Diese deine Frage, ist keine sinnvolle Frage, denn ein solches "Urbild", womit offenbar die Summe aller religiösen Ansichten des historischen Jesus gemeint ist, an dem sich Interpretationen zu messen hätten, existiert nicht und kann deshalb auch nicht relevant sein.closs hat geschrieben:Korrekt. - Das ändert nichts an meiner Aussage. - Sowohl für eine Rezeption als auch für die Rezeption einer Rezeption stellt sich die entscheidende Frage, ob sie (geistig) authentisch ist in Bezug auf das Urbild. - Solche Fragen kann die HKM gar nicht stellen und somit gar nicht in medias res des Christentums eindringen.Münek hat geschrieben:Die kirchlichen Dogmen sind nicht Rezeptionen eines "Urbildes", sondern Rezeptionen von Rezeptionen.
Dies ist übrigens die wichtigste Einsicht der literaturwissenschaftlichen Rezeptionsästhetik.
Jesus hat nichts Schriftliches hinterlassen, aus dem man ableiten könnte, welche religiösen Auffassungen er selbst vertrat. Und selbst, wenn er etwas hinterlassen hätte, wären das lediglich seine religiösen Überzeugungen zu einem bestimmten Zeitpunkt seines Wirkens, ließe also die Möglichkeit unberücksichtigt, dass sich Überzeugungen im Laufe seines Lebens geändert haben können (die er nicht mehr schriftlich fixiert hat oder fixieren konnte). Deswegen unterscheidet man bei Autoren in der Regel unterschiedliche Schaffensperioden und betrachtet das Gesamtwerk in seiner Entwicklung.
Zudem müsste auch ein authentisches Jesus-Evangelium interpretiert werden, und wie bei jedem Text wären unterschiedliche Interpretationen möglich, so dass auch ein authentisches Ev. von Jesus selbst, kein zweifelsfreies "Urbild" seiner religiösen Ansichten wäre.
Hinzu kommt, dass die religiösen Überzeugungen des Juden Jesu selbst eine Rezeption seines jüdischen Glaubens und des AT wären, denn jeder Autor baut auf früheren Texten und deren Inhalten auf. Kein Autor schreibt außerhalb der Geistesgeschichte. Kein Autor kann ausßerhalb der Ideen- und Geistesgeschichte seiner Zeit schreiben. Diese hat immer Einfluss darauf, was der Autor überhaupt denken kann und was nicht. So muss man alle erkenntnistheoretischen Argumentationen Kants bezüglich der Anschauungsformen Raum und Zeit stets vor dem Hintergrund Interpretieren, dass zu dieser Zeit die Relativitätstheorie Einseins mit ihrer Neudefintion der Begriffe Raum und Zeit unbekannt war. Usw.
Und als Letztes kommt auch noch hinzu, dass die Interpretation eines Autors über die Intention des Autors hinausgehen muss, die Intention eines Autoren also zwar wichtig ist, sie aber sein Werk nicht vollständig erschließt, denn in die Werke von Autoren fließen auch Intentionen ein, die diesem gar nicht bewusst sein müssen. So erklärt sich das Werk Kafkas nicht zuletzt aus dem gestörten Verhältnis zu seinem Vater.
Selbst also, wenn man in den Kopf Jesu nachträglich hineinschauen könnte, ergäbe sich kein "Urbild" seiner religiösen Überzeugungen.
Die HKM ist die einzige mögliche Methode, sich annäherungsweise dem zu nähern, was Jesus aus Nazareth mit Wahrscheinlichkeit gelehrt hat. Und jeder, der sich dieser Methode nicht bedient, hat von vornherein keinerlei Möglichkeit, auch nur annäherungsweise Wissen zu können, was er gelehrt hat. Die Naherwartung Jesu gehört in diesem Sinne zu den sichersten Ergebnissen der HKM-Forschung.
Deine Ansicht, closs, irgendwer können exklusiven Zugang zu irgendeinem "Urbild" der religiösen Überzeugungen Jesu haben, ist grundsätzlich und komplett auszuschließen.