Pluto hat geschrieben:fin hat geschrieben:Closs hatte bereits einen Aspekt aufgeführt.
closs hat geschrieben:Im Grunde sagt sie, dass man "Geist" nicht biologistisch vereinnahmen und diese Hypothese verabsolutieren kann.
Das ist eine sehr gewagte Behauptung. Ihr widersprechen tausende Hirnforscher mit ihren Experimenten, die den Ursprung von Geist erklären.
Dem mag man entgegenhalten, dass man damit einen "Geist" jenseits der Biologie nicht wiederlegen kann. Könnte man diese Diskussion nicht auf folgende zwei Thesen herunterbrechen:
1. Der menschliche Geist wird von neurologischen Erregunsmustern erzeugt und ist somit ein Innenaspekt des Gehirns. Der menschliche Geist ist Resultat hochkomplexer Hirnprozesse.
2. Hirnfunktionen korrelieren mit dem Geist, aber es besteht keine Kausalität. Der Geist existiert unabhängig von biologischen Prozessen, der Geist wird nicht vom Gehirn erzeugt. Ein materielles Organ kann keinen komplexen Geist mit Bewusstsein hervorbringen.
Beide Sichtweisen kann man offenbar vertreten. Sind beide Thesen gleichwertig, weil sie das Selbe unterschiedlich erklären? Mag sein.
Die zweite These führt eine supernaturalistische Ebene ein. Grundsätzlich habe ich nichts dagegen, doch warum wird die Möglichkeit der ersten These verneint? Weil man einem materiellen Organ diese Fähigkeit abspricht. Hirnforscher sind da anderer Meinung und sie sind die Experten auf diesem Gebiet.
Ich denke, dass Supernaturalisten der Natur und der Materie zu wenig zutrauen. Sie empfinden es als "Kränkung", auf Materie reduziert zu werden. "Ich habe doch Würde! Meinen Geist biologistisch vereinnahmen beraubt mich ja dieser." Doch stimmt das?
Dass ich gewissermaßen aus Staub gemacht bin, beraubt mich doch nicht meiner Würde. Oder spricht man einem Kunstwerk dadurch seinen Wert ab, indem man erkennt, dass es aus ganz gewöhnlichen Materialen besteht?
Meiner Meinung nach zeigt die Hirnfoschung recht überzeugend, dass die Korrelation zwischen Hirnfunktionen und dem menschlichen Geist kausaler Natur ist und der Geist tatsächlich vom Gehirn auf natürliche Weise erzeugt wird.
Da mag man versucht sein, das Gehirn mit einem Computer zu vergleichen, doch dieser Vergleich hinkt gewaltig, denn das Gehirn funktioniert völlig anders als ein Computer.
Zitat von Wolf Singer (s. PDF-Datei):
Das menschliche Gehirn verkörpert fraglos das komplexeste System im uns bekannten Universum – wobei komplex nicht einfach für kompliziert steht, sondern im Sinne der Komplexitätstheorie als terminus technicus spezifische Eigenschaften eines Systems benennt, das aus sehr vielen aktiven, miteinander auf besondere Weise interagierenden Einzelelementen besteht.
Obiges Zitat ist W. Singers Artikel
Das Gehirn – ein Orchester ohne Dirigent entnommen, welches auf seinen Festvortrag auf der Jahresversammlung der Max-Planck-Gesellschaft in Rostock (2005) basiert.
Zwar machte die Hirnforschung in der Dekade seit diesem Festvortrag bis heute große Fortschritte, doch ist Singers oben zitierte grundlegende Aussage meiner bescheidenen Kenntnis nach auch heute noch aktuell.
Bemerkenswert erscheint mir Singers Aussage über dieses komplexe Hirnsystem im folgenden Absatz:
Zitat von Wolf Singer (s. PDF-Datei):
Solche Systeme zeichnen sich durch eine hoch nichtlineare Dynamik aus; sie können Qualitäten hervorbringen, die aus den Eigenschaften der Komponenten nicht ableitbar sind – und sie sind kreativ: Sie können nahe zu unendlich viele Zustände in hochdimensionalen Räumen einnehmen und dabei neue, unvorhersehbare Muster ausbilden. Das liegt daran, das sie sich selbst organisieren und ohne den koordinierenden Einfluss einer übergeordneten Instanz hochgeordnete, metastabile Zustände einnehmen können.
Wolf Singer negiert kathegorisch eine übergeordnete Willens-Instanz; er ist Experte für das visuelle System und beschreibt das distributiv arbeitende Gehirn.
Doch laut Hans Helmut Kornhuber (✠2009) und Prof. Lüder Deecke arbeitet unser Gehirn nicht nur distributiv, sondern
auch hierarchisch. In Deeckes Artikel
Unter Zwang läuft alles schlechter, der auf seinen Vortrag „Freiheit und Kreativität“ (2010) basiert, wird ausgesagt:
Die Klinische Neurologie hat das größte Erfahrungsgut über Fähigkeiten und Gehirn des Menschen gesammelt. Diese Erfahrung hat zu zwei Theorien („Modellen“) über die Hirnfunktion geführt: erstens ein „hierarchisches“ System neben- und übergeordneter Zentren; dafür sprechen spezifische Ausfälle bei lokalisierten akuten Hirnläsionen, auch die Fähigkeit zur vernünftigen Selbstführung des Menschen, die Ergebnisse der funktionellen Kernspintomografie und die Hirnpotentiale. Zweitens ein verteiltes System, in dem durch Leitungen das meiste mit vielem anderen verbunden ist und das seine Leistungen stets durch ausgedehnte Zusammenarbeit hervorbringt. Dafür sprechen das assoziative Gedächtnis und die allmähliche Erholung von Funktionen (mit Hilfe von aktiver Übung) nach Läsionen, aber auch die Histologie und Hodologie cerebraler Netze.
Dies tangiert aber m.E. nicht die Korrektheit folgender Festellung von Singer:
Zitat von Wolf Singer (s. PDF-Datei):
Denn mit ihnen lassen sich Probleme der Informationsverarbeitung sehr viel eleganter bewältigen als mit linearen Operationen – etwa, wenn es darum geht, Muster zu erkennen, Kategorien zu bilden, große Mengen von Variablen assoziativ zu verknüpfen oder Entscheidungen zu treffen.
Dazu passt meiner Meinung nach ergänzend, was Kornhuber und Deecke über die Besonderheit des menschlichen Assoziatonscortex' aussagen:
Zitat aus Wille und Gehirn (Seite 91):
Dass der Mensch ein geistig überlegenes Wesen ist, ist nicht nur Tatsache, sonern vor allem auch eine Verpflichtung, ... Die Grundlage dieser Überlegenheit ist aber nicht die Zweifüßigkeit, auch nicht Lustempfindung oder limbisches System (das sich beim Menschen nicht wesentich von den Affen unterscheidet), sondern die enorme Entwicklung des Assoziatonscortex, ... Der Mensch hat aber nicht nur mehr Nervenzellen in seinem Assoziatonscortex als irgendein anders Tier einschließlich der Delphine, er hat auch infolge Zusammenarbeit mit Sprache, Kultur und langer lernender Kindheit unvergleichlich mehr Wissen, und leider hat er diese Überlegenheit oft unverantwortlich genutzt.
In seinem Buch "Die Natur des Bewusstseins" von Prof. Reionhard Werth lautet eine Kapitelüberschrift:
Die Entstehung des Bewusstseins aus der Funktion neurnaler Netzwerke.
²
Der Begriff Bereitschaftspotential ging als deutsches Fremdwort sogar im angelsächsischen Sprachraum als Fachwort ein.
Zwar mag man nun noch immer einwenden, dass all diese Erkenntnisse einen supernaturalistischen Geist, welcher unabhängnig vom Gehirn existiert, nicht widerlegt, doch zeigen oben genannte Belege nicht recht gut, dass man den menschlichen Geist auch sehr plausibel als Innenaspekts des Gehirns verstehen kann?
Wenn nun beide Thesen gleichwertig sind, welche ist gem. Ockhams Skalpell vorzuziehen? Die einfachere oder die komplizierte mit der zusätzlichen Annahme einer supernaturalistischen Ebene des menschliches Geistes? Ich ziehe die sparsamere vor.