closs hat geschrieben:Thaddäus hat geschrieben:Ganz und gar abenteuerlich ist zudem die Konsequenz deiner Unterstellung, denn sie bedeutet ja nicht weniger, als dass man als historisch-kritisch arbeitender Theologe grundsätzlich nicht gläubig sein kann.
Soweit würde ich nicht gehen.
Genau soweit gehst du aber faktisch mit deiner obigen Behautpung, die HKM schlösse es aus, dass Jesus aus Nazareth "Gottes-Sohn" sein könnte. Du behauptest damit gleichzeitig, ein Theologe, der historisch-kritisch arbeitet, könne nicht gleichzeitig glauben, das Jesus "Gottes-Sohn" ist, - und das ist faktisch falsch.
closs hat geschrieben:
Man kann als Atheist eine kanonische Exegese genauso wissenschaftlich durchspielen ...
Die allermeisten Exegeten sind aber keine Atheisten!
closs hat geschrieben:
Ich hatte gerade am Wochenende ein recht langes Gespräch mit einer habilitierten evangelischen Theologin, die gemeint hat, [...] Drei Viertel aller Theologen würden die theologische Substanz des Christentums nicht verstehen.
Vor allen Dingen halte ich eine solche Diagnose für anmaßend, denn man kann sie nur treffen in der Überzeugung, man selbst wisse genau, was die theologische Substanz des Christentums ist. Darüber aber sind sich nicht einmal Katholiken und Protestanten einig.
closs hat geschrieben:Thaddäus hat geschrieben:Nein, dies ist keine Prämisse der historisch-kritischen Methodik,...
Weil es offenbar meistens nicht als solche nicht erkannt wird. - Ich vermute, es liegt daran, dass man die methodischen Voraussetzungen nicht ausreichend reflektiert ...
Auch dies ist nichts weiter als anmaßend, weil du offenbar davon ausgehst, katholische wie evangelische Exegeten könnten die Grundlagen ihrer eigenen Methodik nicht reflektieren und darüber hinaus fiele ihnen nicht auf, dass sie eigentlich Atheisten sind. Das ist absurd ...
closs hat geschrieben:Thaddäus hat geschrieben:Es ist nicht einmal eine Prämisse der HKM, dass Jesus tatsächlich gelebt hat
Man KANN ja gar nicht falsifizieren, ob Jesus nur Mensch oder "Gott und Mensch" war - also MUSS die HKM aus methodischen Gründen auf die Untersuchung verzichten, was wäre, wenn Jesus doch "Sohn Gottes" wäre.
Ein großes Problem dieser Dikussion ist, dass dir die Grundlagen theologischer und historisch-kritischer Arbeit in keiner Weise klar sind, was an solchen Stellungnahmen von dir ersichtlich wird.
Die HKM untersucht ausschließlich TEXTE (es ist das einzige Medium übrigens, über das wir etwas Belegbares über Jesus herausfinden können!), und sie kann nur das analysieren und interpretieren, was in diesen Texten steht! Sie stellt fest, dass Jesus von den Evangelisten mit diversen Titeln belegt wird, von
Menschensohn bis
Sohn Gottes. Sie kann darüber aufklären, was es mit diesen Titeln auf sich hat und warum sie verwendet werden. Das ist ihre EXEGETISCHE Aufgabe.
Ob Jesus aus Nazareth darüber hinaus wesensgleich mit dem christlichen Gott ist, ist dagegen eine Frage der theologischen Disziplinen DOGMATIK bzw. SYSTEMATIK, die zwar die exegetischen Ergebnisse zur Kenntnis nehmen und auf ihnen aufbauen, ansonsten aber vor allem auf philosophische Methoden angewiesen sind.
Die HKM beschäftigt sich nicht mir der metaphysischen Frage, ob Jesus aus Nazareth warhaftig Gottes Sohn und mit ihm wesensgleich ist, weil das gar nicht ihre Aufgabe ist und ihre Methoden diese Frage auch gar nicht klären können. Für die Exegese der TEXTE ist das auch unerheblich, denn es ändert sich an den Ergebnissen der TEXTuntersuchungen
rein gar nichts, ob der Jesus, über den die Texte erzählen nur ein Mensch war oder darüber hinaus auch noch Gottessohn und mit Gott wesensgleich.
closs hat geschrieben:
Sie MUSS also diesen Fall ausschließen, dass es so ist ...
Nein. Das muss sie nicht und tut es faktisch auch nicht! Es ist objektiv FALSCH, wenn du solches behauptest.
closs hat geschrieben:Thaddäus hat geschrieben: das kann sie auch dann, falls Jesus nur eine fiktive Figur sein sollte.
Natürlich - absolut korrekt. - Aber die Schlussfolgerungen sind andere, ob DIESELBEN Quellen Bezug nehmen auf einen Jesus, der "Gottes Sohn" ist oder lediglich eine fiktive Person oder eine x-beliebiger Wanderprediger.
Historisch-kritisch-wissenschaftlich ist es eine
korrekte Aussage, dass die Evangelisten und Paulus Jesus aus Nazareth eine Naherwartung zugeschrieben haben. Diese Aussage bleibt korrekt, egal, ob sie sich auf eine fiktive Figur bezieht oder auf eine reale Person in der Geschichte (denn es geht nur darum, was in den Texten hierüber zu finden ist).
Nicht für die HKM, sondern für den
Glauben spielt es eine Rolle, ob Jesus aus Nazareth nur eine fiktive Figur oder eine reale Person in der antiken Geschichte ist. Wenn irgendwer stichhaltig aufweisen könnte, dass Jesus lediglich eine fiktive Figur in den Geschichten über ihn ist, dann müsste sich der Gläubige überlegen, was diese Erkenntnis für seinen Glauben bedeutet.
Die Ergebnisse der HKM legen aber aus diversen Gründen nahe, dass Jesus aus Nazareth höchstwahrscheinlich eine reale Person mit jüdischer Abstammung war, der vor etwa 2000 Jahren lebte und wirkte.
Solange diese Annahme nicht mit besseren Gründen widerlegt wird, darf man hiervon als Tatsache ausgehen.
closs hat geschrieben:Thaddäus hat geschrieben:Es hieße dann: Die Autoren der Evangelien haben der (fiktiven) Figur Jesus aus Nazareth eine Naherwartung zugeschrieben usw.
Aber eben nicht die Aussage "Jesus hatte eine Naherwartung", als sei es eine Tatsachen-Aussage.
Das wissenschaftliche Ergebnis der historisch-kritischen Untersuchungen der Texte ist, dass Jesus aus Nazareth eine Naherwartung hatte. Textstellen, die hiervon abweichen, können als spätere Umdeutungen dieser ursprünglichen Naherwartung erwiesen werden und es kann erklärt werden, warum diese Umdeutung stattfand. Genau das kann die historisch-kritische Analyse erbringen, denn zur Klärung solcher Fragen sind ihre Methoden da.
closs hat geschrieben:
Was spricht dagegen, verschiedene unfalsifizierbare Voraussetzungen wissenschaftlich durchzudeklinieren? - Ich fände dies redlich.
Deine und Ratzingers
selbstimmunisierend-dogmatisch-hermeneutische Grundannahme, der Jetztzustand christlich-katholischer Glaubensüberzeugungen sei maßgeblich für die INterpretation des Kanons, ist wissenschaftlich gerade nicht redlich! Denn selbst ein Jesus-Evangelium, welches diesem Jetztzustand christlich-katholischer Glaubensüberzeugungen widerspräche, könnte diese hermeneutische Grundannahme nicht als falsch erweisen. Deshalb ist sie dogmatisch und selbstimmunisierend.
closs hat geschrieben:Thaddäus hat geschrieben: Sie kann zur Klärung der Frage, ob er es - tatsächlich - war, mit ihren Methoden nur nichts Sinnvolles beitragen.
Eben - genau deshalb darf man erwarten, dass sie nichts Unsinniges beiträgt.
Das tut sie auch nicht! Das Unsinnige kommt allein durch jene Gläubigen zustande, die meinen, ihre aktuellen konkreten christlichen Glaubensannahmen könnten unter keinen Umständen falsch sein.
closs hat geschrieben:Thaddäus hat geschrieben: Die Ergebnisse der Untersuchungen der Texte bleiben diesselben, egal ob Jesus aus Nazareth nur ein Mensch war oder ober auch wesensgleich mit Gott ist.
Aber dann darf man keine Interpretationen loslassen, die nur dann stimmig sind, wenn Jesus nur ein Mensch war.
Die Ergebnisse der HKM, insofern sie von der Forschergemeinschaft anerkannt sind und nicht grundsätzlich strittig, gelten für Jesus aus Nazareth, egal ob er eine fiktive Figur ist, ein realer Mensch vor 2000 Jahren oder ein realer Mensch vor 2000 Jahren, der darüber hinaus Gottessohn ist und mit dem Vater wesensgleich. Die Ergebnisse der HKM ergeben sich aus der Analyse der TEXTE, nicht über die Korrektheit metaphysischer Annahmen.
closs hat geschrieben:Hast Du vergessen, dass eine Interpretation der Bibel unter der Prämisse "Jesus ist wesensgleich mit Gott" bei identischer Quellenlage eine andere ist, als wenn man offen lässt, wer oder was Jesus war?
Für die historisch-kritische Interpretation spielt das KEINE Rolle! Es spielt vielleicht für dich als Gläubigen eine Rolle.
closs hat geschrieben:
Wir sprechen doch nicht über die rein sachliche Beschreibung von Fakten ("Diese Quelle ist im Jahr x, jene im Jahr y entstanden"/"Folgende gesellschaftliche Entwicklungen gab es im Jahr 30 n.Chr. in Palästina"/"Das Wort 'logos' wurde damals in der Literatur mit folgenden Bedeutungen verstanden"/etc.), sondern über INTERPRETATIONEN des Inhalts der Bibel ("Jesus hatte eine Naherwartung").
Die Naherwartung Jesu ist in den TEXTEN zu finden und die Interpretation von deren historisch-kritischer Analyse ergibt, dass Jesus sie mit höchster Wahrscheinlich vertreten hat. Das ist das Ergebnis, und damit musst du leben (solange du keine bessere Analyse der TEXTE vorlegen kannst, die diesem Ergebnis widersprechen).
closs hat geschrieben:
Entweder man bezieht gesamt-kanonische/spirituelle Aspekte mit ein, dann ist die hermeneutische Wissenschaft gleichberechtigt mit der HK-Wissenschaft. - Oder man lässt nur den kritisch-rationalen Ansatz als Wissenschaft zu, ...
Was bevorzugst Du?
Die rot gesetzte Aussage ist widerlegt, und
meine Antwort kennst du bereits.