Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Säkularismus
Geistliches und Weltliches verbinden
closs
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#2031 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Sa 7. Nov 2015, 22:50

SilverBullet hat geschrieben:Wenn es um nichts geht, „funktioniert“ es tadellos – alle sind sich sowieso schon einig. In kritischen Fällen, wenn also Leistung gefragt ist, kann man es nicht gebrauchen.
Meritokratisch geht's schon mal gar nicht. - Es geht einzig und allein um Erkenntnis, die in vollkommen unterschiedlichen Stufen (wenig/viel) vorkommt und sich dementsprechend äußert.

Man kann an der Erkenntnis des Menschen keinen Maßstab festmachen in Bezug auf das, was erkannt werden soll. - Völlig abwegig.

SilverBullet hat geschrieben:Du möchtest sagen, dass das „Ich“ nicht nur in der Wahrnehmung vorkommt?
Genauso wie "der Baum" oder "Gott" oder "das Müsli" auch. ---???---

SilverBullet hat geschrieben:Damit würdest du letztlich die Dualismusbehauptung aufstellen, dass es einen unsichtbaren „Ich“-Teil geben soll, der in der Wahrnehmung, ohne Sinneszellen, „erkannt“ wird und irgendwie direkt mit der materiellen Welt interagieren können soll.
Verstehe ich nicht. - Damit ist lediglich ausgesagt, dass "Sein" keine abhängige Größe von "Wahrnehmung" ist. - "Das Müsli" ist (das glauben zumindest Leute wie Descartes und auch Ich) auch dann noch existent, wenn man überm Frühstückstisch tot zusammenbricht und es nicht mehr wahrnehmen kann. - Schocke mich jetzt ja nicht damit, dass es hier kein Einvernehmen gäbe.

SilverBullet hat geschrieben:Du kannst das Gehirn und dessen Schaltfunktionen über elektrische Impulse, nicht mit einem „unsichtbaren Ich“ in Einklang bringen.
Die ganze Frage irritiert mich - deshalb zur Klarstellung: Im Dasein gibt es nach christlicher Lesart (nach Descartes' Glauben auch) keinen menschlichen Geist, der nicht mit dem menschlichen Gehirn verbunden ist - Du kannst also Deine elektronischen Impulse getrost anbringen - Descartes hätte sich darüber gefreut.

Die Schnittstelle wird erst bei der Frage interessant, ob Gott im Dasein auf den Menschen einwirken kann und wie dies physikalisch erklärbar ist. - Dazu habe ich in der Tat keine Antwort - black box.

SilverBullet hat geschrieben:Wie kommst du darauf, dass es keinen Zweifel gibt?
Weil es das Ich ist, das zweifelt und dabei feststellt, dass es sogar im Zweifeln an allem "ist". - Es gibt also keinen Zweifel am Ich, sondern nur Zweifel durch das Ich.

Es ist doch gerade bei Augustinus und Descartes gleichlautend so, dass das "Cogito er(g)o sum" bzw. das "Enim fallor, sum" aus dem Zweifel an allem entstanden ist. - Wieso könnte ich also darauf kommen, dass es keinen Zweifel gibt?

SilverBullet hat geschrieben:Das Gehirn und die dortigen Vorgänge erzeugen den Zweifel.
Der Zweifel wird dort physiologisch abgebildet und ist als solches beobachtbar - ja.

SilverBullet hat geschrieben:Warum denkst du, kommen Neurowissenschaftler auf die „Idee“ das Gehirn zur alleinigen Grundlage von Bewusstsein zu erklären?
Physiologisch ist das wohl richtig - geklärt ist dabei aber nicht, ob man unter "Grundlage" versteht, dass "Bewusstsein" primär entsteht oder sekundär abgebildet wird. - Dies ist wissenschaftlich nicht falsifizierbar, sondern eine weltanschauliche Aussage.

SilverBullet hat geschrieben:eine Denktäuschung.
Alle logischen Darstellungen sind "Erfindungen" des Menschen - das ist keine Antwort.

SilverBullet hat geschrieben:denn „Ich“ kann zu keinem Zeitpunkt angeben, was vor sich geht.
Das klingt fast cartesianisch. - Bei allem, was Du weiter sagst: Wo ist die Antwort auf die Frage, ob der Mensch etwas anderes hat als sein Ich/sein Bewusstsein/sein Gehirn, um etwas wahrzunehmen?

Erst wenn diese Frage beantwortet ist, können wir weitergehen.

Anton B.
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#2032 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Anton B. » So 8. Nov 2015, 00:39

closs hat geschrieben:Es geht erst mal drum, was man unter "Wissen" verstehen soll. - Und da sagt Descartes eben (wie ich meine, zu Recht), dass wir nicht "wissen" können, sondern nur glauben können, ob die Res extensa "real" oder "Täuschung" sind. - Seine Begründung dazu ist aus meiner Sicht nicht widerlegbar.
Was ist das denn schon wieder: "Was ist "Wissen"?" Antwort closs (vorgeschoben Descartes): "Wir können nicht wissen, sondern nur glauben, dass ...".

Abgesehen davon, dass mit der Aristotelischen Definition von "Wissen" als das, was begründet bzw. rechtfertigt werden kann, überhaupt kein Bezug zu "... ob die Res extensa "real" oder "Täuschung" sind, vorhanden ist. Und das sieht die moderne Philosophie heute noch genauso, weil sie eine Verbindung von "Realität" zu dem "menschlich erworbenen" Wissen nicht begründen kann. Und wenn Du Dich daran erinnern magst, das wurde Dir schon mehrfach mitgeteilt. Deshalb hält sich die zeitgenössische Erkenntnistheorie ja so bedeckt mit dem "was der Fall ist" ist.

closs hat geschrieben:Steigt man bei Popper ein, sieht es ganz anders aus, weil man dort unter "Wissen" eine methoden-bezogene Größe versteht. - Das ist voll ok - aber eben etwas anderes.
Popper stellt eine Methode vor, die sich streng zu dem verhält, was man über Wissenserwerb so weiß. Und man weiß -- also präzise gesagt: "man begründet" -- dass Wissen über die empirischen Untersuchungsgegenstände sich nicht positiv-induktionistisch erwerben lässt. Poppers kritischer Rationalismus bzw. seine hypothetisch-deduktive Methode ist einfach nur die bekannteste strenge Antwort auf diesen Sachverhalt. Popper, wie alle anderen sauber arbeitenden Philosophen, benutzen "Wissen" weiterhin in seinem bekannten, durch Aristoteles vorgebenen Sinn.
Die Eiche "ist" - sie steht da - mit oder ohne Wildschweine.

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#2033 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » So 8. Nov 2015, 01:00

Anton B. hat geschrieben: "Wissen" als das, was begründet bzw. rechtfertigt werden kann
Dann ist Wissen ein system-abhängiges Konstrukt - dann "weiss" halt der eine, dass Jesus am Kreuz gestorben ist, und der andere "weiss", dass es Jesus gar nicht gab.

Genau so meint es Descartes nicht: Er versucht herauszufinden, was eine universal zutreffende Aussage ist und begründet, dass aus menschlicher Sicht der Satz "Cogito, er(g)o sum" als einzige Aussage diesem Anspruch gerecht wird. - Diese Begründung ist aus meiner Sicht auch heute nicht widerlegt (ich würde sogar sagen: unwiderlegbar, da logisch zwingend).

Anton B. hat geschrieben:Poppers kritischer Rationalismus bzw. seine hypothetisch-deduktive Methode ist einfach nur die bekannteste strenge Antwort auf diesen Sachverhalt.
Da sind wir uns sehr einig - ihr Anwendungs-Bereich macht es möglich.

Anton B. hat geschrieben:Popper, wie alle anderen sauber arbeitenden Philosophen, benutzen "Wissen" weiterhin in seinem bekannten, durch Aristoteles vorgebenen Sinn.
Popper ist eben KEIN Philosoph (er hat sich diese Bezeichnung aktiv verbeten), sondern Methodiker - ein himmelweiter Unterschied.

Deshalb kann und vor allem will er keine grundlegende Fragen im Sinne Descartes' stellen. - Popper würde fragen: "Wie ist das, was man landläufig als 'Ich' bezeichnet, im Sinne des kritischen Rationalismus (also methodisch) beschreibbar". - Das, was sich in diesem System begründet oder gerechtfertigt darstellen ließe, würde er meinetwegen "Wissen" nennen. - Eine reine Sprachregelung, die aber überhaupt nichts mit dem zu tun hat, was Descartes damit meint.

Du scheinst mit "sauber" zu meinen, was innerhalb eines selbst-gewählten Systems begründet oder gerechtfertigt werden kann. - Schön - aber dann kann man solche Fragen, wie Descartes sie stellt, kann nicht geben.

Anton B. hat geschrieben: Deshalb hält sich die zeitgenössische Erkenntnistheorie ja so bedeckt mit dem "was der Fall ist" ist.
Eben. - Es ist nicht vorgesehen, über das "Wie" hinauszudenken - UND: Es scheint nicht als Mangel empfunden zu werden. - Man scheint sich mehr für Wahrnehmungs-Beschreibung zu interessieren als für Fragen nach "Sein" und "Wahrnehmung". - Dann kann man aber auch nicht Descartes sinnvoll diskutieren.

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#2034 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Anton B. » So 8. Nov 2015, 01:38

closs hat geschrieben:
Anton B. hat geschrieben: "Wissen" als das, was begründet bzw. rechtfertigt werden kann
Dann ist Wissen ein system-abhängiges Konstrukt - dann "weiss" halt der eine, dass Jesus am Kreuz gestorben ist, und der andere "weiss", dass es Jesus gar nicht gab.
Wenn sich beides gleichermaßen rechtfertigen lässt, "weiß" man weder das eine noch das andere.

closs hat geschrieben:
Anton B. hat geschrieben:Popper, wie alle anderen sauber arbeitenden Philosophen, benutzen "Wissen" weiterhin in seinem bekannten, durch Aristoteles vorgebenen Sinn.
Popper ist eben KEIN Philosoph (er hat sich diese Bezeichnung aktiv verbeten), sondern Methodiker - ein himmelweiter Unterschied.
Doch, er ist Philosoph und wird allgemein als solcher betrachtet. Und er hat sich den philosophisch-erkenntnismäßigen Problemen seiner Zeit gestellt.

closs hat geschrieben:Deshalb kann und vor allem will er keine grundlegende Fragen im Sinne Descartes' stellen. - Popper würde fragen: "Wie ist das, was man landläufig als 'Ich' bezeichnet, im Sinne des kritischen Rationalismus (also methodisch) beschreibbar". - Das, was sich in diesem System begründet oder gerechtfertigt darstellen ließe, würde er meinetwegen "Wissen" nennen. - Eine reine Sprachregelung, die aber überhaupt nichts mit dem zu tun hat, was Descartes damit meint.
Das ist wieder die Folge Deines endlosen Durchspielens einer gegebenen Realität, die über allem steht, und durch wen auch immer, qualifiziert nachgewiesen werden will. "Qualifiziert nachgewiesen" in einer begründeten Art und Weise.

Die "empirischen Dinge" lassen sich aber nicht qualifiziert nachweisen. Daher ist auch die Realität "unbestimmt". Da kannst Du nun Heidegger, Descartes oder sonstwen ziehen. Und der Wissensbegriff entspricht in dem Sinne, wie Du ihn Descartes unterstellst, wohl eher Deinem Gusto, aber er wird nunmal im Aristoteles'schen Sinne in der Philosophie verwendet.

Aber warum greifst Du Dir denn jetzt den Descartes? Weil Du die Möglichkeit siehst, Dein Gedankengut mal wieder in neue Tücher zu kleiden?

Und warum kommst Du mit Deinen Vorstellungen nie in der Gegenwart an, bzw., kannst den Weg, der zu dem zeitgenössischem Wissen -- gerade auch über die Erkenntnisgewinnung -- geführt hat, nicht nachvollziehen?
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#2035 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von sven23 » So 8. Nov 2015, 06:47

Savonlinna hat geschrieben: Wir reden hier von verschiedenen Büchern.
Eben, so stehts auch im Wikiartikel.
Trotzdem scheint closs Recht zu haben und das "r" hat sich in der französichen Übersetzung als Fehler eingeschlichen.
Als conclusio war das Statement nicht gedacht, weil diese einer Prämisse bedarf.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#2036 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » So 8. Nov 2015, 09:41

Anton B. hat geschrieben:Wenn sich beides gleichermaßen rechtfertigen lässt, "weiß" man weder das eine noch das andere.
Ich hätte jetzt von Dir ein "sowohl als auch" erwartet, denn:
Anton B. hat geschrieben:"Wissen" als das, was begründet bzw. rechtfertigt werden kann

Anton B. hat geschrieben:Doch, er ist Philosoph und wird allgemein als solcher betrachtet.
Das ist wieder mal das Problem "Original - Rezeption". - Meines Wissens (und auch aus inhaltlichen Gründen) ist Popper (zumindestens mit seinem Kritischen Rationalismus KEIN Philosoph - da kann ich sogar mal auf Pluto verweisen, der gelegentlich gesagt hat, Popper habe sich von der Bezeichnung "Philosoph" aktiv distanziert.

Und das macht ihn dann doch wieder zum Philosophen :) , weil er mit dieser Distanz gezeigt hat, dass er zwischen Philosophie und Methodik zu unterscheiden in der Lage ist - was viele seiner Rezipienten offensichtlich NICHT können.

Anton B. hat geschrieben:Die "empirischen Dinge" lassen sich aber nicht qualifiziert nachweisen.
Zustimmung.

Anton B. hat geschrieben:Daher ist auch die Realität "unbestimmt".
An sich "ist" sie ganz und gar nicht unbestimmt (lassen wir für einen Moment QM-Sachen weg), sondern sehr bestimmt. - Es ist unsere Wahrnehmung, die sie nicht genau bestimmen lässt - diese Erkenntnis würde Descartes wahrscheinlich gefallen.

Anton B. hat geschrieben:Weil Du die Möglichkeit siehst, Dein Gedankengut mal wieder in neue Tücher zu kleiden?
Descartes kam deshalb ins Spiel, weil es immer noch Naturalisten gibt, die meinen, ihr System bedürfe im Gegensatz zu religiösen Systemen keiner "Setzung". - Diese Aussage ist via Descartes falsifizierbar.

Anton B. hat geschrieben:kannst den Weg, der zu dem zeitgenössischem Wissen -- gerade auch über die Erkenntnisgewinnung -- geführt hat, nicht nachvollziehen?
Soweit auf diesem Weg beschrieben wird, WIE man physiologisch zu Wahrnehmungs-Erkenntnis kommt, kann ich das prinzipiell sehr wohl nachvollziehen (das Einzelwissen fehlt mir, aber da glaube ich Ergebnisse unbesehen). - Nur: Das ist eine ganz andere Fragestellung als die meinige (siehe auch Plato, Descartes und Heidegger - und ganz sicher viele andere auch).

Mein Eindruck ist (ich lasse mich gerne korrigieren), dass das zeitgenössische Wissen so gut wie ausschließlich aufsetzt auf einem naturalistischen Weltbild und/oder sich mit der Frage beschäftigt: "Wie können wir UNSERE Wahrnehmung beschreiben". - Descartes & Co. fragen dagegen (eine Übersetzung in heutige Sprache): "Was ist sicheres Wissen, was ist Vereinbarung?". - Und kommt zum Ergebnis, dass alles außer dem "Cogito, er(g)o sum" so etwas wie "Vereinbarung" (er sagt dazu "Glaube") ist.

Aus meiner Sicht sind bzw. wären solche Erkenntnisse eminent wichtig als Grundlage der DANN erst folgenden Frage nach "zeitgenössischem Wissen". - Meinem Eindruck nach wird heute diese Grundlage vernachlässigt - zumindestens in der Rezeption (Foren, Medien, etc.)

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sven23
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#2037 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von sven23 » So 8. Nov 2015, 10:14

closs hat geschrieben:Descartes kam deshalb ins Spiel, weil es immer noch Naturalisten gibt, die meinen, ihr System bedürfe im Gegensatz zu religiösen Systemen keiner "Setzung". - Diese Aussage ist via Descartes falsifizierbar.
Sprechen wir lieber von Axiomen, ohne die auch die Wissenschaft nicht auskommt. Diese sind aber von ganz anderer Qualität als z. B. in der Theologie, die Glaubensbekenntnisse auch mal gerne als "Axiom" verkleidet.

"Als Trittbrettfahrer von kritischem Rationalismus und modernem, weil vorsichtiger gewordenem Wissenschaftsverständnis hofft die Theologie, dass ihr Mietvertrag im Haus der Wissenschaften auch künftig verlängert wird. So einfach geht es ja nun nicht. So was hat der gute Karl Popper nicht verdient und natürlich auch nicht gewollt. Natürlich ist keine Wissenschaft voraussetzungslos. Aber das kann doch nicht dazu führen, dass jetzt jede Religion oder auch jeder esoterische Unsinn mit dem
Hinweis auf als Axiome getarnte Glaubenssätze eine Dauerkarte für die Universität erhält. Denn es ist ja nicht einzusehen, warum man, wenn man der christlichen Theologie den Status einer Wissenschaft gewährt, diesen Status z. B. dem Islam, dem Hinduismus oder Buddhismus verwehren könnte. Oder den Astrologen, die dann auch erwarten könnten, dass deren Aberglauben bitte auch als Wissenschaft anzusehen sei. Hochtrabende „Axiome“ kann jeder religiöse oder esoterische Unsinn leicht hervorzaubern. Dies ist eine rein sprachliche Übung."

Kubitza, Dogmenwahn

Descartes ist natürlich auch nicht frei von Ideologie. So schreibt er 1644 in den Prinzipien der Philosophie:
„Indem wir so alles nur irgend Zweifelhafte zurückweisen und für falsch gelten lassen, können wir leicht annehmen, dass es keinen Gott, keinen Himmel, keinen Körper gibt; dass wir selbst weder Hände noch Füße, überhaupt keinen Körper haben; aber wir können nicht annehmen, dass wir, die wir solches denken, nichts sind; denn es ist ein Widerspruch, dass das, was denkt, in dem Zeitpunkt, wo es denkt, nicht bestehe. ..."

Er betrachtet die Annahme der Nichtexitenz von Gott und Himmel gleichwertig mit der Nichtannahme des eigenen Körpers.
Ob er hier als Gläubiger in eine selbst gebastelte Falle getappt ist oder ob es ein kalkulierter Taschenspielertrick ist, läßt sich schwer beurteilen.
Eins ist klar. Durchgehen lassen können wir das nicht.
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Savonlinna
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#2038 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » So 8. Nov 2015, 10:41

sven23 hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben: Wir reden hier von verschiedenen Büchern.
Eben, so stehts auch im Wikiartikel.
Trotzdem scheint closs Recht zu haben und das "r" hat sich in der französichen Übersetzung als Fehler eingeschlichen.
In der französischen Übersetzung? Erstens hat Descartes im Discours auf Französisch geschrieben, zweitens gibt es da kein "r".

sven23 hat geschrieben:Als conclusio war das Statement nicht gedacht, weil diese einer Prämisse bedarf.
Noch einmal: "je pense, donc je suis". "donc" heißt "denn".

Was closs aus den "Meditationen" schreibt, bezieht sich ja auf eine ganz andere Stelle, wo gar nichts vom "cogito" steht ->

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Dann sei bitte so gut und korrigiere den Wikpedia Artikel.
Warum sollte ich? - Geh davon aus, dass es in der Uni so gelehrt wird.

In den Meditationes schreibt Descartes: "Nachdem ich alles genug und übergenug erwogen habe, muß ich schließlich festhalten, daß der Satz "Ich bin, Ich existiere" <Original: 'Ego sum, ego existo"), sooft ich ihn ausspreche oder im Geiste aufasse, notwendig wahr sei".

Die Geschichte mit der Drucklegung in Paris und dem damit passierten Druckfehler habe ich in einer Vorlesung gehört - auch Descartes' Reaktion: Es war im wurscht. - Trotzdem wichtig: Der Urtext hatte das "ergo" nicht. - Für wikipedia könnte das zu speziell sein

Was ich blau gefärbt habe, heißt auf Deutsch: "Ich bin, ich existiere". Da wäre eine Konklusion in der Tat sinnlos. Es sind einfach Synonyme.
Aber "cogito, ergo sum" ist der Sinn der "Meditationen", egal, ob das da nun wörtlich steht oder nicht.

SilverBullet
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#2039 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von SilverBullet » So 8. Nov 2015, 10:49

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Wenn es um nichts geht, „funktioniert“ es tadellos – alle sind sich sowieso schon einig. In kritischen Fällen, wenn also Leistung gefragt ist, kann man es nicht gebrauchen.
Meritokratisch geht's schon mal gar nicht. - Es geht einzig und allein um Erkenntnis, die in vollkommen unterschiedlichen Stufen (wenig/viel) vorkommt und sich dementsprechend äußert.
Falsch.
Es geht darum, ob du nur eine „leichtfertige Behauptung“ aufstellst, um deine Wunschideen in den Mittelpunkt zu stellen, oder ob irgendwo ein „Verdacht auf Inhalt“ entsteht.

Dein Argument gegen meine Einwände war, dass ich mich nicht „hineinfühlen“ könne, dass also bei mir eine Fähigkeit nicht vorhanden sein solle.

Jetzt zeigt sich aber, dass zwischen dir und anderen „Hineinfühlexperten“ nur dann eine „Homogenität“ vorliegt, wenn sie sowieso schon vorliegt.
Entstehen, im Sinne einer Wirkungsweise, einer Funktion, kann aber nicht beobachtet werden.

Letztlich kann man dadurch weder dein behauptetes „Hineinfühlen“ noch deine behauptete „Homogenität“ als „Verdacht auf Inhalt“ verwenden.

Dass du, vor diesem Hintergrund, lieber wieder die „unsichtbare Erkenntnis“ in den Mittepunkt stellen möchtest, ist nachvollziehbar, aber damit kannst du die offensichtlichen Schwachstellen nicht ausgleichen.

Für deine „Idee“ scheint es nur ein altes Buch und die vielerorts praktizierte Suggestion, durch Erzählen, zu geben.
Inhalt ist aus meiner Sicht nicht beobachtbar. Ich kann nicht einmal den Verdacht aufstellen.
Wirkung, Funktion und Leistung sind aus meiner Sicht nicht beobachtbar.

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Du möchtest sagen, dass das „Ich“ nicht nur in der Wahrnehmung vorkommt?
Genauso wie "der Baum" oder "Gott" oder "das Müsli" auch. ---???---
OK, zu „Baum“ und „Müsli“ habe ich konkrete, detaillierte Vorstellungen aus nahezu beliebig vielen Richtungen – das passt.

Was soll „Gott“ sein?

Was soll das „Ich“ sein, so dass „es“ nicht nur in der Wahrnehmung vorkommen?

(Harvey ist ein 2m grosses Kaninchen - man kann vor dieser Idee zwar den Kopf schütteln, aber man kann sich tatsächlich etwas darunter vorstellen :-) – der „Harvey“-Entwuf ist damit weiter, als deine Ideen)

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Damit würdest du letztlich die Dualismusbehauptung aufstellen, dass es einen unsichtbaren „Ich“-Teil geben soll, der in der Wahrnehmung, ohne Sinneszellen, „erkannt“ wird und irgendwie direkt mit der materiellen Welt interagieren können soll.
Verstehe ich nicht. - Damit ist lediglich ausgesagt, dass "Sein" keine abhängige Größe von "Wahrnehmung" ist
Genau daraus entsteht doch der Dualismus. Dein „Müsli“-Beispiel ist dabei lediglich wieder ein Ablenkungsmanöver, denn das Müsli kann man über Sinneszellen „erfahren“, während man dies beim behaupteten „Ich“ nicht kann:
Zwei Menschen können ein Müsli anschauen, aber nicht ein „Ich“.
Trotzdem behauptest du eine analoge Existenz zum Müsli.

Beschreib, was es sein soll und wie es mit dem Gehirn wechselwirkt.
Beschreib welche Aufgaben das Gehirn durchführt, und welche Aufgaben das „Ich“ hat.
Beschreib den Aufbau und das Abkoppeln der Verbindung zum Gehirn.

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Du kannst das Gehirn und dessen Schaltfunktionen über elektrische Impulse, nicht mit einem „unsichtbaren Ich“ in Einklang bringen.
Die ganze Frage irritiert mich - deshalb zur Klarstellung: Im Dasein gibt es nach christlicher Lesart (nach Descartes' Glauben auch) keinen menschlichen Geist, der nicht mit dem menschlichen Gehirn verbunden ist
Und warum kannst du dann weder diese „Verbindung“, noch was „menschlicher Geist“ sein soll, beschreiben?
Tolle Klarstellung… („Heizdecke“)

Zitat-closs: „Du kannst also Deine elektronischen Impulse getrost anbringen
„Meine elektronischen Impulse“?
Naja, ich habe auch den Eindruck, dass du die elektrischen Impulse, auf Basis deines Dualismus, nicht so sehr beachten möchtest. Sie können aber nun mal 100prozentig (Vorsicht: Wahrscheinlichkeit) nachgewiesen werden.

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Wie kommst du darauf, dass es keinen Zweifel gibt?
Weil es das Ich ist, das zweifelt
Das ist eine Behauptung, aber keine Erklärung, wie du darauf kommst.
Eine Vermutung oder ein Beweis kann es nicht sein, weil du keine Ahnung hast, was das „Ich“ sein soll.

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Warum denkst du, kommen Neurowissenschaftler auf die „Idee“ das Gehirn zur alleinigen Grundlage von Bewusstsein zu erklären?
Physiologisch ist das wohl richtig - geklärt ist dabei aber nicht, ob man unter "Grundlage" versteht, dass "Bewusstsein" primär entsteht oder sekundär abgebildet wird.
Was soll „Bewusstsein“ sein, dass es „entstehen“ kann?
Durch wen und welche Materialien entsteht „Bewusstsein“?
Wie funktioniert die Wechselwirkung zwischen den elektrischen Impulsen aus den Sinneszellen mit dem „entstandenen Bewusstsein“?

Was ist mit „sekundär abgebildet“ gemeint?
Welcher „Aussenteil“ soll dort abgebildet werden?

Die wissenschaftliche „Nicht-Falsifizierbarkeit“ liegt in erster Linie an den schwammigen Anfangsformulierungen, die nichts weiter sind, als offene Fragen.
Den zweiten Schritt, der wissenschaftlichen Auseinandersetzung, kann es damit natürlich nicht geben.
Das geht auf das Konto der Philosophen.

Die Neurowissenschaftler legen sich hingegen immer weiter fest, je besser das Gehirn untersucht wird.
Genau durch diesen Vorgang werden deine „Ideen“ in den Hintergrund gedrängt.

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:eine Denktäuschung.
Alle logischen Darstellungen sind "Erfindungen" des Menschen - das ist keine Antwort.
Doch, es ist ein schwebendes, unvollständiges Kartenhaus, das man nicht mit dem Gehirn in Einklang bringen kann.
Es wird auch rein gar nichts erklärt, sondern lediglich eine "vermutete Wahrnehmungssituation" beschrieben.
Wie es zu dem „Ich“ kommen soll, wie das „Ich“ sich wahrnehmen können soll, wird nicht beschrieben.
Genau das wären aber die eigentlich „substantiellen Inhalte“.

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:denn „Ich“ kann zu keinem Zeitpunkt angeben, was vor sich geht.
Das klingt fast cartesianisch. - Bei allem, was Du weiter sagst: Wo ist die Antwort auf die Frage, ob der Mensch etwas anderes hat als sein Ich/sein Bewusstsein/sein Gehirn, um etwas wahrzunehmen?
Meine Vermutung sollte mittlerweile bekannt sein:
„Mensch“ ist ein Lebewesen, in dessen Körper sich ein Wahrnehmungssystem aus Nervenzell-Strukturen befindet.
Die zentrale Verarbeitungseinheit ist das Gehirn.
(„Ich“ und “Bewusstsein“ spielen nur innerhalb der Bedeutungszusammenhänge aus den Gehirnabläufen (Algorithmen) eine Rolle – sie existieren damit in keiner Weise analog zu materiell/physikalischen Sachverhalten)

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#2040 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » So 8. Nov 2015, 10:50

Savonlinna hat geschrieben:Was closs aus den "Meditationen" schreibt, bezieht sich ja auf eine ganz andere Stelle, wo gar nichts vom "cogito" steht
Stimmt - weil ich auf die Schnelle nichts anderes gefunden habe. - Meine eigentliche Quelle ist eine Universitäts-Vorlesung über Descartes, in der über die Veränderung des "ego" ins "ergo" referiert wurde - bezugnehmend auf den lateinischen Grundtext, der natürlich dann auch dementsprechend mit einem "donc" übersetzt wurde.

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