht selber ideologisch festklopfen will, MUSS man Alternativen ernsthaft durchspielen.
Das geht nur unter der Voraussetzung, dass seriöse Alternativen vorhanden sind. Geglaubte Eingriffe übernatürlicher Mächte ins weltliche Geschehen gehören als pseudowissenschaftliche Annahmen gewiss nicht dazu.

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Diese Tatsache wird von den Exegeten aber bei ihren historischen Rekonstruktionen durch Nichtberücksichtigung gebührend berücksichtigt.
NAtürlich tun sie das - aber nach ihrer weltanschaulichen Kalibrierung.
Wissenschaft bleibt eben Wissenschaft. Eine Vermischung mit behaupteten übernatürlichen Eingriffen göttlicher Mächte kann sie selbstverständlich nicht dulden. Sie würde sich sonst als Wissenschaft disqualifizieren und der Lächerlichkeit preisgeben.

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Mit dieser verqueren Auffassung wirst Du keine Anhänger finden.
Das ist unter Wissenschaftlern bzw. Wissenschafts-Theoretikern allgemein bekannt - da muss man unter Fachleuten keine Anhänger finden. - Allerdings ist es gut möglich, dass es Wissenschaftler gibt, die sachlich sehr gut arbeiten können, aber nicht über die Grundlagen ihrer Methodik nachdenken.
Meine Anmerkung bezog auf Deinen obskuren gegen die Neutestamentler erhobenen Vorwurf mangelnder Ergebnisoffenheit, wenn diese es ablehnen, ihre historische Forschungstätigkeit AUCH unter der Prämisse durchzuführen, Jesus sei eine allwissende göttliche Person.

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Bei den (mit höchster Wahrscheinlichkeit) authentischen Aussprüchen Jesu handelt es sich selbstverständlich NICHT um Rezeptionen;
JEGLICHE Quelle ist Rezeption, da das Original Jesus selbst ist. - Es gibt keine verbindliche, primäre Urschrift.
Wenn die Evangelisten Aussprüche Jesu wörtlich zitieren, rezipieren sie nicht.

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben: Sie versuchen u.a., mit viel Akribie und Sachverstand "echte" (= authentische) Worte Jesu, von "unechten" zu unterscheiden.
Das wird sicherlich auch zu einem Teil gelingen. - Aber was nützt das, wenn man ihn dann grottenfalsch interpretiert?
Das ist eine anmaßend-groteske Unterstellung eines theologischen Laien gegenüber der Zunft der mit excellentem Fachverstand professionell arbeitenden Exegeten.

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Was den von Dir erwähnten "übergeordneten Entwurf" betrifft, handelt es sich lediglich um eine simple Glaubensannahme
Der übergeordnete Entwirf der HKM ist, dass Jesus lediglich ein Wanderprediger ist - simple Glaubensannahme.
Dass Historiker Personen der Geschichte wie Pharaonen oder römische Kaiser oder Jesus von Nazareth NICHT als auf Erden wandelnde Götter ansehen, obwohl diese als solche verehrt wurden, ist weder eine Glaubensannahme noch ein "übergeordneter Entwurf", sondern eine schiere Selbstverständlichkeit.

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Aus theologisch-historisch-wissenschaftlicher Sicht ist der "Heilige Geist" so interessant wie das "Gespenst von Canterville".
Das ist ok, heisst aber auch, dass die HKM über technische Dienstleistung an die Theologie nichts erbringen kann.
Die HKM ist nach wie vor DIE Standardmethode der EXEGESE (= Auslegung) biblischer Schriften an den theologischen Fakultäten. Das reicht vollkommen. Mehr will und tut sie nicht.

closs
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#610 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von closs » So 17. Jul 2016, 16:25

sven23 hat geschrieben: und wenn die inhaltlich sagen, dass das nahe Gottesreich im Zentrum seiner Verkündigung stand, dann ist es eben so.
Das ist doch nie das Problem gewesen - das sagt doch die kanonische Theologie genauso.

sven23 hat geschrieben:Die Naherwartung wird aber plausibel, wenn man Daseinsvorsorge für obsolet hält.
Bei einem materialistischen Weltbild mag das plausibel sein.

sven23 hat geschrieben:Jesus hingegen lehnt materiellen Besitz ab, allerdings kam auch er nicht ohne Belohnungsversprechen aus, wenngleich keine materielle Belohnung.
Die "Belohnung" ist letztlich die Erkenntnis - alles andere ergibt sich von selbst.

sven23 hat geschrieben:"So handeln kann nur, wer sein Vertrauen ganz auf Gott und seine anbrechende Herrschaft setzt. Für irdische Lebenssicherung bleibt da kein Platz (Mt 6,24 par)."
Dieser Satz stimmt auch in der kanonischen Theologie - das hat überhaupt nichts mit "apokalyptischer Naherwartung" zu tun.

sven23 hat geschrieben: Das NT ist nachträgliche christliche Rezeption
Logisch - wenn wir von "NT" sprechen, ist das zu UNSERER Unterscheidung.

sven23 hat geschrieben:Immer betonst du, dass die Naherwartung die Meinung der Schreiber widerspiegelt und jetzt sollen sie die Naherwartung gegen ihre eigende Überzeugung angeführt haben?
Erstens sage ich nicht "der" Schreiber (als wären es alle). - ZWeitens sage ich, dass diejenigen, die tatsächlich zeitweise an eine Naherwartung geglaubt haben, gemerkt haben, dass sie nicht gekommen ist, und sie trotzdem thematisiert haben.

sven23 hat geschrieben:Außerdem betont sogar Paulus, dass er selbst daran glaubt, zumindest anfangs.
Ja - er ist einer, der es anfangs geglaubt hat.

sven23 hat geschrieben:"Zum anderen fordert die Gottesherrschaft die ungeteilte Hinwendung des ganzen Menschen. Alle bisherigen Bindungen müssen angesichts der Heilswende aufgegeben werden (Lk 9,57-62)."
Auch das hat nichts mit "apokalyptische Naherwartung" zu tun. - Man kann es hineininterpretieren - mehr nicht.

sven23 hat geschrieben:jetzt ist mal wieder der Schreiber Schuld.
Wieso "schuld"? - Sie haben das geschrieben, was sie geglaubt haben - warum immer die Wertungen?

sven23 hat geschrieben:Es ist schon gut, dass Leute wie closs nicht in der Forschung arbeiten.
Naja - aber offensichtlich bin ich einer der wenigen, die schon mal historisch-kritisch gearbeitet haben. - Um es milde zu sagen: Wir haben es anders gemacht, als es hier rübergebracht wird.

sven23 hat geschrieben:Das kann die kanonische Exegese von ihrem Selbstverständnis her nicht.
Wenn ich die theologische Auslegung der kanonischen Exegese zugrundelege, so wie es mir erzählt wird, geht es schon. - Trotzdem: Aus meiner Sicht hat sich die Kirche einige unnötigen Stolpersteine eingebaut - da muss sie durch.

sven23 hat geschrieben:Bei Ratzinger ist es nicht normal, denn er will von einem kontemplativen Johannesevangelium nichts wissen. Für ihn hat es die gleiche historische Zuverlässigkeit wie die Synoptiker
In diesem speziellen Gebiet bin ich nicht fit. - Letztlich ist für mich die Frage, inwieweit Johannes authentisch ist zu dem, was Jesus gesagt und gemeint hat.

sven23 hat geschrieben:Wieso Verschwörungstheorie?
Dass "Glaubensentscheid" eine Ersatzhandlung dafür wäre, weil die kanonische Exegese nicht auf Augenhöhe mit der HKM sei. - Da verwechselst Du möglicherweise schon Brötchen und Bäcker.

sven23 hat geschrieben:Es ist nicht meine Interpretation, sondern sind die Ergebnisse von 200 Jahren Forschung, gut begründet und nach allen Richtungen ausgelotet.
MEthodisch in sich mag das sein - aber der Interpretations-Maßstab ist eben willkürlich bzw. einseitig. - Nach wie vor gilt: Die Aussagen der kanonischen Exegese über Jesus können genauso historisch wahr sein wie die HKM-Aussagen. - Entscheidend ist hier, ob Jesus TATSÄCHLICH nur ein Wanderprediger war oder "Gottes Sohn"/Gott - und genau das ist wissenschaftlich nicht ermittelbar, sondern lediglich jeweils begründbar.

sven23 hat geschrieben:Es geht nicht um Metaphern, sondern darum, dem Nazarener nachträglich die Legitimation zu verschaffen, der im AT verheißene Messias zu sein.
Da steckt beides drin. - Einerseits eine AT-Denke, die meint, eine äußere Legitimation schaffen zu müssen - andererseits geistige Metaphern (Myrrhe=Totensalbung), die damit nichts zu tun haben. - Da haben alle in ihrer Mischung aus Irrtum und Wahrheit irgendwo Dreck am Stecken.

sven23 hat geschrieben:Gerade Strauss hat schon sehr früh erkannt, dass das Johannesevangelium zu Jesus wenig historisch Verläßliches beitragen kann.
Das mag sein - und jetzt? - Johannes habe ich immer als den Schreiber verstanden, der INHALTLICH am nähesten an Jesus dran war.

sven23 hat geschrieben:Ist ja in der Regel auch so. Ich habe aber schon erlebt, dass ein versierter Maurer einem Architekten Planungsfehler nachgewiesen hat. Das gibts auch.
Heute scheint es im Mainstream in der Regel NICHT so zu sein - der "Maurer HKM" scheint zu meinen, weil er gut Mauern hochziehen kann, wäre er Architekt. - Richtig ist tatsächlich, dass manche gute Maurer besser durchblicken als schlechte Architekten. - Soll man deshalb beide Berufsbilder verschmelzen zu einem?

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