Anton B. hat geschrieben: Von Beobachtungen wird auf nichts geschlossen.
Vielleicht ist "geschlossen" nicht das richtige Wort - aber um uns nicht in Worte zu verhaken, lass uns mal in die Niederungen der Praxis gehen:
Ein Mensch sitzt auf seinem Jagsstuhl in der Serengeti und sieht Tiere - darunter welche, die schwarz-weiße Streifen haben, nach den Löwen an die Tränke gehen und nur in den Monaten Juli und August zu sehen sind (pure Erfindung von mir). - Nach einigen Jahren stellt der Beobachter fest, dass eine besondere Kombination verschiedener Parameter auf 5% aller beobachteten Tiere zutrifft - darauf gibt der Beobachter nach dieser seiner induktiven (oder nicht?) Arbeit diesen 5% einen Namen und nennt sie "Zebra". - Das ist der "nominalistische" Ansatz (siehe Universalienstreit).
Dieser Fiesel-Arbeit (die ich "wissenschaftlich" nennen würde), entspringt eine allgemeine Aussage, mündend in das Wort Zebra. - "Zebra" ist nach meinem Verständnis "abstrahierender Schluss aus beobachteten Phänomenen" - und das ist nun mal die Definition von "induktiv".
Mein Verdacht (korrigiere mich):
Dieser induktiv erworbene allgemeine Satz kann nun seinerseits deduktiv verwendet werden, indem man sagt: "Ein nach Erstellung dieses allgemeinen Satzes beobachtetes Einzel-Tier kann darauf untersucht werden, ob es ein Zebra ist oder nicht" - das wäre in der Tat Deduktion. - Meinst Du es so?
Falls ja: Was würde es daran ändern, dass diese Deduktion erst NACH der Induktion möglich wurde? - Deshalb meine ich nach wie vor, dass Naturwissenschaft primär induktiv ist (man muss die Viecher erst mal beobachten, bevor man daraus die allgemeine Aussage treffen kann: Tiere mit diesen Eigenschaften = Zebra).
Anton B. hat geschrieben:Aus dem Modell wird Spezielles abgeleitet.
Ich glaube, ich verstehe langsam. - Wenn man auf dieser Ebene ansetzt, kommt das so rüber. - Ich bin nun sehr ratlos, weil mir nicht klar ist, wie man dann empirisches und dogmatisches Denken begrifflich unterscheiden soll - dann wäre alles deduktiv (also von einer Setzung abgeleitet), gäbe es keinen Unterschied zwischen Naturwissenschaft und Dogmatik - das kannst Du nicht wollen.
Savonlinna hat geschrieben:Aber erst, nachdem man das Allgemeine durch gründliche Beobachtung des Besonderen hat herstellen können.
Probieren wir es mal am Beispiel Theologie:
Das Allgemeine ("Gott") wird durch Beobachtung hergestellt - dieser Satz geht irgendwie nicht. -
Theologie ist die deduktive Disziplin par excellence - und sollte sich zusammen mit den Naturwissenschaften zu den deduktiven Disziplinen rechnen lassen?
Savonlinna hat geschrieben:WO habt Ihr das gelernt, kannst Du das erinnern? Das wäre nicht unwichtig.
Philosophie-Seminar zum Thema "Platos Ideenlehre und Universalienstreit".
Nach Platon sind Ideen das „Urbild“ (paradeigma) aller Dinge. Sie sind unveränderlich und den Einzeldingen vorgeordnet (universale ante rem), die an ihnen nur teilhaben (methexis). Nur sie sind im wahren Sinn des Wortes seiend. Die sichtbaren Einzeldinge stellen nur mehr oder minder vollkommene Abbilder der Ideen dar. (vgl. wik). Mit anderen Worten: Das Einzelne ist Ableitung (Deduktion) der Idee und nie vollkommen (siehe auch die Bedeutung von "con-scientia"). - In diesem Sinne ist Theologie eine deduktive Disziplin.
Naturwissenschaft geht umgekehrt vor: Für sie gibt es keine den Einzeldingen vorgeordnete "Urbilder", sondern "nur" durch Einzelbeobachtungen klar definierbare Teilmengen, denen man einen Namen gibt "(Zebra"). - In diesem Sinne wäre Biologie eine induktive Disziplin.
Mein Verdacht:
Geht man eine Ebene runter und nimmt die induktiv erreichte allgemeine Aussage ("Zebra") zum Maßstab, hat diese Aussage natürlich für alles Folgende deduktiven Charakter. - Aber auf diese Idee muss man erst mal kommen ...
Anton B. hat geschrieben:Das Modell ist die weiter nicht begründbare Grundmasse, aus der dann durch die Ableitung von Beobachtungsvorhersagen Falsifikationen versucht werden.
Klingt vernünftig. - Was mir klar geworden ist: Man muss die Begriffe "Deduktion" und "Induktion" nur auf verschiedenen Ebenen platzieren und schon bedeuten sie de facto das Gegenteil.
Wie würde man nach heutiger Perspektive "Naturwissenschaft" und "Theologie" benennen, wenn man dazu nur die Worte "deduktiv" und "induktiv" zur Verfügung hätte?