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von Savonlinna » So 23. Nov 2014, 09:40
Ich denke, die Unterscheidung - wie bewerte ICH das innere Empfinden eines anderen - und wie nimmt er es selber wahr - hat nicht als Konsequenz, dass man auf "ekelhafte Weise" das Leid der anderen ignoriert.
Mein - sehr alter - Vater lag im Krankenhaus, angekoppelt an Geräte, in einer gewissen Weggetretenheit, und er wurde andauernd von den Schwestern und den Ärzten, "Herr X, Wie geht es Ihnen?" gefragt. Mein Vater, als diese weg waren, imitierte deren Frage leicht ironisch: ""Herr X, Wie geht es Ihnen?", "Herr X, Wie geht es Ihnen?"
Bei mir war er etwas höflicher, ich fragte auch andauernd, wie es ihm ging, und er sagte - rund 12 Stunden, bevor er starb und keiner wusste, warum er gestorben war:
"Danke der Nachfrage. Mir geht es gut, ich erfreue mich meines Lebens, ich wüsste nicht, warum es mir schlecht gehen sollte."
Er hatte allerdings auch keine Schmerzen.
Was ich damit nur sagen will: Ich hatte unendliches Mitleid mit ihm, wie er da so angebunden im Bett lag, aber er befand sich in einer Phantasiewelt - die ich mitkriegte, weil er mit imaginären Figuren redete -, und wie er sich in dieser Phantasiewelt fühlte, war etwas anderes, als was ich glaubte, wie er sich fühlen müsste.
Ich sehe das auch als einen gewissen Trost an, nimmt mir etwas die Angst, dass ich mich im Sterben so fühlen werde, wie ich heute glaube, dass ich mich fühlen würde.