Als "Beleg" für die Parusieerzögerung wird häufig auf
Mk 9:1 verwiesen, obgleich aus dem unmittelbar nachfolgende Kontext hervorgeht, dass sich dieser Vers ebenso wie die Parallelverse auf die unmittelbar bevorstehende "Verklärung" beziehen. Denn auf Jesu Versprechen an seine Jünger (
Mat. 16:28), gem. dem noch einige unter ihnen Jesus in Königsreichsherrschaft kommen sehen würden, folgt die sog.
"Verklärung Jesu". Sowohl Markus (
Mk 9:2), wie auch Matthäus (
Mat 17:1), leiten mit dem Bindewort καὶ (
kai), was in diesem Zusammenhang
"und" bedeutet, direkt von Jesu Zusage zur "Verklärung" über.
Grundtext s.
Mk 9 u.
Mat 17
Lukas formuliert in
Luk 9:28 anders. Gem. der
Elberfelder Bibel lautet der Vers:
Es geschah aber etwa acht Tage nach diesen Worten, dass er Petrus und Johannes und Jakobus mitnahm und auf den Berg stieg, um zu beten.
Auch hier erkenne ich einen eindeutigen Bezug zu dem Versprechen Jesu.
Grundtext s.
Luk 9
Petrus, Jakobus und Johannes wurden den Synoptikern zufolge Zeugen, wie Jesus vor ihnen zur "Lichtgestalt"
umgestaltet ("verklärt") wurde. Damit erhielten sie eine prophetische Vorschau auf seine himmlische Herrlichkeit, die er als König des [König]Reiches Gottes innhaben würde. Moses und Elia repräsentieren das Gesetz und die Prophetie Gottes und fungieren hier als theologische Symbolträger. (s. bitte
2. Petr 1:16-19)
Wozu dieses Wunder, wenn die Jünger Jesu Wiederkehr nocht zu ihren Lebezeiten erleben würden? Tatsächlich hätte sich Jesu Versprechen ohne die sog. Verklärung nicht mehr erfüllt. Aus dem innterextlichen Sinnzusammenhang folgere ich, dass sich Jesu Wiederkehr in seiner Königsreichsherrschaft nicht zu Lebzeiten der Apostel erfüllen sollte, sondern zu einer späteren Zeit - weshalb auch die Verklärung auf dem Berg notwendig war. Wunder geschehen in der Bibel nicht ohne Grund. Durch dieses außergewöhnliche Ereignis, welches von allen Synoptikern im direkten Zusammenhang zu Jesu Versprechen geschildert wird, erfüllte sich Jesu versprechen.
Ein berechtiger Einwand, mit dem ich konfrontiert wurde, hitnerfragte, warum denn Jesu Versprechen schon nach etwa einer Woche erfüllt wurde. Diese Zeitspanne ist in der Tat ungewöhnlich kurz.
Nun, aus dem vorausgehenden Kontext geht hervor, dass Petrus gem.
Mk 8.28-29 erkannte, dass Jesus der Messias (Christus) war, woraufhin Jesus seinen Jüngern hierüber ein Schweigergebot auferlegte. Von dieser Zeit an begann Jesus seinen Jüngern zu offenbaren, dass er Leiden und sterben würde (
Mk 8:31), ein neuer Gedanke, mit den seine Jünger offenkundig (und menschlich nachvollziehbar) Schwierigkeiten hatten. Vermutlich bot sich der Berg Hermon auf ihrer Wanderung für die "Verklärung" an, zudem fand sie etwa ein halbes Jahr vor Jesu Tod in Jerusalem statt - Jesu Zeitrahmen war also schon sehr begrenzt. Mehr dazu könnt ihr meinem Beitrag vom
Mo 5. Jan 2015, 02:51 entnehmen.
Münek wand dagegen mal ein:
Münek hat geschrieben:Und Mk 9,1 sagt Jesus: "Es stehen etliche hier, die den Tod nicht
schmecken werden, bis dass sie sehen das Reich Gottes kommen mit Kraft".
Daraufhin htte ich mich durch diverse
Bibelübersetzungen geklickt. Sofern ich mich nicht verzählte, ist das Verhältnis von "einige" zu "etliche" 19:11. Dass griechische Wort της (
tis) kann offenbar in beiden Varianten übersetz werden.
Vielleicht übersetzt die
Grünewald (Riessler-Storr-Bibel) (1924) am Neutralsten:
»Wahrlich, ich sage euch: Es stehen solche hier, die den Tod nicht kosten werden, bis sie das Gottesreich in Macht erscheinen sehen.«
Die Anzahl dieser musste logischerweise kleiner sein als die Gesamtzahl der 12 Jünger. Laut dem Kontext bezieht sich die Aussage auf die drei Jünger, welche Jesus mit auf dem Berg nahm. Der innertextiche Zusammenhang ist schwerlich zu leugnen.
Aus krtischer Sicht scheint mir der Verweis auf
Mat. 10:23 stichhaltiger zu sein. Vermutlich wurden die Jünger tatsächlich mit ihrer Mission in den Städte Israels nicht fertig, bis der Jüdische Krieg (66 - 73 n. Chr.) das Land verheerte. Hierzu habe ich diese
Erklärung gefunden.
Später wurde der Missionsauftrag erweitert (s.
Mat 24,14 u.
Mat 28:19-20). Sogesehen können die
"Städte Israels" als Metapher für die Städte der Welt interpretiert werden.
Zu jener Zeit kannten die Jünger nur ihren Auftrag, das Evangelium Israel zu verkünden. Später wurde dieser Auftrag auf die ganze Welt erweitert.
Die Bibel ist nicht durch systemmatische Einheit gekennzeichnet, sondern durch einen
dramatischen Zusammenhang (Zenger). In religiöse Texten vermag ich mehrere Rezeptionsschichten zu entdecken, auch die Allegorische. Daher halte ich es für legitim, mich auch der Allegorese zu bedienen, um religiöse Texte auszudeuten.
Ich stimme Münek darin zu, dass das Das [König-]Reich (Himmelreich lt. Matthäus) im Zentrum Jesu Evangliums stand. Dies verstehe ich allerdings in dem Sinne, wie es Martin C. R. Krüger in seinem Buch
Prüft Alles, Das Gute Haltet Fest! 1 Thes 5,21 erklärt. Jesus war nämlich der König des himmlischen Reiches Gottes und durch seine Anwesenheit war das Königreich
nahe. Von Jesus erging eine Einladung an seine Zuhörer, seine Jünger zu werden und damit Teilhaber am
Reich ... seiner Liebe (s.
Kol 1:13). Dieses geht dem verheißenem
messianischen Königreich voraus.
In diesem Sinne ist meiner Auffassung nach auch
Mk. 1.15 zu verstehen (ein weiterer gern angeführter Kritikpunkt). Die
Zeit hatte sich in dem Sinne
erfüllt, dass der künftige König des Reiches nun zu ihnen sprach und auf diese Weise die Βασιλεία (
Basiléia, Königreich/Königswürde) nahe war.