closs hat geschrieben:Thaddäus hat geschrieben:Die Setzung einer transzendenten Entität ist schlicht keine Option!
Für Naturwissenschaft muss es so sein - Philosophie sollte sich diesbezüglich nicht als ancilla scientiae verstehen - dies wäre eine Beschneidung des Auftrags "Sophia".
Nicht nur für die Naturwissenschaften, sondern für
jede Wissenschaft ist es keine Option, transzendente Entitäten oder einen objektiven Geist etc. einfach zu
setzen.
Und diese Einsicht verdanken wir einem Philosophen, der gleichzeitig Theologe war: Wilhelm von Ockham.
Es war Ockham, der ein fundamentales Grundprinzip jeder Wissenschaft erkannt hat, nämlich das
ontologische Sparsamkeitsprinzip, welches auch
lex parsimoniae,
ontologisches Ökonomieprinzip oder einfach
Ockhams Rasiermesser genannt wird.
Es besagt, dass eine Erklärung um so erklärungsmächtiger ist,
je weniger Variablen, Hypothesen und ontologische Annahmen sie enthält. Existieren mehrere Erklärungen eines Phänomnes
ist stets die Erklärung vorzuziehen, die die wenigsten Variablen, Hypothesen und ontologische Annahmen benötigt.
Dieses Ökonomieprinzip gilt nicht nur für die Naturwissenschaften, sondern vor allem auch für die Philosophie und letztlich für jede Disziplin, die als Wissenschaft auftreten möchte, inklusive einer wissenschaftlich arbeitenden Theologie. Sie gilt für die Mathematik, aber auch für die Literaturwissenschaft, die Kunst- oder Musikwissenschaft usw. Die Analyse einer komplexen Fuge Bachs sollte ohne die Annahme auskommen, dass der hl. Geist oder der Geist seines verstorbenen Vaters ihm dabei geholfen hat. Eine mathematische Theorie, die mit weniger als 9 Dimensionen auskommt, um die Stringtheorie zu beschreiben, ist einer 9 Dimensionen postulierenden vorzuziehen.
Eine Erklärung des Körper-Geist Problems, welche ohne die Annahme eines objektiven Geistes, eines Gottes oder eines teleologischen Zweckprinzips auskommt, um mentale Zustände des Menschen und seine geistigen Aktivitäten erklären zu können, ist stets einer Erklärung vorzuziehen, die solche
ontologisch inhaltsreichen Annahmen macht. Es macht nämlich nochmal einen bedeutenden Unterschied, ob man wie Wolfgang Pauli aus bestimmten theoretischen Gründen Neutrino-Teilchen postuliert, damit seine Theorie stimmig wird, oder ob man eine transzendente Entität - oder wie bei der Telologie ein teleologisches Zweckprinzip in der Natur (also außerhalb menschlicher Absichten) - postuliert. Paulis Neutrinos können nämlich grundsätzlich empirisch nachgewiesen werden, transzendente Entitäten oder Zweckprinzipien der Materie aber nicht.
Setzt oder postuliert man Gott, einen objektiven Geist oder Zweckprinzipien (z.B. auch die aristotelische Entelechie), dann setzt und postuliert man ungeheuer inhalts- und voraussetzungsreiche ontologische Annahmen, die überdies nicht nachgewiesen werden können. Gott oder der objektive Geist sind keine einfachen Entitäten. Im Gegenteil sind sie ontologisch ungeheuer umfangreich und voraussetzungsstark, denn sie besitzen per Defintion komplexe Eigenschaften und Fähigkeiten, die ihnen zugeschrieben werden (von Allmächtigkeit bis hin zu einer Konfession, denn der kath.-christliche Gott ist nicht der jüdische usw.).
Ockham war klar, dass er, wenn er als Theologe Gott in seine Philosophie einbauen will, er ihn
beweisen muss, damit eine so starke ontologische Annahme auch gerechtfertigt ist. Darum hat er sich auch redlich bemüht, einen solchen Beweis zu erbringen und er selbst glaubte, diesen Beweis Gottes erbracht zu haben. Kant hat dann aber bewiesen, dass ein solcher Gottesbeweis grundsätzlich nicht erbracht werden kann.
Das ist vermutlich das stärkste Argument gegen den Versuch, einen objektiven Geist zu setzen, um den Geist des Menschen zu erklären.
Die Philosophie ist keine Magd der Naturwissenschaft. Die Philosophie hat dieses Sparsamkeitsprinzip überhaupt erst erfunden bzw. gefunden!
