Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Säkularismus
Geistliches und Weltliches verbinden
closs
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#1961 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Fr 6. Nov 2015, 10:09

sven23 hat geschrieben:Wenn man wirklich davon ausgeht, daß wir in einer gigantischen Simulation leben
Das tut niemand - auch nicht Descartes (nur mal nebenbei - weil sonst irgendwann getönt wird: "Hahaha - Descartes meint, dass ...)

sven23 hat geschrieben:wie kommt man dann auf den Trichter, daß sich unser Gehirn ausgerechnet bei der Annahme "Cogito" nicht irrt?
Weil im "Cogito" Subjekt und Objekt identisch sind.

Mit anderen Worten: "Simulation" geht nur, wenn Subjekt nicht gleich Objekt ist. - "Ich" denke ein "Objekt", von dem ich nicht weiss, ob es "echt" oder "Simulation" ist. - Wenn "Ich" aber das "Subjekt" denken kann, gibt es diese Konstellation nicht.

sven23 hat geschrieben:Hier hat ein Descartes (vermutlich aus ideologischen Gründen) nicht konsequent zu Ende gedacht.
Nein - das liegt an Dir -- und "ideologogisch" kannst Du Dir sparen. Hier hat einer weit gedacht, ohne eine weltanschauliche Absicht zu haben.

closs
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#1962 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Fr 6. Nov 2015, 10:12

JackSparrow hat geschrieben:Es macht stattdessen Sinn, sie als hart und wirksam zu bezeichnen, also als das Gegenteil einer Täuschung.
Demnach hätten Täuschungen keine Eigenschaften - meinst Du das so?

JackSparrow hat geschrieben: Was Descartes für das "menschliche Ich" hielt, muss wohl eine Sinnestäuschung gewesen sein.
Wieso "Sinnestäuschung"? - Das hat doch nichts mit "Sinnen" (in naturalistischer Bedeutung) zu tun. - Descartes hat GEDACHT, was das Ich ist, weil ihm klar war, dass es über Sinne nicht definierbar ist.

JackSparrow hat geschrieben:Simulationen können nicht von irgendwas ausgehen.
Doch - sie MÜSSEN sogar von dem ausgehen (Subjekt), das simuliert.

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#1963 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Pluto » Fr 6. Nov 2015, 10:17

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Wenn man wirklich davon ausgeht, daß wir in einer gigantischen Simulation leben
Das tut niemand
Doch, doch... das tun Einige. Auch du hast in der Vergangenheit so etwas angedeutet.
Allerdings ist der Erklärungswert einer solchen Vermutung (Die Matrix) gleich null, denn sie beantwortet nicht die Fragen
(a) warum wir in einer Simulation leben sollten,
(b) wer denn diese Simulation gebaut hat,
(c) wozu, zu welchem Zweck, er sie baute, und,
(d) wer den Schöpfer dieser Simulation schuf?

closs hat geschrieben:Weil im "Cogito" Subjekt und Objekt identisch sind.
Ja. Das liegt wohl in der Natur des Satzes.

closs hat geschrieben:Hier hat einer weit gedacht, ohne eine weltanschauliche Absicht zu haben.
Ja. Und hätte er es nicht getan, hätte es vermutlich ein anderer nach ihm getan.
Ich verstehe immer weniger, was so Besonderes an jenem Satz (cogito ergo sum) sein soll, dass man darauf eine ganze Ideologie aufbaut.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#1964 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von JackSparrow » Fr 6. Nov 2015, 10:53

closs hat geschrieben:Demnach hätten Täuschungen keine Eigenschaften - meinst Du das so?
Sollte man durch die Wand hindurchlaufen können, hätte man sich in der Einschätzung getäuscht, es handle sich um eine harte und wirksame Wand.

Sollte man noch einen Zeugen dabei haben und der Zeuge überhaupt keine Wand entdecken, hätte man sich zusätzlich auch noch in der Existenz der Wand selbst getäuscht. Oder in der Existenz des Zeugen, falls man noch einen zweiten Zeugen dabei hat und der zweite Zeuge den ersten Zeugen nicht sieht.

JackSparrow hat geschrieben:Wieso "Sinnestäuschung"? - Das hat doch nichts mit "Sinnen" (in naturalistischer Bedeutung) zu tun.
Ja, deswegen.

Weil im "Cogito" Subjekt und Objekt identisch sind.
Bei "ambulo" (ich gehe spazieren) sind die auch identisch. Im Lateinischen nutzt man Personalpronomen nur, wenn die Person besonders betont werden soll: non tu, sed ego ambulo (nicht du, sondern ich gehe spazieren)

closs
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#1965 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Fr 6. Nov 2015, 11:01

Pluto hat geschrieben: Auch du hast in der Vergangenheit so etwas angedeutet.
Nicht, dass ich glaube, dass es so ist, sondern dass es nicht falsifizierbar ist, ob es "so" oder "anders" ist. - Nichts anderes macht Descartes.

Insofern sind meine Antworten auf folgende Fragen theoretischer Natur, weil ich ja glaube, dass wir nicht in einer Simulation leben:
Pluto hat geschrieben:(a) warum wir in einer Simulation leben sollten,
Warum NICHT?
Pluto hat geschrieben:(b) wer denn diese Simulation gebaut hat,
Das Subjekt. - Vorstellungen sind Subjekt-Sache
Pluto hat geschrieben:(c) wozu, zu welchem Zweck, er sie baute, und
Zu welchem Zweck baut man eine "echte" Welt? - Darüber kann man man genauso spekulieren.
Pluto hat geschrieben:(d) wer den Schöpfer dieser Simulation schuf?
Das ist die entscheidende Frage. - Denn dieser Schöpfer könnte nur einer sein, der Täuschung bringen will - und da glaubt eben Descartes: "Weil Gott uns nicht verarschen will, ist die Welt um uns herum keine Simulation. - Trotzdem können wir es nicht mit unserer Wahrnehmungf nachweisen, ob es so oder anders ist".

Pluto hat geschrieben:Ich verstehe immer weniger, was so Besonderes an jenem Satz (cogito ergo sum) sein soll, dass man darauf eine ganze Ideologie aufbaut.
"Erkenntnis-Theorie", nicht "Ideologie".

Der Grund ist, dass damit ersichtlich wird, dass der Mensch nur innerhalb seines Bewusstseins wahrnehmen kann - es also keine absolute Erkenntnis-Möglichkeit des Menschen gibt. - Die Argumentation dazu ist logisch nicht austricksbar.

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#1966 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Fr 6. Nov 2015, 11:05

JackSparrow hat geschrieben:Sollte man durch die Wand hindurchlaufen können, hätte man sich in der Einschätzung getäuscht, es handle sich um eine harte und wirksame Wand.
Und umgekehrt. - Beides beantwortet nicht die Frage, ob das eine oder andere Simulation oder "echt" ist.

JackSparrow hat geschrieben:Sollte man noch einen Zeugen dabei haben und der Zeuge überhaupt keine Wand entdecken, hätte man sich zusätzlich auch noch in der Existenz der Wand selbst getäuscht.
Auch das funktioniert nicht, weil auch der Zeuge Simulation oder "echt" sein könnte.

JackSparrow hat geschrieben:Bei "ambulo" (ich gehe spazieren) sind die auch identisch. I
Ja - aber Du weisst nicht, ob Deine Beine, die Du dabei siehst, oder der Wald, durch den Du dabei gehst, Simulation oder "echt" sind.

Egal, wie man es wendet --- aus diesem Dilemma kommt man nicht raus. - Ergo: Man muss GLAUBEN, dass "es" "echt" ist - genau das tut Descartes. - Descartes glaubt nämlich eben NICHT an eine Simulation.

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#1967 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Pluto » Fr 6. Nov 2015, 12:02

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Ich verstehe immer weniger, was so Besonderes an jenem Satz (cogito ergo sum) sein soll, dass man darauf eine ganze Ideologie aufbaut.
"Erkenntnis-Theorie", nicht "Ideologie".
Erkenntnis ist das nicht, sondern eher eine Tautologie.
Das was davon ausgeht, was seine Anhänger daraus machen, ist Weltanschauung.

closs hat geschrieben:Der Grund ist, dass damit ersichtlich wird, dass der Mensch nur innerhalb seines Bewusstseins wahrnehmen kann - es also keine absolute Erkenntnis-Möglichkeit des Menschen gibt. - Die Argumentation dazu ist logisch nicht austricksbar.
Das ist nur dann logisch, wenn man von einem gut gesinnten, nicht tricksenden Schöpfer ausgeht.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#1968 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von JackSparrow » Fr 6. Nov 2015, 12:28

closs hat geschrieben:Und umgekehrt. - Beides beantwortet nicht die Frage, ob das eine oder andere Simulation oder "echt" ist.
Sollte sich eine Wand aufgrund eines Zusammenstoßes als echt und fest herausstellen, bietet es sich an, diese Wand als echt und fest zu bezeichnen und nicht als eine Simulation.

Als eine Simulation sollte die Wand bezeichnet werden, wenn sich ein Zusammenstoß mit der Wand aufgrund deren fehlender Festigkeit nicht bewerkstelligen ließ.

Du weisst nicht, ob Deine Beine, die Du dabei siehst, oder der Wald, durch den Du dabei gehst, Simulation oder "echt" sind.
Das weiß ich, da ich mich in einem Akte göttlicher Erleuchtung einst dazu entschloss, meine Beine für existent und nicht für nicht existent zu halten.

Egal, wie man es wendet --- aus diesem Dilemma kommt man nicht raus.
Du kommst aus dem Dilemma nicht raus, weil du offenbar deiner eigenen Wahrnehmung misstraust. Zugunsten dessen, was Leute wie Descartes als ihre eigene Wahrnehmung ausgeben.

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#1969 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Fr 6. Nov 2015, 15:35

Pluto hat geschrieben:Erkenntnis ist das nicht, sondern eher eine Tautologie.
Du meinst, Descartes' Erkenntnis sei eh klar?

Pluto hat geschrieben:Das, was davon ausgeht, was seine Anhänger daraus machen, ist Weltanschauung.
Das ist das Problem - nicht nur seiner Anhänger, sondern auch seiner Widersprecher. - Die Rezeption ist in der PRaxis immer der Knackpunkt, weil jede Weltanschauung ihr eigenes Süppchen kocht. - Insofern danke ich nochmals Halman, dass er diesen "ORiginal-Vortrag" von Descartes eingestellt hat.

Pluto hat geschrieben:Das ist nur dann logisch, wenn man von einem gut gesinnten, nicht tricksenden Schöpfer ausgeht.
Nee - der gut gesonnene oder tricksende SChöpfer entscheidet lediglich darüber, ob das Wahrgenommene "echt" oder Simulation "ist". - Die Erkenntnis, dass der Mensch dem ausgeliefert ist, weil er es selbst nicht unterscheiden können KANN, ist davon unabhängig.

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#1970 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Pluto » Fr 6. Nov 2015, 15:39

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Erkenntnis ist das nicht, sondern eher eine Tautologie.
Du meinst, Descartes' Erkenntnis sei eh klar?
Ja klar.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Das, was davon ausgeht, was seine Anhänger daraus machen, ist Weltanschauung.
Das ist das Problem - nicht nur seiner Anhänger, sondern auch seiner Widersprecher.
Gibt es denn Widersprecher? Ich kenne Niemanden der der Aussage cogito ergo sum widerspricht.
Allerdings ist es reine Ideologie diesen 300 Jahre alten Satz zum Leitfaden der Erkenntnis schlechthin zu erheben.

closs hat geschrieben:der gut gesonnene oder tricksende SChöpfer entscheidet lediglich darüber, ob das Wahrgenommene "echt" oder Simulation "ist". - Die Erkenntnis, dass der Mensch dem ausgeliefert ist, weil er es selbst nicht unterscheiden können KANN, ist davon unabhängig.
Es ist eine Frage der Interpretation. — Ich interpretiere ganz anders.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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