Sein und Wahrnehmung II

Säkularismus
Geistliches und Weltliches verbinden
closs
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#31 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Fr 20. Nov 2015, 16:01

Thaddäus hat geschrieben:Es gibt noch einige schwerwiegende Gründe gegen den Substanzdualismus
Dann wäre dieses Modell halt das falsche. - Die Frage, die darüber steht, bliebe:

Wie ist die christliche Auffassung der das Dasein überdauernden Existenz des Menschen widerspruchsfrei darstellbar?

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Thaddäus
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#32 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Thaddäus » Fr 20. Nov 2015, 17:20

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben: Die Dialektik ist nicht dazu da, einen logischen Widerspruch zu rechtfertigen oder etwas Unplausibles irgendwie plausibel zu machen.
Hier noch mal meine verschollene längere Antwort in Kürze:

Widersprüche können in höhere Dimension aufgelöst werden - das ist ja gerade der Gag der Dialektik. - Aber auch richtig ist: Diese Widersprüche müssen aufhebungs-fähig sein - nicht alles, was Widerspruch ist, kann man so "entsorgen".
Hegel ist kein Esoteriker! Bei dem löst sich nichts in höhere Dimensionen auf.

Seine dialektische Denkweise wird bei Wiki recht gut auf den Punkt gebracht:
1. Das endliche, verständige Moment: Der Verstand setzt etwas als seiend.
2. Das unendlich negative, dialektische Moment: Die Vernunft erkennt die Einseitigkeit dieser Bestimmung und verneint sie. Es entsteht so ein Widerspruch. Die begrifflichen Gegensätze negieren einander, d. h. sie heben sich gegenseitig auf.
3. Das unendlich positive, spekulative Moment: Die Vernunft erkennt in sich selbst die Einheit der widersprüchlichen Bestimmungen und führt alle vorherigen Momente zu einem positiven Resultat zusammen, die in ihr aufgehoben werden.

In der Spekulation schlagen die negierten Gegensätze in ein positives Resultat um. Der Kern seiner Methode ist die Negation. Sie macht die dialektische Darstellung als „voraussetzungsloser, selbstbewegter und selbstbestimmter Entwicklung der Sache selbst, nach dem omnis determinatio est negatio“. Die Negation der Negation oder doppelte Negation ist wieder etwas Positives. Hegel nennt sie Affirmation

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Um aufzuzeigen, warum das nicht funktioniert, müssen wir uns darüber unterhalten, welche Argumente ganz konkret gegen einen Substanzdualismus sprechen.
Das klingt schon wieder inner-methodisch. - Ich würde vorzuziehen, freier vorzugehen:
Inner-methodisch? Das klingt einfach danach, dass es einige gute Gründe gegen den Substanzdualismus gibt, die man kennen sollte, wenn man Substanzdualist ist. ;)

closs hat geschrieben: Ist es denkbar, dass der Mensch eine geistige Existenz ist, die im Dasein materie-gebunden ist?
Offensichtlich ist der Mensch "eine geistige Existenz, die im Dasein materie-gebunden ist", aber nicht so, wie du dir das denkst. Dir ist nicht klar, dass man kein Substanzdualist sein muss, um diese Aussage unterschreiben zu können.


closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Es ist kein methodisches Gedöns, wenn man jemand, der eine bestimmte Behauptung aufstellt, dazu auffordert, diese Behauptung argumentativ zu stützen und eine Funktionalität exakt zu erklären. Es ist sogar die Verpflichtung dessen, der die Behauptung aufstellt, diese überzeugend zu begründen und zu erklären. Ansonsten ist seine Behauptung nichts wert.
Das meine ich mit inner-methodischen Unfreiheit.
Es gibt keine methodische Unfreiheit und mit Methodik hat das gar nichts zu tun.
Aber eine Behauptung oder These aufzustellen, verpflichtet dazu, diese auch argumentativ zu belegen. Das trennt ernstzunehmende Behauptungen von bloßem Unsinn!
Ansonsten kann ich auch behaupten, die Geister aller Menschen wohnen in einem Ashram auf einem kleinen Planten in der Nähe von Proxima Centauri solange sie noch keinen Menschenkörper haben, und wenn sie einen gefunden haben, ziehen sie von dort auf die Erde in den Menschenkörper um und wohnen fürderhin in der Zirbeldrüse. Wenn man sich auf den Standpunkt stellt, man müsse diese These nicht weiter begründen (z.B., weil man erleuchtet worden ist), dann gibt es solchem Unsinn eben nichts hinzuzufügen.

closs hat geschrieben: Wenn ein Mensch (ich greife Dein Beispiel auf) darüber berichtet, was er bei einem sogenannten "Nahtoderlebenis" erlebt hat, dann tut er es nicht, um etwas zu behaupten, sondern um zu informieren. - Wenn dann jemand meint, diese Information sei aufgrund nicht satisfaktionsfähiger Begründung nichts wert, dann zuckt man halt mit der Schulter.
Wenn jemand ein Nahtoderlebnis hat und aus diesem schließt, er sei eine immaterielle Seele, die ohne Augen und Ohren zu haben sehen und hören kann, ohne das weiter erklären zu können, dann ist dieser Schluss unzulässig. Dann muss man nach einer anderen und am besten natürlichen Erklärung dafür suchen, dass er etwas gesehen und gehört hat, z.B. etwa, weil er gar nicht hirntot war etc.

closs hat geschrieben: Ein Erlebender wird auch nicht behaupten, dass seine Hirnfunktionen komplett erloschen gewesen seien -
Genau.

closs hat geschrieben: Allerdings muss man genau hinschauen, wie Spiritualität definiert wird, wenn Naturalisten von Spiritualität sprechen - da kann es schnell vorkommen, dass man Spiritulität als inner-naturalistisches Phänomen versteht. - Und schon würden wir von Unterschiedlichem mit gleicher Bezeichnung sprechen.
Ich halte den nicht-reduktionistischen Naturalismus für das zur Zeit beste Erklärungsmodell, und wenn ich von Spiritualität spreche, dann ist das menschliche Bedürfnis danach für mich ein psychologisches Faktum und spirituell zu sein, bedeutet für mich zu wissen, dass ich in einem Zusammenhang mit allen Lebewesen auf diesem Planten stehe, mit dieser Welt/der Natur und mit dem ganzen Kosmos. Ein Zusammenhang, der über meine eigene Existenz hinausweist und sie in einen viel größeren Rahmen stellt.

Letztlich bin ich eine Tochter der ersten Homo sapiens-Frau aus Afrika und mein Körper besteht aus Elementen, die vor Milliarden Jahren in einer Sonne oder vielen Sonnen ausgebrütet wurden. Viele meiner Verhaltensweisen als Frau basieren auf Verhaltensweisen, die sich bei den Frauen in den Jäger- und Sammlergruppen seit mindestens 200 000 Jahren herausgebildet und unter den damaligen Umständen bewährt haben. Und mit meinen Gedanken, - die ich mir in meinem kleinen Hirn über mich, die anderen, die Welt und den Kosmos mache, und welches gleichzeitig das komplizierteste Gebilde ist, welches wir im Universum kennen -, umfasse ich dieses ganze unbegrenzte gewaltige Universum und versuche es zu verstehen. Da ich der Staub aus Sternen bin denkt unter anderem in meinem kleinen Gehirn das gewaltige Universum in gewisser Weise über sich selbst nach und versucht sich zu ergründen.

Wenn ich tot sein werde, wird mein Körper wieder in seine Elemente zerfallen und in diese Erde eingehen, - und wenn diese Erde in etwa 6 Milliarden Jahren verglüht und erlischt, dann werden die Atome meines Körpers wieder in den Raum verteilt werden und zurück zu den Sternen gehen, von denen sie einstmals ausgebrütet wurden. Und obwohl mein Gehirn und mein Körper - also Ich - dann sein werde wie eine Träne im Regen, so waren diese dann zerstobenen Atome, Moleküle und Elemente im Raum doch einmal in der Geschichte dieses Universums auf so komplexe und so wunderbare Weise angeordnet, dass sie MICH - vor Äonen - doch einmal ergeben haben, mich in meiner ganzen aktuellen Existenz, die ich jetzt hiersitze und schreibe und das ganze Universum in meinem Geist habe und das Universum ist dieser Geist, den es sich selbst in und mit mir erschaffen hat. Und wenn ich also längst im Raum des gewaltigen Universums in Millionen Atome zerstoben sein werde, so waren alle diese Atome doch einmal zweifelsfrei Ich als mein Körper mit Gehirn und Geist, in dem sich der Kosmos einmal selbst betrachtet hat.

Ist dir das genug Spiritualität?
Zuletzt geändert von Thaddäus am Fr 20. Nov 2015, 20:53, insgesamt 6-mal geändert.

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Savonlinna
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#33 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » Fr 20. Nov 2015, 17:43

Pluto hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Wenn es mehr ist, worin besteht dieses "Mehr"?
Und vor allem, wie will man es begründen?
Wenn ein Kind auf eine vielbefahrene Straße läuit:
Was machst Du: springst dem Kind nach, unter Einsatz Deiner eigenen körperlichen Unversehrtheit -
oder bespringst eine Frau unter den Gaffern, um Deine Gene weiterzugeben bzw. Dein Wohlbefinden zu stärken?
Alles zu seiner Zeit, nicht wahr? :lol:

Im Ernst.
Altruismus (manche nennen es Nächstenliebe) ist ein tief im Menschen evolutionär eingeprägtes Verhalten, was uns dazu treibt, anderen Menschen in Not zu helfen.

Dein Thema, auf das ich mit oben von Dir Zitiertem reagiert habe, war ja ein ganz anderes, nämlich folgendes ->

Pluto hat geschrieben: Besteht der Sinn des Leben aus mehr als die Weitergabe unserer Gene? Oder ist es das was Biologen Homöostase nennen (Erhalt und Steigerung des eigenen Wohlbefindens)?

Wenn es mehr ist, worin besteht dieses "Mehr"?
Und vor allem, wie will man es begründen?

Wir scheinen uns also darin einig zu sein, dass der Sinn des Lebens für viele Menschen kenesfalls die Weitergabe der Gene ist.
Allerdings scheinst Du zu meinen, dass die Evolution den Zweck des Lebens vorgibt. Einmal mehr lugt die Teleologie Dir über die Schulter. Die Evolution habe ein Ziel vor Augen, das sie konsequent verfolgt.

Insofern braucht man nur das Wort "Evolution" gegen das Wort "Gott" auszutauschen, und man hat das gleiche Denken.
Ob Gott oder die Evolution den Sinn des Lebens vermittelt, spielt vom Denken her keine Rolle.
Einmal Christ, immer Christ, würde ich da fast sagen. ;) Man vertauscht nur die Vorzeichen.

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#34 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Pluto » Fr 20. Nov 2015, 17:57

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Und ich dachte, das hätten wir mit dem was wir über den Tesserakt wissen, längst widerlegt.
Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun.
Wie du weißt, ist das das genau gleiche Thema, nur um eine Dimension verschoben. Der vierdimensionale Tesserakt wirft einen Schatten in drei Dimensionen, mit dem wir allemal etwas anfangen können. Ergo==> Platons Höhlengleichnis ist falsifiziert. Interesseant ist er nur noch aus geschichtlichen Gesichtspunkten.

closs hat geschrieben:WENN man eine Verbindung dieser zwei Motive herstellen will, dann zugunsten meiner Version - denn: Über den Tesserakt wissen wir, das Höher-Dimensionales in Nieder-Dimensionalem indirekt wahrnehmbar ist. - Genau das machen Christen, wenn sie "Gott" spüren.
Was nützt es, wenn Jeder etwas anderes spürt?

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Da die These falsifiziert ist, gehört sie in die Tonne.
Das ist eine dialektische Grundaussage, die rein logischer Natur ist. - Da ist gar nichts falsifiziert.
Doch, doch... ;)
Wikipedia schreibt dazu:
  • Falsifikation, auch Falsifizierung (von lat. falisificare „als falsch erkennen“) oder Widerlegung, ist der Nachweis der Ungültigkeit einer Aussage, Methode, These, Hypothese oder Theorie. Aussagen oder experimentelle Ergebnisse, die Ungültigkeit nachweisen können, heißen „Falsifikatoren“
Da gibt es nichts mehr zu diskutieren.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Was soll sich denn außerhalb befinden?
Das muss man nicht wissen - Christen würden "Gott" sagen.
Du weißt es nicht? :shock:

closs hat geschrieben:Aber das ist in diesem Zusammenhang nicht relevant.
Klar ist es relevant.
Und obschon du es nicht weißt, geschweige denn nicht beschreiben kann, bleibst du beharrlich bei deiner Behauptung?

closs hat geschrieben:Es geht hier ausschließlich darum, dass Wahrnehmungs-Systeme per Selbst-Definition begrenzt sind - ergo kann es etwas außerhalb geben.
Das ist eine Fiktion. Es gibt keine Grenzen der Wahrnemung, es sei denn durch das Alter des Universum und der Licht- bzw. Informations- Übertragungsgeschwindigkeit.

closs hat geschrieben:Man nimmt etwas wahr, was seinen Ursprung nicht im Materiellen hat.
Wer ist "man", und was nimmt dieser "man" denn wahr?

closs hat geschrieben:Unterm Strich: Wir können grundlegende Aussagen über das, was Geist ist, nicht davon abhängig machen, wie dies naturwissenschaftlich darstellbar ist. - Man muss es für möglich halten, dass es Lösungen für solche Fragen gibt, die die Naturwissenschaft nicht im Köcher hat.
Ich muss deine Illusion zerstören. Man muss gar nichts für möglich halten, was man nicht beschreiben kann.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben: Es liegt an dir als Behaupter, zu erklären woraus eine solche Schnittstelle besteht, und wie sie funktioniert.
Jetzt meinst Du wieder, dass man Erkenntnis durch die Systematik der eigenen Methodik steuern könnte...
Nein du verstehst meine Aufforderung falsch. Die Methode (Systematik) kannst du dir aussuchen.

closs hat geschrieben:Man muss auch mal mit Black Boxes arbeiten können, wenn eine Frage nicht oder noch nicht beantwortet ist. - Sonst hat man eine Schere im Kopf.
Man arbeitet oft mit solchen "Black Boxes", aber irgendwann kehrt man zurück und entschlüsselt sie, wenn sie sich als wichtig herausstellen.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Dann erkläre DU uns doch wie es geht.
Warum sollte ich das können?
Ganz einfach, weil DU es bist der etwas behauptet.

closs hat geschrieben:"Nahtod-ERlebnis" heisst, dass ein Mensch in der Nähe des Todes etwas erleben kann, das geistig etwas zu bedeuten hat. - WIE es transportiert wird, ist zwar interessant, aber auch irrelevant.
Nein. Das "Wie" ist die zentrale Frage.

Übrigens: nomen est omen...
Nahtod-Erlebnis bedeutet genau das was es heißt. Es handelt sich dabei ausschließlich um Berichte aus dem Leben, und NICHT von einer Erfahrung aus dem Jenseits.

closs hat geschrieben:Jegliche Wahrnehmung läuft über das Gehirn - natürlich. Auch jeder geistige Gedanke geht nicht ohne Gehirn, solange der Mensch lebt. - Das ist nicht die Frage.
Das ist ja schön aus deinem Mund (Feder) zu hören!
Vor kurzem hast du noch von spirituellen Nahtod-Erlebnissen gesprochen, bei denen der Geist auch ohne Körper wahrnimmt.
Hmm.... da komme ich nicht mehr mit.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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NIS
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#35 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von NIS » Fr 20. Nov 2015, 18:04

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#36 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von SilverBullet » Fr 20. Nov 2015, 20:18

Thaddäus hat geschrieben:Klar ist aber auch, dass du - unter anderem - dein Gehirn bist (und dein gesamter Körper drumherum).
Als Bedeutungszusammenhang steht das „Ich“ für die Situation des Gesamtlebewesens, in Bezug zu seiner Umgebung, insbesondere zur Gruppe aus Artgenossen.

Im Detail setze ich das Bewusstsein natürlich nicht mit dem Gehirn gleich.

Aus meiner Sicht findet das Bewusstsein innerhalb von Bedeutungszusammenhängen statt, die das Gehirn kontinuierlich berechnet. Ich sehe das Bewusstsein somit als virtuell an – es existiert nicht vergleichbar zu materiellen Objekten.

Der „Trick“ besteht darin, dass im Bewusstsein, mit materiellen Zusammenhängen, über das gleiche „Existenz“-Verständnis umgegangen wird, wie bei reinen „Bewusstseinsinhalten“ („Gedanken“, „Emotionen“, „Schmerzen“, „Liebe“, „Ich“ usw.) und natürlich wie bei dem Bewusstsein insgesamt.

Vor diesem Hintergrund ist es schwer für das Gehirn, ein Verständnis aufzubauen, bei dem das Bewusstsein korrekt in die materiellen Weltzusammenhänge „einsortiert“ wird.
(Am Ende steht das Wahrnehmungssystem vor dem aktiven Gehirn und erkennt nicht, dass es genau dort stattfindet - so sieht zumindest meine Vermutung aus).

Thaddäus hat geschrieben:Insofern ist die These absurd, das wahrnehmende Subjekt gehöre nicht zum Wahrnehmungsprozess (und wenn du nicht verstehen solltest, was wahrnehmendes Subjekt bedeuten soll, so kann ich es dir gerne sprachlich exakt erklären).
Ich sehe „Subjekt“ lediglich als einen Bedeutungszusammenhang an: „die wahrnehmende Perspektive“.

Natürlich bitte ich um eine möglichst exakte Erklärung.

Thaddäus hat geschrieben:Bei deinen Optionen 1-3 geht mir viel zu viel durcheinander, was tunlichst auseinandergehalten werden muss. Man mag zwar von einem Wahrnehmungssystem "Mensch" widerspruchsfrei sprechen können, aber da Wahrnehmung ein komplexer Vorgang ist, an dem ganz unterschiedliche Organe des Menschen beteiligt sind, ist diese Redeweise eine unzulässige Simplifizierung des Wahrnehmungsprozesses.
Nicht vergessen, wir reden hier über das „Im-Mitelpunkt-Stehen“ in Bezug auf den Begriff „Existenz“.
Mit den drei Optionen habe ich die möglichen Grundhaltungen aufgezeigt.

Thaddäus hat geschrieben:So sind Wahrnehmungen zunächst sensorische Empfindungen. Hierzu gehört auch die unmittelbare innere Wahrnehmung z.B. bestimmter Körperfunktionen von Muskelkater bis Flatulenzen, von Schmerzen bis zum Verliebt- oder Traurigsein.
„sensorische Empfindungen“ ist eine hübsche Wortkombination, aber mehr auch nicht.

Die Sinneszellen „erzeugen“ elektrische Impulse. Das sind sozusagen Werte, die keinerlei Bedeutung enthalten können. Von einer „Empfindung“ ist da weit und breit nichts zu“ sehen“.

Ich vermute, es verhält sich so:

Der Begriff „Empfindung“ weist auf einen Bedeutungszusammenhang hin, der erst durch die Verarbeitung der Daten im Gehirn entstehen kann und zwar erst dann, wenn das Bewusstsein berechnet wird. Das Gehirn kann die Daten je nach Situation auch anders (unbewusst) verarbeiten – z.B. bei grosser Gefahr, wird kein Wert auf „viel Empfinden“ gelegt, da werden andere Inhalte bevorzugt.

Das Gehirn ist ein „Experte“ im Umgang mit Bedeutungszusammenhängen.
Jede Datenverarbeitung ist ein Umgang mit Bedeutungszusammenhängen, aber das Gehirn stellt eine Art „Perfektion“ dar, weil es einen Weg gefunden hat, in sich geschlossene Verstehzusammenhänge „stattfinden“ zu lassen -> Bewusstsein.

Dies ist aber „nur“ meine Vermutung.

Thaddäus hat geschrieben:Zu Option 2: Die Wahrnehmung entscheidet gar nichts. Was sollte das auch bedeuten? Die Wahrnehmung entscheidet irgend etwas? Entscheiden bedeutet immer ein Urteilen über einen Sachverhalt. Wer urteilt denn, wenn die Wahrnehmung entscheidet?
Die Wahrnehmung entscheidet über sämtliche Bewusstseinssituationen und über sämtliche Körperreaktionen. Selbst Reflexe gehören der Wahrnehmungssteuerung an.

Dass die Entscheidungen manchmal komisch sein können, wird zum Beispiel bei Sinnestäuschungen aufgedeckt. Das Gehirn entscheidet dabei über das Herstellen von Verstehen (manchmal geht es sogar um nicht vorhandene Inhalte).

Ein berühmtes Beispiel für Gehirnentscheidungen sind Kippbilder.
Hierbei ändert das Gehirn alle 3 Sekunden das Verständnis des Gesehenen ins jeweilige Gegenteil.

Es ist das Gehirn, das entscheidet.

Der Begriff „Urteil“ ist mir zu sehr auf das Bewusstsein ausgelegt. Im Gehirn laufen Auswertungen ab, d.h. jedes Neuron ist durch seinen bedingten Schaltvorgang an den Entscheidungen beteiligt.

Thaddäus hat geschrieben:Die Wahrnehmung ist keine urteilende Instanz. Vielmehr muss offenbar über Empfindungen aus Wahrnehmungen geurteilt werden. Z.B., dass der Himmel heute besonders blau ist oder meine Magenschmerzen heftig sind oder dass ein Gestreicheltwerden schön ist.
Wie ich gesagt habe, gehört zur Wahrnehmung, alles, was das Gehirn durchführt.

Bei all deinen Beispielen ist das Gehirn aktiv => das Gehirn ist die auswertende Instanz.

Das Gehirn kann nichts anderes, als Daten auszuwerten.

Thaddäus hat geschrieben:Die Wahrnehmung hat auch kein Bauchgefühl. Was soll das bitte bedeuten? Menschen haben ein Bauchgefühl, - zumindest sagen das viele.
Doch.

Es gibt z.B. Formen von Blindheit, bei denen die Augen und wichtige Verarbeitungsteile des Gehirns intakt sind, jedoch kommt es nicht zu einem Sehverständnis -> visuelles Bewusstsein.
Wenn diese Menschen raten sollen, wo sich Gegenstände befinden, dann haben sie eine, über dem Zufall liegende Trefferwahrscheinlichkeit.

Genau in solchen Zusammenhängen vermute ich das „Bauchgefühl“.
Durch Gehirnabläufe, die nicht ins Bewusstsein als „Etwas“ eingerechnet werden, kommt es zu einer Beeinflussung, einer Art „Ausrichtung“/“Gespür“.

Das ist oftmals gut, oftmals aber auch schlecht. Es braucht viel Training und Erfahrung.

Thaddäus hat geschrieben:Der Mensch und seine Wahrnehmung sind aber nicht identisch miteinander, weil der Mensch eben viel mehr ist, als bloßes Wahrnehmen (das es nicht gibt, weil die Empfindung und das Urteil über diese Empfindung das Wichtige ist und nicht das sensorische Datum).
Der Mensch ist (aus meiner Sicht) ein materielles Objekt.
Das Nervensystem, mit dem Gehirn als „Zentrum“, führt die Wahrnehmung durch.

„der Mensch ist viel mehr“ ist eine nutzlose Formulierung, wenn du nicht lieferst, was dieses „Mehr“ sein soll.

Thaddäus hat geschrieben:Wahrnehmung kann es nicht geben ohne das gleichzeitige Erzeugen von Überzeugungen und Urteilen auf der Grundlage von Empfindungen.
Doch, jede Datenverarbeitungsanlage ist eine Form von Wahrnehmung.

Natürlich berechnen die heutigen Datenverarbeitungen keine Verstehzusammenhänge, also keine „phänomenalen Bewusstseinssituationen“ (so sieht es zumindest bzgl. meiner Vermutung aus).
Das ändert aber nichts daran, dass der Oberbegriff Wahrnehmung durch jede Datenverarbeitung erfüllt ist.

Wir kennen aktuell keine andere Form der Wahrnehmung, als Datenverarbeitung.

Thaddäus hat geschrieben:Zu Option 3: Desgleichen entwickelt natürlich nicht die Wahrnehmung Kriterien. Die Wahrnehmung ist lediglich ein sensorischer Akt.
Doch, das gesamte Nervensystem gehört zur Wahrnehmung, also auch alles, wobei das Gehirn aktiv ist.

Mir fällt auf, dass du ausnahmslos Behauptungen aufstellst, bei welchen Umständen Wahrnehmung nicht beteiligt bzw. nicht ausreichend sein soll.

Warum zeigst du nicht detailliert auf, was, wo beteiligt ist?

Thaddäus hat geschrieben:Neue "Ideen" (was immer das genau heißen mag) werden sicherlich durch äußere und innere Wahrnehmung angestoßen. Aber nicht nur!
Wenn das nämlich so simpel stimmen würde, dann könnte das "Wahrnehmungssystem Mensch" beim Spracherwerb ausschließlich Wörter verwenden und Sätze bilden, die es vorher auch gehört hat. Es könnte aber keine neuen Sätze konstruieren, die es vordem noch nie gehört hat. Genau das ist aber der Fall.
Die Plastizität des kindlichen Gehirns ist um Grössenordnungen besser, als die eines Erwachsenen.
Das neuronale Netz teilt Datensituationen beim Lernen in Einzelbedeutungen auf und schaltet diese je nach Aktivierungsumfang zu „Bedeutungsgruppen“ zusammen.

Exakt aus dieser Aufteilung, der Zusammenverschaltung und einem „Belohnungsfeedback“ formen sich „Ideen“.

Beim Lernen einer Sprache richtet sich das heranwachsende Gehirn ohne Beteiligung des Bewusstseins auf die Regeln in der Sprache ein.
Experimente mit Heranwachsenden zeigen, dass sie zwar je nach Alter, korrekte Satzkonstruktionen verwenden, dass sie aber nicht sagen, können, warum sie es gerade so formuliert haben.
Das Gehirn gewöhnt sich sozusagen im Hintergrund an die Regeln (Mustererkennung in neuronalen Netzen) und „speisst“ diese Regeln nicht ins Bewusstsein ein.

Das Gehirn hat generell das Bestreben, so viel wie möglich aus den aufwendigen Bewusstseinszusammenhängen herauszuhalten.
(Die Automatisierungsbeispiele kennt jeder)

Thaddäus hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Genau dadurch steht das Wahrnehmungssystem nachvollziehbar nicht im Mittelpunkt, denn es kommt auf einen „einwirkenden Zusammenhang“ (also auf etwas Anderes) an.
Das halte ich aus genannten Gründen für falsch.
Ich kann keinen „Grund“ erkennen.

Das Wahrnehmungssystem stellt sich nicht in den Mittelpunkt, wenn es nach Kriterien arbeitet, die mit hoher Wahrscheinlichkeit ein „Einwirken“ durch „etwas Anderes“ sicher stellen. Hier ist das Wahrnehmungssystem mit hoher Wahrscheinlichkeit in Form einer Reaktion aktiv – Reaktion auf etwas Anderes.

Das Wahrnehmungssystem stellt sich in den Mittelpunkt, wenn es rein nach der eigenen Prägungs- und Wunschsituation vorgeht, ohne irgendeinen Kontakt vorweisen zu können. Hier ist das Wahrnehmungssystem mit hoher Wahrscheinlichkeit in Form einer Aktion aktiv – etwas Anderes ist nicht beteiligt.

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#37 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von closs » Fr 20. Nov 2015, 20:49

Thaddäus hat geschrieben:Hegel ist kein Esoteriker!
"Esoterik" ist eine Modebegriff des Materialismus, der damit alles bezeichnet, was die Welt nicht materialistisch sieht. - Insofern wäre Hegel schon "Esoteriker" - auch Max Planck. - Wo soll das hinführen?

Gerade habe ich ein Hegel-Zitat rausgegoogelt - leider ohne Angabe (ich vermute aus "Phänomenologie des Geister"):
"Die Erkenntnis Gottes ist im Denken des Menschen begründet. Denn mit unserer Vernunft überschreiten wir das Endliche und Begrenzte. Wir sind kraft unserer Vernunft über alle Einschränkungen der Welt hinaus auf den Unendlichen, auf Gott, bezogen.«

Und ein anderes, das ganz sicher aus der "Phänomenologie" ist:
“Das Wahre ist das Ganze. Das Ganze aber ist nur das durch seine Entwicklung sich vollendende Wesen. Es ist von dem Absoluten zu sagen, dass es wesentlich Resultat, dass es erst am Ende das ist, was es in Wahrheit ist; und hierin eben besteht seine Natur, Wirkliches, Subjekt oder Sichselbstwerden zu sein".

Thaddäus hat geschrieben:Seine dialektische Denkweise wird bei Wiki recht gut auf den Punkt gebracht
Das ist sehr technisch formuliert (habe es auf Anhieb gar nicht ganz verstanden). - Aber wo ist hier der Sinn der Dialektik? - Siehe oben: "Das Wahre ist das Ganze" ---???---

Thaddäus hat geschrieben:Dir ist nicht klar, dass man kein Substanzdualist sein muss, um diese Aussage unterschreiben zu können.
Das Erklärungs-Modell ist mir wurscht, solange der Kern nicht in Frage gestellt ist, dass das Bewusstsein des Menschen nicht von seiner materiellen Existenz abhängig sein muss.

Thaddäus hat geschrieben:Aber eine Behauptung oder These aufzustellen, verpflichtet dazu, diese auch argumentativ zu belegen.
Das Argumentative ist doch nicht das Problem - Dir geht es darum, geistige Behauptungen im naturwissenschaftlichen Sinn zu belegen - so gesehen ist die Aussage "Es gibt Gott" unsinnig. - Diese Art von materialistischem Stalinismus halte ich nicht für optimal, weil hier unter Vermeidung von Tiefe weggebürstet wird.

Thaddäus hat geschrieben:Wenn jemand ein Nahtoderlebnis hat und aus diesem schließt, er sei eine immaterielle Seele, die ohne Augen und Ohren zu haben sehen und hören kann, ohne das weiter erklären zu können, dann ist dieser Schluss unzulässig.
Zustimmung - das wäre EINE Möglichkeit.

Thaddäus hat geschrieben:Ist dir das genug Spiritualität?
Nein. - Deine Worte zeugen jedoch von einem tiefen Empfinden für Spiritualität, die leider an den Grenzen des Materialismus Halt machen müssen.

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#38 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von closs » Fr 20. Nov 2015, 21:45

Pluto hat geschrieben:Der vierdimensionale Tesserakt wirft einen Schatten in drei Dimensionen, mit dem wir allemal etwas anfangen können. Ergo==> Platons Höhlengleichnis ist falsifiziert.
Aber das, was er mit seinen Möglichkeiten sagen wollte, ist damit nicht falsifiziert. - Vergiss nicht: Platons Gleichnis ist ein GLEICHNIS (keine naturwissenschaftliche Behauptung).

Noch mehr: Du lässt geflissentlich aus, dass das Tesserakt ein wunderbares Modell ist, warum geistige Menschen Gott ahnungsweise erkennen können. - Weil Gott "seinen Schatten in drei Dimensionen" wirft (man nennt das "Offenbarung").

Pluto hat geschrieben:Was nützt es, wenn Jeder etwas anderes spürt?
Zunächst ist es unterm Strich ja gar nicht so. - Christen erkennen sich in einem Cafè genauso gegenseitig wie in einer Kirche, wo jeder davon ausgeht, dass der andere Christ ist. - Man zieht erkennbar an einem Strang.

Jetzt kommt Dein zutreffender Einwand - jeder Mensch spürt tatsächlich etwas anderes, weil jeder Mensch anders ist. - Das ist die Couleur der Individualität. - Hinzu kommt: Man kann tatsächlich auch in seinem Spüren fehlgeleitet sein - oder viel häufiger: Es ist eine Mischung aus "richtigem" und "falschen" Spüren. - Auch hierfür gibt es Gründe.

Richtig ist: Intersubjektiv darstellbar ist es nicht, so wie Du es aus der Wissenschaft kennst.

"Nützen" tut es selbstverständlichn den Betroffenen und denen davon profitieren - aber man kann es nicht reduplizieren, weil es bei jedem anders ist. - Alles ist ein Gleichnis, auch der Mensch. - Da gibt es nur Unikate.

Pluto hat geschrieben:Da gibt es nichts mehr zu diskutieren.
Mein Beispiel hat mit dem Tesserakt nichts zu tun. - Es zeigt, wie Unterschiedliches in niederer Dimension Dasselbe in höherer Dimension sein kann.

Pluto hat geschrieben:Du weißt es nicht?
"Wissen" gibt es nur auf Basis von Setzungen. - Insofern "weiss" ich absolut gesehen NICHT, ob es Gott gibt.

Hier geht es nach meiner Erinnerung um etwas anderes: Dass die Begrenztheit eines Systems logisch damit gleichbedeutend ist, dass es nicht alles umfasst.

Pluto hat geschrieben:Es gibt keine Grenzen der Wahrnemung, es sei denn durch das Alter des Universum und der Licht- bzw. Informations- Übertragungsgeschwindigkeit.
Das ist eine weltanschauliche Aussage, die als solche richtig sein KANN, aber eine Glaubens-Aussage ist.

Pluto hat geschrieben:Wer ist "man", und was nimmt dieser "man" denn wahr?
Deine Steilvorlage "Tesserakt" gibt Dir die Blaupause für die Antwort auf diese Frage.

Pluto hat geschrieben:Man muss gar nichts für möglich halten, was man nicht beschreiben kann.
Unter philosophischen (nicht methodischen) Gesichtspunkten müsste man es.

Pluto hat geschrieben:Nein. Das "Wie" ist die zentrale Frage.
Widerspruch. - "Was" geschieht steht über dem "wie" es geht.

Pluto hat geschrieben: Es handelt sich dabei ausschließlich um Berichte aus dem Leben, und NICHT von einer Erfahrung aus dem Jenseits.
Beides kann sein - wir wissen es nicht.

Pluto hat geschrieben:Vor kurzem hast du noch von spirituellen Nahtod-Erlebnissen gesprochen, bei denen der Geist auch ohne Körper wahrnimmt.
Kann auch sein - wir wissen es doch nicht.

"Nahtod" kann heißen, dass die Wahrnehmungen des Ich aus dem unter sich gesehenen Körpers kommen, über dem man schwebt (also via Gehirn). - Es kann genauso sein, dass das Ich sich für einen Moment vom Körper getrennt hat, bevor er wieder reingeht. - Wer wollte das wissen?

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#39 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von Thaddäus » Fr 20. Nov 2015, 21:49

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben: Hegel ist kein Esoteriker!
"Esoterik" ist eine Modebegriff des Materialismus, der damit alles bezeichnet, was die Welt nicht materialistisch sieht. - Insofern wäre Hegel schon "Esoteriker" - auch Max Planck. - Wo soll das hinführen?
Theodor W. Adorno hat einmal treffend bemerkt: "Okkultimus ist die Metaphysik der dummen Kerle ... Der faule Zauber ist nicht anders als die faule Existenz, die er bestrahlt."
Hier darf man Esoterik durchaus mit Okkultismus gleichsetzen. Hegel würde sagen, dass die Esoterik nicht die "Anstrengungen des Begriffs" durchläuft, das heißt, die anstrengende begrifflich-philosophische Analyse, die aber nötig für die philosophische Durchdringung des Seins ist.
Die Esoterik tanzt lediglich durch den Garten des Seins mit Feen und Astralkörpern darin. Einem durchaus ernsthaften Bedürfnis entsprungen erkennt sie nicht die Naivität ihrer verklärt-blumigen und letztlich absurden Weltsicht.

closs hat geschrieben: Gerade habe ich ein Hegel-Zitat rausgegoogelt - leider ohne Angabe (ich vermute aus "Phänomenologie des Geister"):
"Die Erkenntnis Gottes ist im Denken des Menschen begründet. Denn mit unserer Vernunft überschreiten wir das Endliche und Begrenzte. Wir sind kraft unserer Vernunft über alle Einschränkungen der Welt hinaus auf den Unendlichen, auf Gott, bezogen.«
Dir ist aber schon klar, dass Hegel hier keinen christlichen Gott meint, sondern den sich selbst in der Weltgeschichte entäußernden und zu sich selbst kommenden Weltgeist.

closs hat geschrieben: Und ein anderes, das ganz sicher aus der "Phänomenologie" ist:
“Das Wahre ist das Ganze. Das Ganze aber ist nur das durch seine Entwicklung sich vollendende Wesen. Es ist von dem Absoluten zu sagen, dass es wesentlich Resultat, dass es erst am Ende das ist, was es in Wahrheit ist; und hierin eben besteht seine Natur, Wirkliches, Subjekt oder Sichselbstwerden zu sein".
Ganz genau. Gott, also der sich erkannt habende Weltgeist, steht am Ende der ganzen Entwicklung. Gott am Anfang der Geschichte weiß nichts von sich.
Hegel war der letzte große systemische Philosoph. Sein Werk ist zwar spekulativ aber gewaltig. Es ist ein geniales System, trotz aller Kritik, die man an ihm üben kann. Hegels "Wissenschaft der Logik" ist so ziemlich das komplizierteste philosophische Werk mit wirklichem Gehalt, das man sich antun kann. Selbst als entschiedener Kritiker muss man Hegel zugute halten, dass er eine gewaltige Philosophie des umfassenden Ganzen abgeliefert hat, in dem durchaus leichter Größenwahn durchschimmert.


closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben: Aber eine Behauptung oder These aufzustellen, verpflichtet dazu, diese auch argumentativ zu belegen.
Das Argumentative ist doch nicht das Problem - Dir geht es darum, geistige Behauptungen im naturwissenschaftlichen Sinn zu belegen - so gesehen ist die Aussage "Es gibt Gott" unsinnig. - Diese Art von materialistischem Stalinismus halte ich nicht für optimal, weil hier unter Vermeidung von Tiefe weggebürstet wird.
Du missverstehst grundlegend: in der Philosophie geht es nicht darum "im naturwissenschaftlichen Sinn zu belegen". In der Philosophie geht es darum, plausibel, nachvollziehbar und logisch-konsistent zu belegen.

Hätte ich es mir leicht machen wollen, dann hätte ich Physik studiert. Hätte ich es mir schwerer machen wollen, dann hätte ich nicht nur mathematische Logik, sondern gleich Mathematik studiert. Ich habe es mir aber am schwersten gemacht: ich habe Philosophie studiert.

Physik ist am Ende leicht: Es gibt ein paar Formeln, die man auswendig lernen muss und man sollte ein Verständnis für experimentelle Verfahren haben, also welchen Versuchsaufbau ich brauche, um zu messen, was ich messen will. Ansonsten muss ich lediglich Skalen ablesen können.

Die Mathematik ist da schon sehr viel schwieriger. Für die Mathematik benötigt man ein Denken, das mit abstraktesten Strukturen so vertraut sein muss, wie mit der Gewürztheke in der eigenen Küche. Die besten Physiker heute (das sind vor allem die Kosmologen) sind weniger Physiker als brillante Mathematiker. Während die Physiker noch eitel sind und sich für die Spitze der Elite halten, sind die richtig guten Mathematiker hierüber weit hinaus. Die kümmern sich nicht um solchen eitlen Kram und leben in ihrer eigenen Welt.

Die Philosophen gelten vielen anderen Wissenschaftlern als merkwürdige Schwätzer und in der Tat sind einige das auch.
Die ernst zu nehmende Philosophie ist aber noch komplexer als die Mathematik: nicht weil sie kompliziertere und tiefere Gedanken denkt, da sind die Mathematiker Weltmeister; sondern weil sie viel breiter aufgestellt ist als die Mathematik.
Ein guter Philosoph muss nicht nur ausgezeichneter Logiker sein und Gödels Unvollständigkeitsbeweis beherrschen, er muss auch über die Geschichte der Philosophie und alle ihre Denkmodelle bestens Bescheid wissen, und er muss seine Argumentationen genau so filigran und konsistent ausarbeiten können, wie die Mathematiker ihre Gleichungen entwickeln müssen. Darüber hinaus muss er aber alle seine Überlegungen auch wieder rekursiv und also selbstreflektierend stets auf sie selbst anwenden, indem er die Konsequenzen seiner Überlegungen und Argumente auf diese Überlegungen und Argumente selbst wieder beziehen können muss, ohne das die dadurch inkonsistent werden. Das müssen nicht einmal die Mathematiker leisten können.

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Ist dir das genug Spiritualität?
Nein. - Deine Worte zeugen jedoch von einem tiefen Empfinden für Spiritualität, die leider an den Grenzen des Materialismus Halt machen müssen.
Das ist schade, denn dann hast du nicht einmal annähernd begriffen, was Spiritualität eigentlich bedeutet. Du hast nicht begriffen, was es bedeutet, dass du mehr als 90% deiner Gene mit den Bonobos gemeinsam hast und immer noch ein paar Prozent mit dem Schimmelpilz. Du hast nicht begriffen, was es bedeutet, dass die schweren Elemente deines Körpers in Sternen ausgebrütet wurden. Du verstehst nicht, was es heißt, dass einer deiner Vater-Väter vor 150 000 Jahren ein Tier tötete, ihm beim Sterben in die Augen blickte und erkannte, dass es sein Bruder, seine Schwester ist. Das er auf es angewiesen ist, weil es zu töten leben heißt, dass er damit eine Schuld auf sich lädt und das sterbende Tier bitten muss, dass dessen Kinder im nächsten Jahr wieder durch diese weite Ebene streifen, damit er auch sie töten kann, um selbst leben zu können. Das war der Anfang aller Religion: der Glaube, dass die Ahnen in den Tieren wiederkehren, die man töten muss. Du erkennst nicht, weshalb das Universum durch dich und deinen Geist auf sich selbst blickt, wie in einen Spiegel und du wirst nie begreifen, dass du keine unsterbliche Seele benötigst, weil alles was du bist in diesem Universum ohnehin unsterblich ist. Denn du wirst wieder zu den Sonnen aufsteigen, die dich geboren haben, lange bevor es deine Eltern gab.
Das alles ist zu tief für dich.

Das tut mir von Herzen Leid für dich ... Ich weiß, das hört sich anmaßend und arrogant an, - aber es ist so. Das ist der Grund, warum ich über Fundamentalisten aller Art wirklich nur lächeln kann - und dann zum Tanzen gehe und mir ein neues Buch über Mathematik oder Kosmologie oder Putnam oder Kripke oder Hegel kaufe, - es lese und darüber nachdenke, ob es mich der Wahrheit, den Sternen, meinen Ahnen oder meinen Brüdern und Schwestern vor 100 000 oder 200 000 Jahren näher bringt. :) :Herz:
Zuletzt geändert von Thaddäus am Sa 21. Nov 2015, 00:55, insgesamt 6-mal geändert.

closs
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#40 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von closs » Fr 20. Nov 2015, 22:18

Thaddäus hat geschrieben:Hier darf man Esoterik durchaus mit Okkultismus gleichsetzen.
So kenne ich es aus dem allgemeinen Sprachgebrauch auch - hier im Forum hat sich eine Erweiterung aufgetan im Sinne von: "Alles, was nicht materialistisch resp. kritisch-rationalistisch fassbar ist = Esoterik". ;)

Thaddäus hat geschrieben:Dir ist aber schon klar, dass Hegel hier keinen christlichen Gott meint, sondern den sich selbst in der Weltgeschichte entäußernden und zu sich selbst kommenden Weltgeist.
Auf "christlich" würde ich nicht bestehen, weil das Universale unter verschiedenen Namen erscheinen kann (siehe Röm. 2,13f). - Aber deistisch würde ich es auch nicht verstehen.

Thaddäus hat geschrieben:Gott am Anfang der Geschichte weiß nichts von sich.
Ach SO interpretierst Du das - interessant. - Ich sehe das eher auf der Erkenntnis-Ebene: Nicht Gott entwickelt sich, sondern das Erkenntnis-Fähige entwickelt sich zu ihm/dem Ganzen hin.

Thaddäus hat geschrieben:"Wissenschaft der Logik" ist so ziemlich das komplizierteste philosophische Werk mit wirklichem Gehalt, das man sich antun kann.
Hast Du durchgehalten? -Ich habe mich damals auf die "Phänomenologie" beschränkt (und NICHT alles verstanden).

Thaddäus hat geschrieben:Du missverstehst grundlegend: in der Philosophie geht es nicht darum "im naturwissenschaftlichen Sinn zu belegen".
Das will ich aber auch meinen. - Ich verstehe es NICHT miss - ich habe bei DIR nachgefragt.

Thaddäus hat geschrieben:Die Philosophie ist aber noch komplexer als die Mathematik: nicht weil sie kompliziertere und tiefere Gedanken denkt, da sind die Matehamtiker Weltmeister; sondern weil sie viel breiter aufgestellt ist als die Mathematik.
Es mag große Philosophen geben, die das können (irgendetwas lässt mich daran zwifeln) - oder meinst Du Philosophie-Historiker?

Ist Marx ein Philosoph? - Ist Augustinus ein Philosoph? - Oder Thomas von Aquin? - Hat Sartre die Philosophie-Geschichte WIRKLICH gekannt oder hat er vielmehr (s)eine neue Philosophie geschaffen?

Dazu kommt: Wer heute (= seit einigen Generationen) Philosophie studiert: Tut er es nicht "automatisch" aus einer materialistischen Sichtweise? - ("Lass uns mal die zurückliegenden Philosophien aus der fortschrittlichsten Warte, nämlich der Gegenwart, beleuchten" ---???---)

Thaddäus hat geschrieben:Das ist schade, denn dann hast nicht einmal annähernd begriffen, was Spiritualität eigentlich bedeutet.
Vielleicht schon - wahrscheinlich verstehen wir Unterschiedliches darunter.

Thaddäus hat geschrieben: Du hast nicht begriffen ...
Aus meiner Sicht der falsche Ansatz. - Du addierst naturwissenschaftliches Wissen und meinst, dies sei Begründung für Spiritualität?

Thaddäus hat geschrieben:Das ist der Grund, warum ich über Fundamentalisten aller Art wirklich nur lächeln kann
Kann es nicht sein, dass Du im Glashaus sitzt?

Und wieder hast Du in Deinem Text Sätze gebracht, die nur ein Mensch mit hohem Spiritualitäts-Potential sagen kann. - Du bist eine sehr interessante Mischung.

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