Ohne Gott keine Moral?

Säkularismus
Geistliches und Weltliches verbinden
closs
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#171 Re: Ohne Gott keine Moral?

Beitrag von closs » Di 26. Mai 2015, 10:31

Savonlinna hat geschrieben:Deine Frage scheint zu beinhalten, dass alles, was nicht "System" ist, persönliche Erlebnis-Welt sei?
So verstehe ich Dich - ja. - Wenn Du "Sein", das nicht wahrnehmbar ist, mit spitzen Fingern anfasst, bleibt doch eigentlich nur noch das übrig, was man selbst erleben kann - oder verstehe ich Dich da falsch?

Savonlinna hat geschrieben:Eine echte Alternative zur rationalistischen Weltsicht wäre ganz anders, ohne System, ohne Kategorien
Wie könnte man über so etwas sprechen? - Was wäre die Sprache dafür? - Was wären die Inhalte?

Savonlinna hat geschrieben:Durch rationale Behauptung - es gebe ein Sein ohne Wahrnehmung - zeigt man sich einmal mehr als im Banne der rationalistischen Definitionskunst
Wie anders wollte man das begrifflich fassen, was grundsätzlich oder situativ nicht wahrnehmbar ist? - Sollte man nur das als "Sein" anerkennen, was man grapschen kann?

Das Rationale verstehe ich doch nicht als Erlebens-Instrument, sondern als Instrument der Meta-Ebene, der Beschreibungs-Ebene, der Vogel-Perspektive. - Wenn ich mit meinem E-Bike durch ein mir neues Flusstal fahre, denke ich NICHT auf der Meta-Ebene, sondern auf der reinen Erlebnis-Ebene.

Mir scheint, dass wir intellektuelle Erkenntnis-Ebene und emotionale Erlebnis-Ebene trennen sollten. - Und schon wirst Du sagen: "Aha - schon wieder Kategorien". - Aber kann man aus allem wirklich EINE Ragout machen? Oder entspringt meine Frage einem Missverständnis dessen, was Du meinst?

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Queequeg
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#172 Re: Ohne Gott keine Moral?

Beitrag von Queequeg » Di 26. Mai 2015, 10:46

closs hat geschrieben:
Queequeg hat geschrieben:Und wenn wir die Götter dieser Welt noch sehr mit den (allzu)menschlichen Attributen der Moral und Ethik, der Liebe und Gnade schmücken, es sind und bleiben doch immer nur illusionäre Trugbilder, geboren aus menschlicher Phantasie und Einbildungskraft.
Aus Deinem Geschriebenen kann man entnehmen, dass Du "Moral" für menschliche Konvention hältst - richtig?

Mehr noch, ich halte das Wort Moral für eine bunte und willige Hure, die vom stupiden Kleinbürgern, sentimentalen Lumpenproletariern, selbsternannten Propheten, faschistoiden Bestien, theologischen Taschenspielern, atheistischen Vernünftlern und moralinsauren Adepten aller ideologischen und religiösen Sparten nur zu gerne bestiegen wird.

Oder einfacher gesagt: Moral und Ethik sind bombastisch befüllte Worthülsen, mit denen sich das Monströse, im Menschen, allzeit legitimieren lässt. Ob man nun Plato, Hegel, Kant, Marx, Hitler, Stalin oder wem und wen auch immer zitiert ist dabei egal, der Mensch als Herdentier braucht immer einen Leitaffen, vor dem er anbetend in die Knie geht.

Deshalb hier noch einmal aus meinem Beitrag (weiter oben) zitiert:

Nun haben sich die Menschen, im Laufe ihrer geistigen Entwicklung, einen tausendfältigen Gedankenkosmos aus Worthülsen geschaffen, um nicht an sich und dieser eigentlich unerklärlichen Welt/Kosmos/Universum am ende blöde zu werden. Ich denke, das sich der Mensch in seinem unergründlichen "Hineingestelltsein" in dieses Universum, in seinen Verhaftetsein in Raum und Zeit, auch in seiner Unvollkommenheit aus Bestie und Heiliger, eines Gottes zwar "bedienen" kann, es aber nicht zwingend muss.

Und wenn wir die Götter dieser Welt noch sehr mit den (allzu)menschlichen Attributen der Moral und Ethik, der Liebe und Gnade schmücken, es sind und bleiben doch immer nur illusionäre Trugbilder, geboren aus menschlicher Phantasie und Einbildungskraft.

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Zeus
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#173 Re: Ohne Gott keine Moral?

Beitrag von Zeus » Di 26. Mai 2015, 10:49

closs hat geschrieben: Ist Dir eine Kultur nach den Römern auf dem Boden dessen, was wir heute "Europa" nennen, bekannt, die dem Christentum zwischen 800 und 1.800 Konkurrenz gemacht hat und eine eigenständige Rolle gespielt hat?
Ja, ich kenne eine solche Kultur. :D

SPANIEN UNTER DEN MAUREN
Kultur/Wissenschaft/Alltag
- insgesamt erlebten Kunst und Architektur eine Blütezeit, sowie Handel u. Landwirtschaft wurden gefördert
- Cordoba war nach Konstantinopel die prächtigste Stadt Europas (1 Million Einwohner 80000 Geschäfte- gleichzeitig hatte größte christl. Siedlung 18000 Einwohner und kaum ein Dutzend Geschäfte) - span. Kultur war den übrigen Staaten weit überlegen
- in den Städten blühte das Handwerk (Spanische Seide, Metall - und Keramikwaren fanden in ganz Europa großen Anklang)
- die Hafenstädte waren blühende Handelszentren und die Hauptstadt Cordoba blühte in Wohlstand, Bildung u. Wissenschaft sowie in Eleganz des Lebensstils
- es wurden kostenlose Schulen gebaut u. an den Universitäten von Toledo u. Cordoba gab es umfassende Studien in Medizin, Mathematik, Philosophie u. Literatur, so haben z.B. Araber so wichtige Substanzen wie Schwefel-Salpetersäure und Alkohol entdeckt
- insgesamt bezog man sich sehr auf Wissenschaft der Antike; Aristoteles z.B. wurde schon lange studiert, bevor er im übrigen Europa bekannt wurde
- die Universitäten waren hervorragend ausgestattet u. verfügten über Laboratorien, Observatorien u. Bibliotheken

- es gab führende Wissenschaftler auf allen Gebieten z.B. begründeten sie Gleichungen dritten Grades, Tangens, Trigonometrie
- arabische Astronomen stellten genaue Tabellen der Sternbewegungen auf u. berechneten exakt die Neigung der Ekliptik
- auch gab es fundierte geographische Kenntnisse auf Grund der großen Ausdehnung des Reiches u. die Baukunst befand sich auf einem sehr hohen Level, was man an zahlreichen Palast und - Kirchenbauten erkennt, die zum großen Teil heute noch existieren z.B. Alhambra(Granada), Kathedrale(Sevilla), Moschee(Cordoba), Medina Azahara und ausgeklügelte und effektive Bewässerungssysteme im ganzen Land
- die Regierung war ziemlich tolerant, so konnten die Christen und Juden [...] ihre Religion weiter ausüben, mussten jedoch eine Kopfsteuer für Nichtmuslime zahlen (Mozarabier)
____________________________________________
Dort findest du mehr ausführliche Informationen über dieses Thema:
http://stud-www.uni-marburg.de/~Schmeer ... tml#Berber

Erst mit der Reconquista (Wiedereroberung) durch die Reyes Católicos (Katholischen Könige) wurde der Weg frei für die "segensreiche" Herrschaft des Christentums, (einschließlich der christlichen Nächstenliebe, so wie sie sich in der Toleranz und Nächstenliebe der Heiligen Inquisition manifestierte.)
e^(i*Pi) + 1 = 0
Gott ist das einzige Wesen, das, um zu herrschen, noch nicht einmal existieren muss.
(Charles Baudelaire, frz. Schriftsteller, 1821-1867)

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Savonlinna
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#174 Re: Ohne Gott keine Moral?

Beitrag von Savonlinna » Di 26. Mai 2015, 11:03

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Deine Frage scheint zu beinhalten, dass alles, was nicht "System" ist, persönliche Erlebnis-Welt sei?
So verstehe ich Dich - ja. - Wenn Du "Sein", das nicht wahrnehmbar ist, mit spitzen Fingern anfasst, bleibt doch eigentlich nur noch das übrig, was man selbst erleben kann - oder verstehe ich Dich da falsch?
Ja, Du veränderst meine Aussage. Die "spitzen Finger" betreffen nur Deine Formulierungen bzw. die - künstlichen - Alternativen, die Du aufstellst.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Eine echte Alternative zur rationalistischen Weltsicht wäre ganz anders, ohne System, ohne Kategorien
Wie könnte man über so etwas sprechen? - Was wäre die Sprache dafür? - Was wären die Inhalte?
Das muss jeder selber herausfinden.
Ich denke, in der Regel, dass sich die Sprache, die jemand wählt, auf das hinweist, wie sein Denken ist.
Und das Denken eines Menschen kann man nicht verändern.
Verändert sich sein Denken, ändert sich auch seine Sprache.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Durch rationale Behauptung - es gebe ein Sein ohne Wahrnehmung - zeigt man sich einmal mehr als im Banne der rationalistischen Definitionskunst
Wie anders wollte man das begrifflich fassen, was grundsätzlich oder situativ nicht wahrnehmbar ist? - Sollte man nur das als "Sein" anerkennen, was man grapschen kann?
Hier verstehe ich die Aussage nicht.
Wer zwingt Dich denn, von "Sein" zu sprechen?

closs hat geschrieben:Mir scheint, dass wir intellektuelle Erkenntnis-Ebene und emotionale Erlebnis-Ebene trennen sollten. - Und schon wirst Du sagen: "Aha - schon wieder Kategorien". - Aber kann man aus allem wirklich EINE Ragout machen? Oder entspringt meine Frage einem Missverständnis dessen, was Du meinst?
Wenn Du rhetorische Fragen stellst, dann heißt das, dass Du mein Anliegen nicht verstanden hast.
Und dann ist es eben so.
Ich kann nur immer wieder versuchen, auf das Scheinhafte Deiner Gedankengebäude hinzuweisen.

Wenn Du plötzlich einen neuen Gegensatz "aus dem Hut" zauberst - nun steht plötzlich die "Erkenntnis"-Ebene gegen die emotionale Erlebnisebene, wozu ich gar nichts gesagt habe -, dann wird das Diskutieren zu einem schwammhaften Geschehen.

Pluto
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#175 Re: Ohne Gott keine Moral?

Beitrag von Pluto » Di 26. Mai 2015, 11:54

Queequeg hat geschrieben:Oder einfacher gesagt: Moral und Ethik sind bombastisch befüllte Worthülsen, mit denen sich das Monströse, im Menschen, allzeit legitimieren lässt. Ob man nun Plato, Hegel, Kant, Marx, Hitler, Stalin oder wem und wen auch immer zitiert ist dabei egal, der Mensch als Herdentier braucht immer einen Leitaffen, vor dem er anbetend in die Knie geht.
bombastisch befüllte Worthülsen... --
Eine doch sehr verwegene Aussage von Jemand der sich als Humanist bezeichnet. Du trittst die ethischen Werte unserer Gesellschaft mit Füssen?
Ist das den Ernst?

"Worthülsen" halte ich für eine Beschreibung aus dem Unwissen unserer anerkannten Regeln. Oder meinst du, die Menschen gingen alle mordend, stehlen und vergewaltigend? Sicher gibt es Ausnahmen, die wir als Psychopathen bezeichnen; das entspricht allerdings trotz wachsendem Atheismus bei uns, bei weitem nicht die Norm.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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Zeus
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#176 Re: Ohne Gott keine Moral?

Beitrag von Zeus » Di 26. Mai 2015, 12:13

Pluto hat geschrieben:Sicher gibt es Ausnahmen, die wir als Psychopathen bezeichnen; das entspricht allerdings trotz wachsendem Atheismus bei uns, bei weitem nicht die Norm.
Was willst du mit
trotz wachsendem Atheismus, andeuten, lieber Pluto? :o
e^(i*Pi) + 1 = 0
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(Charles Baudelaire, frz. Schriftsteller, 1821-1867)

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#177 Re: Ohne Gott keine Moral?

Beitrag von Queequeg » Di 26. Mai 2015, 13:52

Pluto hat geschrieben:
Queequeg hat geschrieben:Oder einfacher gesagt: Moral und Ethik sind bombastisch befüllte Worthülsen, mit denen sich das Monströse, im Menschen, allzeit legitimieren lässt. Ob man nun Plato, Hegel, Kant, Marx, Hitler, Stalin oder wem und wen auch immer zitiert ist dabei egal, der Mensch als Herdentier braucht immer einen Leitaffen, vor dem er anbetend in die Knie geht.
bombastisch befüllte Worthülsen... --
Eine doch sehr verwegene Aussage von Jemand der sich als Humanist bezeichnet. Du trittst die ethischen Werte unserer Gesellschaft mit Füssen?

Mein Aussage ist nichts anderes, als ein kurzer Abriss der Geschichte, respektive was während dieser einschneidenden Geschichts-Epochen alles mit den Worten der Wahrheit und Moral angerichtet wurde und angerichtet werden durfte.

Es gab und gibt immer auch eine Moral, eine Ethik der Henker, egal ob sie Juden in das Gas schicken, Systemgegner in den Gulag oder Ketzer zu Tode martern. Die einen beriefen sich auf Hitler, die anderen auf Stalin und andere wieder auf Gott, um das Krepieren, Schinden und Foltern zu legitimieren. Und sie alle folterten und massakrierten ihre Opfer im Namen und der Moral eines Gottes, egal auch hier, ob dieser Gott im Himmel thront, oder in irgendeinem Palast dieser Welt

Deine Antwort gleicht einem Feigenblatt, und auf diesem Feigenblatt steht - ich nicht geschrieben.

Samantha

#178 Re: Ohne Gott keine Moral?

Beitrag von Samantha » Di 26. Mai 2015, 14:30

Queequeg hat geschrieben:Mein Aussage ist nichts anderes, als ein kurzer Abriss der Geschichte, respektive was während dieser einschneidenden Geschichts-Epochen alles mit den Worten der Wahrheit und Moral angerichtet wurde und angerichtet werden durfte.

Es gab und gibt immer auch eine Moral, eine Ethik der Henker, egal ob sie Juden in das Gas schicken, Systemgegner in den Gulag oder Ketzer zu Tode martern. Die einen beriefen sich auf Hitler, die anderen auf Stalin und andere wieder auf Gott, um das Krepieren, Schinden und Foltern zu legitimieren. Und sie alle folterten und massakrierten ihre Opfer im Namen und der Moral eines Gottes, egal auch hier, ob dieser Gott im Himmel thront, oder in irgendeinem Palast dieser Welt
Moral ist dann nur ein zeitlich begrenzter Zustand, der flexibel angewandt werden kann?


Deine Antwort gleicht einem Feigenblatt, und auf diesem Feigenblatt steht - ich nicht geschrieben.
Verstehe den Satz nicht. Fehlt da evtl. ein Wort?

Hemul
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#179 Re: Ohne Gott keine Moral?

Beitrag von Hemul » Di 26. Mai 2015, 14:45

Zeus hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Sicher gibt es Ausnahmen, die wir als Psychopathen bezeichnen; das entspricht allerdings trotz wachsendem Atheismus bei uns, bei weitem nicht die Norm.
Was willst du mit
trotz wachsendem Atheismus, andeuten, lieber Pluto? :o
Zeusel schau doch bitte nicht so verschreckt. Pluto wollte Dir doch nur Mut machen-gelle Pluto? 8-)
denn die Waffen, mit denen wir kämpfen, sind nicht fleischlicher Art, sondern starke Gotteswaffen zur Zerstörung von Bollwerken: wir zerstören mit ihnen klug ausgedachte Anschläge (2.Korinther 10:4)

closs
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#180 Re: Ohne Gott keine Moral?

Beitrag von closs » Di 26. Mai 2015, 17:22

Zeus hat geschrieben:SPANIEN UNTER DEN MAUREN
Da habe ich mich ungenau ausgedrückt - natürlich gehört Spanien heute zu Europa. - Es ist bekannt, dass fast das gesamte Spanien über Jahrhunderte islamisch war. :) :) :)

Ich hätte statt "Europa" "Abendland" sagen sollen. - Oder zählst Du das islamische Spanien zum Abendland?

Queequeg hat geschrieben:Und wenn wir die Götter dieser Welt noch sehr mit den (allzu)menschlichen Attributen der Moral und Ethik, der Liebe und Gnade schmücken, es sind und bleiben doch immer nur illusionäre Trugbilder, geboren aus menschlicher Phantasie und Einbildungskraft.
Es gäbe demnach NICHT so etwas wie das, was Kant "inneres Gesetz" nennt? - Alles Moralische wäre opportunistischer Ausdruck, was einer Gesellschaft jeweils so einfällt?

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