seeadler hat geschrieben:
Wie du ja weißt hat jegliche mythologie seinen Ursprung in irgend einer wahren oder besser gesagt realen Begebenheit, die möglicherweise aus damaliger Sicht noch nicht verstanden werden konnte.
Kannst du dir denn vorstellen, dass es hier relativ nüchterne und wissenschaftlich nachvollziehbare Prozesse sind und waren, die zur Entstehung jener Mythen geführt haben. Und wo dann auch zwangsläufig jegliches "wahres Geschehen" noch ein wenig und immer weiter führend geschmückt wurde, so dass es heute recht schwierig ist, den eigentlichen Kern jener Aussage zu erfassen?!
Man muss feststellen, dass ein Mythos nicht allein durch äußere Begebenheiten entsteht, sondern tatsächlich auch durch Regungen der Psyche oder Verklärungen von biologischen Vorgängen im Menschen. So liegt in Hänsel und Gretel auch der Generationenkonflikt zu Grunde und in Dornröschen die Entwicklung des weiblichen vom Mädchen zur Frau in einem bestimmten gesellschaftlichen Kontext und der Beginn ihrer Menstruation.
Tatsächlich wird es sehr schwer den Kern eines Mythos (oder Märchens oder Legende) zu fassen, weil die Zeit und die Geografie (Mythen wandern!) ihn abgeschliffen hat oder die jeweilige Kultur, auf der ein Mythos trifft, neues hineinlegt.
Etwa zur Schlange/Drachen habe ich hier schon etwas geschrieben:
http://www.4religion.de/viewtopic.php?p=117766#p117766
seeadler hat geschrieben:Ich meine hier unter anderem die Verwendung biblisch prophetischer Zeiten, wie auch allgemein entsprechend in der Bibel immer wiederkehrende Zeiträume, die mittlerweile auch mystischen Charakters sind, wie die zahl 40 etwa, ebenso wie die 7 sowieso, oder die zahl 150, oder 1260, aufbauend auf die "Grundzahl" 360 usw... und so auch die 1000 Jahre, oder die 490 Jahre genauso wie die 2300 Jahre. Das, was wir heute in die Rubrik Gematria und Kabbala einreihen, zuordnen und somit dem ganzen eine mystische Bedeutung geben, vor der sich die "gemeine Bibelleser" in acht nehmen soll, hat meiner Meinung nach seinen Ursprung in der Astronomie, bzw der Beobachtung der Vorgänge im Himmel, was ja schon zu "Lebzeiten Noahs" ausgiebig und mit Erfolg getan wurde.
Meist liegen Zahlen tatsächlich astronomische Beobachtungen zu Grunde. Allerdings muss man da vorsichtig sein, weil gerade im späten Mittelalter und wieder ab der Renaissance (Stichwort Kabbala, Alchemie, Freimaurer) diese Zahlen zu Symbolen gnostischer Welt- und Gotteserklärungsphilosophien wurden.
Gerade zur Zahlensymbolik ein Beispiel zu den 12 Rau(ch)nächten (vielleicht kennst Du diesen Brauch/Mythos):
Warum sind es gerade jene zwölf Nächte zwischen Wintersonnenwende und Epiphanie (Erscheinung des Lichts), in denen bei eisigen Winterstürmen die Wilde Jagd durch die Lande zieht? Früher lebten die Menschen sowohl nach dem Sonnen- als auch dem Mondzyklus. Das Mondjahr mit seinen zwölf Mondumläufen hat 354 Nächte, das Sonnenjahr 365 Nächte. Es bleiben zwölf Korrekturnächte übrig, um den Kalender wieder übereinstimmen zu lassen, die als „Ruhenächte“, als Raunächte, von der europäischen Bevölkerung in ihren Jahresfesten aufgenommen wurden. In dieser dunklen Zeit sollte alle Arbeit ruhen und Kraft für die verbleibenden Wintertage gespart werden. Die Häuser ohne Glasfenster waren zugig und das offene Feuer wärmte kaum die Räume. Die „ruhenden Nächte“ waren auch die Zeit die Häuser mittels Räuchern zu desinfizieren, so wurden daraus ebenso die „Rauch-nächte“ . Man verwendete dafür Föhrenharz, Speik (ein Baldriangewächs der Alpen) und Wacholder (Kranawett). Die längste Thomasnacht markierte man mit Feuern auf den Höhen und am 6. Januar feierte man den nun länger werdenden Tag, die Erscheinung des Lichts. Dieser Tag ist der „Perchtentag“, abgeleitet vom althochdeutschen berath, was „glänzen, strahlen, leuchten“ bedeutet und die Pracht der strahlenden Sonne ausdrücken soll. Doch zuvor stand das Jahresrad gewissermaßen still, gemäß dem Sonnenstillstand zur Zeit des Solstitiums. Alles drehbare galt es zu entfernen, Hoftore, Gattertüren oder die Spinnräder, denn wenn sich das große Rad der Sonne nicht drehte, durfte sich auch auf der Welt nichts drehen. Selbst das Tanzen in den leeren Wirtshäusern war verboten, denn „Kathrein stellt den Tanz ein“.
Mit den 12 Aposteln hat dies aber nur peripher etwas zu tun (den Aposteln wurden später in der Astrologie Sternbilder zugeordnet)
Ein anderes Beispiel, die Zahl 5 in Bezug auf keltische Kultur, die maßgebend unsere westeuropäische beeinflusste:
Die 5 hatte auch bei der Landvermessung Bedeutung und steht mit dem Pentagramm in Verbindung. Ein genordetes Pentagramm auf einer Landkarte zeigt mit seinen Spitzen, von einem heiligen Ort in der Mitte des Fünfsterns betrachtet, auf wichtige Sonnenstellungen im Jahreslauf wie Sonnenwenden und Äquinoktien. Der Lauf der Venus bei ihrem achtjährigen Umlauf um die Sonne beschreibt am Himmel ein exaktes Pentagramm. Die Druiden scheinen es in ihren magischen Praktiken zur Ortung von heiligen Plätzen herangezogen zu haben.
Das Pentagramm und die Primzahl 5 werden so zum umfassenden Symbol der Druiden. In ihr verbindet sich die Zahl des Mondes 2 mit der Zahl der Sonne 3 zu einem Kult und Kosmos. Der fünfzackige Stern besteht aus einer einzigen durchgezogenen Linie, deren Ende wieder in den Anfang mündet. Es entsteht eine endlose Bewegung von Tod und Wiederauferstehung, womit die Unsterblichkeit der Seele garantiert und die Unendlichkeit ausgedrückt wird. Die Zeit, die Geschichte und der Gang der Ereignisse verläuft nicht linear, sondern in sich stets von neuen wiederholenden Zyklen, weshalb auch eine Weissagung möglich ist.
Damit drückt die 5 ebenso das druidische Wissen um die Wiedergeburtslehre und die Mysterien der Großen Göttin aus. Das Wesen der Schöpfung besteht aus einer heiligen Ordnung, die Gesetz und Norm darstellt und auf die menschliche Gesellschaft übertragen wird. Das Gesetz der Natur bleibt eine unveränderliche Größe, solange es zyklisch ist. Der Mensch kann sich daran orientieren und erhält dadurch moralische Sanktionierung. Die Verletzung heiliger Gebote und Bräuche setzte somit durch Beeinträchtigung der Harmonie zerstörerische Kräfte frei, die zumindest für den Einzelnen, vielleicht sogar für die Gemeinschaft verhängnisvoll sein konnten .
Die Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde besetzen die vier Ecken des Pentagramms, in der fünften Ecke wird die Herrschaft des Geistes über die Elemente markiert. Damit kann man mit dem Zeichen alle Dämonen, Geister und Schattenwesen dieser Elemente in Fesseln legen. Stellt man das Zeichen jedoch auf den Kopf wird es zum bocksfüßigen Teufel und die 5 als synonym des Bösen.
An dem vorher gesagten kann man etwas ablesen: Ein Mythos wirkt und entsteht in einem zyklischen Weltbild. Und damit kommen wir zu einem entscheidenden Unterschied zum Christentum: Es bezieht sich ausschließlich auf ein lineares Weltbild, das Ziel ist allein Gott, der jegliche Lebensräder oder Wiedergeburten (wobei es nicht bewiesen ist, dass etwa die Kelten an eine fleischliche Wiedergeburt der Seele in einem Menschen glaubten) beendet. Jesus Christus, ein Gott, der für die Menschen stirbt, und das Evangelium waren etwas vorher noch nie dagewesenes. Natürlich wurden die "Chiffres" vorangegangener Mythen verwendet, weil sich deren innere Wahrheit nicht ändert, auch wurden später bei der Missionierung heidnische Bräuche christlich interpretiert, weil sich auch deren innere Wahrheit nicht änderte.
Aber auch die andere Richtung ist nachweisbar: Heidnische Bräuche und Religionen nahmen christliche Wahrheiten auf, was man gerade bei den Kelten feststellen kann, bevor sie missioniert wurden. Die Druiden in Irland prüften etwa die Lehre des "Hl. Patrick" genau und erachteten sie als Vollendung ihrer Lehre und übernahmen sie, weshalb dort ein Hort christlicher Weisheit entstand, von dem später ganz Europa profitierte.
In der Hl. Schrift fällt mir gerade das heutige Tagesevangelium auf, das die Spannungen althergebrachter gesellschaftlicher Bräuche und der Botschaft des Herrn veranschaulichen:
Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.
Mk 3,35
Die Familie, die Sippe, der Stamm waren die Säulen der antiken Gesellschaft und nun spricht dieser Jesus von einer geistigen Familie, was nicht verstanden wurde, so ist Jesus verrückt für diese Menschen!
"Denn er lebt den Glauben so, dass Konflikte sich zeigen und zu neuen Konflikten führen können. Denn Jesus verrückt die Grenzen des konventionellen Glaubens. Jesus verrückt den Glaubensvollzug. Jesus verrückt alle und alles auf den Platz, der den Blick freigibt auf den Willen des Vaters. Und das bringt Jesus in Konflikte. Weil er den Willen des Vaters predigt und lebt, muss er viele Gewohnheiten und Bräuche seiner Zeit verrücken. Dabei werden seine Verwandten und die Schriftgelehrten selbst verrückt. Aber sie lassen sich nicht verrücken und erklären einfach Jesus für verrückt. Deshalb gerät Jesus erst ins Kreuzverhör, dann schließlich ans Kreuz. Das Koordinatensystem familiärer und gesellschaftlicher Normen darf nicht verrückt werden. Leichter ist es, den „Verrückten“ am überkommenen Koordinatensystem aufzuhängen. So wollten Menschen damals verhindern, dass etwas in ihrem Weltbild verrückt wird. Nur damals?!"(Benno Kuppler, SJ)
Gerade in der Apokalypse des Johannes liegen für mich in den Bildern und Symbolen ein Fundus an Erkenntnissen, aber sie sind nur "Blumen am Wegesrand" und verändern nicht die Kernbotschaft. Im AT kann man im Schnitt auf jeder Seite einen Brauch und Mythos jener Zeit und jener Gesellschaft entdecken. Neben dem literarischen Blickwinkel kann die Hl. Schrift auch ethnologisch beleuchtet werden. Für mich sind die Erkenntnisse daraus weitaus wichtiger, weil sie den Menschen und seine Psyche in den Mittelpunkt stellen.
Servus und einen segensreichen Tag des Herrn!
