Münek hat geschrieben:@ Lieber Halman,
ich setze Deinen Ausführungen folgendes Zitat aus dem Buch "DIE NAHERWARTUNG JESU"
von dem Neutestamentler Prof. Erich Gräßer, S. 126 f. entgegen (Unterstreichungen von mir):
"Aber nun gehört es zu den historisch gesicherten Ergebnissen der neutestamentlichen
Wissenschaft, dass die Botschaft von der Zukunft der Welt und dem Kommen des Menschen-
sohnes bei Jesus die Form der gespannten Naherwartung hatte, und das nicht am
Rande, sondern im Zentrum seiner Verkündigung.
Das [König-]Reich stand in der Tat im Zentrum seines Evangliums. Allerdings in dem Sinne, wie es Martin C. R. Krüger in seinem Buch
Prüft Alles, Das Gute Haltet Fest! 1 Thes 5,21 erklärt. Jesus war nämlich der König des Reiches Gottes und durch seine Anwesenheit war das Reich
nahe. Von Jesus erging eine Einladung an seine Zuhörer, seine Jünger zu werden und damit Teilhaber am
Reich ... seiner Liebe (s.
Kol 1:13). Dieses geht dem verheißenem messianischen Königreich voran.
Zu den Aussagen, welche auf eine
Naherwartung in den Evangelien hinweisen, gibt es auch zwei weitere Aussagen-Reihen, welche auf
Verzögerung und
Ungewissheit hindeuten.
In den synoptischen Evangelien sind drei verschiedene Aussagen-Reihen in Bezug auf das Kommen des Reiches Gottes zu finden: Erstens Hinweise auf eine rasche Wiederkehr Jesu, zweitens Hinweise auf ein Verzögern dieser Wiederkehr, und drittens die Betonung einer Ungewissheit des Zeitpunktes dafür.
Münek hat geschrieben:Die direkten Zeugnisse sind - auch wenn sie "in der Formulierung" nicht immer mit Sicherheit auf
auf Jesus selbst zurückgehen - mannigfach: Erwartet wird der plötzlich hereinbrechende Tag des
Weltgerichtes mit dem Kommen des Menschensohnes auf den Wolken des Himmels und dem
Ende der Welt (Lk 17,24.26f.34f; Mk 8,38).
Lk 17:24 beschreibt ein
plötzliches Erscheinen des Menschensohnes. Ein plötzliches Ereignis muss nicht notwenigerweise
bald erfolgen. Die Verweise auf
Lk 17:26f. u.
Lk 17:34f. beschreiben Situationen, in denen die Menschen sich der
ParousÃa (Gegenwart) nicht bewusst sein werden und daher völlig von den Erreignissen überrollt werden (wie beim unerwarteten Einbruch eines Diebes).
Auf die Ermahnung in
Mk 8:38 folgt die hier bereits besprochende Verklärung/Umwandlung Jesu, welche zumindest drei Jüngern eine Schau gewährte, die sie sonst zu ihren Lebzeiten nicht gehabt hätten.
Münek hat geschrieben:Jesus schilt die, die die Zeichen der Zeit nicht verste-
hen (Lk 12, 54-56; Mk 13,28f).
Da sie nicht erkannten, dass der Messias in Königswürde (
Basiléia) zu ihnen sprach. Innertextlich sind die jesuanischen Verheißungen "verschränkt" mit seinen Warnungen vor den Römern (jüdischer Krieg 66-73 n. Chr. und insbesondere der Vernichtung Jerusalems und des Tempels im Jahre 70 n. Chr.).
Vermutlich sind Dir insbesondere die jesuanischen Ermahnungen zur Wachsamkeit in seinen Endzeitreden suspekt, wie in
Mk 13:28-29, richtig? Falls dem so ist, so kann ich Deine Rezeption durchaus nachvollziehen; denn es entsteht in der Tat die Frage, warum die Jünger denn Wachsam sein sollten, wenn der Menschensohn zu ihren Lebzeiten gar nicht wiederkommen sollte.
Ungeachtet dessen war Wachsamkeit für sie in den kommenden Dekaden sehr wichtig, da ihnen sehr schwierige Zeiten bevorstanden. Laut Eusebius von Cäsarea diente die Stadt Pella (Jordanien) der Urchristengemeinde in Jerusalem als Zufluchsort. Die Wachsamkeit, welche ihnen die Apostel vermutlich eingeschärft hatten, wirkte sich wahrscheinlich günstig aus, so dass sie aus Jerusalem und die Umgegend flohen, als sich ihnen nach den Abzug von Cestius Gallus die Gelegenheit bot.
Zitat von
Eusebius:
"Gehet hin und lehret alle Völker in meinem Namen!" zur Predigt des Evangeliums zu allen Völkern hinausgezogen waren, als endlich die Kirchengemeinde in Jerusalem in einer Offenbarung, die ihren Führern geworden war, die Weissagung erhalten hatte,
noch vor dem Kriege die Stadt zu verlassen und sich in einer Stadt Peräas, namens Pella, niederzulassen, ...
Doch danach wurde die Stadt vom Feldherrn Titus belagert und es gab kein Entkommen mehr.
Münek hat geschrieben:Er selbst sieht Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen (Lk 10,18).
Dies scheint mir eine Parallele zu
Off 12:7-9 zu sein.
Münek hat geschrieben: - Zeichen für den Zusammenbruch der Satansherrschaft und den Anbruch der Gottesherrschaft
(Mk 3,27; Lk 11,20; Mt 12,28). Die Toten stehen auf, die Lahmen gehen, die Blinden sehen (Mt
11,5par).
Diese Dinge erfüllten sich doch im begrenzten Umfang, als Jesus als Messias in Israel tätig war.
Münek hat geschrieben:Die große Ernte der Welt steht bevor (Mk 4,26ff).
Die Ernte deutet auf einen längeren Zeitraum hin. Deutlicher wird dies aus dem Matthäusevangelium.
Zitat aus den oben verlinkten Wikipedia-Artikel:
Auch das Gleichnis vom Unkraut im Acker, das man, gemeinsam mit dem Weizen, wachsen lassen und nicht vorzeitig ausreißen soll, lässt an einen längeren Zeitraum denken (13,24–30),
Münek hat geschrieben:Kurz: Die Zusammenfassung der Predigt Jesu in Mk 1,15 ist sachgerecht: "Die Zeit ist erfüllt,
die Gottesherrschaft ist nahe: Kehrt um und glaubt an die Heilsbotschaft."
Die Zeit hatte sich in dem Sinne erfüllt, dass der künftige König des Reiches nun zu ihnen sprach und auf diese Weise die Βασιλεία (
Basiléia, Königreich/Königswürde) nahe war.
Münek hat geschrieben:Diese Gottesherrschaft
wurde nicht kommenden Generationen verheißen, sondern der damals lebenden: Den Jün-
gern wird gesagt, dass sie mit den Städten Israels nicht fertig werden, bis der Menschen-
sohn kommt (Mt 10,23).
Zu jener Zeit kannten die Jünger nur ihren Auftrag, das Evangelium Israel zu verkünden. Später wurde dieser Auftrag auf die ganze Welt erweitert.
Die Bibel ist nicht durch systemmatische Einheit gekennzeichnet, sondern durch einen dramatischen Zusammenhang (Zenger). In religiöse Texten vermag ich mehrere Rezeptionsschichten zu entdecken, auch die Allegorische. Daher halte ich es für legitim, mich auch der Allegorese zu bedienen, um religiöse Texte auszudeuten.
Münek hat geschrieben:Und Mk 9,1 sagt Jesus: "Es stehen etliche hier, die den Tod nicht
schmecken werden, bis dass sie sehen das Reich Gottes kommen mit Kraft".
Eben habe ich mich mal durch diverse
Bibelübersetzungen geklickt. Sofern ich mich nicht verzählt habe, ist das Verhältnis von "einige" zu "etliche" 19:11. Dass griechische Wort της (
tis) kann offenbar in beiden Varianten übersetz werden.
Vielleicht übersetzt die
Grünewald (Riessler-Storr-Bibel) (1924) am Neutralsten:
»Wahrlich, ich sage euch: Es stehen solche hier, die den Tod nicht kosten werden, bis sie das Gottesreich in Macht erscheinen sehen.«
Die Anzahl dieser musste logischerweise kleiner sein als die Gesamtzahl der 12 Jünger. Laut dem Kontext bezieht sich die Aussage auf die drei Jünger, welche Jesus mit auf dem Berg nahm. Der innertextiche Zusammenhang ist schwerlich zu leugnen.