Beitrag
von sven23 » Mo 28. Mär 2016, 16:15
Die Theologie hat immer versucht, eine Verbindung von AT und NT herzustellen, um die christliche Theologie im jüdischen AT verankern zu können.
"Doch es bleibt unabweisbar das Gefühl des Unangemessenen, des Künstlichen. Eigentlich
sind es zwei Heilige Schriften, die zwei unterschiedlichen Religionen angehören. Die Verbindung,
die die christliche Kirche zieht, ist kirchengeschichtlich vermittelt, aber nicht inhaltlicher Natur und
auch nicht zwangsläufig. Im zweiten und dritten Jahrhundert war das, was sich später als „orthodox“
durchsetzte, nur eine christliche Strömung unter anderen. Es gab ein Heidenchristentum, das auf die
alten Schriften der Juden und den alttestamentlichen Gott naturgemäß wenig Wert legte. Und es gab
ein gnostisierendes Christentum, das den alttestamentlichen Gott geradezu in einen Gegensatz zum
christlichen Gott stellte."
...
Wenn auch die Christen die Juden immer wieder blutig verfolgten; ihre
Heiligen Schriften haben sie sich angeeignet und auf ihren Gott hin umgedeutet. Das Gotteswort
wurde geehrt, das Gottesvolk aber bekämpft.
Kubitza, Dogmenwahn
Aus diesem Spannungsverhältnis heraus versuchen die Dogmatiker, die große Klammer zu basteln, mit
mäßigem Erfolg.
"Die Frage, auf welche Weise man Altes und Neues Testament als Einheit verstehen kann,
beschäftigt die Theologen immer noch. Sie muss sie auch künftig beschäftigen, denn als „Vater“ Jesu
Christi wird eben der alttestamentliche Gott Jahwe behauptet. Die Frage der Einheit ist jedoch ein
Scheinproblem, das sich auflöst, wenn man auf die dogmatische Nötigung einer Zusammengehörigkeit
verzichtet. Es gibt keine gemeinsame innere theologische Verbindung zwischen AT und NT,
jedenfalls keine, die über natürliche überlieferungsgeschichtliche Bedingungen hinausgeht. Keine
Heilsgeschichte, kein Geschichtsschema von Verheißung und Erfüllung, von Gesetz und Evangelium,
kein Christusereignis als Mitte der Zeit; all dies sind Scheinlösungen für ein Scheinproblem.
Seit Ende des 19. Jahrhunderts denkt man in der Theologie auch religionsgeschichtlich. Noch
länger betrachtet man auch die biblischen Texte historisch-kritisch. Altes wie Neues Testament sind
religionsgeschichtliche Dokumente bzw. Dokumentensammlungen und sind als solche zu untersuchen.
Ein Orientalist, der indische Texte aus verschiedenen Epochen analysiert, macht sich unglaubwürdig,
würde er (etwa weil er selbst Hindu ist) neben überlieferungsgeschichtlichen Aspekten auch
religiöse Prämissen mit einbauen, und statt die Texte kritisch zu scheiden, sie dogmatisch zu
verklammern. Dabei kommt Religion, aber keine Wissenschaft heraus. Persönliche Glaubensfragen
und aus der religiösen oder politischen Dogmatik aufgenötigte Geschichtskonstruktionen haben in der
Wissenschaft nichts verloren. Auch deshalb ist die Theologie keine Wissenschaft.
Zum Ideal der Vorurteilslosigkeit und einer religiös ausgenüchterten Forschung bekennen sich
vorderhand zwar auch unsere Theologen. So schreibt Joest sehr deutlich und richtig:
„Das Alte Testament ist zu lesen als Dokument der Religionsgeschichte seiner Zeit, nicht als
verschlüsselte Vorausdarstellung einer künftigen Zeit.“ Und einige Seiten weiter: „Dass
Jesus das Wort Gottes, die Selbstzusage des Gottes Israels in Person ist, ist aus dem
alttestamentlichen Zeugnis nicht ableitbar.“
Für solche Sätze wäre er im Mittelalter möglicherweise noch verbrannt worden. Heute formulieren
solche Sätze Ergebnisse der wissenschaftlichen Auseinandersetzung, zu der sich auch Theologen
bekennen können. Eigentlich: Denn gleichzeitig scheint Joest von solchen eben erst formulierten
Erkenntnissen nichts mehr wissen zu wollen.
„Das Neue Testament ist im Lichte des Alten auszulegen, weil und insofern eben im Alten
Testament das Wort des ewigen Gottes, das in Ewigkeit bleibende Wort (Jes 40,8; vgl. 1.
Petr 1,25), zu vernehmen ist.“
Fast übergangslos fällt Joest wieder in eine typische Theologensprache, wird vom Forscher zum
Dogmatiker und bringt Bibelzitate, die offenbar Begründungscharakter haben sollen. Und völlig
ungeschichtlich behauptet er nun: „Das neutestamentliche Christuszeugnis wird zum Kriterium, an
dem sich die Wahrheit des alttestamentlichen Gotteszeugnis entscheidet.“
Oder der Theologe Trillhaas: Auch er sieht durchaus klar die Gefahren einer Überinterpretation:
„Die christliche Theologie lebt bei der Auslegung des Alten Testamentes leicht über ihre
Verhältnisse und sagt dem hohen Rang der Hl. Schrift zuliebe mehr als glaubhaft ist.“
Wahre Worte. Doch wie um auch selbst einen Beweis für das gerade Gesagte zu liefern, liest man
noch auf derselben Seite:
„Weil das Evangelium die Wahrheit ist, darum empfängt das Alte Testament von ihm her
den Beweis seiner (korrelaten) Wahrheiten.“
Geht man zu weit, wenn man hier von einer gewissen Bewusstseinsspaltung spricht? Merken die
Theologen das selbst? Klar scheint nur zu sein,warum sie so intellektuell zweigleisig fahren.
Denn zwei Seelen schlagen in ihrer Brust. Eine ist ein kritisches Bewusstsein,das sie als Hochschullehrer
haben und haben wollen, und das sie auch in ihren (sicher in erster Linie) von Theologiestudenten
gelesenen Dogmatiken zeigen möchten. Das andere ist die leidige Rücksicht auf die theologische
Tradition, die sie, eben weil sie Theologen sind, immer wieder nehmen müssen und aber auch
nehmen wollen. Es ist geradezu ein Charakteristikum moderner Theologie, dass sie weder auf das
eine noch das andere verzichten will. Also muss auch beides in die Dogmatiken rein, und deshalb
springt das Wirklichkeitsverständnis wie ein Pingpong-Ball hin und her.
...
Unter Theologen kursiert der Witz, dass Karl Barth
nur deshalb so alt geworden sei, weil Gott noch mehr über sich erfahren wollte."
Kubitza, Dogmenwahn
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell