Schon. Aber die Forschung sieht unterschiedlich, ob die Erzählungen deshalb "biographisch" zu verstehen seien oder nicht.Thaddäus hat geschrieben:Ja, das kannst du. Aber um diese unterschiedlichen Interpretationsweisen wissenschaftlich anzuwenden, musst du z.B. darauf achten, dass du vernünftig und intersubjektiv nachvollziehbar argumentierst. So kann man wissenschaftlich nachweisen, dass der biographische Umstand, dass Kafka erhebliche Probleme mit seinem Vater hatte, sich in einigen seiner Erzählungen niederschlägt.Savonlinna hat geschrieben: Ich wende es auf die Literaturwissenschaft an, weil ich mich da besser auskenne.
Ich kann ein Werk Goethes aus seiner Biographie erklären, ich kann es aus seiner Struktur erklären, ich kann es aus seiner Zeit erklären, ich kann es aus der Rezeptionsgeschichte - die nach Goethes Tod bist heute erfolgt ist - erklären, ich kann es aus der Gesellschaft seiner Zeit erklären und und und.
Das heißt, zur Zeit ist eher die Tendenz, dass sie eher nicht biographisch zu deuten seien.
Sicherlich.Thaddäus hat geschrieben:Aber wenn du behauptest, Thomas Manns literarische Figur des Dr. Faustus sei schwul, weil Thomas Mann auch schwul war, obwohl das aus dem Werk gar nicht hervorgeht, dann hast du die Wissenschaftlichkeit verlassen.
Ich habe auch dann die Wissenschaftlichkeit verlassen, wenn ich die Figur des Aschenbach aus "Tod in Venedig" als schwul werte, nur weil Thomas Mann das war und Aschenbach den Jungen Tadzio innerhalb der Erzählung lieben musste.
Richtig. Aber wo tut Ratzinger das? Wo tut closs das?Thaddäus hat geschrieben:Und wenn du behauptest, Thomas Manns literarische Figur des Dr. Faustus sei schwul, weil dir das in einem Traum offenbart wurde, dann hat das mit Wissenschaftlichkeit eben überhaupt nichts mehr zu tun.
closs sagt doch ohne Ende, dass es Glaube sei.
Also erstens argumentiert Ratzinger ganz anders als closs.Thaddäus hat geschrieben:Wenn man behauptet, die fiktionale Figur Dr. Faustus sei schwul, dann muss man Belege dafür aus Thomas Manns Werk zitieren können. Es reicht aber nicht, auf seinem Traum als wahrheitsgarantierende Offenbarung dieser These verweisen zu können. Aber genau das tun letztlich closs und Ratzinger im übertragenen Sinne.
Zweitens hätte ich gerne mal so allmählich Belege für das, was Du zu Ratzinger sagst.
Am liebsten einen Link, wo ich dann den ganzen Aufsatz oder das ganze Buch lesen kann.
Ja, eben. Dennoch gibt es das.Thaddäus hat geschrieben:Das mag sein. Das hat dann aber nichts mit Literaturwissenschaft zu tun.Savonlinna hat geschrieben:es gibt zuhauf literarische Dichter, die auf nicht-wissenschaftlichem Weg in die Werke ihrer Vorgänger eingedrungen sind und dadurch zu ihrem eigenen Werk inspiriert wurden.
Und zweitens kann man diesen Vorgang wissenschaftlich beschreiben.
Der Knackpunkt scheint zu sein, ob closs und Ratzinger das als Wissenschaft werten oder nicht.Thaddäus hat geschrieben:Ich verstehe, was du meinst.Savonlinna hat geschrieben: Es gibt also Verstehenswege, die nicht über die Wissenschaft laufen, und ich denke, dass Dir das persönlich auch bekannt ist - Du hast da mal irgendwo angedeutet.
So hat Camus Buch "Le mythe de Sisyphe" für mich persönlich eine ganz herausragende persönliche Bedeutung. Dieses Buch bedeutet für mich persönlich den Horizont sinnvollen Lebens. Bedeutungsvoller kann ein Buch für einen Menschen nicht sein. Aber diese ganz existenzielle Bedeutung für mich selbst verwechsele ich nicht mit Wissenschaftlichkeit. Literaturwissenschaftlich analysiert mag dieses Buch Camus' schlecht konstruiert, abgekupfert, in schlechtem französischem Stil geschrieben und sonst was sein. Für mich bleibt es dennoch das Buch, welches den Sinnhorizont meines Lebens bestimmt und das mir deshalb unendlich viel bedeutet. Aber diese Bedeutung hat es nur für mich, es ist mein wunderbares Geheimnis und ich werde leben und sterben mit diesem Buch. Aber das ist keine Wissenschaft, sondern es ist das, was es für mich bedeutet!
Das wäre jetzt meines Erachtens zu klären.