Lena hat geschrieben:Was war ganz am Anfang dieses "Krieges"?
Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 gab es ein Tauwetter zwischen Ost und West wie auch den Zusammenbruch der UdSSR, aus der die Einzelstaaten Russland, Ukrainen und andere wurden. Nach einigen Chaos-Jahren in Russland wurde dieses ab der Jahrtausendwende wieder stabilisiert.
In der Zwischenzeit hatte sich die NATO um hunderte Kilometer nach Osten ausgeweitet (innerhalb der Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes), was Russland nicht verhindern konnte, auch nicht aggressiv versucvht hat zu verhindern, weil in dieser Zeit sogar im Raum stand, dass Russland selbst NATO-Mitglied werden könne. Ersten Stress gab es, als die USA plötzlich (innerhalb der NATO) Raketen in diesem neuen osteuropäischen NATO-Teil aufstellen wollten, die aber gegen Iran gerichtet seien (hat nie einer geglaubt), jedenfalls Moskau erreichen konnten. Richtig problematisch wurde es mit der Revolution in der Ukraine letztes Jahr, die zusammen mit Weissrussland einen NATO-freien Korridor zwischen NATO-Land und Russland gebildet haben.
Problematisch war nun, dass, erstens, die EU der Ukraine eine Entweder-Oder-Messer auf die Brust gesetzt haben (entweder ihr gehört zum Osten oder zum Westen), was letztes Jahr von der Ukraine mit "zum Westen" entschieden wurde. Diese Entscheidung der Ukraine war souverän, das Angebot dazu hätte der Ukraine jedoch nie gemacht werden dürfen. Denn damit hätte sich die westliche Grenze von Berlin 1989 bis zur ukrainisch-russichen Grenze im Jahr 2014 um ca. 2.000 km Luftlinie verschoben. - Die Entfernung der militärischen Bedrohung des Westens in Bezug auf Moskau wäre somit von 2.500 km (Berlin - Moskau) auf 500 km (Ukraine-Ostgrenze - Moskau) geschrumpft.
Aktuell wurde diese (potentielle) Bedrohung dadurch, dass der Ukraine jetzt auch noch von der NATO versprochen kam, irgendwann NATO-Mitglied werden zu dürfen. - Damit hat sich aus Sicht Russlands eine Szenario entwickelt, das psychologisch an Napoleon und Hitler erinnert hat - nämlich: Der (potentielle) Feind ist unmittelbar vor Moskau (500 km sind heute für sogar für Kurzstrecken-Raketen kein Problem). Da also ein Washington, das für Russland Tausende Kilometer hinter dem Atlantik ist - hier Moskau, das für die USA (via NATO) vor der Haustür liegt. - Somit fühlt sich heute Russland so aus der Nähe bedroht wie die USA sich Anfang der 60ger Jahre von Kuba vor seiner Haustür bedroht fühlte, als die damalige Sowjetunion im befreundeten Kuba Atom-Raketen aufstellen wollte (auch in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht).
Aufgrund des Total-Versagens der europäischen Ostpolitik vor 2014 und des gleichzeitigen ständigen Vormarschs der NATO auf Russland war mit dem Fall der Ukraine und deren mögliche Partnerschaft aus Sicht Russlands eine Rote Linie überschritten. - Man hat darauf hin die Krim annektiert, die an sich ur-russisches Land ist, aber 1964 vom damaligen Sowjet-Führer Chrustschow, der Ukrainer war, (einfach so) an die Ukraine verschenkt wurde. - Allerdings war die Annektion durch Putin nun völkerrechts-widrig, weil per KSZE-Akte von Helsinki 1975 alle bestehenden Grenzen, also auch die Verschenkung der Krim, von Russland anerkannt wurden.
Weiterhin ist die Ost-Ukraine traditionell nicht ukrainisch, sondern russisch und somit immer nach Russland orientiert - und wird vom ukrainischen Westen eher als Hinterwäldlerland gesehen. Dieser ukrainische Osten sollte sich nun nach der ukrainischen Revolution 2014 westlich orientieren - was in etwa so ist, als würde man Südtiroler zu Sizilianern machen wollen (und umgekehrt). - Dies hat Putin zum Anlass genommen, die dort aufkommenden prorussischen Unruhen zu unterstützen - Folge sind die noch heute anhaltenden Unruhen und Kriegshandlungen. Auch dies ist völkerrechts-widrig seitens Russlands, soweit man Russland eine offizielle Teilnahme an diesem Krieg nachweisen kann.
Hintergrund der Krim- und Ost-Ukraine-Politik Putins ist dessen Interesse, die so nahe an sein Land gerückte westliche Macht (und somit NATO und somit USA) durch Destabilisierung der ukrainisch-russische Grenze zurückzuhalten. Russland fühlt sich betrogen, weil ihr brennendes Interesse an einer gemeinsamen Wirtschaftszone mit der EU vom Westen ständig torpediert wurde, und will nun aus ihrer Sicht leichtsinnige russische Zugeständnisse der letzten Jahrzehnte so weit wie möglich revidieren. - Das ist einerseits völkerrechtlich inakzeptabel (der Westen hat juristisch sauber gearbeitet), andererseits faktisch verständlich (der Westen steht bedrohlich vor der Tür - statt 2.500 km weg jetzt nur noch 500 km weg).
Lösbar wäre das Problem gewesen, wenn der Westen gegenüber der Ukraine eine gesamtpolitisch verantwortungs-volle Politik betrieben hätte und ihr nicht eine NATO-Mitgliedschaft angeboten hätte, sowie die Ukraine gedrängt hätte, bei der Krim und der Ost-Ukraine einer weitgehenden Autonomie-Lösung zuzustimmen - das hieße: Krim und Ost-Ukraine sind formal Mitglied der Ukraine, aber de facto autonom und nach Russland offen - so ähnlich wie heute Süd-Tirol formal zu Italien gehört, aber eigentlich deutsch ist. Weiterhin hätte der Westen eine Mitgliedschaft Ukraines in der NATO ausschließen müssen bzw. die Ukraine (nachdem das Kind eines NATO-Mitgliedschafts-Angebots nun mal bereits in den Brunnen gefallen war) zu einem Vertrag mit Russland zu raten, das einen Verzicht der Ukraine auf eine NATO-Mitgliedschaft beinhaltet.
Bis die eben genannten Probleme vertraglich gelöst sind, wird es Krieg oder kriegs-ähnliche Handlungen geben. - Der Westen muss sich also überlegen, ob er auf seine juristischen Möglichkeiten (Völkerecht/NATO) beharrt oder lieber den geopolitischen Fakten Rechnung tragen will. - Da es undenkbar erscheint, dass Russland je akzeptieren wird, nach Napoleon und Hitler nun auch die NATO vor der Haustür zu haben, muss eine Lösung her, da es sonst ein ewiger Brandherd bleibt.
War das erstmal hilfreich, liebe Lena?