Ich denke, es hängt davon ab, was wir unter Freiheit verstehen. Sinnvollerweise sollte man den Freiheitsbegriff vom Willen analytisch unterscheiden und erstmal klären, was wir meinen, wenn wir von Freiheit und vom Willen sprechen.Pluto hat geschrieben:Es ist tatsächlich so, dass viele Neurowissenschaftler einen wirklich freien Willen ablehnen. Einige, wie Prof. Gerhard Roth fordern sogar Veränderungen im Rechtssystem um dieser Erkenntnis gerecht zu werden. Ihre Argumentation läuft dahingehend, dass unser Wille in kausalen Vorgängen im Gehirn entspringt und deshalb niemals völlig frei sein kann.
In der Buchbesprechung zum Buch "Wille und Gehirn" (Kornhuber, Deecke 2007) wird im 2. Abs. zum Willens-Begriff folgende Definition formuliert:
Was hälst Du von dieser Umschreibung?„Der Wille ist der Beweger im ganzen Reich der Seele, auch im Denken“
In der Buchbesprechung (letzter Abs., Seite 1) wird festgestellt, dass der Wille keineswegs absolut frei ist, sondern nur in Graden:
Insofern stimmen die Verfechter unter den Hirnforschern zugunsten der Willensfreiheit mit der Feststellung überein, dass der Wille "niemals völlig frei sein kann". Aber dürfen wir etwa nur dann von Freiheit sprechen, wenn diese absolut ist? Verwenden wir das Wort in unsererem gewöhnlichen Sprachgebrauch nicht ständig für relative Freiheiten? So spreche ich davon, dass ich Bewegungsfreiheit genieße, obgleich ich nicht die Freiheit der Vögel besitze, ohne technische Hilfsmittel fliegen zu können.Insofern haben wir Willensfreiheit, aber nur in Graden. Absolute Freiheit gibt es nicht. Und unsere Freiheit ist am größten in Situationen, in denen wir uns höheren Zielen widmen können, weil wir irrelevante Reize auszublenden vermögen und unsere wichtigsten Bedürfnisse einigermaßen versorgt haben. Diese relative Freiheit umfasst viele Vorstellungen, die üblicherweise mit Freiheit verknüpft werden, wie Individualiät, Komplexität und Nicht-Prognostizierbarkeit.
Der Mensch besitzt allerdings ein höheres Maß an Selbstdisziplin als andere Primaten.Pluto hat geschrieben:Tatsache ist: In unserem täglichen Leben handeln wir nach unseren Veranlagungen und nach unserer Erinnerung (Erlerntes), und wählen aus den vorgegebenen Alternativen. Insofern sind wir (fast) frei in unserer Wahl, aber eben nicht frei im Willen.
Ganz frei wären wir nur, wenn wir auch zufällige Entscheidungen treffen würden, z. Bsp. absichtlich die falsche Autobahnseite benutzen.
Ein extremes Beispiel ist Amar Bharti, wie der FOCUS (3.- u. 4. Abs.) berichtet:
Korhuber und Deecke widersprechen auch Schopenhauer:Es war vor ziemlich genau 33 Jahren, als sich Amar entschloss, einen besonders steilen Weg zur Erkenntnis zu erklimmen. Er verließ seine Frau und seine Kinder, um sie nie wieder zu treffen. Dann hob er seinen rechten Arm und streckte ihn gen Himmel. Das war 1973.
[...]
Amar hält den Arm heute noch hoch.
Was meinst Du dazu?Der Mensch kann tun, was er will, aber nicht wollen, was er will, behauptet Schopenhauer – unzutreffend, denn der Mensch kann keineswegs alles tun, was er will, und er kann in vieler Hinsicht doch auch lernen zu wollen, was er will.
Interessant. Was hälst Du von einem Thread, der die großen Philosophen der Neuzeit vorstellt? In religiösen Diskussionen wird auch ab und an auf sie Bezug genommen und mein Wissen über sie ist erbämlich. Dafür kann ich ins Feld führen, dass mein Unwissen phänomenal ist.Pluto hat geschrieben:Genau!Halman hat geschrieben:Am Ende des oben verlinkten ZEIT-Artikels lautet das Fazit:
Zitat von Prof. Dr. Thomas Metzinger (Bewusstseinsphilosoph):
"Wir sind so komplex und flexibel, dass wir uns sogar selbst immer wieder einmal überraschen können"Thomas Metzinger ist meines Wissens (wie die meisten heutigen Philosophen) ein Kompatibilist.
Diese Ansicht baut auf den Erkenntnissen von David Hume (englischer Philosoph des 18. Jahrhunderts) auf, Hume meinte, wir könnten uns morgen u.U. auch ganz anders entscheiden als heute.
(Nebenbei war Hume eines der großen Vorbilder für Immanuel Kant.)
Ja, genau diese Hypthese stand dahinter - dies kam damals in der Diskussion zutage. Seinerzeit erfuhr ich überhaupt von der Penrose-Hypothese.Pluto hat geschrieben:Das ist meines Erachtens alter Wein in neuen Schläuchen... Es handetl sich hierbei vermutlich um die alte Hypothese des Mathematikers und Nobelpreisträgers Roger Penrose, der schon vor rund 20 Jahren die Willensfreiheit auf quantenmechanischen Wirkungen in den Mikrotubuli innerhalb der Neuronen zurückführen wollte.Halman hat geschrieben:Vor einigen Jahren wurde ich im Rahmen einer Diskussion in einem anderem Forum von einem User auf die interessante Idee aufmerksam gemacht, dass das menschliche Gehirn eine Art "Quantencomputer" sein könnte.
In der darauf folgenden Diskussion lernte ich, dass Zellen viel zu groß (mesokosmisch), „chaotisch“ und mit ca. 310° K viel zu warm sind, um Quantenverschränkungen aufrecht zu erhalten. Die Neurotubuli sind aus Makromolekülen aufgebaut, die im Vergleich zu Fullerenmolekülen² riesig sind.
Nun, eine interessante Idee war es mMn dennoch. Und Experimente müssen halt klären, welchen Erklärungsgehalt in ihnen steckt.Pluto hat geschrieben:Das größte Problem von Penroses' Hypothese ist, dass trotz mehrfachen Versuchen, Niemand in den vergangenen Jahren diese Wirkung der Mikrotubuli experimentell nachvollziehen konnte.
Interessant.Pluto hat geschrieben:Der renommierte englisch-irakische Physiker Jim Al-Khalili berichtet andererseits über quantenmechanische Phänome in den Photrezeptoren von Zugvögeln die das Erdmagnetfeld zur Orientierung verwenden — sie können offenbar mit Hilfe der Anordnung der photoempfindlichen Moleküle das Magnetfeld "sehen". Hier eine Rede (auf Englisch) aus den "erlauchten Hallen" der Royal Institution (deshalb trägt der Prof einen Anzug mit Fliege.)
Auch Prof. J. Huber denkt in die Richtung, dass quantenmechanische Prozesse in der Mikrobiologie (DNA) eine wichtige Rolle spielen.Pluto hat geschrieben:E-ben!Halman hat geschrieben:Angeregt durch die "alte Diskussion" im SciFi-Forum erwog ich vor Jahren den Gedanken, dass der Interdeterminismus der Quantenmechanik die geeignete „Zutat“ sein könnte, um einen freien Willen zu erklären. Doch ich sah schnell ein, dass ein System nicht ein bisschen interdeterminiert oder determiniert sein kann.
Hier sehe ich nur ein „Entweder-Oder-Prinzip“.
Wenn unser Wille indeterminiert wäre, müsste es Beispiele geben, wie z. Bsp. dass Menschen bewusst auf dem ihnen vertrauten Heimweg absichtlich links statt rechts abbiegen. Das tun Menschen aber nicht. Unser Gehirn scheint durch die Evolution entstanden zu sein, um unser Leben und Überleben zu unterstützen. IMO wären quantenmechanische Phänomene dafür nicht unbedingt dienlich, selbst wenn, wie Al-Khalili zeigt, quantenphänomene (Verschränkungen) in der Biologie auch bei 310 Kelvin funktionieren.
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Ein spannendes Forschungsgebiet. Da fällt mir gerade ein: John A. Wheeler grüßte seine Kollegen häufig mit den Worten: "Was gibt es Neues?"Pluto hat geschrieben:Das Studium von Quanteneffekten in der Biologie ist eine sehr junge Disziplin (kaum 5 Jahre alt). Deshalb sind solche Phänomene als Forschungsebiete enorm spannend — man bewegt sich hier am äußersten Rand der Wissenschaft — eigentlich ist es Forschungs-Neuland. Die Zukunft wird zeigen, wohin das führt, aber mit unserer Entscheidungsfreiheit hat es (IMO) wenig zu tun.
Dennoch könnte sich ein Mensch vielleicht entscheiden, sich vom Tiger fressen zu lassen.Pluto hat geschrieben:Man stelle sich einen Steinzeitmenschen vor, dem von Kindheit an eingeprägt wurde: Sägezahntiger sind gefährliche Raubtiere die Menschen fressen. Eines Tages entscheidet sich aber unser Steinzeitmensch sitzen zu bleiben und wird zum Mittagessen des Tigers.
Ist das ein Überlebensvorteil? Wie viel Nachwuchs wird ein solcher Mensch wohl zeugen können?