Alles Teufelszeug? II

closs
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#341 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von closs » Mo 21. Mär 2016, 08:19

sven23 hat geschrieben:Genau so ist es.
Ja - aber es heisst auch: Mit rein historischer Betrachtung bleibt man bei biblischen/geistigen Fragestellungen immer in der Peripherie.

sven23 hat geschrieben: Setzungen wie: Jesus ist der Sohn Gottes oder Jesus ist nicht der Sohn Gottes dürfen hier keine Rolle spielen.
Tun sie aber - die von Dir favorisierte Vorgehensweise gibt zwar vor - und macht sich auch weis -, keine Setzungen zu haben. - Aber sie hat welche. - Denn:

Wenn man - wie Du meinst - "ergebnisoffen" vorgeht, kann man gar nicht in Erwägung ziehen, dass Jesus "Gottes Sohn" (was auch immer das sein soll) gewesen sei, da es nicht falsifizierbar ist. - Wenn man dies aber nicht in Erwägung ziehen kann, kann man die Bibel nur unter der Prämisse lesen, dass Jesus NICHT "Gottes Sohn" gewesen sei.

Liest man aber die Bibel so, interpretiert man sie ganz anders, als wenn man - Gedanken-Spiel - wüsste, dass Jesus "Gottes Sohn" ist. - Das heisst:
Die nicht falsifizierbaren Antworten auf die Frage, wer Jesus ist, werden aus methodischen Gründen de facto und a priori verengt auf "Jesus ist NICHT 'Gottes Sohn', solange es nicht nachgewiesen ist". - Ein unmögliches Unterfangen bei nicht-falsifizierbaren Dingen - ergo:

"Wir legen fest, dass Jesus NICHT 'Gottes Sohn' ist, weil wir die Bibel ergebnisoffen lesen wollen" - ein Oxymoron. - Wissenschaftlich angebracht wäre dagegen aus meiner Sicht die Haltung:

Gerade WEIL wir ergebnisoffen bleiben wollen, müssen wir beide möglichen Realitäten mit einbeziehen:
a) Was käme raus, wenn Jesus NICHT "Gottes Sohn" wäre?
b) Was käme raus, wenn Jesus "Gottes Sohn" wäre?

Also zwei Lektüre-Durchgänge mit unterschiedlichen Setzungen - nur dann ist man wirklich ergebnisoffen. - Diesbezüglich scheinen sich einige Wissenschaftler selber eine Falle zu stelllen. - Denk mal drüber nach.

sven23 hat geschrieben:Das kann sie ja auch
Bisher nicht - bevor WIRKLICHE Ergebnisoffenheit nicht ermöglicht wird, werden die Wissenschaften hier gespalten bleiben.

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sven23
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#342 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von sven23 » Mo 21. Mär 2016, 08:34

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Genau so ist es.
Ja - aber es heisst auch: Mit rein historischer Betrachtung bleibt man bei biblischen/geistigen Fragestellungen immer in der Peripherie.
Nö, man kann das, was damals religiöse Vorstellung/Weltbild war, incl. aller Glaubensinhalte, sehr wohl beschreiben.
Das heißt doch nicht automatisch, dass man sich damit identifizieren muß. :shock:


closs hat geschrieben: Wenn man - wie Du meinst - "ergebnisoffen" vorgeht, kann man gar nicht in Erwägung ziehen, dass Jesus "Gottes Sohn" (was auch immer das sein soll) gewesen sei, da es nicht falsifizierbar ist. - Wenn man dies aber nicht in Erwägung ziehen kann, kann man die Bibel nur unter der Prämisse lesen, dass Jesus NICHT "Gottes Sohn" gewesen sei.
Du verwechselst wieder Beschreibung eines Sachverhaltes und seine Bewertung inhaltlicher Art.
Das sind 2 Paar Schuhe.


closs hat geschrieben: "Wir legen fest, dass Jesus NICHT 'Gottes Sohn' ist, weil wir die Bibel ergebnisoffen lesen wollen" - ein Oxymoron. - Wissenschaftlich angebracht wäre dagegen aus meiner Sicht die Haltung:
Gerade WEIL wir ergebnisoffen bleiben wollen, müssen wir beide möglichen Realitäten mit einbeziehen:
a) Was käme raus, wenn Jesus NICHT "Gottes Sohn" wäre?
b) Was käme raus, wenn Jesus "Gottes Sohn" wäre?
siehe oben. Die Forschung muß hier überhaupt nichts "setzen", weil das - wie du selber sagst- inhaltlich nicht falsifizierbar ist. Sie beschreibt die damalige Glaubenswelt, bzw. versucht, sie zu rekonstruieren und ihre Veränderung/Rezeption nachzuvollziehen. Ein anderes "Mandat", wie du immer sagst, kann sie als neutrale Forschung gar nicht haben.
Das Mißverständnis liegt wohl darin begründet, dass du meinst, theologische Forschung habe den Auftrag, Glaubenskonstrukte zu bestätigen. Dafür ist die kanonische Exegese entwickelt worden, ohne Anspruch auf wissenschaftliche Vorgehensweise.


closs hat geschrieben: Also zwei Lektüre-Durchgänge mit unterschiedlichen Setzungen - nur dann ist man wirklich ergebnisoffen. - Diesbezüglich scheinen sich einige Wissenschaftler selber eine Falle zu stelllen. - Denk mal drüber nach.
Nö, diese Falle hast du selbst konstruiert und ist in der Forschung kein Thema.
Forschung hat weder die Aufgabe, Glaubenskonzepte inhaltlich zu widerlegen noch sie zu bestätigen.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#343 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von SilverBullet » Mo 21. Mär 2016, 09:03

closs hat geschrieben:an Sven23:
Wenn man - wie Du meinst - "ergebnisoffen" vorgeht, kann man gar nicht in Erwägung ziehen, dass Jesus "Gottes Sohn" (was auch immer das sein soll) gewesen sei, da es nicht falsifizierbar ist. - Wenn man dies aber nicht in Erwägung ziehen kann, kann man die Bibel nur unter der Prämisse lesen, dass Jesus NICHT "Gottes Sohn" gewesen sei.
Richtig, wenn man etwas nicht Erwägung ziehen kann, sieht es schlecht aus, ein Ergebnis in dieser Richtung zu erzielen.

Der interessanteste Zusatz dieser Aussage, ist somit der Klammerausdruck: „was auch immer das sein soll“.

Angenommen keiner weiss, „was das sein soll“, dann kann keiner ein Ergebnis in dieser Richtung erzielen.

Wo wurde denn eindeutig nachvollziehbar festgehalten, was „Gottes Sohn“ sein soll und an was man denken soll, um anzunehmen, dass ein bestimmter Mensch dies erfüllt?

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#344 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von Savonlinna » Mo 21. Mär 2016, 12:16

Pluto hat geschrieben:
closs hat geschrieben:Es wird auch zukünftig, wahrscheinlich sogar vermehrt, Bemühungen über historisch-kritische Untersuchungen hinaus geben, Zugang zu Substanz und Wirklichkeit der Schriften zu schaffen.
Was könnte das noch kommen, was der Wirklichkeit gerechter wird als die historisch-kritische Betrachtung?
Die Rezeptionsforschung.
Die besteht aber nun auch schon mindestens ein halbes Jahrhundert.

Man versteht Nietzsche heute besser als zur Zeit von Nietzsche.
Die HKM untersucht, wie Nietzsches Schriften zustande gekommen sind, sein Umfeld, wovon er beeinflusst wurde.
Die Rezeptionsforschung untersucht alles, was nach der Veröffentlichung der Schriften Nietzsches passiert ist, bis heute.

Wenn man den Literaturwissenschaftlern erzählen würde, sie sollten sich künftig auf die historisch-kritische Forschung beschränken, dann würden sie, glaube ich, in ein schallendes Gelächter ausbrechen.

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#345 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von Savonlinna » Mo 21. Mär 2016, 12:27

Pluto hat geschrieben:
closs hat geschrieben:Da es aber aber andere Auffasssungen von Wissenschaft gibt, wird dies nicht geschehen.
Wovon redest du?
Mag ja sein, dass es vor allem unter Laien, Theologen oder Philosophen, unterschiedliche Auffassungen dazu gibt.
Aber in der Wissenschaft selbst gibt es keinerlei Zweifel, welche Auffassung richtig ist.
Die Wissenschaftstheorien reflektieren die unterschiedlichen Auffassungen von Wissenschaft, aber es gibt keinen Wissenschaftspapst, der entscheidet, welche daovn richtig ist.
Auch da herrscht Demokratie, und die Auffassungen sind im Fluss.

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#346 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von closs » Mo 21. Mär 2016, 12:40

sven23 hat geschrieben: man kann das, was damals religiöse Vorstellung/Weltbild war, incl. aller Glaubensinhalte, sehr wohl beschreiben.
Klar - man kann ohne jegliche substantielle Berührung feststellen: "Da gibt es eine Religion, bei der Gott im Menschen inkarniert und am Kreuz stirbt. - etc." - Dagegen hat keiner was.

sven23 hat geschrieben:Sie beschreibt die damalige Glaubenswelt, bzw. versucht, sie zu rekonstruieren und ihre Veränderung/Rezeption nachzuvollziehen. Ein anderes "Mandat", wie du immer sagst, kann sie als neutrale Forschung gar nicht haben.
So kenne ich die HKM auch - rein beschreibend der eigentlichen Theologie Information weitergebend.

Aber dann kann die HKM kein Urteil abgeben, was Jesus gedacht oder gemeint hat. - Denn dann muss sie vorher klarstellen:
a) Was hat Jesus mutmaßlich gedacht/gemeint, wenn man ihn nur als Mensch/beliebigen Wanderprediger versteht?
b) Was hat Jesus mutmaßlich gedacht/gemeint, wenn man ihn als "Sohn Gottes" versteht?

Denn die Antwort wird unterschiedlich sein, je nachdem, ob man a) oder b) setzt.

sven23 hat geschrieben:Das Mißverständnis liegt wohl darin begründet, dass du meinst, theologische Forschung habe den Auftrag, Glaubenskonstrukte zu bestätigen.
Nein - sondern unter verschiedenen, nicht-falsifizierbaren Voraussetzungen Antworten zu ermitteln. - Das Problem: Wenn die HKM (in Deinem Verständnis) über das Beobachtende 8und Beschreibende hinaus in das Interpretierende geht, setzt sie a) - selbst wenn sie es selber nicht merkt.

[quote="sven23" diese Falle .... ist in der Forschung kein Thema.[/quote]Das ist ja gerade das Problem - man bespiegelt seine eigenen Handlungsweisen nicht kritisch.

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#347 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von closs » Mo 21. Mär 2016, 12:47

SilverBullet hat geschrieben:Angenommen keiner weiss, „was das sein soll“, dann kann keiner ein Ergebnis in dieser Richtung erzielen.
Damit kann Unterscheidliches gemeint sein:
Die Juden sagen: Prophet.
Die Trinitarier sagen: Gott.
Andere christliche Denominationen sagen: nicht Gott, sondern ein ganz besonderer Mensch.

Tja - dann muss man halt durchspielen, was Jesus mit einer Aussage meint, wenn er
a) beliebiger, spinnerter Wanderprediger,
b) Prophet,
c) Gott,
d) gottgesandter besonderer Mensch
war.

Bei gleicher wissenschafts-sachlicher Grundlage werden im schlimmsten Fall 4 verschiedene folgerichtige Antworten rauskommen. - Und wenn sich das Nicht-Falsifizierbare irgendwann auflöst, dann wird sich im Nachhinein diejenige Antwort als richtig herausstellen, die die richtige Annahme a, b, c oder d) gesetzt hat.

Als Wissenschaftler muss man dies nach meinem Wissenschaftsverständnis begreifen und deshalb nicht nur den Fall a), sondern auch die Fälle b, c, und d) durchspielen. - Oder gar nichts durchspielen, dann aber auch nicht Fall a). - So einfach ist das.

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#348 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von sven23 » Mo 21. Mär 2016, 13:45

closs hat geschrieben: Aber dann kann die HKM kein Urteil abgeben, was Jesus gedacht oder gemeint hat. -
Genau darum geht es aber in der Leben-Jesu-Forschung. Um die ursprüngliche Lehre und Glaubenswelt, die er vertreten hat. Eines kann man heute mit ziemlicher Sicherheit sagen: Jesus beabsichtige keinesfalls, eine neue Religion zu gründen. Es handelte sich viel mehr um eine innerjüdische Erneuerungsbewegung, die sehr stark auf das nahe bevorstehende Gottesreich ausgerichtet war und die Menschen ob der knappen Zeit zur Umkehr mahnte. Das läßt sich ganz unabhängig davon sagen, ob Jesus nun tatsächlich der Sohn Gottes war oder nicht.


closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: diese Falle .... ist in der Forschung kein Thema.
Das ist ja gerade das Problem - man bespiegelt seine eigenen Handlungsweisen nicht kritisch.
Natürlich muß sich auch die NT-Forschung über ihre Methoden Rechenschaft geben. Obwohl, wie schon gesagt, es noch besser wäre, wenn es hier unabhängige Forschung gäbe, wird aber auch von Kritikern der Forschung im großen und ganzen gute Arbeit bescheinigt. Deshalb braucht man sich hier nicht unbedingt Sorgen um die Qualität der Forschung zu machen.
Zuletzt geändert von sven23 am Mo 21. Mär 2016, 13:53, insgesamt 1-mal geändert.
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#349 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von sven23 » Mo 21. Mär 2016, 13:53

Savonlinna hat geschrieben: Wenn man den Literaturwissenschaftlern erzählen würde, sie sollten sich künftig auf die historisch-kritische Forschung beschränken, dann würden sie, glaube ich, in ein schallendes Gelächter ausbrechen.
Wenn wir es nur mit einem Stück Literatur zu tun hätten, würde ich dem zustimmen.
Da aber die Forschung und erst Recht die Kirche von tatsächlich historisch Geschehenem ausgeht, ist nun mal die historisch-kritische Methode das Mittel der Wahl in der Leben-Jesu-Forschung.
Das heißt aber nicht, dass die Rezeptionsästhetik in der Forschung keine Beachtung finden würde.
Das Johannesevangelium ist ja Beleg dafür, weil es hauptsächlich als Erfindung des unbekannten Schreibers identifiziert wurde, das kaum authentische Jesusworte enthalten kann.
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#350 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von Savonlinna » Mo 21. Mär 2016, 14:38

sven23 hat geschrieben:
closs hat geschrieben: Aber dann kann die HKM kein Urteil abgeben, was Jesus gedacht oder gemeint hat. -
Genau darum geht es aber in der Leben-Jesu-Forschung.
Nein, das ist ausgeschlossen. Auch die Leben-Jesu-Forschung hat kein Rad ab.
Hier herrscht tatsächlich einmal Konsens in sämtlichen Wissenschaften: Gedanken und Meinungen sind im Gehirn nicht ablesbar.

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