Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

closs
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#951 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von closs » Fr 7. Aug 2015, 23:53

Münek hat geschrieben:Wobei sofort die Frage auftaucht, welche Daten sammeln "Gläubige"?
Auf historisch-kritischer Ebene dieselben wie Agnostiker - der Unterschied liegt in der Bewertung.

Pluto
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#952 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Pluto » Sa 8. Aug 2015, 00:04

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Wobei sofort die Frage auftaucht, welche Daten sammeln "Gläubige"?
Auf historisch-kritischer Ebene dieselben wie Agnostiker - der Unterschied liegt in der Bewertung.
Das stelle ich in Frage.
Sind Gläubige (Theologen) die Richtigen um eine solche Bewertung zu machen?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

closs
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#953 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von closs » Sa 8. Aug 2015, 00:04

Münek hat geschrieben:Die historisch-kritischen Ergebnisse bilden in der Tat das Fundament, an das man nicht vorbeikommt. Nicht ohne Grund ist
die HKM Standard-Auslegung an den theologischen Fakultäten. Nicht ohne Grund, mein Lieber!
Ratzinger würde Dich dafür abknutschen.

Münek hat geschrieben:Solltest Du es tatächlich geschafft haben, "vom Deiner "Meta-Ebene" in die Realität herabzusteigen?".
Es geht ohnehin ausschließlich um "Realität"/"Wirklichkeit"/"das, was der Fall war". - Da ist keine eigener Schritt zu tun.

Ob positvistische oder kanonische Hermeneutik: Es geht ausschließlich um die Frage, "was der Fall war". - Nur gibt es dazu modell-/perspektiven-bedingt unterschiedliche Antworten, die (je nach Wissenschafts-Definition) entweder beide wissenschaftlich oder beide schein-wissenschaftlich sind. - Dazwischen gibt es nichts.

closs
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#954 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von closs » Sa 8. Aug 2015, 00:06

Pluto hat geschrieben:Sind Gläubige (Theologen) die Richtigen um eine solche Bewertung zu machen?
Zunächst ist es wichtige, dass man (wissenschaftliche) Datenerhebung von Datenbewertung katagorial trennt.

Wer dann die Richtigen sind, ist nicht entscheidbar - letztlich ist der der Richtige, der mit seiner Perspektive am nähesten dran ist, "was damals der Fall war".

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#955 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Münek » Sa 8. Aug 2015, 00:29

Hemul hat geschrieben:Wie immer hat die Bibel auch hier folgen Rat in Prediger 12:12+13 parat:
12 Und darüber hinaus, mein Sohn, lass dich von ihnen warnen! Das viele Büchermachen findet kein Ende. Und das viele Studieren ermüdet den Leib. 13 Lasst uns nun das Ergebnis des Ganzen hören: Fürchte Gott und halte seine Gebote! Das soll jeder Mensch tun.
:wave:

Genau mit dieser Begründung hat mich mein Vater davon abgehalten, die Schule zu besuchen.

Ich war ihm damals sehr dankbar - und später hatte ich den Salat... :( :( :(
Zuletzt geändert von Münek am Sa 8. Aug 2015, 04:03, insgesamt 1-mal geändert.

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#956 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Halman » Sa 8. Aug 2015, 02:09

Pluto hat geschrieben:
closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Wobei sofort die Frage auftaucht, welche Daten sammeln "Gläubige"?
Auf historisch-kritischer Ebene dieselben wie Agnostiker - der Unterschied liegt in der Bewertung.
Das stelle ich in Frage.
Sind Gläubige (Theologen) die Richtigen um eine solche Bewertung zu machen?
Hast Du bei Prof. Erich Zenger den Eindruck, als wern er dies nicht konnte, oder als wenn er ungläubig wäre?
In Kirchenside heißt es über ihn:
Zenger galt als einer der bedeutendsten alttestamentlichen Bibelwissenschaftler der Gegenwart. Zudem war er vor allem im christlich-jüdischen Dialog engagiert. ...

Engagiert im christlich-jüdischen Dialog

Zenger, am 5. Juli 1939 in Dollnstein im oberbayerischen Kreis Eichstätt geboren und 1964 in Rom zum Priester geweiht, gehörte zu den prägenden Gestalten der Bibelwissenschaft seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. ...

Genn würdigt Zengers "Begeisterung für das Wort Gottes"
[...]
... "Mit großer Leidenschaft" habe Zenger das Alte Testament erforscht und vielen Menschen neue Zugänge dazu erschlossen, würdigt Bischof Felix Genn Zenger in einem Totenbrief. Studenten und Zuhörer seien unwillkürlich hineingezogen worden in Zengers "Begeisterung für das Wort Gottes". Genn dankt dem Verstorbenen, der Priester des Bistums Eichstätt war, auch für seinen Einsatz als Seelsorger und Prediger im Bistum Münster sowie für sein Engagement in der Fortbildung der Seelsorger. ...
Zenger war also Priester, Seelsorger und Prediger und "einer der bedeutendsten alttestamentlichen Bibelwissenschaftler der Gegenwart".
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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#957 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Halman » Sa 8. Aug 2015, 02:32

Savonlinna hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Bei einer Textquelle kann es sehr wohl mehr als nur eine redlich vertretbare Interpretation geben, sofern sie anhand des vorliegenden Textes begründbar ist. Im Bereich der Literatur folgt aus identischer Quellenlage mitnichten zwingend das gleiche Ergebnis.
Und auch im Bereich der Naturwissenschaft folgt das nicht zwingend.
Ja, da stimmt - danke dass Du darauf hinweist. Dein konkretes Beispiel mit den Bonobos belegt dies sehr gut.

Als Beispiel hatte Pluto auch die Interpretationen der Quantenmechanik angeführt. Dies kann ich bestätigen, dort wird sauber zwischen den unbestrittenen mathematischen Formalismus und den Interpretationen unterschieden.

Schön, dass Du wieder hier bist. :blumenstrauss:

Savonlinna hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Sind im geisteswissenschaftlichen Bereich die Erkenntnisse wirklich so eindeutig? Kann es denn bei Textinterpretation nur eine haltbare Meinung geben?
Nein, natürlich nicht.
Schön, dass Du dies bestätigst.

Angenommen, wir würden ins Theater gehen und zwar in der selben Vorstellung. Wenn wir uns nun hinterher zu einem Kaffee oder Tee treffen würden, um über unsere Rezeptionen des Stückes zu diskutieren, würden wir vermutlich feststellen, dass sie recht verschieden sind und folglich auch unsere Interpretationen differieren.
Nun kann es auch Fehlinterpretationen geben, denn jede Interpretation muss sich anhand der zugrundeliegenden Literatur begründenn lassen und kann daher nicht völlig beliebig sein, doch lass uns mal annehmen, dass keinem von uns Fehlinterpretationen unterlaufen, sondern wir vielmehr imstande sind, unsere Deutungen anhand des Theaterstückes zu begründen. Über die Fakten, welche Schauspieler spielten, in welcher Sprache das Stück dargeboten wurde, ob der Bühnenaufbau minimalistisch oder aufwändig war usw. sind wir uns natürlich einig. Doch unsere Deutungen können variieren, auch wenn keine Fehlinterpretation bei einem von uns vorliegt.

Dein Beispiel anhand des Dichters Franz Kafka zeigt sehr deutlich, wie schwierig bis unmöglich es sein kann, literarische Werke eindeutig auszulegen.

Der moderne Mensch scheint mir aber große Schwierigkeiten damit zu haben, Interpretationen in der "Schwebe" zu halten, er verlangt nach eindeutiger Konkretisierung, ist nüchtern faktenorientiert und vermag die "Farben" der Symbolsprache, die über das rational fassbare ins Unergründbare weist, nicht mehr wahrzunehmen.
Symbolblinde Rezipienten können natürlich die "Sprache" der Bibel nicht verstehen und ausdeuten. Daher können sie die "Zahlen" nicht erkennen - sie lesen nur Wirrwarr - entsprechend ist ihr Urteil.
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#958 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Münek » Sa 8. Aug 2015, 03:53

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Man kann z. Bsp. das Modell erstellen, dass es bei Jesus eine Naherwartung gab und diese Vorhersage des Modells mit den Inhalten der Bibel vergleichen. Und siehe da... das Modell wird immer wieder in der hlg. Schrift bestätigt.
Man kann ein anderes Modell unter kanonisch-hermeneutischen Gesichtspunkten erstellen, das auf derselben Basis HKM-spezifischer Erkenntnisse zu anderen Ergebnissen kommt.


Sorry. Was Du da schreibst, ist schlicht Unsinn.

Warum informierst Du Dich nicht einfach, bevor Du solche unausgegorenen, von keinerlei Sachkenntnis
getrübten Statements loslässt?

Mach Dich erstmal schlau, was unter "kanonischer Exegese" zu verstehen ist und in welchem Verhältnis
diese zur Standard-Exegese (historisch- kritische Auslegung) steht - und was man daraus vernünftiger-
weise schlussfolgern kann...

Ohne dieses Grundwissen befindest Du nicht in der Situation, kompetent mitreden zu können.

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#959 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Münek » Sa 8. Aug 2015, 05:02

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Die historisch-kritischen Ergebnisse bilden in der Tat das Fundament, an das man nicht vorbeikommt. Nicht ohne Grund ist die HKM Standard-Auslegung an den theologischen Fakultäten. Nicht ohne Grund, mein Lieber!
Ratzinger würde Dich dafür abknutschen.

Das glaube ich eher weniger. :)

Ich habe nämlich sein "Jesus-Buch" zweimal (weil neugierig) gelesen. In seinem Vorwort lobt Ratzinger
zwar die "historisch-kritische Methode" und streicht die Notwendigkeit ihres Gebrauchs heraus. :thumbup:

Aber das hat er nicht wirklich ehrlich gemeint. :devil:

Sein lobendes Wort (jetzt folgt ein Zitat) "mündet bald in einen WARNENDEN Hinweis darauf, dass die historisch-
kritische Methode bei der Anwendung auf biblische Schriften "Grenzen zu RESPEKTIEREN habe". Die allgemeinen
Gesetze der historischen Kritik gälten für die auf die "Heilige Schrift" angewandte historische Methode nur einge-
schränkt
, und die historische Methode schöpfe den "AUFTRAG :lol: der Auslegung" für den nicht aus, der an die
göttliche Inspiration der Bibel glaube".

(Quelle: Theologieprofessor Gerd Lüdemann "Das Jesusbild des Papstes", Unterstreichungen von mir)


Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Diesem arroganten, anmaßenden Unsinn ist nichts hinzuzufügen... :thumbdown:

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#960 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von sven23 » Sa 8. Aug 2015, 07:27

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Die historisch-kritischen Ergebnisse bilden in der Tat das Fundament, an das man nicht vorbeikommt. Nicht ohne Grund ist
die HKM Standard-Auslegung an den theologischen Fakultäten. Nicht ohne Grund, mein Lieber!
Ratzinger würde Dich dafür abknutschen.

Er hält sich aber nicht an die Ergebnisse der HKM.
"Vielmehr müssten die Vertreter der historischen Methode lernen, die biblischen Texte mit einer inneren Offenheit für Größeres zu lesen. Dann öffneten sie sich, und Jesus werde als glaubwürdige Gestalt sichtbar."
Also man muß nur daran glauben, dann wird Jesus glaubwürdiger. :lol:

"Der Papst stellt sein Buch als Ausdruck seines persönlichen Suchens hin - es sei kein lehramtlicher Akt -, doch erweist sein Inhalt es als eine unverblümte Darstellung des römisch-katholischen Glaubens in historischem Gewand, bei dem die Inspiriertheit der Schriften, die Gottheit Jesu und die Irrtumslosigkeit der Schriften vorausgesetzt werden."
Quelle

Das erinnert irgendwie an die Situation bei der Homöopathie: Man tut so, als respektiere man wissenschaftliche Studien, ignoriert sie aber, wenn sie nicht die gewünschten Ergebnisse bringen.

Bei der Irrtumslosigkeit der Bibel befindet sich Ratzinger ja in einem Boot mit unserem Hemul. ;)
Zuletzt geändert von sven23 am Sa 8. Aug 2015, 08:44, insgesamt 1-mal geändert.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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