Alles Teufelszeug? III

Novas
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#251 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von Novas » So 26. Jun 2016, 21:13

Mia hat geschrieben:
NIS hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Falls Gott die Naturgesetze erschaffen hat, bezweifle ich, dass er sie danach selbst mit einem brennenden Dornenbusch bricht.
Der Glaube versetzt Berge! ;)

Welcher Berg wurde schon jemals versetzt?

Sehr viele, wenn man es so nimmt, wie es gemeint ist: als Gleichnis für innere Vorgänge in der menschlichen Seele. Das gilt auch für den brennenden Dornbusch. Wenn jemand sagt „ich schenke Dir mein Herz“, dann hat das nicht das geringste mit einem chirurgischen Eingriff zu tun. Mit dem Verständnis poetischer Begriffe scheint Pluto ziemliche Probleme zu haben, was auch der tieferliegende Grund ist, weshalb er Religion nicht versteht. Er verneint etwas, was er nicht versteht, anstatt nach Verständnis zu streben. Hier denkt er plötzlich gar nicht mehr wissenschaftlich, weil ihm das Festhalten an seiner ideologischen Meinung und daraus entspringenden Vorurteilen wichtiger ist, als das Streben nach Wissensgewinn.
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sven23
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#252 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von sven23 » So 26. Jun 2016, 21:43

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Dann sollte sich die Kirche aber auch von der Behauptung der Historizität von Wundern und Auferstehung verabschieden.
Moment: Zwar besteht die Kirche aus meiner Sicht unnötig oft auf Historizität. Aber ob Wunder und Auferstehung historisch real sind oder nicht, bleibt trotzdem vollkommen offen.
Die Wahrscheinlichkeit tendiert gegen null.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Da verkennst du die Lage vollkommen. Es hat schon seine Gründe, warum die Forschung von der Naherwartung Jesu ausgeht.
Das hat ausschließlich damit zu tun, dass Du und viele andere auch unter "Forschung" nur das historisch-kritische Segment meinen, welches aus seiner Logik zu diesem Ergebnis kommen müssen. - Unterm Strich nicht entscheidend.
Natürlich historisch-kritisch, was sonst? Etwa gläubig-dogmatisch? Unterm Strich zählt in der Leben-Jesu Forschung nur die Methode, die wissenschaftlichen Kriterien standhält. Alles andere ist indiskutabel.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:"Die Verkündigung Jesu.
Die synoptische Tradition ist sich darin einig, dass im Zentrum der Verkündigung Jesu die "Königsherrschaft Gottes" (βασιλεὶα τοῦ θεοῦ/ basileia tou theou) stand (vgl. auch Joh 3,3.5). Er knüpfte dabei an die in der frühjüdischen Tradition verbreitete Vorstellung an, dass Gott gegenwärtig verborgen als König über die Welt herrscht und diese Herrschaft dereinst am Ende der Zeit offenbar werden wird. Im Gegensatz zur Tradition sah Jesus aber bereits seine Gegenwart durch die in seiner Wirksamkeit hereinbrechende Gottesherrschaft geprägt (Lk 11,20; vgl. 10,18). Die entscheidende Heilswende vollzieht sich bereits. Die endgültige Vollendung der Königsherrschaft Gottes steht mit Gewissheit unmittelbar bevor (vgl. Mk 1,15f.; Mt 5,3f.par). "

Quelle: Bibelwissenschaft
Das würde aus meiner Sicht ein systematischer RKK-Theologe sofort unterschreiben - aber er versteht etwas anderes darunter als ein historisch-kritischer Theologe.
Aber nur, wenn er sich von intellektueller und wissenschaftlicher Redlichkeit verabschiedet. Er kann es sachlich nicht begründen, sondern höchstens sagen: ich will, dass es anders ist, also ist es anders.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Das ist auch der Grund, warum Theissen sagt:
„Als Jesus den gegenwärtigen Beginn der Gottesherrschaft verkündigte, rechnete er mit deren Kommen während seines Lebens.“
Das sagt er mutmaßlich aus historisch-kritischer System-Logik. - Ein Systematiker würde ihm aus SEINER System-Logik widersprechen. - Das alles ist schon seit Jahrzehnten durch-diskutiert und spielt in der Alltags-Theologie keine Rolle mehr.
Widersprechen ist eine Sache, aber inhaltlich begründen eine andere. Und ganz ehrlich: ich habe mich wirklich bemüht, gegenteilige Positionen zu finden, die wissenschaftlichen Minimalanforderungen genügen. Man findet einfach nichts. Es gibt in der neutestamentlichen Forschung einen großen Konsens in dieser Frage.
Es gibt aber auch eine Tradition und Kultur des Wegsehens und Verschweigens. Insofern ist Conzelmann immer noch aktuell.

closs hat geschrieben: Rahner und Bultmann muss man aus Ihrer Zeit heraus verstehen: Es war die Zeit des HKM-Hypes. (Außerdem müsste man deren Schriften mal im großen Kontext lesen - ich kenne sie nicht gut genug)
Bultmann hat den Unterschied zwischen dem "historischen" Jesus und dem verkündeten heraus gearbeitet. Der historische hat sich in der Naherwartung getäuscht. Der verkündete Jesus ist ein nachträglilches Kunstprodukt der Schreiber, der aber noch die Altlast des Irrtums mit sich herumschleppen muss. Deshalb auch die nachträglichen Fälschungen und Veränderungen der Texte, um den Schaden zu begrenzen.
Ob einem der verkündete Jesus genügt, muss jeder selber entscheiden. Ratzinger und der Kirche genügt er nicht. Sie bestehen auf der Historizität der Evangelien, obwohl sie es durch die Forschung aus eigenem Haus besser wissen müssten.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Wenn du das aus der Homöopathie-Debatte gelernt hast, dann war die Diskussion nicht ganz umsonst. :thumbup:
Allerdings sollte man diese Erkenntnis dann auch mal in der Praxis anwenden.
Damals wie heute beschränke ich mich auf das Phänomen - also Korrelation. - Man sagt nicht "weil", sondern "und".
Ohne nachgewiesene Kausalität lassen sich keine Medizin oder Therapieverfahren aufbauen. Also hast du es im Grunde immer noch nicht verstanden. Schade.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Du weißt aber auch, dass die biblischen Protagonisten Abraham, Moses, Noah und Co von der Forschung nicht als historische Personen gesehen werden.
Nach dem Stand der historisch-kritischen Wissenschaften mag dies so sein - persönlich ist es für mein Lesart der Bibel irrelevant ob ja oder nein.
Man kann es mit der Verehrung alter Texte auch übertreiben. Schließlich wurden sie von Menschen geschrieben und die literarische und inhaltliche Qualtität ist auch nicht immer herausragend.
Wie der Archäologe Isreal Finkelstein sagt, besteht die "Geschichtsschreibung" Israels aus Rückprojektionen. Dieses Narrativ ist religiös durchsetzt und von Übertreibungen gekennzeichnet, um die Geschichte größer und bedeutender erscheinen zu lassen, als sie wirklich war.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Wer entscheidet, was "richtig" ist?
Nur Gott - nicht die Wissenschaft.
Das hat auch schon viel Leid über die Menschheit gebracht, weil Menschen glaubten, den Willen Gottes umsetzen zu müssen.
Viel wichtiger wäre es, wenn Menschen lernen würden, selbst Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#253 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von Novas » So 26. Jun 2016, 21:47

Münek hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Ja. Die Hoffnung stirbt zuletzt. 8-)

Ist es nicht interessant, wie leidenschaftlich Atheisten für den Tod und gegen das ewige Leben argumentieren? ;) Vielleicht ist es auch so, lieber Pluto: auf mich wartet das Leben... und auf Dich der Tod... denn wenn Du an den Tod glaubst, dann weil Du den Tod willst...
Blödsinn! Wer - außer extrem leidenden Menschen - will schon den Tod?

Ich habe nicht den Eindruck, dass unser lieber Pluto extrem leidet. Wie kommst Du darauf, dass er den Tod will?

Weshalb argumentiert er dann ständig für den Tod und gegen die Möglichkeit eines ewigen Lebens? Er spricht dem Tod eine ALLMACHT zu, er glaubt an ihn wie andere Menschen an Gott... für mich ist der Tod eine Macht dieser Welt, aber eben auch nicht allmächtig... ich glaube an das LEBEN... :wave:

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#254 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von closs » So 26. Jun 2016, 22:22

sven23 hat geschrieben:Die Wahrscheinlichkeit tendiert gegen null.
Aber doch nur bei naturalistischer Sichtweise - es ist eine System-Wahrscheinlichkeit (wie alles andere auch). Die Frage ist, welches Wahrnehmungs-System am Ende recht hat - und genau das ist nicht falsifizierbar.

sven23 hat geschrieben:Alles andere ist indiskutabel.
Das ist die HKM-Sicht, wenn man sie weltanschaulich überhöht - logisch.

sven23 hat geschrieben:Aber nur, wenn er sich von intellektueller und wissenschaftlicher Redlichkeit verabschiedet.
Nein - das ist eine weltanschauliche, gar ideologische Aussage. - Wie kommst Du dazu, dass Du einen systematischen Theologen als intellektuell unredlich bezeichnest? Das ist pure Ideologie. - Und dass man "wissenschaftlich" ganz anders in den Wissenschafts-Theorien verstehen kann als es die Bright-Seite tut, hat sich doch hoffentlich rumgesprochen. Ein reiner System-Streit, der nicht weiterführt.

sven23 hat geschrieben: Und ganz ehrlich: ich habe mich wirklich bemüht, gegenteilige Positionen zu finden, die wissenschaftlichen Minimalanforderungen genügen. Man findet einfach nichts.
Weil Du es aus Deinen Setzungen heraus tust.

sven23 hat geschrieben: Es gibt in der neutestamentlichen Forschung einen großen Konsens in dieser Frage.
Aber doch auch nur dann, wenn man "Forschung" weltanschaulich/wissenschafts-theoretisch verengt. - Merkst Du nicht, dass Deine Schlussfolgerungen nur logisch sind aus Deinen Setzungen?

sven23 hat geschrieben: Ratzinger und der Kirche genügt er nicht. Sie bestehen auf der Historizität der Evangelien, obwohl sie es durch die Forschung aus eigenem Haus besser wissen müssten.
Erstens: Auch ich glaube, dass Ratzinger den Begriff der Historizität (nach meinem Wissensstand) überstrapaziert.

Zweitens: Es ist leicht logisch nachweisbar, warum manche Schreiber und viele Urchristen an die Naherwartung glaubten und diese trotzdem nicht dem Verständnis Jesu entspricht.

sven23 hat geschrieben:Ohne nachgewiesene Kausalität lassen sich keine Medizin oder Therapieverfahren aufbauen.
Falsch: Auch bei verlässliche Korrelationen ist es möglich. - Nicht ich habe etwas nicht verstanden, sondern Du springst zu kurz.

sven23 hat geschrieben:Wie der Archäologe Isreal Finkelstein sagt, besteht die "Geschichtsschreibung" Israels aus Rückprojektionen. Dieses Narrativ ist religiös durchsetzt und von Übertreibungen gekennzeichnet, um die Geschichte größer und bedeutender erscheinen zu lassen, als sie wirklich war.
Da sind wir uns einig: Geistige Aussagen wurden über einen überhöhten Geschichts-Bezug zum Ausdruck gebracht. Letztlich läuft dies raus auf: Historischer Kern ist da, aber nicht so, wie biblisch dargestellt. So what? Substantiell ist dies irrelevant.

sven23 hat geschrieben:Das hat auch schon viel Leid über die Menschheit gebracht, weil Menschen glaubten, den Willen Gottes umsetzen zu müssen.
Ja - wenn man es falsch anpackt oder gar egozentrisch anpackt, geht's in die Hose. Das gehört zur Heilsgeschichte.

sven23 hat geschrieben:Viel wichtiger wäre es, wenn Menschen lernen würden, selbst Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen.
Das ist doch Spiegelfechterei. Dazu muss man doch erst mal erkennen, wofür man Verantwortung hat - dazu gehört auch zu erkennen, wofür man NICHT Verantwortung hat.

"Verantwortung übernehmen" ist im modernen Verständnis die unkritische Übernahme von Social Behavior - comme il faut. - Was positiv hinter Deiner Forderung steht, ist schon, dass der Mensch sich seiner "Schuld" bewusst ist - aber dazu bedarf er doch eines Maßstabs - und dieser Maßstab kann bestimmt nicht Social Behavior oder juristische Gesetzgebung sein. - Zu kurz gedacht.

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#255 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von sven23 » Mo 27. Jun 2016, 07:16

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Die Wahrscheinlichkeit tendiert gegen null.
Aber doch nur bei naturalistischer Sichtweise - es ist eine System-Wahrscheinlichkeit (wie alles andere auch). Die Frage ist, welches Wahrnehmungs-System am Ende recht hat - und genau das ist nicht falsifizierbar.
Nicht-Falsizifierbarkeit von Nullingeraussagen ist wenig hilfreich. Es geht zunächst mal darum, zu unterscheiden, was an Jesus authentisch sein könnte und was nachträgliche Zuschreibung ist. Da hat die Forschung gute Arbeit geleistet.


closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Aber nur, wenn er sich von intellektueller und wissenschaftlicher Redlichkeit verabschiedet.
Nein - das ist eine weltanschauliche, gar ideologische Aussage. - Wie kommst Du dazu, dass Du einen systematischen Theologen als intellektuell unredlich bezeichnest? Das ist pure Ideologie. - Und dass man "wissenschaftlich" ganz anders in den Wissenschafts-Theorien verstehen kann als es die Bright-Seite tut, hat sich doch hoffentlich rumgesprochen. Ein reiner System-Streit, der nicht weiterführt.
Das hat nichts mit Ideologie oder Systemstreit zu tun. In der Leben-Jesu Forschung haben nur Methoden etwas zu suchen, die wissenschaflichen Kriterien genügen. Alles andere ist Kinderkram. Im übrigen arbeiten in der Forschung keine Brights, sondern in der Regel theologische Angestellte der Kirchen.


closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Es gibt in der neutestamentlichen Forschung einen großen Konsens in dieser Frage.
Aber doch auch nur dann, wenn man "Forschung" weltanschaulich/wissenschafts-theoretisch verengt. - Merkst Du nicht, dass Deine Schlussfolgerungen nur logisch sind aus Deinen Setzungen?
Es sind nicht nur meine Setzungen, sondern die der forschenden Theologen. Wenn du meinst, dass sie falsch liegen, mußt du begründen, warum sie angeblich falsch liegen.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Ratzinger und der Kirche genügt er nicht. Sie bestehen auf der Historizität der Evangelien, obwohl sie es durch die Forschung aus eigenem Haus besser wissen müssten.
Erstens: Auch ich glaube, dass Ratzinger den Begriff der Historizität (nach meinem Wissensstand) überstrapaziert.
Es stammt noch aus der Tradition der Kirche, die die angebliche Historizität zur Sicherheit mit einem Dogmenapparat ummantelte. Der Mantel hat fast 2000 Jahre gehalten, nun ist er von Motten zerfressen.

closs hat geschrieben: Zweitens: Es ist leicht logisch nachweisbar, warum manche Schreiber und viele Urchristen an die Naherwartung glaubten und diese trotzdem nicht dem Verständnis Jesu entspricht.
Nein, ist es nicht. Es ist sogar im Gegenteil so, dass die enttäuschte Naherwartung das stärkste Argument für die Authentizität ist. Denn warum sollten die Schreiber etwas erfinden, was sich schon bei Abfassung als falsch erwiesen hat?

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Ohne nachgewiesene Kausalität lassen sich keine Medizin oder Therapieverfahren aufbauen.
Falsch: Auch bei verlässliche Korrelationen ist es möglich. - Nicht ich habe etwas nicht verstanden, sondern Du springst zu kurz.
Verläßliche Korrelation ist, wenn du jeden Abend betest, die Sonne möge am nächsten Tag wieder aufgehen. In der Medizin sind mir solche Korrelationen nicht bekannt.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Wie der Archäologe Isreal Finkelstein sagt, besteht die "Geschichtsschreibung" Israels aus Rückprojektionen. Dieses Narrativ ist religiös durchsetzt und von Übertreibungen gekennzeichnet, um die Geschichte größer und bedeutender erscheinen zu lassen, als sie wirklich war.
Da sind wir uns einig: Geistige Aussagen wurden über einen überhöhten Geschichts-Bezug zum Ausdruck gebracht. Letztlich läuft dies raus auf: Historischer Kern ist da, aber nicht so, wie biblisch dargestellt. So what? Substantiell ist dies irrelevant.
So irrelevant war es für die Kirche in den letzten 2000 Jahren nicht, denn sie bestand fast bei der ganzen Bibel auf deren Historizität. Und für die Hemuls dieser Welt gilt das noch bis heute. Hättest du vor 300 Jahren gelebt, hättest du die Historizität sicher mit gleicher Inbrunst verteidigt wie du heute die Naherwartung abstreitest. Für religiöse Eiferer ist dies Business as usual.
Deshalb würde ich auch nie behaupten, dass closs lügt, wenn er den Mund aufmacht, wie Savonlinna dies tat. Sie verkennt einfach, wie religiöse Eiferer ticken.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Das hat auch schon viel Leid über die Menschheit gebracht, weil Menschen glaubten, den Willen Gottes umsetzen zu müssen.
Ja - wenn man es falsch anpackt oder gar egozentrisch anpackt, geht's in die Hose. Das gehört zur Heilsgeschichte.
Was heisst hier egonzentrisch? Der Theozentrismus ist doch hier das Problem. Götter werden von Menschen erfunden, ebenso deren angeblichen Ethik- und Moralvorstellungen. Es sind letztlich immer menschliche Ethik- und Moralvorstellungen.

closs hat geschrieben: - Was positiv hinter Deiner Forderung steht, ist schon, dass der Mensch sich seiner "Schuld" bewusst ist - aber dazu bedarf er doch eines Maßstabs - und dieser Maßstab kann bestimmt nicht Social Behavior oder juristische Gesetzgebung sein. - Zu kurz gedacht.
Alle Regeln und Übereinkünfte sich menschliche Regeln und Übereinkünfte, egal ob im juristischen oder im sozialen Raum.
Es bringt nichts, dafür Götter vorzuschieben. Es sind und bleiben menschliche Regeln.

Auch die Ethik Jesu war eine menschliche Ethik, die dazu noch ungeeignet ist für ein langfristiges Gesellschaftsmodell.
"Gehe hin und verkaufe deinen gesamten Besitz und gib ihn den Armen" klingt zwar gut, aber würde eine Gesellschaft langfristig zusammenbrechen lassen, wenn dies befolgt würde.
Diese radikale Ethik ist auf Kurzfristigkeit angelegt, denn wenn das Gottesreich schon vor der Tür steht, braucht man keinen Bausparvertrag mehr abzuschliessen. Daseinsvorsorge wird obsolet.
Übrigens machte das die Jesusfigur so attraktiv für die Hippi-Bewegung.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#256 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von closs » Mo 27. Jun 2016, 09:18

sven23 hat geschrieben:Es geht zunächst mal darum, zu unterscheiden, was an Jesus authentisch sein könnte und was nachträgliche Zuschreibung ist.
Bei aller Raffinesse der HKM: Was versteht sie eigentlich unter "authentisch"?

sven23 hat geschrieben:In der Leben-Jesu Forschung haben nur Methoden etwas zu suchen, die wissenschaflichen Kriterien genügen.
"Wissenschaftlich" in Deinem Verständnis. - Aber Zustimmung insofern: In der Leben-Jesu-Forschung muss man selbstverständlich projekt-fokussiert denken - also nicht gesamt-theologisch.

sven23 hat geschrieben:Im übrigen arbeiten in der Forschung keine Brights, sondern in der Regel theologische Angestellte der Kirchen.
Diese würden aber nicht auf die Idee kommen, systematische Theologen als intellektuell unredlich zu bezeichnen. In anderen Worten: Natürlich kann man unter der Perspektive arbeiten: "Was kommt raus, wenn man Jesus nach historisch-kritischen Regeln untersucht?". - Meines Wissens besteht - wohlwollend formuliert - keine Euphorie darüber, was dabei an Weiterführendem herauskommen kann.

sven23 hat geschrieben:Es sind nicht nur meine Setzungen, sondern die der forschenden Theologen.
Logisch - Du vertrittst dieses Segment.

sven23 hat geschrieben: Wenn du meinst, dass sie falsch liegen, mußt du begründen, warum sie angeblich falsch liegen.
Oft genug passiert:

Erstens: Sie liegen nicht "falsch" (glaube ich zumindestens nicht), weil sie ja folgerichtig im Sinne ihrer Perspektive argumentieren. - Zweitens: Dieser Ansatz ist theologie-assistierend wertvoll, aber in Bezug auf die Bibel-Substanz und die geistige Realität nicht maßstäblich, weil sie lediglich EINE Perspektive durch-dekliniert. - Welche Hürden sie dabei aufgrund ihrer Perspektive umgeht, wurde mehrfach diskutiert.

sven23 hat geschrieben:Der Mantel hat fast 2000 Jahre gehalten, nun ist er von Motten zerfressen.
Kann ich nach wie vor nicht erkennen - zu diesem Ergebnis kommt man dann, wenn man "Dogma" perspektiven-maßstäblich versteht - konkret: Bspw. die leibliche Auferstehung oder die Himmelfahrt Mariä sind weder naturwissenschaftlich noch historisch-kritisch in Frage stellbar, weil deren Realität (falls es Realitäten sind) nicht vom Realitäts-Verständnis von Naturwissenschaft und HKM abhängig sind.

sven23 hat geschrieben:Es ist sogar im Gegenteil so, dass die enttäuschte Naherwartung das stärkste Argument für die Authentizität ist.
Ich habe einige Zeit gebraucht, bis ich diese umgekehrte Logik verstanden habe. Möglicherweise hast Du meine Logik dazu auch verstanden. - Wie auch immer: Es handelt sich auch hier nicht um "wahre" und "falsche" Aussagen, sondern System-Aussagen: Entweder Dein Ansatz ist richtig oder meiner.

sven23 hat geschrieben:Verläßliche Korrelation ist, wenn du jeden Abend betest, die Sonne möge am nächsten Tag wieder aufgehen.
Genau - ein gutes Beispiel. - Verläßliche Korrelation kann individuell auch sein, dass spezifische ärztliche Zuwendung und Medikation zu Heilergebnissen führt, die man bei weiter Auslegung als "Placebo-Effekt" bezeichnen kann. Placebo-Wirkung und Wirkstoff-Wirkung dadurch zu unterscheiden, dass in einem Fall ein Wirkstoff nachweisbar ist und im anderen nicht, ist hilfsweise ok, aber keine Antwort. - Auch hier macht man nicht die Sache selbst, sondern die Wahrnehmungs-Fähigkeiten des Menschen/Wissenschaftlers zum Maßstab - der typische Anthropozentrismus. - Ist aber ein anderes Thema.

sven23 hat geschrieben: Hättest du vor 300 Jahren gelebt, hättest du die Historizität sicher mit gleicher Inbrunst verteidigt wie du heute die Naherwartung abstreitest.
Wäre ich derselbe Mensch mit denselben Anlagen, dann wäre Dir zu widersprechen. - Vielleicht hätte ich nur anonym veröffentlicht, damit ich keine auf den Hut bekomme.

sven23 hat geschrieben: Für religiöse Eiferer ist dies Business as usual.
Für manche gesellschafts-distanzierte Menschen sind es die Jünger des Social Behavior und die weltanschaulichen Überhöher des Kritischen Rationalismus, die als religiöse Eiferer zu bezeichnen sind. Du verkennst, dass die ideologische Inbrunst seit einigen Jahrzehnten ins säkulare Lager umgezogen ist.

sven23 hat geschrieben:Götter werden von Menschen erfunden, ebenso deren angeblichen Ethik- und Moralvorstellungen. Es sind letztlich immer menschliche Ethik- und Moralvorstellungen.
Die alte Hürde:
Erstens: In der Tat ist jede Äußerung des Menschen insofern anthropozentrisch, als dass der Mensch buchstäblich nichts äußern kann, ohne dass es durch seine Wahrnehmungs-Filter gegangen ist.
Zweitens: Anthropozentrisch und theozentrisch unterscheiden sich dadurch, ob der Mensch den Maßstab in seiner Wahrnehmung versteht oder in Gott. Es scheint sehr schwer zu sein, diesen Unterschied zu vermitteln.

sven23 hat geschrieben:Es sind und bleiben menschliche Regeln.
Man muss unterscheiden zwischen menschen-geschaffenen Regeln ("Rechtsverkehr auf deutschen Straßen") und menschen-erkannten Regeln/Gesetzen, die es bereits gibt ("Der Mensch ist geistiges Abbild Gottes"). Nun kann es natürlich sein, dass der Mensch "Ewiges" wähnt und dabei falsch liegt - dumm gelaufen. Aber das ändert nichts an der grundsätzlichen Unterscheidung zwischen "menschen-gemacht" und "menschen-erkannt". - Auch hier:Es scheint sehr schwer zu sein, diesen Unterschied zu vermitteln.

sven23 hat geschrieben:Diese radikale Ethik ist auf Kurzfristigkeit angelegt, denn wenn das Gottesreich schon vor der Tür steht, braucht man keinen Bausparvertrag mehr abzuschliessen. Daseinsvorsorge wird obsolet.
DAS ist wirklich ein geiles Argument. :lol: - Ein super Beispiel für systematisch erzeugte Selbstläufer.

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#257 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von sven23 » Mo 27. Jun 2016, 13:26

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Es geht zunächst mal darum, zu unterscheiden, was an Jesus authentisch sein könnte und was nachträgliche Zuschreibung ist.
Bei aller Raffinesse der HKM: Was versteht sie eigentlich unter "authentisch"?
Das ist doch wohl kar: alles was als als als möglichst unverfälschtes Jesuswort überliefert wurde und nicht nachträgliche Erfindung der Schreiber ist.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:In der Leben-Jesu Forschung haben nur Methoden etwas zu suchen, die wissenschaflichen Kriterien genügen.
"Wissenschaftlich" in Deinem Verständnis. - Aber Zustimmung insofern: In der Leben-Jesu-Forschung muss man selbstverständlich projekt-fokussiert denken - also nicht gesamt-theologisch.
Richtig, das Gesamttheologische kommt erst später, wenn man Authentisches und Erfundenes in einem Gesamtkonzept verwurstet. Dazu ist z. B. die kanonische Exegese erfunden worden.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Im übrigen arbeiten in der Forschung keine Brights, sondern in der Regel theologische Angestellte der Kirchen.
Diese würden aber nicht auf die Idee kommen, systematische Theologen als intellektuell unredlich zu bezeichnen. In anderen Worten: Natürlich kann man unter der Perspektive arbeiten: "Was kommt raus, wenn man Jesus nach historisch-kritischen Regeln untersucht?". - Meines Wissens besteht - wohlwollend formuliert - keine Euphorie darüber, was dabei an Weiterführendem herauskommen kann.
Oh, da gibts schon die ein oder andere offene oder versteckte Kritik an Dogmatikern, die die Ergebnisse der Forschung aus ideologischen Gründen wegwischen wollen. Manche verbieten sich diese Einmischung ganz energisch.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Es sind nicht nur meine Setzungen, sondern die der forschenden Theologen.
Logisch - Du vertrittst dieses Segment.
Richtig, weil mich interessiert, was "der Fall" ist. Und das geht eben nur so und nicht anders.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Wenn du meinst, dass sie falsch liegen, mußt du begründen, warum sie angeblich falsch liegen.
Oft genug passiert:.
Aber nur mit laienhaften Argumenten, die nur einen Bruchteil des gesamten Stoffes abbilden. Damit kann man nicht ernsthaft glauben, gegen professionelle Forschung angehen zu könnnen, die die Texte in ihrer Gesamtheit, ihre Entstehung und Veränderungen im Blick hat.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Der Mantel hat fast 2000 Jahre gehalten, nun ist er von Motten zerfressen.
Kann ich nach wie vor nicht erkennen - zu diesem Ergebnis kommt man dann, wenn man "Dogma" perspektiven-maßstäblich versteht - konkret: Bspw. die leibliche Auferstehung oder die Himmelfahrt Mariä sind weder naturwissenschaftlich noch historisch-kritisch in Frage stellbar, weil deren Realität (falls es Realitäten sind) nicht vom Realitäts-Verständnis von Naturwissenschaft und HKM abhängig sind.
Die Geburtslegenden sind nachträgliche Erfindungen der Schreiber, die "Jungfrau" Maria beruht auf einem Übersetzungsfehler. Wo wird dem im Dogmenkorsett Rechnung getragen? Die Beispiele lassen sich beliebig fortführen.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Es ist sogar im Gegenteil so, dass die enttäuschte Naherwartung das stärkste Argument für die Authentizität ist.
Ich habe einige Zeit gebraucht, bis ich diese umgekehrte Logik verstanden habe. Möglicherweise hast Du meine Logik dazu auch verstanden. - Wie auch immer: Es handelt sich auch hier nicht um "wahre" und "falsche" Aussagen, sondern System-Aussagen: Entweder Dein Ansatz ist richtig oder meiner.
Das hat nichts mit Systemaussagen zu tun. Wenn man die Naherwartung sozusagen den Schreibern in die Schuhe schieben will, dann muss man erklären, warum sie diese zu einem Zeitpunkt erwähnen, als sie sich schon als Irrtum erwiesen hat.
"Ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende kommen...." hätte man einfach weglassen können und niemand hätte etwas bemerkt, es sei denn, die Naherwartung gehörte zur Kernbotschaft Jesu, die man einfach nicht verschweigen konnte. Dass Schreiber und spätere Kopisten und Redaktoren nicht zimperlich waren im Verändern der Texte, ist ja hinlänglich bekannt.
Die Naherwartung macht nur Sinn, wenn sie authentisch und allseits bekannt war und deshalb nicht verschwiegen werden konnte, wenn man seine Glaubwürdigkeit als Schreiber nicht komplett aufs Spiel setzen wollte. Das ist Konsens in der Forschung.


closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Verläßliche Korrelation ist, wenn du jeden Abend betest, die Sonne möge am nächsten Tag wieder aufgehen.
Genau - ein gutes Beispiel. - Verläßliche Korrelation kann individuell auch sein, dass spezifische ärztliche Zuwendung und Medikation zu Heilergebnissen führt, die man bei weiter Auslegung als "Placebo-Effekt" bezeichnen kann. Placebo-Wirkung und Wirkstoff-Wirkung dadurch zu unterscheiden, dass in einem Fall ein Wirkstoff nachweisbar ist und im anderen nicht, ist hilfsweise ok, aber keine Antwort. - Auch hier macht man nicht die Sache selbst, sondern die Wahrnehmungs-Fähigkeiten des Menschen/Wissenschaftlers zum Maßstab - der typische Anthropozentrismus. - Ist aber ein anderes Thema.
Wenn man es im Falle der Homöopathie bei der Korrelation belassen würde. Aber man will ja mit aller Gewalt aus Korrelation Kausalität herstellen, die es nachweislich nicht gibt. Das ist purer Anthropozentrismus.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Götter werden von Menschen erfunden, ebenso deren angeblichen Ethik- und Moralvorstellungen. Es sind letztlich immer menschliche Ethik- und Moralvorstellungen.
Die alte Hürde:
Erstens: In der Tat ist jede Äußerung des Menschen insofern anthropozentrisch, als dass der Mensch buchstäblich nichts äußern kann, ohne dass es durch seine Wahrnehmungs-Filter gegangen ist.
Zweitens: Anthropozentrisch und theozentrisch unterscheiden sich dadurch, ob der Mensch den Maßstab in seiner Wahrnehmung versteht oder in Gott. Es scheint sehr schwer zu sein, diesen Unterschied zu vermitteln.
Da auch Gott eine menschliche Projektion ist, ist auch der "göttliche" Maßstab zwangläufig anthropozentrisch. Es geht halt nicht anders, auch wenn man sich die Augen verbindet.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Es sind und bleiben menschliche Regeln.
Man muss unterscheiden zwischen menschen-geschaffenen Regeln ("Rechtsverkehr auf deutschen Straßen") und menschen-erkannten Regeln/Gesetzen, die es bereits gibt ("Der Mensch ist geistiges Abbild Gottes"). Nun kann es natürlich sein, dass der Mensch "Ewiges" wähnt und dabei falsch liegt - dumm gelaufen. Aber das ändert nichts an der grundsätzlichen Unterscheidung zwischen "menschen-gemacht" und "menschen-erkannt". - Auch hier:Es scheint sehr schwer zu sein, diesen Unterschied zu vermitteln.
Das sind semantische Taschenspielertricks, die nichts ändern.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Diese radikale Ethik ist auf Kurzfristigkeit angelegt, denn wenn das Gottesreich schon vor der Tür steht, braucht man keinen Bausparvertrag mehr abzuschliessen. Daseinsvorsorge wird obsolet.
DAS ist wirklich ein geiles Argument. :lol: - Ein super Beispiel für systematisch erzeugte Selbstläufer.
Nein, laut Ansicht der Forschung ein weiteres Beispiel für die Naherwartung.

"So handeln kann nur, wer sein Vertrauen ganz auf Gott und seine anbrechende Herrschaft setzt. Für irdische Lebenssicherung bleibt da kein Platz (Mt 6,24 par)."
Quelle: bibelwissenschaft

Wie sonst soll man Ratschläge wie "Verkaufe deinen ganzen Besitz und gib ihn den Armen" einordnen. Als langfristiges Gesellschaftsmodell ist das eher nicht geeignet. Hier spricht vielmehr die Radikalität und Kompromisslosigkeit des religiösen Eiferers, der das Ende schon als angebrochen ansieht.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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Registriert: Fr 10. Mai 2013, 15:55

#258 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von sven23 » Mo 27. Jun 2016, 13:42

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Wie der Archäologe Isreal Finkelstein sagt, besteht die "Geschichtsschreibung" Israels aus Rückprojektionen. Dieses Narrativ ist religiös durchsetzt und von Übertreibungen gekennzeichnet, um die Geschichte größer und bedeutender erscheinen zu lassen, als sie wirklich war.
Da sind wir uns einig: Geistige Aussagen wurden über einen überhöhten Geschichts-Bezug zum Ausdruck gebracht. Letztlich läuft dies raus auf: Historischer Kern ist da, aber nicht so, wie biblisch dargestellt. So what? Substantiell ist dies irrelevant.
.
Substanz kann man sich auch zusammenphantasieren. Rückprojekionen gab es nicht nur im AT, sondern auch in den Evangelien.

"In den Evangelien wird immer wieder berichtet, dass Jesus in Synagogen gepredigt oder geheilt habe. Dieses Bild seiner Wirksamkeit ist wohl unhistorisch, denn archäologisch und inschriftlich sind für die Zeit Jesu in Galiläa so gut wie keine Synagogen nachweisbar. Die Evangelisten haben hier die Verhältnisse ihrer Gegenwart in die Zeit Jesu zurückprojiziert. Jesus dürfte vor allem in Privathäusern und im Freien gewirkt haben."
Quelle: Bibelwissenschaft
Streicht man aus den Evangelien alles unhistorische raus, bleibt wohl nicht mehr allzu viel übrig.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

closs
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#259 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von closs » Mo 27. Jun 2016, 16:28

sven23 hat geschrieben:Das ist doch wohl kar: alles was als als als möglichst unverfälschtes Jesuswort überliefert wurde und nicht nachträgliche Erfindung der Schreiber ist.
Schon klar - aber was nützt das, wenn man das für authentisch Gehaltene grottenfalsch interpretiert - neutraler gesagt: Wenn es komplett unterschiedliche Interpretationen daraus gibt. - Mit "authentisch" meine ich den INHALT.

sven23 hat geschrieben: Dazu ist z. B. die kanonische Exegese erfunden worden.
Die Hürde besteht hier zwischen wortwörtlichem Verständnis des Überlieferten und dem inhaltichen Verständnis. "Naherwartung" ist dazu ein gutes Beispiel.

sven23 hat geschrieben:Oh, da gibts schon die ein oder andere offene oder versteckte Kritik an Dogmatikern
Und umgekehrt. Du wirst selten Wissenschaftler finden, die perpspektiven-wechsel-fähig sind, nachdem sie sich in EINE Perspektive vertieft haben. Diejenigen, die es können, sind die echten Könner.

sven23 hat geschrieben:Richtig, weil mich interessiert, was "der Fall" ist.
Dein Perspektiven-Fall, den Du meinst, maßstäblich verstehen zu dürfen, weil er methodischintersubjektiv darstellbar ist. Das ist aber nicht entscheidend. Entscheidend ist, was WAHR ist - und genau darüber sind wir nicht die Herren.

sven23 hat geschrieben:Aber nur mit laienhaften Argumenten, die nur einen Bruchteil des gesamten Stoffes abbilden.
Das "Bruchteil" ist doch das Problem der HKM: "Lasst uns uns auf das konzentrieren, was wir in engen Verständnis-Grenzen intersubjektiv darstellen können". - Das reicht nicht.

sven23 hat geschrieben:Die Geburtslegenden sind nachträgliche Erfindungen der Schreiber, die "Jungfrau" Maria beruht auf einem Übersetzungsfehler.
Kann sein, muss aber nicht. Selbst wenn es nachträglich eingefügt worden ist, kann es wahr sein. Es gibt niemanden, der nachträglich Hymen untersuchen kann. Unabhängig davon: Die geistige, also inhaltliche Botschaft ist in beiden Fällen klar.

Das gilt genauso für "leibliche Auferstehung" und "Himmelfahrt", die natürlich NICHT so gemeint sind, dass Jesus und Maria mit >11 km/s abgehoben sind und abgedampft sind. :devil:

sven23 hat geschrieben:Wenn man es im Falle der Homöopathie bei der Korrelation belassen würde.
Das würde ich empfehlen - nicht nur in der HP: Einfach das "Wenn - dann" beachten, nicht aber ein "weil". (Habe ich in der AT-Übersetzung von Buber gelernt ;) )

sven23 hat geschrieben:Die Naherwartung macht nur Sinn, wenn sie authentisch und allseits bekannt war und deshalb nicht verschwiegen werden konnte
NAtürlich gab es im Volk eine Tendenz zur Naherwartung - das hat doch nie jemand in Frage gestellt. Und auch die SChreiber waren Teil des Volkes. - Die Frage ist, was Jesus gemeint hat - und da ist aus Dir fremden Gründen sehr naheliegend, dass das NT-Paradigmen-Wechsel erst nach und nach gecheckt wurde - (nicht nur mir) ist das sonnenklar, weil es in den Gesamt-Kontext von AT und NT wie die Faust aufs Auge passt.

sven23 hat geschrieben:Da auch Gott eine menschliche Projektion ist, ist auch der "göttliche" Maßstab zwangläufig anthropozentrisch.
Denkfehler: Wenn es Gott gibt, ist er keine Projektion. Was Du zu meinen scheinst: Die Vorstellungen von Gott sind menschliche Projektionen.

Es ist doch gerade der Gag, dass der Mensch seinen Anthropozentrismus zurückstellt und ihn aufheben lässt in ein theozentrisches Verständnis. Das geht nie ganz, weshalb das, was man "Erlösung" nennt, nötig ist.

sven23 hat geschrieben:Das sind semantische Taschenspielertricks
Das ist die von Naturalisten/Agnostikern vermiedene Substanz.

sven23 hat geschrieben: laut Ansicht der Forschung ein weiteres Beispiel für die Naherwartung.
Aus meiner Sicht ist es ein tragikomischer Selbstläufer.

sven23 hat geschrieben:Die Evangelisten haben hier die Verhältnisse ihrer Gegenwart in die Zeit Jesu zurückprojiziert.
Heisst das, dass zwischen Jesu Tod und den Evangelisten eine Synagoge nach der anderen gebaut wurde? Wie würde man das begründen?

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#260 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von sven23 » Mo 27. Jun 2016, 17:54

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Das ist doch wohl kar: alles was als als als möglichst unverfälschtes Jesuswort überliefert wurde und nicht nachträgliche Erfindung der Schreiber ist.
Schon klar - aber was nützt das, wenn man das für authentisch Gehaltene grottenfalsch interpretiert - neutraler gesagt: Wenn es komplett unterschiedliche Interpretationen daraus gibt. - Mit "authentisch" meine ich den INHALT.
"Ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende kommen...." läßt wenig Spielraum für Interpretation.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Dazu ist z. B. die kanonische Exegese erfunden worden.
Die Hürde besteht hier zwischen wortwörtlichem Verständnis des Überlieferten und dem inhaltichen Verständnis. "Naherwartung" ist dazu ein gutes Beispiel.
Naherwartung bleibt Naherwartung, das kann man drehen und wenden wie man will. Ohne die irrtümliche Naherwartung wäre die später erfundene Parusieverzögerung nicht nötig gewesen. Man mußte eben reagieren, weil es auch schon damals kritische Fragesteller gab.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Oh, da gibts schon die ein oder andere offene oder versteckte Kritik an Dogmatikern
Und umgekehrt. Du wirst selten Wissenschaftler finden, die perpspektiven-wechsel-fähig sind, nachdem sie sich in EINE Perspektive vertieft haben. Diejenigen, die es können, sind die echten Könner.
Auch das wurde schon im 19. Jahrhundert gemacht. David Friedrich Strauss wendete diese Methode in der Leben Jesu Forschung an. (These-Antithese-Synthese im Hegelschen Sinn)

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Richtig, weil mich interessiert, was "der Fall" ist.
Dein Perspektiven-Fall, den Du meinst, maßstäblich verstehen zu dürfen, weil er methodischintersubjektiv darstellbar ist. Das ist aber nicht entscheidend. Entscheidend ist, was WAHR ist - und genau darüber sind wir nicht die Herren.
Die komplette "Wahrheit" kennt niemand, aber wir können uns dem Wahrscheinlichen und Plausibeln annähern. Auf Grund der Quellen kann man sagen, dass der Wanderprediger sich geirrt hat, gekreuzigt wurde und nachträglich eine Vergottung erfuhr, die als Konstrukt von Schreibern und Kirche angesehen werden muss.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Aber nur mit laienhaften Argumenten, die nur einen Bruchteil des gesamten Stoffes abbilden.
Das "Bruchteil" ist doch das Problem der HKM: "Lasst uns uns auf das konzentrieren, was wir in engen Verständnis-Grenzen intersubjektiv darstellen können". - Das reicht nicht.
Quark, die Texte werden unter allen möglichen Aspekten seit 200 Jahren untersucht. Das Verblüffende ist, dass z. B. der oben erwähnte Strauss im Wesentlichen schon zu den Ergebnissen kam, die auch heute noch Gültigkeit haben und sogar von der neueren Forschung bestätigt werden. Das ist bemerkenswert.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Die Geburtslegenden sind nachträgliche Erfindungen der Schreiber, die "Jungfrau" Maria beruht auf einem Übersetzungsfehler.
Kann sein, muss aber nicht.
Ist aber so. Erstaunlich ist, wie lange das schon bekannt ist und dennoch innerhalb der Kirche ohne Konsequenzen bleibt. (Conzelmann läßt grüßen)

"1. Die im Matthäus- und Lukasevangelium (Mt 1,1-17; Lk 3,23-38) überlieferten Stammbäume können nicht überzeugend miteinander harmonisiert werden. Unabhängig voneinander entstanden, haben sie beide die Funktion, die Anerkennung Jesu als Messias durch den genealogischen Nachweis der Davidssohnschaft zu rechtfertigen.

2. Im Gegensatz zu den Stammbäumen Jesu, die die natürliche Elternschaft Josephs und Marias voraussetzen, berichten die Geburtsgeschichten im Matthäus- und Lukasevangelium von einer übernatürlichen Erzeugung Jesu. Dabei haben mehrere Faktoren auf die Entstehung dieser mythischen Vorstellung eingewirkt: die Vergöttlichung großer Männer und Wohltäter in der griechisch-römischen Antike, der Gedanke der Mitwirkung Gottes bei der Erfüllung eines menschlich kaum realisierbaren Kinderwunschs im Judentum, das wörtlich Nehmen des ursprünglich bildlich gemeinten Messiastitels „Sohn Gottes“.

3. Jesus wurde in Nazareth geboren. Dagegen beruht die von Matthäus und Lukas auf unterschiedliche Weise vorgenommene Lokalisierung in → true auf Fiktion, um das prophetische Postulat von Mi 5,1 zu erfüllen: „Du aber, Bethlehem Ephrata, […] aus dir wird mir hervorgehen, der über Israel herrschen soll“, wonach also Jesus als Messias in Bethlehem geboren sein müsse.

Überblickt man die von Strauß erzielten Ergebnisse, dann zeigt sich, dass die meisten mittlerweile zum Konsens gegenwärtiger historischer Jesusforschung gehören. Die übrigen Resultate sind nach wie vor diskutabel. Auch heute noch besticht das 1835 erschienene „Leben Jesu“ durch die intellektuelle Redlichkeit in der Argumentation und den Mut zur Wahrhaftigkeit in der konsequenten Durchführung der historischen Kritik."

Quelle: bibelwissenschaft

Diese intellektuelle Redlichkeit würde man sich heute von so manchem Kirchenvertreter wünschen. Immerhin war auch Strauss ein Gottgläubiger Theologe.


closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Die Naherwartung macht nur Sinn, wenn sie authentisch und allseits bekannt war und deshalb nicht verschwiegen werden konnte
NAtürlich gab es im Volk eine Tendenz zur Naherwartung - das hat doch nie jemand in Frage gestellt. Und auch die SChreiber waren Teil des Volkes. - Die Frage ist, was Jesus gemeint hat - und da ist aus Dir fremden Gründen sehr naheliegend, dass das NT-Paradigmen-Wechsel erst nach und nach gecheckt wurde - (nicht nur mir) ist das sonnenklar, weil es in den Gesamt-Kontext von AT und NT wie die Faust aufs Auge passt.
Auf Grund der Quellen muss man davon ausgehen, dass er eine Naherwartung hatte. Der Bezug zum AT wurde doch erst unter Aufbietung haarsträubender und unhistorischer Legenden krampfhaft hergestellt.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Da auch Gott eine menschliche Projektion ist, ist auch der "göttliche" Maßstab zwangläufig anthropozentrisch.
Denkfehler: Wenn es Gott gibt, ist er keine Projektion. Was Du zu meinen scheinst: Die Vorstellungen von Gott sind menschliche Projektionen.
Und es kann sogar sein, dass beides zusammenfällt. ;)

closs hat geschrieben: Es ist doch gerade der Gag, dass der Mensch seinen Anthropozentrismus zurückstellt und ihn aufheben lässt in ein theozentrisches Verständnis. Das geht nie ganz, weshalb das, was man "Erlösung" nennt, nötig ist.
Wie kommt man auf die Idee, im Sinnes eines imaginären Gottes handeln zu müssen? Muß das nicht zwangsläufig in der Katastrophe enden, besonders wenn man sich auf einen Gott (Gottesbild) wie im AT beruft? Aber auch das antijudaistische Gottesbild des Christentums hat schon sehr viel Leid über die Menschen gebracht.


closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: laut Ansicht der Forschung ein weiteres Beispiel für die Naherwartung.
Aus meiner Sicht ist es ein tragikomischer Selbstläufer.
Tragikkomisch ist die Vorstellung, dass alle Reichen ihren gesamten Besitz verkaufen und unter den Armen verteilen. Jesus war sicher kein Sozialromantiker, sondern er war religiöser Eiferer/Fanatiker, der als Endzeitprophet irdischen Besitz nicht mehr für erstrebenswert hielt.
Hätte er diese Ratschläge erteilt, wenn er von ein paar Tausend Jahren bis zur Ankunft des Gottesreiches ausgegangen wäre? Sicherlich nicht, denn keine Gesellschaft ist mit solch einer Ethik überlebensfähig. Kann man einem Familienvater raten, auf Daseinsvorsorge zu verzichten, seine Verantwortung gegenüber der Familie aufzugeben und mit ihm durch die Lande zu ziehen? Was wäre ein höchst weltfremdes und unverantwortliches Modell. Es macht nur Sinn, wenn es auf kurze Zeit angelegt ist. So sieht es auch die Forschung.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Die Evangelisten haben hier die Verhältnisse ihrer Gegenwart in die Zeit Jesu zurückprojiziert.
Heisst das, dass zwischen Jesu Tod und den Evangelisten eine Synagoge nach der anderen gebaut wurde? Wie würde man das begründen?
Nun, zwischen dem Wirken Jesu und dem Johannesevangelium liegen bis zu 70 Jahre. Danach hat die Kirche auch noch an den Texten herumgeschraubt, also genügend Zeit, ein paar Synagogen zu bauen. Das waren sicher nicht alles Prachtbauten. Aber laut Finkelstein und anderen Archäologen lassen sich die Entstehungszeiten ziemlich genau datieren.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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