Savonlinna hat geschrieben:Er hat Stellung zu dem Neu-Atheismus bezogen.sven23 hat geschrieben:Mir ging es erst mal um die Positionen, die Kahl vertritt. Oder hat er sich inzwischen davon distanziert?Savonlinna hat geschrieben: Warum lässt Du die Schelte Kahls auf den Neu-Atheismus weg?
Ich suche irgendwann den Text raus, er wäre aber wirklich leicht hier im Forum zu finden. Jetzt habe ich keine Zeit leider.
So, jetzt habe ich den Text rausgesucht. Er heißt:
Joachim Kahl
Mai 2008
Weder Gotteswahn noch Atheismuswahn
Eine Kritik des „neuen Atheismus“ aus der Sicht
eines Vertreters des „alten Atheismus“
Und daraus zitiere ich jetzt einen Abschnitt ab Seite 15 bis Schluss auszugsweise:
Joachim Kahl hat geschrieben:Ohne Berührungsängste möchte ich den Begriff „Spiritualität“ verwenden, weltlichhumanistisch aneignen, retten, reinigen, positiv besetzen, so dass er ohne Bruch mit taghellem Bewusstsein und intellektueller Klarheit benutzbar ist.
Ein Humanismus, der keine spirituelle Dimension entfaltet, ist armselig und steril, verkürzt auf Rationalismus. Ein spirituell vertiefter Humanismus dagegen baut auch begrifflich eine Brücke zu einer einflussreichen Strömung des Zeitgeistes und erleichtert so das Gespräch mit
suchenden Menschen aus diesen Milieus.
Die Definitionsmacht zu bestimmen, was unter Spiritualität zu verstehen sei, trete ich nicht an esoterische Publikationen ab. Unter Berufung auf den lateinischen Wortursprung (spiritus = Geist) stelle ich zunächst schlicht fest: Spiritualität heißt Geistigkeit, Geistorientiertheit. Gemeint
sei damit: die geistige Einstellung zum Leben, die innere Haltung zur Wirklichkeit, und zwar gemüthaft vertieft, Verstand und Gefühl umgreifend.
Insofern ist klipp und klar zwischen Spiritualität und Religiosität zu unterscheiden. Beides sind verschiedene Dinge, die zwar Berührungspunkte haben, aber nicht gleichgesetzt werden dürfen. Spirituelle Bedürfnisse sind gemüthafte Bedürfnisse: das Verlangen nach Selbstvergewisserung,
Selbstfindung, Selbstkongruenz.
Wie alle geistigen Bedürfnisse, die zur Natur des Menschen gehören, können sie eine religiöse und eine nicht-religiöse Antwort finden.
Jedenfalls ist es intellektuell unredlich, bereits diese Bedürfnisse selbst religiös zu vereinnahmen und mit Hilfe eines weit gefassten, funktionalistischen Religionsbegriffs jeden Sinnsucher zum Gottsucher zu mystifizieren.
[...]
Zur ganzheitlichen – Verstand und Gefühl umschließenden – Art von Spiritualität gehört das Gespür für Symbolik und deren nichtsprachliche, visuelle Ausdruckskraft. Für eine weltlichhumanistische Spiritualität möchte ich gerne das Yin-Yang-Symbol erschließen, ein geistiges Geschenk Asiens an die Menschheit.
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Erst die Spirale, die den Kreis öffnet und mit der geraden Linie verbindet, ermöglicht den inhaltlichen Komparativ: höher als, später als. Insofern ist das Bild der Spirale, das Heraklit, Goethe und
Friedrich Engels in die abendländische Dialektik eingebracht haben, dem asiatischen Kreissymbol
überlegen. Dieser Vorbehalt schmälert jedoch nicht im Geringsten die produktive Verwendbarkeit des Yin-Yang-Symbols als eines spirituellen Leitmotivs.
[...]
Die Polarität von Kopf und Herz liegt dem Verhältnis von Aufklärung und Erleuchtung zugrunde. Soll Aufklärung nicht zur öden Belehrung verkommen, muss sie sich zur Erleuchtung vertiefen. Aufklärung, die nicht ein-leuchtet und dann er-leuchtet, bleibt aufgesetzt und äußerlich. Aufklärung und Erleuchtung verhalten sich zueinander wie Begreifen
und Fühlen, wie Begriff und Bild. Wer freilich nach Erleuchtung ohne Aufklärung strebt, sucht begrifflose und sprachlose, also geistlose Unmittelbarkeit. Aufklärung und Erleuchtunggehören zusammen wie Reflexion und Meditation.