sven23 hat geschrieben:Als einzig logische Erklärung bleibt nur, daß Jesus selbst an die Naherwartung glaubte und sie auch so verkündete.
Logische Erklärungen sind eine Folge von eigenen Voraus-Setzungen - wir haben unterschiedliche Voraus-Setzungen.
Unterm Strich ist meine Interpretation folgende:
Jesus wurde oft nicht verstanden - biblische ist verbürgt, dass die Jünger nicht verstanden haben und Jesus einfach abdampft, damit sie nachdenken - auch gibt es diese Szene, in der Jesus zum Volk sagt, jetzt spräche er schon in Gleichnissen zu ihnen, dass sie besser verstünden und sie verstünden immer noch nicht - das Volk steht schweigend und mit offenem Mund da. - Jesus sagt auch, dass sein Reich nicht von dieser Welt sei, und trotzdem gibt es heute noch Glaubensgemeinschaften, die meinen das "himmlische Reich" sei auf Erden.
Insofern ist das NT nicht anders als das AT: Die Wahrnehmung des Menschen ist dunkel und nur ab und zu von erkennenden Lichtblitzen erleuchtet. - Diese Wahrnehmung ist ein Prozess - man nennt das "Heilsgeschichte". - Diese Heilsgeschichte betrifft die "Phylogenese" ("Wie entwickelt sich die Menschheit insgesamt in puncto geistiger Erkenntnis?") und die "Ontogenese" ("WIe entwickle ICH mich in puncto geistiger Erkenntnis?"). - Damit lässt Jesus die Menschen allein - "Jetzt entwickelt Ihr Euch mal - ich habe alles Nötige gesagt".
In diesem Sinne sagt Jesus in puncto Parusie: "Leute, Eure Erlösung ist durch mich nah und somit das Himmelreich. - Es liegt an Eurer Entwicklung, dies zu erkennen. - manche Menschen werden es checken, bevor sie den Daseins-Tod schmecken - alle aber spätestens aber nach deren Daseins-Tod. - Ich gebe Euch schon mal Hinweise, solange ich noch da bin - per Verklärung, Auferstehung und Pfingsten. - Ob Ihr's dann schon kapiert, liegt an Eurem Erkenntnisstand". - Etc.
Die Jünger deuten dies genauso wie das Volk mit dem offenen Mund im Rahmen ihrer Möglichkeiten aus (man könnte es auch Klein-Glauben nennen) und denken sich: "Aha - Jesus kommt als demnächst wieder". - Richtig haptisch und daseins-mäßig gemacht. - Daher kommt die tatsächliche Naherwartung der frühen Christen.
Die Historisch-Kritischen machen im Grunde dasselbe: Sie "lösen das Problem"

, indem sie genauso daseins-mäßig, also ohne geistigen Transfer, interpretieren, und meinen, damit auf eine "Tatsache" zu stoßen, die im Lichte des oben Gesagten, selbstverständlich ein klassischer menschlicher Irrtum ist.
Das Mindeste, was ich von den Historisch-Kritischen erwarten würde, wäre, dass sie sagen: "Nach UNSEREM Weltbild und UNSERER Art des Verständnisses hatte Jesus eine Naherwartung". - Das ist eine (in diesem Sinne) belegbare Aussage. - Aber so zu tun, als sei ihr Ergebnis einer "Tatsache" (also unverrückbar wahr) gleichzusetzen, ist eher Ausdruck eigener Maßstäblichkeit - und das geht zu weit.
Jeder darf nach seinem System zu Ergebnissen kommen - aber sie quasi unter dem Mantel der Wissenschaft als "Tatsache" zu verkaufen, ist ein Hammer. - Meine Interpretation ist keine "Tatsache", sondern der geistige Wahrnehmungs-Versuch einer Tatsache (nämlich dessen, was der Fall ist, ob man richtig oder falsch liegt). - Mehr sollten die Historisch-Kritischen bitteschön ebenfalls nicht für sich beanspruchen.