ThomasM hat geschrieben:Savonlinna hat geschrieben:
Also die, die schon als Atheist beleidigt haben, tun das dann auch als Christ. Und umgekehrt.
Ob man als Christ menschenfeindlich wird oder als Atheist menschenfeindlich wird, hängt also nach meiner Beobachtung von den jeweiligen charakterlichen Voraussetzungen ab und nicht von der Weltanschauung.
Ich würde diese Beobachtung nicht bestreiten, ich halte sie nur für unvollständig.
So, aus dem Kontext gerissen, klingt meine Aussage auch ein wenig verfälscht.
Ich habe nur von einigen Christen und Atheisten gesprochen: das untenstehende Zitat kam von mir zuerst, und da sprach ich von "mitunter" und "manchmal".
ThomasM hat geschrieben:Es gibt nämlich durchaus das Phänomen, dass jemand durch den Wechsel des Weltbildes sein Verhalten ändert.
Ja, das schon. Das Verhalten ändert sich völlig, in den von mir beobachteten Fällen. Aber entscheidende Charakterzüge nicht.
Allerdings muss natürlich auch das differenzierter betrachtet werden. Denn Menschen verändern sich im Laufe ihres Lebens durchaus auch in ihrem Charakter - ganz unabhängig davon, ob sie sich erst Christ und dann Atheist nennen oder umgekehrt.
Ob der GRUNDcharakter enthalten bleibt - die Grundfragen, mitsamt ihrem dialektischen Hin und Her -, das weiß ich nicht genau. Ich glaube allerdings eher, ja.
ThomasM hat geschrieben:Oft wird jemand, der durch religiöse Zwänge in einem gesetzlichen Korsett gefangen war nach dem Ablegen der Religion und der Hinwendung zum Atheistentum stark ausschweifend und zügellos.
In dem Falle muss das Bedürfnis danach aber schon vorher vorhanden gewesen sein.
Darum sprach ich auch nicht von "Verhalten", sondern von "Charakter", und auch wenn mein Begriff nicht sonderlich toll ist, so meine ich damit das, was an Grundproblematik und Grundbedürfnis in einem Menschen angelegt ist - seine "Tiefenstruktur" sozusagen, seine Grundspannung, die Pole, zwischen denen er sich bewegt.
Aber ich halte es dennoch für möglich, dass ein Mensch, der fanatisch entweder seine Religion oder seinen Atheismus verteidigt, von diesem Fanatismus abkommt.
"Fanatismus" gehört letzten Endes auch nicht zur "Grundposition" oder zum "Grundbedürfnis" eines Menschen - aber ein unleidenschaftlicher Mensch wird möglicherweise nie fanatisch werden können. Umgekehrt kann aber die Leidenschaftlichkeit im Laufe des Lebens "gebrochen" werden, und dann hört sie auf oder sinkt zumindest ab. Und dann ist es mit dem Fanatismus ebenfalls Schluss.
ThomasM hat geschrieben:Wenn dann noch die folgende Beobachtung hinzukommt
Savonlinna hat geschrieben:
Ich schrieb schon mal irgendwo, dass atheistisch gewordene Menschen mitunter strikt gegen den Krieg sind, strikt das Töten auf dem Schlachtfeld als Morden bezeichnen.
Christen hingegen eiern da manchmal rum, weil sie sich von der Bibel nicht lösen können und meinen, auf dem Schlachtfeld wird nicht gemordet, sondern "nur" getötet.
Und es gibt das Umgekehrte. Christen schließen sich der Friedensbewegung an, während Atheisten die Friedensbewegung für falsch halten.
muss man wohl zugeben, dass es zwei Phänomene gibt:
- die des persönlichen Weltbildes
- die des kulturell entwickelten Weltbildes
Beide Formen von Weltbildern beeinflussen sich stark, sind aber letztlich nicht deckungsgleich. Das kulturell entwickelte Weltbild stellt ja auch "nur" eine statistische Meinungsverteilung der entsprechenden Gesellschaft und Zeit dar. Statisik heißt dann, dass dies nur ein Mittelwert ist, wobei die persönlichen Weltbilder einer entsprechend großen Standardabweichung unterliegen.
So kann das kulturell entwickelte Weltbild z.B. eine humanistische Form annehmen und dadurch entstanden sein, dass die Mehrheit der Menschen aus christlichen Wurzeln eine enstsprechende Ausrichtung entwickeln, es aber genügend atheistisch eingestellte Menschen gibt, so dass gesellschaftlich das Weltbild von dem religiösen Beiwerk entkleidet wird. Das kulturelle Weltbild hat dann wiederum auch Auswirkungen auf atheistisch eingestellte Menschen hat, die den Humanismus übernehmen, ohne die christlichen Hintergründe gut zu heißen. Religiös eingestellte Menschen ergänzen das dann mit ihren religiösen Hintergründen sozusagen als Begründung.
Es kann sein, wie Du sagst (wenn ich das überhaupt richtig verstanden habe).
Auf jeden Fall sehe ich ein kulturell entwickeltes Weltbild niemals einpolig - es enthält immer zwei Pole, in dem oben genannten Beispiel Befürwortung von Gewalt in bestimmten Fällen, und Befürwortung der Gewaltlosigkeit.
Beide Pole können religiös begründet werden und können anthropologisch begründet werden - beides im weiten Sinne.
In dieses Angebot hinein wird ein Indivduum geboren, und irgendwann wählt es aus, erweiternd vielleicht, und das wird dann zum persönlichen Weltbild.
Und dann hängt es wieder von dem Individuum ab, wie stark es kollektive Überzeugungen - seien sie religiöser, seien sie anthropologischer Natur - für das persönliche Weltbild übernimmt oder eben gerade nicht.
Jetzt weiß ich nicht, ob ich nicht genau dasselbe gesagt habe wie Du, aber zumindest hätte ich es dann anders gesagt.
