
Wem es interessiert, hier auch den Text von ein paar meiner Eindrücke letztens aus Betlehem:
Zwischen Jerusalem und Betlehem befindet sich heute eine 9 Meter hohe Mauer. Von drei Seiten umgibt sie die Geburtsstadt des Herrn. Wachtürme, Soldaten und Checkpoints schotten sie vom jüdischen Staat Israel ab. Betlehem liegt mit seinen 30000 Einwohnern in den palästinensischen Verwaltungsgebieten.
Nach dem Freitagsgebet treffen die palästinensischen Jugendlichen und die israelischen Jugendlichen regelmäßig, bereits ritualisiert zusammen. Die einen mit Pflastersteinen wurfbereit in den Händen, die anderen als wehrpflichtige Soldaten der israelischen Armee. Man ruft sie, indem man Steine an das Eisentor in einem Teil der Mauer wirft. Dahinter stehen die Wasserwerfer und Militärfahrzeuge mit ihrer Besatzung bereit. Das Tor öffnet sich und sie kommen, durch einen Steinhagel begrüßt. Die Wasserwerfer sprühen mit Chemikalien versetztes Wasser. Wird man davon getroffen, stinkt man einige Tage bestialisch. Dies soll abschrecken, nützt aber auch den nächtlichen Kommandos israelischer Soldaten, die dem Geruch folgend in die Häuser der Palästinenser eindringen und die überführten Demonstranten verhaften.
Es kommt auf den diensthabenden Kommandanten der israelischen Einsatzkräfte an, wie aggressiv die Soldaten gegen die palästinensischen Demonstranten nach dem Freitagsgebet vorgehen. Manchmal werden Gummigeschosse abgefeuert, immer wabern jedoch Wolken von Tränengas durch die Straße. Bis zur 2 km entfernten Geburtskirche dringen diese Wolken selten vor, den Lärm der Geschosse hört man aber. Ochse und Esel im weihnachtlichen Stall würden heute ständig erschrecken. Manchmal knattern Militärhubschrauber dicht über die Häuser hinweg und senden drohend die Schatten ihrer Rotoren über die Straßen.
Die palästinensischen Jugendlichen werfen Steine, Böller und feuern Feuerwerkskörper ab, rufen den Soldaten zu, sie sollen aus dem Land verschwinden, ihre Besatzung beenden. Die israelischen Jugendlichen in ihren gepanzerten Fahrzeugen lassen allein ihre militärische Macht sprechen, drängen ihre Angreifer langsam zurück, verfolgen die zu Fuß flüchtenden in die Seitenstraßen. Manchmal heult die Sirene eines Krankenwagens dazwischen. Dieses gespenstische Schauspiel dauert 2, 3 Stunden, dann ist plötzlich alles vorüber. Die Soldaten ziehen sich wieder hinter die Mauer und das Eisentor zurück, ein Räumkommando rückt nun aus, schiebt die geworfenen Steine auf einen großen Haufen zusammen, reinigt die Straße von Geschosshülsen. Alles ist bereit bis zum nächsten Freitag.
Viele der palästinensischen Jugendlichen gehen nun wieder mit vom Tränengas gereizte Augen in ihr Flüchtlingslager zurück. Die beiden Lager in Betlehem gibt es schon eine Ewigkeit, seit 1948, bis zu 15000 Menschen wohnen darin auf gerade mal 1 qkm. Die Lager bestehen nicht mehr aus Zelten, sondern aus eng zusammengebauten, verschachtelten Häusern, dazwischen enge Gassen. Aus einem einstigen Provisorium ist schon längst ein fester Bestandteil Betlehems geworden. Von der UN verwaltet, lebt hier bereits die 3. Generation von Flüchtlingen und Vertriebenen. Es ist Aufgabe der UN die Menschen hier zu versorgen, ärztlich, mit Strom und Wasser. Jeden Morgen wird der weiße Müllcontainer mit UN-Logo geleert, der vor dem Flüchtlingslager steht. Ein Tankwagen liefert Wasser. Manchmal lädt ein anderer Lastwagen einige Paletten Mehl ab und stellt sie vor das Lager, es ist viel zu wenig, um die Menschen zu versorgen. Die Bewohner nennen die UN United Nothing, schon seit Jahrzehnten. Das Lager ist militärisch von Israel abgesichert, ein Wachturm bewacht den Eingang.
Um 18 Uhr formiert sich eine andere Demonstration, eine Prozession unmittelbar an der Mauer, nahe beim Checkpoint. Aber nicht zu nahe, sonst gibt es Ärger mit den Soldaten, wenn von den 20, 30 Mitgliedern der Prozession das Rosenkranzgebet angestimmt wird. Seit einiger Zeit schreiten Emmanuel-Schwestern, christliche Anwohner und Schwestern des christlich geführten Caritas Baby-Hospitals die 200 Meter Sperrmauer vor ihrem Kloster ab, immer wieder. Ihrem Gebet kann sich jeder anschließen, es gilt dem Frieden im Hl. Land und der Versöhnung. Es ist ein eindrucksvolles Zeugnis, wenn dort Gewalt und Hass aufeinanderprallt und 500 Meter weiter die Liebe und Barmherzigkeit angefleht wird, manchmal mit dem beißenden Tränengasgeruch der Unversöhnlichkeit überströmt.
Auf die graue, mächtige Betonmauer, entlang der Rosenkranzprozession, malte ein Künstler ein Bild der Hoffnung: Die weinende Maria, die hier vor 2000 Jahren den Retter der Welt geboren hat, öffnet etwas ihren Mantel. Man sieht eine kleine Tür in dieser Betonmauer der Angst. Dahinter erkennt man Jerusalem, den Berg Zion, Sinnbild der Freiheit, der Hoffnung.
Denn Hoffnung gibt es trotzdem noch viel in Betlehem, in dem 20 % Christen sind. Geht man am Sonntag in die katholische Katharinenkirche nahe der Geburtskirche, gilt diese Hoffnung gerade auch den Katholiken in der Diaspora West- und Mitteleuropas. Die Predigt ist lang und das Gotteshaus ist voll, mit 400, 500 Menschen und vor allen Kinder. Die Kommunionkinder sind Ministranten, viele haben eine kleine Aufgabe, singen, weisen die Gottesdienstbesucher ein, begrüßen sie. Diese Kirche in Bedrängnis ist jung, agil, gibt der alten, schwerfälligen und verkrusteten Kirche anderswo Kraft, wie es katholischer nicht sein kann.
Hoffnung gibt es auch bei anderen Palästinensern. Ihre Mütter und Väter wollen ebenso Frieden für ihre Kinder. Hoffnung hat Omar, der stolze Araber, der 23jährige Juniorchef eines Souvenirladens in Betlehem, der wieder mehr Touristen erwartet, wenn Frieden in Gaza und den Westbanks einkehrt. Dann hat er bald genügend Geld zusammen, um heiraten zu können. Er ruft freundlich jeden herein in seinen Laden, auf einen kleinen arabischen Kaffee, etwas Baklava und einem Gespräch. Hoffnung hat auch der 34jährige Ahmed, der Kellner des christlichen Hotels Paradise, für seine 3 Söhne. Er selbst hat Highschool-Abschluss, sieht für sich aber keine Perspektive mehr im Leben. Jedoch für seine Söhne, vor allen der Jüngste, der cleverste, wie er stolz sagt, er wird in Deutschland studieren, Anwalt oder Arzt werden. Dafür lebt Ahmed.
Der Krieg zerstört alles, aber nicht ihre Hoffnung und Träume. Ein anderer Ahmed hat einen schönen Traum. Er selbst ist Sohn eines muslimischen Palästinensers und einer Christin, in Kuwait geboren. Auch von dort wurden sie vertrieben, nach Syrien, nach Ägypten. Nun ist er in seinem „gelobten Land“ Palästina. Ahmed’s Traum geht so: Eines Morgens sind alle israelischen Zionisten aus dem Land verschwunden und nur mehr Christen, Moslems und Juden leben hier zusammen. Denn die Religion ist das allerletzte Problem in Palästina. Ob es dann Palästina, Israel oder sonstwie heißt, ist egal, Hauptsache man schützt als Soldat gemeinsam dieses freiheitliche, demokratische Land, in dem Frieden herrscht. Ein schöner Traum, sogar schöner als eine Zweistaatenlösung.
Danke fürs lesen und Servus
