closs hat geschrieben:2Lena hat geschrieben: Werden die Lösungen genommen (=Kirchenlehre) sind alle Fragen von Savonlinna überflüssig.
EInverstanden - unter dem Aspekt, den ich "geistig" nenne, braucht es diese Fragen wirklich nicht. - WENN man aber schon historisch-kritisch deuten will, DANN sind Savonlinnas Fragen unumgänglich.
Ich denke folgendermaßen:
Historisch-kritisch ist eine Deutung
nie. Wer sie als Deutung sieht, ist ja gerade schon im Feld der Nicht-Wissenschaft - oder gar der Ideologisierung von Wissenschaft. Das hast Du ja gestern selber so ungefähr geschrieben. Und ich vermute, das wollten 2Lena und Janina mit ihren beiden posts ebenfalls sagen.
Das ist genau wie in der Literaturwissenschaft. Die Literaturwissenschaft kann feststellen, theoretisch, ob das Märchen "Dornröschen" ursprünglich auf einem aktuellen Geschehen basiert. Falls man so eine Quelle findet, dann ist das eine Art Nachweis dafür. Also eine Quelle über ein reales Geschehen.
Aber damit ist das Märchen nicht gedeutet. Wäre sogar noch nicht mal eine Deutung gewesen, als es erstmals formuliert wurde.
Angenommen aber - ich spekuliere hier wild, bitte beachten -, man findet die erste Variante der Dornröschen-Erzählung, dann könnte man textkritisch vergleichen, in welcher Weise a. das historische Geschehen verarbeitet wurde, b. die erste Variante sich bis heute verändert hat.
In beiden Fällen wird wissenschaftlich gearbeitet, es liegt also keine Deutung vor.
Die Deutung beginnt erst, wenn man über die wissenschaftliche Rekonstruktion
hinausgeht und es auf die eigene menschliche Situation anwendet: sich also als verstehenden Menschen einbringt. Und das reale historische Geschehen damit automatisch transzendiert.
Und das nenne ich einen "geistigen" Vorgang. Jegliche Deutung ist also nach meinem Sprachgebrauch ein geistiger Vorgang.
Auch die Aussage, dass die historisch-kritische Vorgehensweise nicht nur eine Methode sei, sondern auch eine Deutung, ist bereits - in dieser Ideologisierung - ein geistiger Vorgang.
Wenn Du hingegen Dich für die Möglichkeit einsetzt - und das tust Du ja unermüdlich -, dass der reale historische Jesus das Reich Gottes als "inwendig" verstanden haben könnte, dann bist Du im Bereich der historisch-kritischen Forschung. Denn so eine Aussage setzt seine reale Existenz voraus.
Wenn wir die Möglichkeiten, die die Textüberlieferung hergibt, erwägen und uns fragen, ob der so überlieferte Text-Jesus ein inwendiges Reich Gottes gemeint haben könnte, dann kann die historisch-kritische Methode ebenfalls Antwort geben: ja, die originalen Texte schließen diese Möglichkeit nicht aus.
Damit ist aber eben noch immer nichts über den realen Jesus gesagt, sondern nur über den
Text-Jesus.
Ich kenne einige Christen, die sich von dieser Frage nach dem historischen Jesus emanzipiert haben und sagen: entscheidend ist unser eigenes Bild davon. Denn immerhin haben Jahrtausende an diesem inneren Bild gearbeitet und an die jeweilige Zeit-Problematik angepasst.
Und gerade das finde ich faszinierend. Ich erwähne in diesem Zusammenhang fast immer den Marxisten Ernst Bloch, der auf die so notwendige Utopiefähigkeit des Menschen hinweist und zeigt, dass solche inneren Bilder dem Menschen Hoffnung verschaffen - weil die Menschen innerlich diese Utopie bereits spüren.