Thaddäus hat geschrieben:Natürlich hatte Jesus eine Naherwartung, denn die findet sich in seinen Aussagen im NT.
Dass Du hier denselben logischen Fehler machst wie andere, macht vollkommen klar, warum man es für "gesichert" halten kann, dass Jesus eine Naherwartung hatte. - Begründung:
a) Es gibt die Ebene "Jesus", also das, was er gesprochen hat - nennen wir es "Realität". - Diese "Realität" würden wir kennen, wenn wir uns für 20 Jahre um 2000 Jahre in die Vergangenheit beamen lassen würden und dort Jesus auf Schritt und Tritt begleiten würden - ihm am besten ein Aufnahmegerät vor den Mund halten würden.
b) Es gibt die Ebene "Jesus-Rezeption". - Wie haben ihn damals seine Jünger verstanden - wie haben sie es aufgeschrieben - wie haben diejenigen das Aufgeschriebene übernommen und verändert, deren Niederschriften wir heute kennen.
Die historisch-kritischen Methode ist ausschließlich für b) zuständig. - Insofern kann Deine Aussage maximal sein: Nach den historisch-kritisch verwertbaren Quellen hatte Jesus eine Naherwartung. - Diese Aussage ist etwas ganz anderes als "Jesus HATTE eine Naherwartung".
Thaddäus hat geschrieben:Die FRage ist, wer die plausibelste Erklärung für diese Widersprüche liefern kann.
Das ist dann die Wertungs-Ebene, bei der es aus unterschiedlichen Gründen unterschiedliche Plausibilitäten geben kann. - Da können sich dann die Fachleute streiten.
Thaddäus hat geschrieben:Ich habe oben versucht, an Beispielen ein wenig zu erklären, auf welchen Plausibilitästschlüssen die Historisch-kritische-Methode beruht und zu welchen Schlüssen sie kommt.
Hast Du Schwäche erkannt, die sie in sich trägt - siehe oben.
Mal ganz nebenbei: Zu meiner Uni-Zeit hat man sehr genau zwischen "Realität" und "Rezeption" unterschieden. - Ich bin fassungslos, dass man auf so einer Banane ausrutschen kann (nimm's nicht persönlich - mir wird nur langsam das Ausmaß klar). - Rutscht man, kann man es als "Tatsache" verstehen, dass Jesus eine Naherwartung hatte.
sven23 hat geschrieben: Die Parusieverzögerung ist doch kein Hirngespinst, sondern eine gut belegte Erklärung dafür, daß die Texte mit zunehmendem Abstand zum Tod Jesus in Richtung Fernerwartung umgedeutet wurden. Dieser Tranformationsprozess ist in der NT-Forschung gut belegt.
Das wiederum ist sehr wissenschaftlich formuliert.
* Kein Hirngespinst - richtig.
* Umdeutung von Texten mit der Text - logisch nachvollziehbar.
* Wissenschaftlich gut belegt - auch richtig.
Aber es ist etwas ganz anderes als: "Es ist eine Tatsache, dass ...". - Warum es keine Tatsache sein muss, ist ebenfalls gut belegt. - Aber darüber haben wir lange genug diskutiert - das müssen wir wirklich nicht nochmal aufwärmen.
Hier geht es - vereinfacht gesagt - um den Unterschied zwischen "Realität" und "Rezeption" und wofür die HKM zuständig sein KANN.