Ken Wilber: Plädoyer fuer eine zweite Aufklärung

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Novas
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#81 Re: Ken Wilber: Plaedoyer fuer eine zweite Aufklärung

Beitrag von Novas » Mo 19. Jan 2015, 15:03

barbara hat geschrieben:Christen vergessen gelegentlich, zwischen "Ego" und "Selbst" zu unterscheiden, bzw zwischen dem, was bei Paulus "fleischlicher Mensch" und "geistiger Mensch" heisst.

ja, der fleischliche Mensch ist nicht fähig, über die Fleischlichkeit hinauszugehen, in dem Sinne ist Selbsterlösung nicht möglich.
Aber auch im Christlichen gibt es Übungen und Aktivitäten, die dabei helfen, den Fokus vom fleischlichen zum geistigen Menschen zu lenken, und das ist dann die Erlösung, und ja, dafür muss man durchaus selbst und höchstpersönlich was tun, auch wenn man noch in Fleischlichkeit steckt.
gruss, barbara
So ist es. Auch das Christentum ist ein geistlicher WEG, der bewusst gegangen und geübt werden möchte, der Gebet und Meditation beinhaltet. „Herr, lehre uns beten“ - das ist ein ganz zentraler Satz. Selbst Yoga-Asanas (Körperübungen) sind ursprünglich keine lustigen Turnübungen, sondern GEBETE die Gott hingegeben werden - und auch in der östlichen Tradition wird GNADE sehr stark betont. Ultimativ ist alles Gnade, weil jeder Augenblick ein Geschenk ist. Mein Herz schlägt einfach.

ThomasM
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#82 Re: Ken Wilber: Plaedoyer fuer eine zweite Aufklärung

Beitrag von ThomasM » Mo 19. Jan 2015, 15:17

barbara hat geschrieben: Wer zB nach der Regel des Benedikt in einem Kloster lebt, hat nur schon durch seine Lebensweise deutlich weniger Versuchungen, vom Fokus auf den Geist wegzugehen, als zum Beispiel der Besitzer eines Bordells, der Fleischlichkeit in allen Farben und Formen ständig um sich hat. Wobei es durchaus Leute gibt, deren Weg es ist, in die Fleischlichkeit so tief und gründlich einzutauchen, bis sie ihrer völlig überdrüssig werden, das gibt's natürlich auch.
Schon möglich.
Aber Gott sagt zu dem Benediktiner: "Du hast dich selbst hervorgehoben und warst stolz, also behandle ich dich nach deinem Stolz".
Und zu dem Bordellbesitzer: "Du hast um Gnade gebeten und ich gewähre sie dir."

Gesündigt haben sie beide.
Dazu gibt es auch ein nettes Gleichnis.
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

JackSparrow
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#83 Re: Ken Wilber: Plaedoyer fuer eine zweite Aufklärung

Beitrag von JackSparrow » Di 20. Jan 2015, 00:23

barbara hat geschrieben:Wer zB nach der Regel des Benedikt in einem Kloster lebt, hat nur schon durch seine Lebensweise deutlich weniger Versuchungen, vom Fokus auf den Geist wegzugehen
Eine Flasche Wodka würde die körperlichen Bedürfnisse sogar noch effektiver betäuben als jede Klosterregel. Die beste Option ist allerdings eine Vollnarkose: dann ist man von allen äußeren Einflüssen befreit und kann sich komplett auf den geistlichen Körper konzentrieren.


Novalis hat geschrieben:Weisheit ist nicht „indisch“, sondern ein universell menschlicher Erfahrungsschatz.
In der Gegend rumsitzen und meditieren erweitert nicht den menschlichen Erfahrungsschatz. Wenn man von einer solchen Tätigkeit leben kann, ist das natürlich ein ziemlich gerissenes Geschäftsmodell. Aber dann täte man gut daran, die Anzahl der Konkurrenten eher gering zu halten.

Die Menschheit zerstört aus Unbewusstheit, emotionaler Negativität und Ignoranz den Planeten.
Die Menschheit zerstört den Planeten, weil die Weltbevölkerung anwächst, sich jeder Mensch von irgendwas ernähren muss und nur sehr wenige Menschen (erst recht nicht die Weisen, Klugen und emotional Positiven) dazu bereit sind, sich selbst zum Wohle des Planeten freundlicherweise aus dem Genpool zu entfernen.

closs
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#84 Re: Ken Wilber: Plaedoyer fuer eine zweite Aufklärung

Beitrag von closs » Di 20. Jan 2015, 00:51

JackSparrow hat geschrieben:Meditieren erweitert nicht den menschlichen Erfahrungsschatz.
Diese Auffassung ist nur aus dem reduktiven Verständnis der anthropozentrischen (statt theozentrischen) Aufklärung möglich. - Wahrscheinlich kann man unter materialistischen Gesichtspunkten gar nicht anders denken - insofern ist Deine Bemerkung zeitgemäß.

barbara
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#85 Re: Ken Wilber: Plaedoyer fuer eine zweite Aufklärung

Beitrag von barbara » Di 20. Jan 2015, 06:27

JackSparrow hat geschrieben:[
Eine Flasche Wodka würde die körperlichen Bedürfnisse sogar noch effektiver betäuben als jede Klosterregel.

Klosterleben betäubt nicht, ganz im Gegenteil. Es weckt, macht sensibler und bewusster. Das ist auch nicht die Idee davon, körperliche Bedürfnisse zu betäuben. Die Idee ist ein einfaches Leben, mit Fokus auf dem, was gut und richtig ist.


In der Gegend rumsitzen und meditieren erweitert nicht den menschlichen Erfahrungsschatz. Wenn man von einer solchen Tätigkeit leben kann, ist das natürlich ein ziemlich gerissenes Geschäftsmodell. Aber dann täte man gut daran, die Anzahl der Konkurrenten eher gering zu halten.

In einer Welt, in der Überproduktion Standard ist, und die damit verbundene Herstellung von Schrott und Belastung der Umwelt, wäre es ein Gefallen an alle, wenn es mehr Leute gäbe, die in der Gegend rumsitzen und meditieren. Dann machen die immerhin nichts Dümmeres mit ihrer Zeit.


Die Menschheit zerstört den Planeten, weil die Weltbevölkerung anwächst, sich jeder Mensch von irgendwas ernähren muss und nur sehr wenige Menschen (erst recht nicht die Weisen, Klugen und emotional Positiven) dazu bereit sind, sich selbst zum Wohle des Planeten freundlicherweise aus dem Genpool zu entfernen.

Nahrung ist genug vorhanden, sie ist aber falsch verteilt. Und das beste Mittel gegen das Wachsen der Weltbevölkerung ist Bildung für Frauen. Nicht Selbstmorde.

gruss, barbara

JackSparrow
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#86 Re: Ken Wilber: Plaedoyer fuer eine zweite Aufklärung

Beitrag von JackSparrow » Di 20. Jan 2015, 11:33

barbara hat geschrieben:Klosterleben betäubt nicht, ganz im Gegenteil. Es weckt, macht sensibler und bewusster.
Für die Dinge, auf die man verzichten muss. Im Knast würde man sicher den gleichen Effekt verspüren.

Die Idee ist ein einfaches Leben, mit Fokus auf dem, was gut und richtig ist.
Bei Paulus besteht die Idee darin, einen "psychischen Körper" (sôma psychikos) in einen "pneumatischen Körper" (sôma pneumatikos) umzuwandeln (1Kor15:44). Dummerweise sind für den pneumatischen Körper ganz andere Dinge gut und richtig als für den psychischen Körper. Wenn man den Fokus gern auf den gasförmigen Körper legen will, sollte man Psyche und Emotionen am besten einfach durch Alkohol abschalten. Dann spart man sich die Fahrkosten ins Kloster.

michaelit
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#87 Re: Ken Wilber: Plaedoyer fuer eine zweite Aufklärung

Beitrag von michaelit » Di 20. Jan 2015, 13:10

Eigentlich hat Jesus selbst, so sehe ich das jedenfalls, nicht genau die gleiche Theologie über den Körper gehabt wie Paulus. Das "Fleisch" nämlich ist kein Verweis auf meinen Körper sondern ein abwertendes Schimpfwort an das in meinem Wesen worin sich Böses und Unreines angesammelt hat. Es ist als hätte der Mensch einen Buckel der durch sein falsches Handeln und durch üble Erfahrungen gekommen ist. Wenn ich dann etwas Bestimmtes tun will das meinen Einsatz erfordert, etwa Gottes Wegen zu folgen oder ein nobles Ziel zu wählen und anzustreben, oder jemanden in der Wahrheit zu lieben und ihm Gedanken zu widmen, dann kann es sein daß das Fleisch als Konzentrat meiner negativen Erfahrungen mit mir und anderen da hineinwirkt und es verhindert daß ich in solchem Guten aufgehen kann und auch die mitkommenden Belohnungen für das Gute wie besonders schöne Emotionen, nicht mehr so spüre. Deswegen meinte auch Jesus daß das Fleisch zu nichts nütze ist. Dagegen steht aber zum Glück die Neuroplastizität des Gehirns, man kann sich umgewöhnen, anders denken, sich selbst durch Fasten schrumpfen lassen bis der Geist wieder der Stärkere ist, usw. Der Geist des Menschen ist immer gut und schön, doch wenn man ungeistig lebt dann wird man fleischlich. Geistiges Leben wäre aber nicht unbedingt christliches Leben sondern auch ein ehrliches Leben wie es Münek hier treibt oder ein gütiges Leben wie manche Ehefrau und Mutter oder manche einfacher gestrickten Männer leben usw. Dann ist das Fleisch nur eine kleine üble Kraft. Aber Lebensstile wie Prasserei und so sorgen dafür daß man statt geistig klar zu sein ein fleischlich Mensch wird der nicht mehr viel von der Wahrheit versteht, der seinen Homo Sapiens in sich nicht mehr weiter entwickelt, der stehengeblieben ist.

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#88 Re: Ken Wilber: Plaedoyer fuer eine zweite Aufklärung

Beitrag von Pluto » Di 20. Jan 2015, 13:25

JackSparrow hat geschrieben:
barbara hat geschrieben:Klosterleben betäubt nicht, ganz im Gegenteil. Es weckt, macht sensibler und bewusster.
Für die Dinge, auf die man verzichten muss. Im Knast würde man sicher den gleichen Effekt verspüren.
Jedermann kann sich freiwillig zurückziehen um zu meditieren.
Dazu braucht es weder die Zwänge eines Klosters, noch eines Gefängnisses.
[IMHO]
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Lena
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#89 Re: Ken Wilber: Plaedoyer fuer eine zweite Aufklärung

Beitrag von Lena » Di 20. Jan 2015, 15:51

michaelit hat geschrieben:Aber Lebensstile wie Prasserei und so sorgen dafür daß man statt geistig klar zu sein ein fleischlich Mensch wird der nicht mehr viel von der Wahrheit versteht, der seinen Homo Sapiens in sich nicht mehr weiter entwickelt, der stehengeblieben ist.

So wie ich den Körper durch gesunde Nahrung gesund erhalte, so halte ich den Geist und somit mein ganzes sein gesund, wenn ich mich mit guten Worten nähre. In schwierigen Situationen zeigt sich, womit ich gefüllt bin. Denn ich kann nur geben was ich empfangen habe.
Kannst du mir helfen, dich richtig zu verstehen?
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#90 Re: Ken Wilber: Plaedoyer fuer eine zweite Aufklärung

Beitrag von Flavius » Di 20. Jan 2015, 18:42

.. Vereinbar ? ==> ich meine, dass es oft (nicht immer) unüberbrückbare Schranken o. große Verständnisprobleme gibt. (z.B. verwechseln viele Gott gleich mit Kirche. Oder "Gott macht nur Druck".. Lehnen aus diesem u. and. Gründen Gespräche schon schnell bis generell ab.)
- Wenn Jemand zum Christentum od. Gott "gefunden" hat, hat er einen anderen, mehr oder
weniger eigenen Standpunkt.
- Wenn Jemand sich zum Atheismus bekennt (warum auch immer, will das auch nicht werten), dann ist er sehr oft ziemlich fest in seiner ablehnenden Haltung. Er verteidigt seinen Standpunkt dann manchmal vehementer als "ein Religionist".
Humanisten - die in gewissem Sinn versuchen "ein Christentum ohne Gott" zu leben (aber versuchen wenigstens Gutes u. Fortschrittliches zu verwirklichen: Mit ihnen kann man oft reden - sie sind oft tolerant. Die Abwendung von der (oftmals) enttäuschenden Kirche hat sie eben zu dieser Variante des "Gut-Sein-Wollens" gebracht. Immerhin haben Sie Ideale (auch Hohe). - "Spirituelle" Leute haben ihren eigenen Weg. Da gibt es serlöse ! u. Überzeugende. Kluge ("mit großer Sicht") Mysteriker gab es durchaus auch in der Kirche) und es heute gibt noch einiges anderes.

Meistens sind die verschiedenen Lager aber ziemlich wenig bereit miteinander zu reden. Es überwiegt : Man habe ja den wahren, richtigen Standpunkt, die Anderen sind ganz sicher auf dem Holzweg..)
- Man entscheidet sich schon irgendwann für (od. gegen) einige Grundwerte (bzw. in Bezug auf Gott) Mammon u. Bruder Konsum sind heute recht beliebt. "Selbstwirklung u. Freiheit"..nebst einer Reihe von unsäglichenIdiotologien oder nicht lebenswerten Werten.
-
Zudem: Nicht jeder der Gott vor sich herträgt handelt in Leben dann auch immer gerecht, human, menschen(u. tier-)freundlich. Extrem Besipeiel: Hitler z.B. spielte viel ! mit der "göttlicher Vorsehung" (die ihn bei 2 Bombenattentaten von 1936+1944 überleben liess, er war selbst gerne (Halb-)Gott, zitierte "Gott mit uns".)
Ich wär mal gespannt, was rauskäme, wenn man mittels "Felduntersuchungen", vertieften "empirischen Erhebungen (auch mit statistisch. Auswertungen) untersuchen würden wieviel "besser"/sozialer denn Christen im Alltag wirklich sind. Es gab das zwar vereinzelt und es kamen tatsächlich spürbare Unterschiede zutage (weniger Kriminalität, mehr Ehrlichkeit, weniger Scheidungen u.a.). Aber nach meinen eigenen jahrelange Beobachtung/Erfahrung: ein "neuer" Mensch entsteht durch Glauben alleine nicht gleich automatisch bzw. nur langsam .. es gibt auch immer die Gefahr der Überdosis. (Dann fangen die relig. Übereiferer (od. Fantatiker") dann gerne zu spinnen an). Es ist immer auch eine Sache der richtige Menge /Dosierung (ob bei Arzneimittel, so auch bei "Religion".)

==> Ich sehe das ganz entspannt: "Ein Mythos ist, was niemals war und immer ist."
- Probleme damit haben allerdings manche unserer Realisten, wie man sehen kann: "Jesus von Nazareth- Mythos oder Wahrheit?" Wenn man so an die Sache herangeht, kann das nichts damit werden, die Standpunkte der anderen besser zu verstehen und von ihnen zu lernen. Das wird hier täglich demonstriert. -
Hand aufs Herz, welcher Realist könnte denn den Standpunkt verstehen oder lernen, was Transzendenz ist - oder wie Fügung und freier Wille zusammenpassen - oder dass Realität nicht von Wahrnehmung abhängig ist - oder dass man sich auch mit theologischer Methodik der Wahrheit nähern kann?[/quote]

W.B. == > GUT ausgedrückt u. beschrieben! - Es ist schön, dass zwischendurch immer weider mal wirklich gute Beiträge und klare Gedanken kommen. - wenn Du schreibst: gegen Leute mit "Nur"-Verstand kommst man mit erweiterten Sichten (od. anderen Ebenen) nicht an. (Mann sieht nur, das was man sehen o. verstehen will - das ist ein Fakt. Der Verstand alleine genügt nicht für das Wahrnehmen gewisser Dinge.. (Mnachen ist es auch nicht gegeben). ==
Schön, Dass es deine Beiträge gibt! Ich wollte mich hier schon abmelden, aber eben vereinzelt gute Beitrage halten mich davon ab.
Dogmen - aller couleur- sind oft sehr hinderlich. (nach Feuerbach).

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