Descartes und die menschliche Seele

Philosophisches zum Nachdenken
closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#1101 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von closs » So 20. Nov 2016, 14:14

Pluto hat geschrieben:Z.B. ist es unmöglich sich ein Bild vom Leben nach dem Tod vorzustellen
So ist es auch gemeint. - Unsere Wahrnehmungs-Ebene KANN das nicht.

Pluto hat geschrieben:Seit wann wird ein Begriff zum Polysem, bloß weil er von anderen Menschen anders verstanden wird?
Gerade deshalb. - Denn beide Gruppen meinen etwas anderes, wenn sie "menschlichen Geist" sagen.

Pluto hat geschrieben:Wissenschaft ist frei von Weltanschauung.
WENN sie bei ihren Regeln bleibt. - Das Problem ist doch gerade, dass in der öffentlichen Darstellung die Grenze zwischen Wissenschaft und Weltanschauung verschwimmt. - Konkret:

Die Neurowissenschaft kann sagen "Wir können biologisch erklären, dass Geist ein primäre Produkt von Materie sein könnte". - Es wäre dagegen weltanschaulich, also unwissenschaftlich, zu sagen: "Geist ist ein primäres Produkt von Materie, weil wir es so erklären können".

Wenn nun ein Wissenschaftler sagt "Wissenschaft kann es so erklären" UND ich glaube privat, dass es tatsächlich so ist, dass Geist ein primäres Produkt von Materie ist, dann ist das natürlich ok. - Schließlich haben auch Wissenschaftler eine private Weltanschauung - aber es ist nicht Wissenschaft, sondern Weltanschauung.

Pluto hat geschrieben:es hat in den letzten Jahrzehnten ein Paradigmenwechsel stattgefunden, weg von Geist als unerforschbarer Mystik, hin zu wissenschaftlich falsifizierbaren Erkenntnissen.
Das ist korrekt - deshalb kam es doch zu diesem Polysem.

Pluto hat geschrieben:Selbstverständlich kann die Wissenschaft Korrelationen UND Kausalitäten aus ihren Untersuchungen ableiten
Natürlich - man kann sagen, dass man aus folgenden ... Korrelationen schließt, dass es folgende ... Kausalität gibt. - Aber diese Kausalitäten müssen thesenhaft INNERHALB der Wissenschaft sein und dürfen nicht weltanschaulicher Natur sein, weil dies dann unwissenschaftlich wäre.

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#1102 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von closs » So 20. Nov 2016, 14:16

sven23 hat geschrieben:Richtig, ich fahre nur unter Vorbehalt mit dem Auto zur Arbeit, benutze den Computer nur unter Vorbehalt, telefoniere nur unter Vorbehalt, weil man ja nie wissen kann, ob die Welt nur eine Wahrnehmungstäuschung ist.
In materialistischen Fragen spielt dieser Vorbehalt keine Rolle - er spielt dann eine Rolle, wenn es um geistige Fragestellungen geht.

Benutzeravatar
sven23
Beiträge: 23476
Registriert: Fr 10. Mai 2013, 15:55

#1103 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von sven23 » So 20. Nov 2016, 14:17

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Richtig, ich fahre nur unter Vorbehalt mit dem Auto zur Arbeit, benutze den Computer nur unter Vorbehalt, telefoniere nur unter Vorbehalt, weil man ja nie wissen kann, ob die Welt nur eine Wahrnehmungstäuschung ist.
In materialistischen Fragen spielt dieser Vorbehalt keine Rolle - er spielt dann eine Rolle, wenn es um geistige Fragestellungen geht.
Also darf ich Goethe oder Bach nur unter Vorbehalt genießen? :lol:
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#1104 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von closs » So 20. Nov 2016, 14:42

sven23 hat geschrieben:Also darf ich Goethe oder Bach nur unter Vorbehalt genießen?
"Genießen" geht ohne Vorbehalt, weil es eine undialektische Emotion ist - DEIN Genießen ist komplett individuell und ohne dogmatischen/ideologischen Anspruch.

Benutzeravatar
sven23
Beiträge: 23476
Registriert: Fr 10. Mai 2013, 15:55

#1105 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von sven23 » So 20. Nov 2016, 16:58

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Also darf ich Goethe oder Bach nur unter Vorbehalt genießen?
"Genießen" geht ohne Vorbehalt, weil es eine undialektische Emotion ist - DEIN Genießen ist komplett individuell und ohne dogmatischen/ideologischen Anspruch.
Oh je, was machen wir denn, wenn alles nur Illusion ist? Muß ich dann meine Genußgefühle wieder zurückgeben? :lol:
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#1106 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von closs » So 20. Nov 2016, 19:44

sven23 hat geschrieben:Oh je, was machen wir denn, wenn alles nur Illusion ist? Muß ich dann meine Genußgefühle wieder zurückgeben?
Du hast es nicht verstanden: Du würdest es gar nicht MERKEN, wenn alles nur Illusion wäre.

Zur Erinnerung:
Es geht hier darum, dass es einen kategorialen Unterschied zwischen "Wahrnehmung" und "Realität" gibt - oder anders gesagt: Deine subjektive Wahrnehmungs-Realität muss nicht das repräsentieren, was außerhalb davon der Fall ist.

Aber man GLAUBEN, dass "Wahrnehmung" und "(äußere) Realität" verknüpft sind - und genau das tut Descartes. - Aber er weiss eben auch, dass er es GLAUBEN muss, weil er es nicht wissen KANN. - Nur darum geht es.

Warum ist das wichtig? - Weil damit klar wird, dass der Geist von innen her definiert werden muss (denn das Außen müssen wir GLAUBEN - die Res cogitans WISSEN wir).

Aber das merkt man nur, wenn man ontologisch, also von Grund auf denkt. - Denkt man naturwissenschaftlich, hat man dieses Problem nicht, weil der Kritische Realismus da anfängt, wo "das Außen" gesetzt ist ("Wir verstehen die Welt als das, wie sie uns erscheint" - Popper).

Dies nur noch mal, damit Du der Ernsthaftigkeit des Kontextes erinnerlich wirst.

SilverBullet
Beiträge: 2414
Registriert: Mo 17. Aug 2015, 19:04

#1107 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von SilverBullet » So 20. Nov 2016, 21:23

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Deshalb habe ich ja auch schon oft genug geschrieben, dass es zu einer möglichst umfangreichen Zusammenhangsmenge kommen muss, die eine, in sich geschlossene Korrektheit enthält, um von „Sicherheit“ zu sprechen.
Aber diese Sicherheit bezieht sich nur auf die System-Erfüllung.
Nein, es ist keine System-Erfüllung, weil ja nirgendwo festgelegt wird, welche Zusammenhänge in der Wahrnehmung auftreten können.
„Systeme“ gibt es erst einmal gar nicht, sondern nur „den Umgang mit Zusammenhängen“.

closs hat geschrieben:Woher willst Du wissen, ob es letztlich dem gerecht wird, was der Fall wird?
Wenn „das, was der Fall ist“ nicht als korrekte Zusammenhangsmenge in der Wahrnehmung auftritt, dann gibt es schlicht keinen Wahrnehmungszugang.
Dann ist aber auch die Idee falsch, dass „da etwas der Fall ist“.
Die Idee, dass wir durch philosophisch/religiöses So-Tun-Als-Ob-Zusammenhänge-Vorliegen „den grossen Preis erreichen können“ ist dann maximal falsch, denn es gibt den Grund nicht diese Idee aufzustellen.

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Selbstverständlich gibt es ein weitergehendes Zweifeln
Kann ich mir nicht vorstellen - Dein System zumindest geht NICHT weiter, sondern hört erheblich vor Descartes auf.
Ein wertloses Mantra, denn du hast kein Wissen, um dieses Urteil fällen zu können.

closs hat geschrieben:Das ist nicht "weitergehend", sondern weit vorher "abbiegend". - Du gehst immer noch davon aus, dass geistige Existenz ohne Körper nicht sein kann, weil es nicht in DEIN System passt.
Ich habe nichts vom Körper geschrieben und „Systemaktivität“ hat erst einmal nichts mit einer Festlegung zu tun, um was für ein System es sich handelt.

closs hat geschrieben:Descartes fragt gar nicht nach Systemen, sondern stellt logisch fest, dass seine Wahrnehmung/Wissenschaft ihn täuschen könnte
Hier kommt deine Unwissenheit wieder voll zur Geltung.

Beim „logischen Feststellen“ muss er Annahmen machen.
Der Begriff „Täuschung“ ist nur möglich wenn zuvor eine Entscheidung über die Existenzverhältnisse getroffen wurde.

Descartes hat sich festgelegt, dass er etwas sein möchte, das einen Körper hat und das getäuscht werden kann.

Die Basis für diese Festlegung ist vollkommene Unwissenheit.

Du kannst diese Festlegung nicht begründen (sonst hättest du es ja schon lange gemacht).

closs hat geschrieben:Descartes meint es viel grundsätzlicher und im (onto-)logischen: "Wir können mit Wahrnehmung/Wissenschaft prinzipiell nicht nachweisen, dass uns unsere Wahrnehmung/Wissenschaft nicht täuscht".
Descartes verwendet den Begriff „Wahrnehmung“ als „die Handlung einer Denkinstanz“. Hierfür kann er nur seine philosophisch/religiöse Prägung als Grund anführen – was er ja auch macht.
Auf diese Weise ist der Begriff „Täuschung“ nichts weiter, als die Fortsetzung dieser anfänglichen Suggestion.
Tatsächlich gibt es keinerlei Grund von „Täuschung“ zu sprechen, wenn es um Wahrnehmung geht.

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#1108 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von closs » So 20. Nov 2016, 22:28

SilverBullet hat geschrieben:„Systeme“ gibt es erst einmal gar nicht, sondern nur „den Umgang mit Zusammenhängen“.
Ich spreche von WAHRNEHMUNGS-Systemen - also die Art des Umgangs mit Zusammenhängen und deren Definition.

SilverBullet hat geschrieben:Wenn „das, was der Fall ist“ nicht als korrekte Zusammenhangsmenge in der Wahrnehmung auftritt, dann gibt es schlicht keinen Wahrnehmungszugang.
So ist es. :thumbup:

SilverBullet hat geschrieben:Dann ist aber auch die Idee falsch, dass „da etwas der Fall ist“.
Das dagegen ist ganz furchtbar falsch - es sei denn, Du hast die ganze Zeit darunter verstanden, was für die Wahrnehmung der Fall ist. Dann hätten wir die ganze Zeit aneinenader vorbei geredet.

SilverBullet hat geschrieben:Der Begriff „Täuschung“ ist nur möglich wenn zuvor eine Entscheidung über die Existenzverhältnisse getroffen wurde.
Das tut er doch. - Er stellt per Wahrnehmung etwas fest (Res extensae) und kommt zum Schluss, dass bei radikalem Skeptizismus dies eine Täuschung sein könnte, ohne dass wir es jemals erfahren würden.

SilverBullet hat geschrieben:Tatsächlich gibt es keinerlei Grund von „Täuschung“ zu sprechen, wenn es um Wahrnehmung geht.
Das deutet wieder darauf hin, dass Du DEINE/die menschliche Wahrnehmung zum Zentrum aller weiteren Gedanken machst - ANthropozentrismus.

Pluto
Administrator
Beiträge: 43975
Registriert: Mo 15. Apr 2013, 23:56
Wohnort: Deutschland

#1109 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von Pluto » So 20. Nov 2016, 23:38

closs hat geschrieben:Du hast es nicht verstanden: Du würdest es gar nicht MERKEN, wenn alles nur Illusion wäre.
Ich denke wir haben uns darauf geeinigt, dass dies unrealistisch ist. Das Leben ist KEINE Illusion, also vergiss es.

closs hat geschrieben:Es geht hier darum, dass es einen kategorialen Unterschied zwischen "Wahrnehmung" und "Realität" gibt
Stimmt. Aber das steht hier nicht zur Diskussion. Das ist der Grund, warum wir
a) nichts beweisen können, und
b) nichts behaupten dürfen.

Wissenschaft ist der einzige Weg, sich der Wahrheit zu nähern und gleichzeitig zu wissen, ob man auch auf dem richtigen Weg ist.
Das kann keine andere Untersuchungsmethode von sich behaupten, erste recht nicht in Glaubensdogma.

Aber man GLAUBEN, dass "Wahrnehmung" und "(äußere) Realität" verknüpft sind - und genau das tut Descartes. - Aber er weiss eben auch, dass er es GLAUBEN muss, weil er es nicht wissen KANN. - Nur darum geht es.
Warum ist das wichtig? - Weil damit klar wird, dass der Geist von innen her definiert werden muss (denn das Außen müssen wir GLAUBEN - die Res cogitans WISSEN wir).
Es geht um deine Behauptung, dass Descartes Aussage die Existenz einer res cogitans belegt. Doch das ist eine christlich ideologische Sicht, denn er könnte genauso gut mit dem Körper denken.

Oder ist vielleicht am Ende die res cogitans mit der res extensa identisch?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#1110 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von closs » Mo 21. Nov 2016, 00:23

Pluto hat geschrieben:Ich denke wir haben uns darauf geeinigt, dass dies unrealistisch ist.
Ja - das haben wir so vereinbart (Descartes ebenfalls). - Hier geht es lediglich darum, dass wir Wahrnehmung/Wissenschaft nicht per Wahrnehmung/Wissenschaft überprüfen können. Man muss SETZEN, dass Realität und Wahrnehmung übereinstimmen - und das tut auch jeder. - Aber es bleibt Setzung.

Pluto hat geschrieben:Wissenschaft ist der einzige Weg, sich der Wahrheit zu nähern und gleichzeitig zu wissen, ob man auch auf dem richtigen Weg ist.
Für die Dinge der Welt, wie wir sie wahrnehmen, ist dies nach wie vor unbestritten.

Pluto hat geschrieben:Es geht um deine Behauptung, dass Descartes Aussage die Existenz einer res cogitans belegt.
Tut sie auch. Die Res cogitans ist vor jeder darauf folgenden Setzung.

Pluto hat geschrieben:Doch das ist eine christlich ideologische Sicht
DASS es so ist, ist eine (onto-) logische Feststellung - also gar nichts mit "Christentum" zu tun.

Die INTERPRETATION aus dieser (onto-)logischen Feststellung ist bei Descartes christlich - aber das hat mit der Grundfeststellung nichts zu tun.

Pluto hat geschrieben:denn er könnte genauso gut mit dem Körper denken.
Da es nicht falsifizierbar ist, könnte es auch so sein.

Pluto hat geschrieben:Oder ist vielleicht am Ende die res cogitans mit der res extensa identisch?
In unserer Welt sehe ich es zumindest so, da es hier keine Möglichkeit gibt, menschlichen Geist ohne Körper (alias Neuronen) zu vermitteln. - Persönlich glaube ich deshalb hier an eine Inhärenz von Geist und Körper.

Damit wären wir uns in der Praxis einig: Man kann den menschlichen Geist anhand der Neuronen untersuchen (das stand aber nie in Frage). - Der entscheidende Punkt ist: "Inhärenz" ist nicht gleich "Identität". - Konkreter: Der menschliche Geist kann auch dann existieren, wenn der "nhärenz-Partner" nicht mehr da ist.

Und genau das kann die Neurowissenschaft nicht untersuchen, weil sie nur den Inhärenz-Fall untersuchen kann. - So einfach ist das eigentlich.

Gesperrt