Pluto hat geschrieben:Glaubst du wirklich dies liegt an einer falschen Intepretation?
Die gewalttätigen Stellen in religiösen Schriften wurden sicherlich nicht nachträglich eingebaut und werden dementsprechend
als solche (!) auch nicht falsch interpretiert, wenn man sie so versteht, wie sie da stehen.
Der Punkt ist aus meiner Sicht ein anderer: Es gibt (aus Sicht religiöser Menschen) ein übergeordnetes Sein, das sie versuchen begrifflich zu organisieren. - Dieses Sein IST friedfertig (warum, wäre ein ganz eigenes Thema und dialektisch/ontologisch begründbar). - Nun tritt dieses Sein (= Gott) ins Bewusstsein der Menschen - und zwar als (heils-)geschichtlicher Prozess. - Offensichtlich war die Zeit der Jahrtausende vor der Zeitenwende evolutionär geeignet, dass der Menschen für solche Fragestellungen reif war.
Nun prallen diese transzendenten Einwirkungen zusammen mit der damaligen Lebenswirklichkeit, die wir hier einfach einmal als gewalttätig darstellen wollen (Stämme - Stammeskämpfe - Blutrache- etc.). - Wie bringt man nun diese transzendenten Einwirkungen in Übereinstimmung mit der jeweiligen Lebenswirklichkeit?
Der einfachste Weg ist, diese Einwirkungen in die Lebenswirklichkeit hinein-zu-verarbeiten - das wäre eine Vorstufe von Feuerbach: Man spürt da etwas Transzendentes, kann es analytisch noch nicht benennen und versucht es, nach seinem eigenen Bilde zu gestalten. - Dieser Prozess geht über Jahrhunderte und Jahrtausende - das ist genau der Sinn des Wortes "Heilsgeschichte" - eine Epoche ist geistig dunkel und wird immer wieder einmal von geistigen Lichtblitzen durchwirkt, aber es langt aber halt noch nicht für einen Paradigmen-Wechsel.
Der Paradigmen-Wechsel geschieht im Christentum mit dem NT - auf ganz andere Weise geschieht dies im Islam mit Mohammed (wenn man das vergleichen möchte), also 600 Jahre später. - Wir sind also im Jahr 1400, zieht man diese 600 Jahre Unterschied vom heutigen Christentum ab. - Was war mit dem Christentum im Jahr 1400? Der Islam hinkt also hinterher - ob er in 600 Jahren da steht, wo heute das Christentum steht, wissen wir nicht.
Heilsgeschichte ist also immer der Versuch, die Wahrnehmung/der Mensch anzunähern an die geistige Realität des EINEN Gottes (es kann nur einen geben - alles andere ist Unfug). - Ob man diesen Gott Jahwe oder Allah nennt, ist dabei wurscht - wichtig ist die heilsgeschichtliche Wahrnehmungs-Annäherung an den EINEN Holon, in dem jegliche Dialektik aufgehoben ist. - Hierin haben die Christen durch Jesus eine Alleinstellung (warum, wäre auch ein eigenes Thema).
Alleinstellung heisst aber nicht, dass man deshalb auf der richtigen Spur ist. - Denn auch heute sind wir noch in der Heilsgeschichte, in der im Namen Gottes Gewalt gepredigt wird - wobei es prinzipiell (!) egal ist, ob es die ISIS macht oder amerikanisch-christliche Befürworter der Todesstrafe.
Mit anderen Worten: Die Menschen interpretieren nicht nur gelegentlich das Geschriebene falsch, sondern auch das Geschriebene selbst kann falsch sein in Bezug auf das, was es zu vertreten hätte. - Das ist doch der Grund, warum man den Satz "Prüfet alles und behaltet das Gute" gar nicht überbewerten kann.
Allerdings muss man auch mit den richtigen Instrumenten prüfen - das wären nach christlicher Lesart das "Gewissen". - Das Problem dabei - und jetzt kämen wir in unsere gegenwärtigen heilsgeschichtlichen Haken: Selbst das Gewissen kann mit der Zeit kontaminiert werden.
Wenn solche Entwicklungen irgendwann in eine Sackgasse kommen, folgt meistens ein "Reset" (Noah, Babel, etc.).