Alles Teufelszeug? III

Benutzeravatar
sven23
Beiträge: 23476
Registriert: Fr 10. Mai 2013, 15:55

#551 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von sven23 » Di 12. Jul 2016, 16:58

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Sie schätzt sogar die Naherwartung für höchst authentisch ein, weil sie sich schon bei Abfassung praktisch als Irrtum erwiesen hat.
Wie Du sagst: eine Einschätzung, also Interpretation..
Ja, eine Einschätzung mit der höchsten Wahrscheinlichkeit aller anderen Möglichkeiten.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:er sprach von Glaubenspropagandaschriften.
Im zeitgenössischen Sinne des Wortes - und fügt hinzu, dass die Bibel im Vergleich zu üblichen zeitgenössischen Schriften außerordentlich historisch ist...
Man hat sich um ein historisches Image bemüht, das ist schon richtig, aber wie die Forschung herausgefunden hat, ist das meiste unhistorisch.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:im Gegensatz zur kanonischen Exegese, die sich nicht für den ursprünglichen Sinn eines Textes interessiert.
Da hast Du wirklich was falsch verstanden....
Nein, so ist sie definiert. (nicht nur in Wiki). Siehe Kathpedia oder bibelwissenschaft.de

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Selbstverständlich darf sich die historische Jesusforschung über den Protagonisten äußern
Immer mit dem Vorbehalt: "Unter Zugrundelegung des Verfasserverständnisses und unserer zeitgenössischen Interpretation"....
Nein, eben nicht unserer zeitgenössischen Interpretation, sondern der damaligen.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#552 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von closs » Di 12. Jul 2016, 18:15

sven23 hat geschrieben: eine Einschätzung mit der höchsten Wahrscheinlichkeit aller anderen Möglichkeiten.
Auch das ist eine Frage der Perspektive - besser wäre: "Höchste Wahrscheinlichkeit aus der Perspektive x".

sven23 hat geschrieben:Man hat sich um ein historisches Image bemüht
Ich glaube nicht, dass man darüber so nachgedacht hat, wie wir das heute tun - man hat damals nicht Realität mit Historizität gleichgeschaltet.

sven23 hat geschrieben:Siehe Kathpedia oder bibelwissenschaft.de
Da habe ich Dir aber schon ein paar Mal gesagt, dass da etwas anderes drin steht, als Du raus-verstehst.

sven23 hat geschrieben:eben nicht unserer zeitgenössischen Interpretation
Doch - eine zur Zeit un-zeitenössische geistige Interpretation kommt BEIM SELBEN zu ganz anderen Interpretationen.

sven23 hat geschrieben: sondern der damaligen
Natürlich - das habe ich mit "Verfasser- (also Rezeptions-) Verständnis gemeint". - Aber Jesus hat eben NICHT zeitgemäß gedacht, sondern wie er es gemeint hat und auch heute noch unter geistig-spirituellen Aspekten verstanden wird.

bato
Beiträge: 49
Registriert: Fr 20. Mai 2016, 19:42
Wohnort: Baden-Württemberg

#553 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von bato » Di 12. Jul 2016, 22:02

Ich möchte nur einiges zufügen.
Ich bin Historiker und muss zugeben, dass wir eigentlich fast nichts wissen. Wir tun immer so, dass alles bekannt ist, aber weit gefehlt. Die Quellen sind umso dürftiger umso weiter man zurückgeht. Das ist ganz viel Phantasie dabei.
Wenn wir heutige Kriterien nehmen, müssten wir unsere ganze Geschichtsschreibung relativieren - das tun wir natürlich nicht :)

Zum Thema: Jesus ist z.B. viel besser belegt als Karl der Große. Das Jesus eine historische Person war, ist unter Historikern unstrittig. Aber man muss ehrlich sein und sagen - da hörts auch auf. Bleibt die Bibel als Hauptquelle. Aber lehnt man das übernatürliche ab, muss die Bibel als Quelle ganz weit hinten landen.

Die Bibelkritik, tut genau dies. Sie lehnt alles Übernatürliche ab und behandelt die Bibel als normale Quelle. Da muss ja jedes Wunder als Phantasie gelten, weil es nicht in das naturalistische Weltbild passt. Deswegen sehen konsequente Bibelkritiker alles in der Bibel als Märchen an. Hier und da anerkennen sie einen wahren Hintergrund - aber das war's. Von der atheistischen Seite gesehen, haben sie recht - denn es gibt ja Gott nicht.

Also mit Bibelkritikern sollte man nicht diskutieren ob die Angaben in der Bibel wahr sind, sondern ob es überhaupt einen Gott gibt.

Pluto
Administrator
Beiträge: 43975
Registriert: Mo 15. Apr 2013, 23:56
Wohnort: Deutschland

#554 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von Pluto » Di 12. Jul 2016, 23:11

bato hat geschrieben:Ich möchte nur einiges zufügen.
Ich bin Historiker und muss zugeben, dass wir eigentlich fast nichts wissen. Wir tun immer so, dass alles bekannt ist, aber weit gefehlt. Die Quellen sind umso dürftiger umso weiter man zurückgeht. Das ist ganz viel Phantasie dabei.
Das kann ich nur unterschreiben. Nennt man das nicht "Geschichts-Myopie"?

bato hat geschrieben:Zum Thema: Jesus ist z.B. viel besser belegt als Karl der Große.
Das glaube ich dir aufs Wort! :D
Aber ist Jesus auch besser belegt als Robin Hood?

bato hat geschrieben:Von der atheistischen Seite gesehen, haben sie recht - denn es gibt ja Gott nicht.
Das kuriose dabei ist, dass der Mensch trotz der mangelhaften oder gar fehlenden Beweislage an Götter glaubt. Vermutlich will er das so.

bato hat geschrieben:Also mit Bibelkritikern sollte man nicht diskutieren ob die Angaben in der Bibel wahr sind, sondern ob es überhaupt einen Gott gibt.
Warum nicht Beides tun?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

bato
Beiträge: 49
Registriert: Fr 20. Mai 2016, 19:42
Wohnort: Baden-Württemberg

#555 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von bato » Di 12. Jul 2016, 23:20

Pluto hat geschrieben:
bato hat geschrieben:Also mit Bibelkritikern sollte man nicht diskutieren ob die Angaben in der Bibel wahr sind, sondern ob es überhaupt einen Gott gibt.
Warum nicht Beides tun?

Weil es keinen Bibelkritiker darum geht die Bibel zu widerlegen, sondern die Existenz Gottes. Widerlegt er Gott, hat er doch automatisch auch die Bibel widerlegt.

Pluto
Administrator
Beiträge: 43975
Registriert: Mo 15. Apr 2013, 23:56
Wohnort: Deutschland

#556 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von Pluto » Di 12. Jul 2016, 23:38

bato hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Warum nicht Beides tun?
Weil es keinen Bibelkritiker darum geht die Bibel zu widerlegen, sondern die Existenz Gottes. Widerlegt er Gott, hat er doch automatisch auch die Bibel widerlegt.
Wenn es nur um den Gotte der Bibel ginge (JHWH) ginge, dann würde ich dir Recht geben. Mit Widerlegung der Bibel kann man den Gott Abrahams und Noahs widerlegen, aber ein möglicher Schöpfer des Universums ist davon nicht betroffen.

  • Ich glaube an Spinozas Gott, der sich in der gesetzlichen Harmonie des Seienden offenbart, nicht an einen Gott, der sich mit Schicksalen und Handlungen der Menschen abgibt. Man wird zum tief religiösen Ungläubigen. Dies ist eine einigermaßen neue Art von Religion.
    [Albert Einstein]
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

bato
Beiträge: 49
Registriert: Fr 20. Mai 2016, 19:42
Wohnort: Baden-Württemberg

#557 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von bato » Di 12. Jul 2016, 23:50

Pluto hat geschrieben:
bato hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Warum nicht Beides tun?
Weil es keinen Bibelkritiker darum geht die Bibel zu widerlegen, sondern die Existenz Gottes. Widerlegt er Gott, hat er doch automatisch auch die Bibel widerlegt.
Wenn es nur um den Gotte der Bibel ginge (JHWH) ginge, dann würde ich dir Recht geben. Mit Widerlegung der Bibel kann man den Gott Abrahams und Noahs widerlegen, aber ein möglicher Schöpfer des Universums ist davon nicht betroffen.

  • Ich glaube an Spinozas Gott, der sich in der gesetzlichen Harmonie des Seienden offenbart, nicht an einen Gott, der sich mit Schicksalen und Handlungen der Menschen abgibt. Man wird zum tief religiösen Ungläubigen. Dies ist eine einigermaßen neue Art von Religion.
    [Albert Einstein]

Das nennt man Agnostizismus. Aber du hast natürlich recht, die Bibel ist nur für den jüdisch-christlichen Gott relevant.

Benutzeravatar
sven23
Beiträge: 23476
Registriert: Fr 10. Mai 2013, 15:55

#558 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von sven23 » Mi 13. Jul 2016, 06:13

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Man hat sich um ein historisches Image bemüht
Ich glaube nicht, dass man darüber so nachgedacht hat, wie wir das heute tun - man hat damals nicht Realität mit Historizität gleichgeschaltet..
Um so unverständlicher ist es, dass Ratzinger dies heute noch tut.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Siehe Kathpedia oder bibelwissenschaft.de
Da habe ich Dir aber schon ein paar Mal gesagt, dass da etwas anderes drin steht, als Du raus-verstehst..
Nein, hast du nicht, weil es gar nicht anders definiert ist.
Die kanonische Exegese geht von der Irrtumsfreiheit der Schriften aus und hat kein Interesse an der Primärbedeutung der Texte.
Was soll man damit in einer wissenschaftlichen Betrachtung anfangen? Genau, nichts. Deshalb spielt sie in der historischen Jesusforschung keine Rolle.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: sondern der damaligen
Natürlich - das habe ich mit "Verfasser- (also Rezeptions-) Verständnis gemeint". - Aber Jesus hat eben NICHT zeitgemäß gedacht, sondern wie er es gemeint hat und auch heute noch unter geistig-spirituellen Aspekten verstanden wird.
Das stimmt so nicht. Theißen z. b. hat gezeigt, dass Jesus sehr wohl zeitgemäß gedacht hat, aber auch mit Abweichung von der Tradition (z. b. Thoraverschärfung, Naherwartung)
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#559 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von closs » Mi 13. Jul 2016, 09:53

sven23 hat geschrieben:Um so unverständlicher ist es, dass Ratzinger dies heute noch tut.
Er kann aber dann recht haben, wenn "Historizität" als methodische Abbildung gleichgesetzt wird mit der Wirklichkeit selbst - und genau diese Frage habe ich ja gestellt: Was ist "Historizität" für Euch?

sven23 hat geschrieben:Die kanonische Exegese geht von der Irrtumsfreiheit der Schriften aus und hat kein Interesse an der Primärbedeutung der Texte.
Warum hat das eine etwas mit dem anderen zu tun? - Natürlich hat die kanonische Exegese das einzige Interesse, die Texte in ihrer qualitativ primären Bedeutung zu verstehen. - Sie hat kein Interesse an der Rezeptions-Bedeutung der Texte - meinst Du DAS?

sven23 hat geschrieben:Theißen z. b. hat gezeigt, dass Jesus sehr wohl zeitgemäß gedacht hat, aber auch mit Abweichung von der Tradition
Ja - er war natürlich einer der Menschen damals. Aber sein Horizont und der Horzont seiner Aussagen waren nicht zeit-typisch.

bato hat geschrieben:mit Bibelkritikern sollte man nicht diskutieren ob die Angaben in der Bibel wahr sind, sondern ob es überhaupt einen Gott gibt.
Das ist exakt der Punkt - denn da liegt der eigentliche Hund begraben.

Man setze methodische Historizität mit tatsächlicher Wirklichkeit in einer Zeit gleich, setze gleichzeitig, dass nur intersubjektiv Belegbares relevant sei, und unterlege es zudem mit einem "aufgeklärten" Weltbild, das meistens nach kritisch-rationalistischem Muster funktioniert. - Nachdem man sich so eingerichtet hat, besteht man zwecks Selbst-Immunisierung darauf, dass man setzungs-frei und ergebnisoffen arbeite und sich damit von Glaubens-Systemen unterscheide.

Benutzeravatar
sven23
Beiträge: 23476
Registriert: Fr 10. Mai 2013, 15:55

#560 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von sven23 » Mi 13. Jul 2016, 10:24

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Um so unverständlicher ist es, dass Ratzinger dies heute noch tut.
Er kann aber dann recht haben, wenn "Historizität" als methodische Abbildung gleichgesetzt wird mit der Wirklichkeit selbst - und genau diese Frage habe ich ja gestellt: Was ist "Historizität" für Euch?.
Also grobe Faustformel kann man sagen: historisch ist, was wirklich passiert ist, unhistorisch ist etwas, was nicht passiert ist, also eine Erfindung der Schreiber ist.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Die kanonische Exegese geht von der Irrtumsfreiheit der Schriften aus und hat kein Interesse an der Primärbedeutung der Texte.
Warum hat das eine etwas mit dem anderen zu tun? - Natürlich hat die kanonische Exegese das einzige Interesse, die Texte in ihrer qualitativ primären Bedeutung zu verstehen. - Sie hat kein Interesse an der Rezeptions-Bedeutung der Texte - meinst Du DAS?.
Es geht nicht darum, was ich meine. Ich habe die kanonische Exegese nicht erfunden, noch halte ich sie für ein geeignetes Instrument für die historische Jesusforschung. Sie ist als Gegenmodell zu historisch-kritischen Methode erfunden worden und zeichnet sich u.a. dadurch aus, dass sie kein Interesse an der Primärbedeutung der Texte hat. Sie lässt also die ursprüngliche Intention der Schreiber außer Acht.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Theißen z. b. hat gezeigt, dass Jesus sehr wohl zeitgemäß gedacht hat, aber auch mit Abweichung von der Tradition
Ja - er war natürlich einer der Menschen damals. Aber sein Horizont und der Horzont seiner Aussagen waren nicht zeit-typisch..
Stimmt, dass er das Gottesreich als schon wirksam und kurz vor dem Hereinbrechen sah, entsprach nicht der jüdischen Tradition. In anderen Punkten passte er hervorragend in den jüdischen Kontext.

closs hat geschrieben:
bato hat geschrieben:mit Bibelkritikern sollte man nicht diskutieren ob die Angaben in der Bibel wahr sind, sondern ob es überhaupt einen Gott gibt.
Das ist exakt der Punkt - denn da liegt der eigentliche Hund begraben.
.

Das ist eine andere Baustelle. In der historischen Jesusforschung geht es nicht darum, Gott zu widerlegen oder zu beweisen. Wer das behauptet, hat keine Ahnung oder sagt absichtlich die Unwahrheit.
Was aber passieren kann, ist, dass jemand über die intensive Beschäftigung mit dem Thema Zweifel an seinem Glauben bekommt, weil er Einblick gewonnen hat in die zweifelhafte Geschäftsgrundlage seines Glaubens.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

Gesperrt