Also nach meinem Verständnis von "Ideologie" gerade nicht. Der Begriff "Ideologie" wurde 1798 von Destutt de Tracy eingeführt, und vertritt den Gedanken eines übergreifenden, zusammenfassenden "Projektes", welches "... von den Ideen und Perzeptionen handelt und von der Fähigkeit, zu denken und wahrzunehmen, bzw. von dem, was aus der Analyse der Empfindungen resultiert." (Wikipedia, Lemma "Ideologie", Sandkühler: Enzyklopädie Philosophie: Lemma "Ideologie"). Ein besonderes, einen Kern des Begriffs darstellendes Merkmal ist der "totalisierende" Charakter von Ideologien. (hierzu: Sandkühler, Enzyklopädie Philosophie: "Zum Begriff Ideologie" -- Lemma "Ideologie"). Zu "Ideologie als "Alltagsbegriff": "Ideologie, sei durch die extensive abwertende Benutzung in der Alltagssprache nun selber Ideologie unterworfen." Da gibt es den Bezichtigungsbegriff "Ideologie", den Denunziationsbegriff "Ideologie" usw. usf. Die neutralste Verwendung sei allenfalls die -- so schreibt zumindest Sandkühler --, wenn "Ideologie als Selbstbezeichnung von Weltanschauungssystemen gebraucht wird (so z.B. im Marxismus-Leninismus)."Roland hat geschrieben:Das ist interessant. Wissenschaft erhebt nicht den Anspruch, den "wahren" Ursprung zu erklären. Sie beschränkt sich in der Ursprungsfrage auf den Naturalismus.Anton B. hat geschrieben: Wissenschaft erhebt nicht den Anspruch, den "wahren" Ursprung zu erklären. Und eine solche Abgrenzung, eine Beschränkung des eigenen Anspruches, ist doch das beste Antidot gegen Ideologie.
Und das ist etwa keine Ideologie?
Mir ist nur die Klarstellung wichtig, wissenschaftliche Theorien, ob Ursprung oder nicht, erheben nicht den Anspruch auf Gültigkeit innerhalb aller menschlichen (und von mir aus auch außermenschlicher) Empfindungs- und Denksysteme. Und diesen Anspruch erhebt Wissenschaft ja gerade durch den eingeschränkten "Wahrheitsanspruch" nicht. Eher könnte m.E. "Ideologie" als Bezichtigungsbegriff Personen und Gruppen von Personen vorgeworfen werden, die wissenschaftliche Theorien über Wissenschaft hinaus als totale, absolute Wahrheit vertreten. Könnte, weil dann auch hier aus den o.a. Gründen in eine Einzelbetrachtung übergegangen werden muss, um dem Vorwurf Substanz zu verleihen.
Kannst Du Dich damit anfreunden?
Und ob es tatsächlich so stattgefunden hat, ob etwas tatsächlich im Sinne der hinter Beobachtungen stehenden "tatsächlichen Wirklichkeit" jetzt oder in Zukunft geschieht, das "zu wissen" beansprucht doch keine wissenschaftliche Theorie. Das, was Du bezüglich wissenschaftlicher Theorien wohl als "Plausibilität" bezeichnest, ergibt sich durch die Bewährungen der gemachten Beobachtungen und durch die gescheiterten Falsifikationsversuche, durch den Vergleich von Beobachtungsvorhersagen mit tatsächlichen Beobachtungen, die weiterhin zukünftig zu erbringen sind. Hier gibt es innerhalb der Naturwissenschaften doch keine Ausnahmen. Wie wäre es, ich mache einen neuen Thread mit dem Thema, "Ergeben sich aus der Definition von Wissen für Naturwissenschaften differente Anforderungssysteme?" auf. Hier könnten wir untersuchen, ob für wissenschaftliche Theorien mit einem Vergangenheitsaspekt, wie Astronomie, Geologie und Paläontologie andere Anforderungen explizit oder implizit zu anderen Naturwissenschaften gegeben sind, bzw. ob sich letztendlich begründbar diese Disziplinen von Beispieldisziplinen wie Physik und Chemie abgrenzen lassen.Roland hat geschrieben:Genau und mit den Ergebnissen "…kann man bestenfalls zeigen, wie und ggf. mit welcher Plausibilität vergangene Prozesse in der Geschichte der Lebewesen abgelaufen sein könnten, nicht aber ob sie so tatsächlich stattgefunden haben." (Evolution – Ein kritisches Lehrbuch, S. 18, das Buch hast du ja auch…)Anton B. hat geschrieben: "Was ich jetzt hier beobachten, analysieren und jederzeit im Experiment wiederholen kann, etwa unter dem Mikroskop oder im Freiland, das [...]" ist nämlich genau das, was wir für Falsifizierungen oder auch Bewährungen von Theorien verwenden, die naturwissenschaftlich Vergangenheit modellieren.
Sage einfach Bescheid. Wir haben diese Thematik am Rande auch schon in den Threads "Alles Teufelszeug I, II, und III" und Relativismuspoker" am Rande diskutiert, sind dort auch sehr stark auf Dein anderes Anliegen, "was bedeutet Wissenschaft und welchen Erklärungsanspruch hat sie" eingegangen. Da lohnt sich die Lektüre. Auch hatte Halman schonmal an einer Stelle den renommierten Wissenschaftsphilosophen Paul Hoyningen-Huene zitiert, dessen Bemerkungen in einer aufgenommenen Vorlesung bestimmt zum einen sehr interessant für Dich wären, zum anderen hier im Forum m.E. vielleicht noch nicht so richtig ausdiskutiert sind.
Okay. Kann passieren. Und wie schätzt Du die explizite Klarstellung von Dawkins dazu ein?Roland hat geschrieben:Hänge es doch mal ein bisschen tiefer lieber Anton! Meine Aussage, heute vor einer Woche, war:Oder anders ausgedrückt: ich vermute, aufgrund seines Verhaltens im Interview mit Stein (siehe oben), dass Dawkins selbst nicht mehr an eine abiotische Entstehung des Lebens glaubt. Das sage ich in der Tat "bewusst" aber es ist nicht "falsch Zeugnis" sondern ich mache von meinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch.Selbst wenn es glänge eine komplette lebende Zelle aus unbelebter Materie im Labor herzustellen, würde das nur beweisen … dass Leben entstehen kann, wenn Geist auf Materie wirkt. Von selbst geht das nicht. Selbst Dawkins glaubt das wohl nicht mehr und äußert die Vermutung, dass Außerirdische das Leben auf der Erde ausgesetzt haben könnten… Was das Problem aber nur verlagert.
Ob das einfacher ist, sei dahingestellt. Denn es scheint ja irgendwie verlangt zu sein, jeder müsse sich auf seine eigene Art und Weise damit auseinander setzen. Da vermute ich, jeder Christ, jeder Gläubige, hat sein eigenes Säckchen zu tragen.Roland hat geschrieben:Das kann und darf man so sehen! Manchmal wünschte ich gar, ich könnte das auch, ist sicher einfacher.Anton B. hat geschrieben:Muss ich gar nicht und kann ich nicht. Weil ich als Christ die Bibel nicht als Naturkundebuch sehe. Und außerdem müsste ich eine wissenschaftliche Theorie, die nur den Anspruch auf Wahrnehmungsadäquatheit hat, im Glaubenskontext analysieren. Da Glaube und Wissen zwei verschiedenartige Dinge sind, fehlen mir die Mittel dazu.