War der Sündenfall von Gott geplant?

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Novas
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#361 Re: War der Sündenfall von Gott geplant?

Beitrag von Novas » Mo 1. Feb 2016, 05:15

Thaddäus hat geschrieben:Ja, hiergegen habe ich auch gar nichts! Wenn jemand daran glaubt, der Glaube könne nur durch den hl.- Geist gestiftet werden, dann ist das völlig in Ordnung.
In diesem Falle versucht man aber gar nicht erst, seinen Glauben philosophisch-vernünftig und rational-argumentativ zu begründen. Die Mystiker Meister Eckhart, Johannes Tauler und Heinrich Seuse werden zwar auch innerhalb der Philosophie besprochen und es wird ihnen eingeräumt, auf ihre Weise möglicherweise zu tiefen Erkenntnisses über Gott gelangt zu sein, aber sie tun das nicht auf philosophisch-begründende Weise und gelten daher auch nicht als Philosophen

Gerade Meister Eckhart nennt das Fünklein der Vernunft das Haupt der Seele. Im Zentrum seiner „Deutschen Predigten und Traktate“ steht die Idee des neuen Menschen, den gerade die Kraft der schöpferischen Vernunft zum „Sohn Gottes“ mache. Deshalb nennt er den Menschen ein Bild Gottes. Es ist verfehlt, wenn man ihn nur als einen religiösen Mystiker betrachtet, denn er ist auch ein Philosophischer Praktiker.
Thomas Polednitschek schreibt über ihn in seinem Buch „Meister Eckhart – Philosophisch leben“: „Eckhart steht zwischen Platon und Kant. Mit Platon setzt er auf die Vernunft, die die menschliche Seele in Bewegung setzt. Mit Kant teilt er das Interesse an einer Freiheit, die ein vernunftgeleitetes Leben möglich macht. Kurz: Er plädiert in seinen „Deutschen Predigten und Traktaten“ für ein Christentum, das Christen nicht zu „Legasthenikern der Freiheit“ (Metz) macht, sondern sie – wie die Aufklärung und Moderne – auf Vernunft und Freiheit verpflichtet.

Es gibt zweifellos eine Polarität zwischen „Glaube“ und „Vernunft“, Gefühl und Verstand, dem theologischen und philosophischen Denken, aber das finde ich gerade interessant und bejahenswert. Das ist auch ganz im Sinne Meister Eckharts, der in seinem „Buch der Tröstungen“ schreibt: „Aus all dieser Lehre, die im heiligen Evangelium geschrieben steht und im natürlichen Licht der vernunftbegabten Seele (!) mit Sicherheit erkannt wird, findet der Mensch wahren Trost für alles Leid“.
Für ihn ist es gerade die Vernunft, die das Denken wach und lebendig macht und die Wahrheit des Evangeliums verstehen kann. Die nicht nur glaubt, sondern auch versteht. Er unterscheidet sehr scharf zwischen einem nur „gedachten“ und einem wesenhaften Gott: „Der Mensch soll sich nicht genügen lassen an einem gedachten Gott; denn wenn der Gedanke vergeht, so vergeht auch der Gott. Man soll vielmehr einen wesenhaften Gott haben, der weit erhaben ist über die Gedanken des Menschen und aller Kreatur“ (DW II Tr. 2, S. 349) Nur der „wesenhafte“ Gott kann eine wirklich wesentliche und existenzielle Bedeutung für Menschen haben, denn dann ist der „Glaube“ eine Existenzmitteilung. Er entspricht einer Wahrheit, die für das Leben des Menschen Konsequenzen hat. So gesehen ist Gott die intimste Wahrheit der menschlichen Seele.

Den Satz „Am Anfang war das Wort“ (Joh 1,1) kann man auch übersetzen mit: „Am Anfang steht die schöpferische Vernunft“. Das ist ein ganz wesentlicher Gedanke in der christlichen Mystik und vorallem bei Eckhart: der „Sohn Gottes“ der in der menschlichen Seele geboren wird, ist für ihn die schöpferische Vernunft, das „Wort, welches Fleisch wurde und unter uns wohnte“ (Joh 1,14). Für ihn speisen sich deshalb die christliche Lebensform und Philosophie letztlich aus der selben Quelle und er plädiert für eine „Mystik mit offenen Augen“ im Gegensatz zu einer Mystik mit geschlossenen Augen. „Glaube steckt im Licht der Vernunft“.
Wie kann wirkliche „Nachfolge Christi“ eine Mystik mit geschlossenen Augen sein? Jesus Christus ist ein Mensch mit offenen Augen und er fordert uns ebenfalls auf sehend und hörend zu leben. Nicht halbherzig, sondern ganz und gar! Dann lernen die Blinden wieder sehen, die Lahmen wieder gehen, die Aussätzigen können rein werden, die Tauben wieder hören, die Toten stehen auf und den Armen wird das Evangelium gepredigt. (Matthaeus 11:5)
Das Problem scheint mir hier zu sein: seit der Aufklärung und Moderne gilt der Gegensatz zwischen Glaube und Vernunft als unüberwindbar (sodass man regelrecht von einer inneren Zerrissenheit sprechen kann, die ja schon die Romantik thematisierte.....) Bei Eckhart ist das anders. ;)

Zitat Eckhart: "Ich habe es auch öfter gesagt: Erkenntnis und Vernünftigkeit vereinigen die Seele mit Gott. Vernunft fällt ins reine Sein. Erkenntnis läuft voran; sie läuft voraus und bricht durch, damit da Gottes einziger Sohn geboren wird." (Deutsche Predigt)

Doch so wichtig diese Erkenntnisfähigkeit ist, es gilt auch das, was Papst Franziskus in "Lumen fidei" („Licht des Glaubens“) sagt:

„Der Glaube ist nicht ein Licht, das all unsere Finsternis vertreibt, sondern eine Leuchte, die unsere Schritte in der Nacht leitet, und dies genügt für den Weg.“

Für mich ist der Gegenbegriff zum Glauben nicht der Unglaube oder gar die Vernunft, sondern die menschliche Angst. Im Laufe unsres Lebens werden wir wohl alle immer wieder mit dieser 'Nacht' konfrontiert (Johannes von Kreuz spricht von der 'dunklen Nacht der Seele') und der Glaube ist eine Leuchte, die unsere Schritte durch sie hindurch leitet, sodass wir den Weg finden.
Wenn es nicht ein Glaube mit geschlossenen Augen, sondern ein Glaube mit offenen Augen ist, dann erweitert und sensibilisiert er das Sehvermögen und die Empfindungsfähigkeit der Vernunft, macht sie wach und lebendig.
Und umgekehrt... sie können sich gegenseitig mobilisieren und inspirieren. Besonders wichtig finde ich gerade auch den ganzen Bereich des Unbewussten, die Sprache der Bilder und Träume, die in der Religion aufleuchtet.... hier ein paar Worte von Eugen Drewermann dazu:

"Träume sind ein Versuch, das Leben zu erweitern"

Der Theologe Eugen Drewermann über die Bedeutung von Träumen in der Religion


Drewermann: Manche Träume sind religiös schon deswegen von großer Bedeutung, weil sie etwas vermitteln, das rein rational sich gar nicht sagen lässt. Eine Frau etwa verliert ihr Kind durch einen Unfall oder durch schwere Krankheit und leidet entsetzlich daran. Aber dann träumt sie des Nachts, wie sie mit dem Kind redet oder wie das Kind glücklich ist. Natürlich liegt es jetzt nahe bei der Hand zu sagen, das sind reine Wunschträume, aber es ist etwas anderes, ob man etwas wünscht oder gezeigt bekommt. Wieder kann man jetzt sagen, aber es ist doch nur ein Teil der eigenen Seele, der dem Bewusstsein diese Bilder vorgaukelt, in Wirklichkeit aber hat dieser Teil der eigenen Seele eine Botschaft, die in sich richtig sein kann.

Vielleicht ist der Tod gar kein Tod, vielleicht ist die Liebe stärker als die Begrenzung unseres irdischen Lebens. Vielleicht gibt es eine Gemeinsamkeit, die vom Tode nicht zerstört wird. Das alles sind Andeutungen, die wir im Traum uns nahelegen, die in den Mythen beschworen werden, die den Inhalt der Religion darstellen und in sich selber vom privatesten Erleben bis zur kollektiven Daseinsdeutung ganzer Kulturen Einfluss auf die Art, wie wir selber uns verstehen, haben.


* * *

Träume sind insofern erst einmal ungefährlich, als sie noch gar nichts wollen, sondern lediglich andeuten, Bilder liefern, die noch mal zur Stellungnahme aufrufen. Deswegen ist es so wichtig, dass man sie nicht moralisch beurteilt und sofort sagt, das darf aber nicht sein. Im Traum geht es nicht darum, was sein darf, sondern was in der eigenen Seele sich abspielt und was darin ist. Und da ist erst einmal alles berechtigt. Man müsste also die moralische Eigenzensur – die Dauerbeobachtung des Über-Ichs psychoanalytisch gesprochen –, die verinnerlichten Standards, die man seit Kindertagen im Umgang mit sich selber aufgeprägt bekam, beiseite zu stellen, um etwas ehrlicher zu werden, um ganzheitlicher zu werden.

Darum gilt ein Wort aus dem Johannesevangelium: Die Wahrheit wird euch frei machen. Solange wir immer noch Angst haben vor uns selber und vor dem, was in uns liegt, werden wir uns selber unterdrücken, an uns vorbei leben, ganze Zonen unserer Psyche im Abseits halten, die dann eine eigene Gesetzmäßigkeit von oft gefährlicher Dynamik sogar entfalten können. Wir sind nicht mit uns identisch. Und dann hat der Freud-Schüler Alfred Adler mal gesagt: In gewissem Sinn ist jede Lüge so etwas wie der Beginn der Neurose, oder umgekehrt, jede seelische Erkrankung so etwas wie eine Lüge sich selber gegenüber.


* * *

Die Art, wie wir die Bilder der Religion interpretieren, entscheidet darüber, was wir für Menschen sind und welchen Zugang wir zu Gott bekommen, statt immer wieder nur einer Kirchenbehörde zu begegnen, die vorgibt, Gott zu verwalten.
http://www.deutschlandradiokultur.de/tr ... _id=236265

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#362 Re: War der Sündenfall von Gott geplant?

Beitrag von Novas » Mo 1. Feb 2016, 09:23

Thaddäus hat geschrieben:Er versucht nämlich ebenfalls, den Glauben vernünftig, beweisbar und philosophisch gesichert erscheinen zu lassen, obwohl der Glaube in seinem Kern überhaupt nicht auf vernünftige Gründe rekurriert[…]Ich bin keine Atheistin, ich bin ein Philosophin und das bedeutet, dass ich keinesfalls gleichzeitig gläubig sein kann, weil sich beides einander ausschließt, obwohl manche meinen, sie könnten christlich und gleichzeitig (gute) Philosophen sein, was eine tragische Fehleinschätzung für einen Philosophen ist. Ich halte das dezidiert für unmöglich. Denn, wenn ich gläubig bin, setze ich eine Prämisse, die mein ganzes Leben gläubig ausrichtet und es mir nicht mehr erlaubt, rein vernünftig zu philosophieren[...]

Besteht hier nicht die Gefahr einer Isolation der Vernunft vom Gefühl? Muss philosophisches Denken 'rein vernünftig' sein? Welche Facetten beinhaltet dieser Begriff und in welcher Beziehung steht er zum Prinzip des HEILIGEN GEISTES? Ich zitiere noch mal den von mir sehr geschätzten Eugen Drewermann:

Die pflichtweise Zerstörung der Gefühle ebenso wie die mutwillige Zerstörung der Natur an unserer Seite bedingen einander wechselseitig und treiben sich immer rascher voran: Die verwüstete Welt verinnerlicht sich als Wüstenei der Seele und die Angst vor dem Hohlraum des eigenen Inneren rückentäußert sich als Vergleichgültigung, als "Neutralisierung" immer größerer Bereiche der Weltwirklichkeit.

Mehr Menschlichkeit mit Tieren

(EIN PLÄDOYER)

Von Dr. Eugen Drewermann

Da finde ich eine Kritik der Vernunft passend, denn die alleine reicht nicht aus. Man kann die Verwüstung der Welt sehr gut mit einer instrumentellen Vernunft perfektionieren… zwischen der nur noch instrumentellen Vernunft und der schöpferischen Vernunft Meister Eckharts besteht ein wirklich himmelweiter Unterschied.



"Zivilisation bestand weitgehend in der Bildung, das heißt Hineinbildung moralischer Gebote in den Menschen. Je tiefer einem durch Herkunft und Erziehung menschliches Verhalten zur Natur geworden war desto mehr Seele wurde ihm zugesprochen. Achtung vor dem Nächsten, Verantwortungsgefühl, Fähigkeit zur Freundschaft und zur Liebe waren in Moral mit eingeschlossen. Indem der Fortschritt Leben straffer ordnet, das Verhalten reguliert, Phantasie durch zweckvolles, systematisches Vorgehen, positive Affekte durch sichere Reaktionen, Gefühle durch Ratio ersetzt, gleichsam in der Rückschau, ist Seele nunmehr zum emphatischen Begriff geworden, zum Gegensatz der Kälte des auf Technik, schließlich zur Gefolgschaft ausgerichteten Subjekts. Die von Emotionen abgelöste Ratio schlägt um und wird zum Gegenteil von Anima." -
Zur Idee der Seele. In: Hans Jürgen Schultz (Hrsg.): Was weiss man von der Seele? Erforschung und Erfahrung. Kreuz-Verlag, Stuttgart/Berlin 1967, S. 18.

Eines meiner Grundgefühle seit frühester Kindheit ist: die Seele müsste man wieder mehr in die Welt bringen. Das beginnt wohl mit dem seelenreichen Denken einzelner mutiger und entschlossener Individuen, die dann andere 'anstecken'.

Das verkörpert für mich Jesus von Nazareth und deshalb folge ich seinen Spuren :thumbup:

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Thaddäus
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#363 Re: War der Sündenfall von Gott geplant?

Beitrag von Thaddäus » Mo 1. Feb 2016, 19:35

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Auch da ist sich die Forschung ziemlich einig, nämlich das Jesus das zeitlich nahe Gottesreich verkündete.
Einigkeit besteht über "das Gottesreich ist nahe". -
Aber das ist doch eine wünschenswert klare Aussage: "das Gottesreich ist nahe".

closs hat geschrieben: Alles andere ist schon wieder Zusatz-Interpretation.
"Alles Andere", wie du schreibst, ist doch aber dann der interpretatorische Versuch aus: "das Gottesreich ist nahe" ein "das Gottesreich ist nicht nahe zu machen ... :shock:

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#364 Re: War der Sündenfall von Gott geplant?

Beitrag von Hemul » Mo 1. Feb 2016, 19:51

Thaddäus hat geschrieben:
closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Auch da ist sich die Forschung ziemlich einig, nämlich das Jesus das zeitlich nahe Gottesreich verkündete.
Einigkeit besteht über "das Gottesreich ist nahe". -
Aber das ist doch eine wünschenswert klare Aussage: "das Gottesreich ist nahe".
Seit der Zeit in der Jesus seine Mitmenschen auf das nahende Gottesreich aufmerksam gemacht hatte war es denen stets nahe. Wenn man die Siebzig überschritten hat ist es besonders nahe herbeigekommen. :wave:
denn die Waffen, mit denen wir kämpfen, sind nicht fleischlicher Art, sondern starke Gotteswaffen zur Zerstörung von Bollwerken: wir zerstören mit ihnen klug ausgedachte Anschläge (2.Korinther 10:4)

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#365 Re: War der Sündenfall von Gott geplant?

Beitrag von closs » Mo 1. Feb 2016, 19:58

Thaddäus hat geschrieben:"Alles Andere", wie du schreibst, ist doch aber dann der interpretatorische Versuch aus: "das Gottesreich ist nahe" ein "das Gottesreich ist nicht nahe zu machen ...
Nee - gar nicht. - Hier geht es darum, ob man interpretiert:
a) In den nächsten 20 - 30 Jahren kommt Gott/Jesus mit seinem Reich auf Erden und löst die säkularen Strukturen zugunsten seines Reichs auf.
b) Mit der Auferstehung Jesu ist das Reich Gottes dauerhaft da - ohne dass deshalb Jesus auf einer Wolke angedampft kommt und mit seinen Armeen die pöhsen Amis und Russen ausmerzt.

In anderen Worten:
Die Naherwartung ist im Fall b) mit der Auferstehung erfüllt - alles andere in Bezug auf Jesu Wiederkunft bezieht sich auf eine zeit-ferne Apokalypse.

Es geht also NICHT um "nah oder nicht nah", sondern um "auf welche Weise nah".

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Thaddäus
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#366 Re: War der Sündenfall von Gott geplant?

Beitrag von Thaddäus » Mo 1. Feb 2016, 20:16

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Allen aktuellen Ansätzen zur philosophy of mind ist freilich in der Tat gemein, dass unser Gehirn die neuronle Voraussetzung unseres Geistes und all unserer mentalen Zustände ist.
Und wie will man dann "Geist" von seinem Ursprung her erklären, wenn nicht transzendent?
Das ist in meinen Augen ein sehr aufschlussreicher Denkfehler.
Du stellst die Frage, wie man denn bitteschön den Geist des Menschen als (geistiges und eben nicht-materielles) Erzeugnis seiner materiell-neuronalen Voraussetzungen verstehen können soll, also als geistiges Produkt des materiellen Gehirns?
Muss der Geist dazu nicht vorher schon irgendwie in der Materie (= Gehirn=neuronale Struktur) bereits drin sein?

Die moderne philosophy of mind-Diskussion versucht nun gerade diese Erklärung mit diversen sehr unterschiedlichen Modellen plausibel zu machen, dass Geist tatsächlich aus der materiellen, neuronalen Struktur des Gehirns hervorgehen kann.

Dein Denkfehler besteht nun darin:
Du nimmst an, dass der menschliche Geist eben nicht aus der materiellen und neuronalen Struktur des Gehirns letztlich erklärlich ist (und vermutlich, weil die Materie substanziell etwas anderes ist als der gerade immaterielle Geist). Wie sollte das Zweite aus Ersterem hervorgehen können?
Stattdessen präferierst du die Lösung, es gäbe immer schon einen objektiven Geist, der den Geist von Geburt an (bzw. von Beginn der Evolution an) in jeden Menschen, irgendwie in seine genetische Zellstruktur verankert hat, so dass der Mensch sich zu dem entwickeln muss, was er ist: nämlich einen geistigen Menschen mit bestimmten mentalen Zuständen.

Tatsächlich erklärt das aber gar nichts ..!

Zugegeben: es ist außerordentlich schwierig zu erklären, wie immaterieller Geist (= mentale Zustände des Menschen) aus rein materiellen und neurologischen Grundlagen des Gehirns hervorgehen sollen?
Dein Ansatz setzt aber einfach nur den Geist als ursprünglich und meint damit, alle Probleme gelöst zu haben. Hat er aber nicht!
Wenn du fragst, wie erklärt sich denn der Geist aus den bloß materiell-neurologischen Grundlagen des Gehirns, so kann natürlich umgekehrt die Frage an dich gestellt werden: Wie erklärt sich denn deine Setzung eines objektiven Geistes als ursprünglich? Wo kommt dein objektiver Geist denn her?

So wie du deinen objektiven Geist einfach als ursprünglich gegeben setzt, so könnte jeder Philosoph, der den Geist (des Menschen) aus den physikalischen und neuronalen Grundlagen des Gehirns erklären will, auch einfach setzen, dass so eben Geist aus den materiellen Grundgegebenheiten entsteht! Deine Erklärung wäre in diesem Falle keinen Deut besser und einleuchtender als ihrer.

Aber das tun die von mir oben genannten philosophy-of-mind-Philosophen nicht einmal, sondern die versuchen tatsächlich akribisch exakt zu erklären, wie das möglich ist, ohne den Übergang zum Geistigen einfach ontologisch zu setzen!
Damit sind sie aber deinem Ansatz letztlich überlegen ... denn du setzt ontologisch einfach, ohne weitere Begründung, warum du das setzen zu können glaubst!

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Savonlinna
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#367 Re: War der Sündenfall von Gott geplant?

Beitrag von Savonlinna » Mo 1. Feb 2016, 20:42

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:"Alles Andere", wie du schreibst, ist doch aber dann der interpretatorische Versuch aus: "das Gottesreich ist nahe" ein "das Gottesreich ist nicht nahe zu machen ...
Nee - gar nicht. - Hier geht es darum, ob man interpretiert:
a) In den nächsten 20 - 30 Jahren kommt Gott/Jesus mit seinem Reich auf Erden und löst die säkularen Strukturen zugunsten seines Reichs auf.
b) Mit der Auferstehung Jesu ist das Reich Gottes dauerhaft da - ohne dass deshalb Jesus auf einer Wolke angedampft kommt und mit seinen Armeen die pöhsen Amis und Russen ausmerzt.

In anderen Worten:
Die Naherwartung ist im Fall b) mit der Auferstehung erfüllt - alles andere in Bezug auf Jesu Wiederkunft bezieht sich auf eine zeit-ferne Apokalypse.

Es geht also NICHT um "nah oder nicht nah", sondern um "auf welche Weise nah".
Hier sehe ich es wie closs.

Sowohl Theologen als auch die Bibelstellen sagen aus, dass das, was als "das Reich Gottes" verstanden wird, unterschiedlich interpretierbar ist und auch unterschiedlich interpretiert wird und wurde.
Ich habe sogar die Deutung gelesen - ich glaube, bei Conzelmann -, dass allein die Anwesenheit Jesu bereits die Nähe des Gottesreiches bedeute und von Jesus - dem Jesus einer der Evangelisten - so auch gemeint war.

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#368 Re: War der Sündenfall von Gott geplant?

Beitrag von Thaddäus » Mo 1. Feb 2016, 20:43

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben: Woher wissen z.B. die Geist/-Seelen in einer Gruppe von Menschen, zu welchem Körper sie gehören?
Wenn wir für den Moment schwierige Fälle wie spezielle psychotische Krankheiten außer Acht lassen: Indem sie mit der Zeugung untrennbar dem wachsenden Zellklumpen zugeordnet werden.
Das lässt dir kein Philosoph so durchgehen! ;)
Woher weiß denn der Zellklumpen, welche Seele/welcher Geist ihm zugeordnet ist?
Wo genau steckt denn der Geist in der Zelle oder im Klumpen?
Und wenn der Geist in der Zelle oder im Zellklumpen irgendwo steckt, muss er ja trotzdem mit ihnen irgendwie interagieren können! Wie genau ist diese Verbindung zwischen Zelle und Geist zu verstehen? Wo setzt sie an? Mit welchem Zellteil interagiert der Geist und worüber interagiert er so mit ihr, dass er fest mit ihr verbunden ist?
Und kann man das messen oder unter dem Mikroskop sehen?
Die Philosphie muss hier ins Detail gehen oder es bleibt letztlich unverständlich.

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Oder kann es geschehen, dass eine Geist/-Seele 'mal ausversehen an den falschen Körper andockt?
Das wäre eine Frage im Kontext mit speziellen psychotischen Krankheiten. - Vorläufige Antwort: Kann wohl passieren.
Wenn das aber passieren kann, dann ist diese Verbindung zwischen Geist und Zelle oder Zellklumpen so fest also offenbar nicht!

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Und wenn man schnell wegläuft oder gar in einem schnellen Flugzeug fliegt (oder vielleicht irgendwann einmal mit annähernder Lichtgeschwindigkeit in einem Raumfahrzeug fliegt), könnte es dann geschehen, dass man seiner eigenen Geist/-Seele davonläuft oder -fliegt?
Nein.
Wenn das nicht geschehen kann, dann muss die Verbindung zwischen Geist und Zelle oder Zellklumpen also doch fest sein? ! ?
Ja, was denn nun? Ist diese Verbindung nun fest oder nicht? Und wenn sie es nicht ist, wie kann das sein? Und wenn sie es ist, wie kann das sein?

closs hat geschrieben:Weil Geist und Körper im Dasein untrennbar verbunden sind. - Wenn man jemanden tätowiert, verliert man ja auch nicht sein Tatoo, wenn man Pirouetten dreht.
Nein, natürlich nicht! Aber nach deiner eigenen Aussage kann es geschehen, dass der Geist dennoch an einen falschen Körper (ein falsches Gehirn) andockt. Wie kann das sein, wenn der Geist in der Zelle oder im Zellklumpen sitzt, wie das Tattoo in der Haut?
Bei einem Tattoo wird Farbe unter die Haut gespritzt. Sitzt also der Geist wie Farbe unter der Haut? Und Farbe unter der Haut kann objektiv festgestellt werden. Die Farbe ist ein Fremdkörper unter der Haut. Wie ist das mit dem Geist? Ist der auch ein Fremdkörper in der Zelle, den man da irgendwie sehen oder nachweisen kann? Und wenn nicht, wie steckt er denn dann in der Zelle?
Fragen über Fragen ... ;)
Zuletzt geändert von Thaddäus am Mo 1. Feb 2016, 22:30, insgesamt 1-mal geändert.

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#369 Re: War der Sündenfall von Gott geplant?

Beitrag von Münek » Mo 1. Feb 2016, 20:58

closs hat geschrieben: b) Mit der Auferstehung Jesu ist das Reich Gottes dauerhaft da - ohne dass deshalb Jesus auf einer Wolke angedampft kommt und mit seinen Armeen die pöhsen Amis und Russen ausmerzt. ...In anderen Worten:
Die Naherwartung ist im Fall b) mit der Auferstehung erfüllt - alles andere in Bezug auf Jesu Wiederkunft bezieht sich auf eine zeit-ferne Apokalypse.

Jesus hat seinen Zeitgenossen ganz gewiss nicht seinen nahen Tod und seine Auferstehung als "Reich Gottes" verkündigt.

Dasselbe gilt für die identische Predigt des Johannes dem Täufer.
Zuletzt geändert von Münek am Mo 1. Feb 2016, 21:05, insgesamt 1-mal geändert.

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#370 Re: War der Sündenfall von Gott geplant?

Beitrag von Thaddäus » Mo 1. Feb 2016, 21:01

Savonlinna hat geschrieben:
closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:"Alles Andere", wie du schreibst, ist doch aber dann der interpretatorische Versuch aus: "das Gottesreich ist nahe" ein "das Gottesreich ist nicht nahe zu machen ...
Nee - gar nicht. - Hier geht es darum, ob man interpretiert:
a) In den nächsten 20 - 30 Jahren kommt Gott/Jesus mit seinem Reich auf Erden und löst die säkularen Strukturen zugunsten seines Reichs auf.
b) Mit der Auferstehung Jesu ist das Reich Gottes dauerhaft da - ohne dass deshalb Jesus auf einer Wolke angedampft kommt und mit seinen Armeen die pöhsen Amis und Russen ausmerzt.

In anderen Worten:
Die Naherwartung ist im Fall b) mit der Auferstehung erfüllt - alles andere in Bezug auf Jesu Wiederkunft bezieht sich auf eine zeit-ferne Apokalypse.

Es geht also NICHT um "nah oder nicht nah", sondern um "auf welche Weise nah".
Hier sehe ich es wie closs.

Sowohl Theologen als auch die Bibelstellen sagen aus, dass das, was als "das Reich Gottes" verstanden wird, unterschiedlich interpretierbar ist und auch unterschiedlich interpretiert wird und wurde.
Ich habe sogar die Deutung gelesen - ich glaube, bei Conzelmann -, dass allein die Anwesenheit Jesu bereits die Nähe des Gottesreiches bedeute und von Jesus - dem Jesus einer der Evangelisten - so auch gemeint war.
Bei aller Liebe zu euch: wenn Jesus wie Johannes der Täufer lehrt und ausspricht, das Gottesreich sei nahe, dann meinten sie damit, dass die Welt real bald untergeht und das Reich Gottes anbricht. Dass dies genau so urprünglich gelehrt wurde, beweist doch Pauli Ansprache in seinen Briefen an die, die ihn fragen, ob sie sich etwa noch verheiraten sollten, dass sie es eigentlich lieber bleiben lassen sollen, denn es sei nicht mehr lange Zeit bis zum Ende der Welt. Auch Paulus hat Jesu Lehre vom bevorstehenden Gottesreich also zeitlich genau so kurzfristig gesehen, wie Jesus das tat.
Das ist nun fortgesetzt nicht eingetroffen.
Also hat man - und das ist die historisch-kritische Analyse - angefangen, das nahende Reich Gottes anders - nämlich symbolisch - zu interpretieren: nämlich nicht mehr als unmittelbar bevorstehende Apokalypse der ganzen Welt, sondern als das Gottesreich, welches in jedem Christen bereits anwesend ist. Das ist ehrlich gesagt, auch eine ziemlich gute Idee, das nahende Gottesreich Jesu genau so symbolisch umzudeuten: eben nicht mehr als reales apokalyptisches Ende der Welt, sondern als unmittelbar in jedem Christen anwesendes Reich Gottes. Ich werfe es den Christen dieser Zeit gar nicht vor, diese Umdeutung vorgenommen zu haben: aber es bleibt eine Umdeutung dessen, woran Jesus (und auch noch Paulus) offenbar fest geglaubt haben, wenn man ihre Worte ernst nimmt.

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