Was versteht man unter Weisheit?

Philosophisches zum Nachdenken
erbreich
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#11 Re: Was versteht man unter Weisheit?

Beitrag von erbreich » Fr 9. Sep 2016, 09:53

Rembremerding hat geschrieben: Woher stammt die Sehnsucht das Gute im Herzen zu entfalten und sich auf dem Weg einer Vervollkommnung zu begeben?
Aus der Leiderfahrung. Durch die Suche nach deren Ursprung wird die Tatsache des fortwährenden Leidverursachens durch die eigene Person - durch gierig-hassend-selbssüchtiges Verhalten, wurzelnd in entsprechenden Herzenshaltungen - offenbar. Also begibt sich der einsichtige Mensch auf den Weg der Heilung dieser Herzenskrankheit.

Man kann hier von einer Offenbarung der göttlichen Weisheit für den Menschen sprechen.
Das kann man. Man kann es aber auch auf verschiedenste andere Art und Weise erklären.

Für den Christen geschieht die Herzenskultur auf dem Weg (der Christus ist) der kontemplativen Einfaltung in das Herz und den Willen Jesu.
Das erkenne ich durchaus als einen Weg der Heilung des Herzens.

Rembremerding
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#12 Re: Was versteht man unter Weisheit?

Beitrag von Rembremerding » Fr 9. Sep 2016, 10:33

Pluto hat geschrieben:
Rembremerding hat geschrieben:Doch woher kommt der Maßstab, der bestimmt, was rechte und unrechte Gesinnung?
Selbst ist der Mensch. :mrgreen:

Die Gesinnung kommt, wie erbreich andeutete, sehr wahrscheinlich von Innen.
Das entspricht nicht der menschlichen Lebenserfahrung. Käme die Gesinnung, welche recht und unrecht unterscheiden kann aus dem Menschen, dann gäbe es nicht die Gewissheit diese Gesinnung nicht gerecht werden zu können.
Hier weicht man einer wichtigen Frage aus, indem man ein nebulöses "Innen" im Menschen annimmt. Zumal es für einen Atheisten gar kein immaterielles "Innen" geben kann.
Woher nehmen wir also den Maßstab, der Menschen auf der ganzen Welt recht von unrecht trennen lässt?

erbreich hat geschrieben: Aus der Leiderfahrung. Durch die Suche nach deren Ursprung wird die Tatsache des fortwährenden Leidverursachens durch die eigene Person - durch gierig-hassend-selbssüchtiges Verhalten, wurzelnd in entsprechenden Herzenshaltungen - offenbar.
Das ist richtig. aber man setzt hier doch zu spät ein. Du schreibst ja selbst, dass es einen Ursprung geben muss. Dieser Ursprung muss also das Maß sein, woher ich in der Differenz zu ihm das Leid erst definieren und wahrnehmen kann. Dabei geht es zunächst gar nicht um die Feststellung eines persönlichen oder unpersönlichen Gottes. Es geht um ein Maß, welches über dem Menschen stehen muss. Eigentlich ist der Buddhismus im Wortsinn der reinste Atheismus, den eine Lehre zum Ausdruck bringen kann. Jedoch spricht er doch von einem Ursprung, von einem Nichts, das in irgendeiner Form den Menschen erlöst, aber auch zuvor in ihm eine Sehnsucht weckt diesen Ursprung zu suchen.
Gier, Hass, Selbstsucht, das alles kann ich doch erst als Leid empfinden, wenn ich erkannt habe, dass es vom gerechten Maß des Gebens, der Liebe und der Hingabe abweicht.
Dabei hat Buddha diesen ersten Schritt sehr richtig erkannt, indem er durch das Lösen falscher Bindungen den Menschen zu einer wahren Freiheit verhelfen will. Buddha war wohl der freieste Mensch, der je gelebt hat und gestorben ist.
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erbreich
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#13 Re: Was versteht man unter Weisheit?

Beitrag von erbreich » Fr 9. Sep 2016, 11:09

Rembremerding hat geschrieben:Du schreibst ja selbst, dass es einen Ursprung geben muss.
Das ist ein Missverständnis, ich sprach nur von der Suche nach einem Ursprung und davon, dass das Ergebnis dieser Suche im Entdecken des fortwährenden Leidverursachens durch die eigene Person bestehe (durch Gier, Hass und Selbstsucht).

Ein Ursprung des Seins an sich wird vom Buddha nicht gelehrt, nur der Ursprung des Leidens und der Weg zur Aufhebung des Leidens.

Es geht um ein Maß, welches über dem Menschen stehen muss.
Ein solches Mass gibt es für den Buddhismus nicht: Der Buddha - als (wie du richtig benannt hast) freier (vom Leidverursachen befreiter) Mensch (und nichts anderes als Mensch) - galt als "Lehrer der Götter und Menschen".

Jedoch spricht er doch von einem Ursprung, von einem Nichts, das in irgendeiner Form den Menschen erlöst, aber auch zuvor in ihm eine Sehnsucht weckt diesen Ursprung zu suchen.
Auch das ist ein Missverständnis: Der Buddhismus lehrt keinen Ursprung - auch kein Nichts als Ursprung, was ja ein offensichtlicher Unsinn wäre: aus nichts kann nicht etwas entstehen - sondern er lehrt die Anfangslosigkeit des Seienden. In keiner Form lehrte der Buddha die Suche nach einem Ursprung oder Erstanfang des Lebens, vielmehr gelten Fragen über Uranfang, Ewigkeit, Vernichtung (des Seins und unseres "Selbst") als sinnlose Fragen, die der Leidbefreiung nicht dienlich sind.

Der Buddhismus ist nicht nihilistisch, er predigt nicht das Nichts als Erlösung. Nirvana ist das Erlöschen zuerst des Leidverursachens, dann in der Konsequenz davon, das Erlöschen des Leiderlebens. Das Ende des Leidverursachens und des Leiderlebens ist nicht nichts, sondern vielmehr alles, worauf es ankommt.

Gier, Hass, Selbstsucht, das alles kann ich doch erst als Leid empfinden, wenn ich erkannt habe, dass es vom gerechten Maß des Gebens, der Liebe und der Hingabe abweicht.
Das erkennst du eben in dem Masse, als du konkret erkennend erlebst, dass gieriges, hassvolles, selbstsüchtiges Verhalten dich und andere leiden macht. Und wenn du dann zu üben beginnst und erlebst, dass friedfertiges, grosszügiges, selbstloses Tun dich selber und andere glücklich macht, dann wirst du mehr und mehr diesen Weg einschlagen - wann immer es geht. Es gibt niemanden, der nicht gerne glücklich ist.

Dabei hat Buddha diesen ersten Schritt sehr richtig erkannt, indem er durch das Lösen falscher Bindungen den Menschen zu einer wahren Freiheit verhelfen will. Buddha war wohl der freieste Mensch, der je gelebt hat und gestorben ist.
Eine starke Einsicht für einen bekennenden Christen! :thumbup:

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#14 Re: Was versteht man unter Weisheit?

Beitrag von Pluto » Fr 9. Sep 2016, 11:42

Rembremerding hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Die Gesinnung kommt, wie erbreich andeutete, sehr wahrscheinlich von Innen.
Das entspricht nicht der menschlichen Lebenserfahrung. Käme die Gesinnung, welche recht und unrecht unterscheiden kann aus dem Menschen, dann gäbe es nicht die Gewissheit diese Gesinnung nicht gerecht werden zu können.
Vielleicht müssen Christen mit dieser Gewissheit leben: Ich muss das nicht.

Rembremerding hat geschrieben:Woher nehmen wir also den Maßstab, der Menschen auf der ganzen Welt recht von unrecht trennen lässt?
Einfach gesagt, "die Evolution hats gemacht". :lol:
Nee, im Ernst. Der Mensch ist das weitaus sozialste Lebewesen auf dieser Erde. Kein anderes Wesen lebt sowohl im Familienverbund wie auch in einer Gruppe.
Wir haben sozusagen die Nächstenliebe erfunden, weil wir dank unserer enormen kognitiven Fähigkeiten, in der Lage sind zu verstehen, dass unser eigenes Wohlbefinden weitgehend von dem der Familie/Gruppe abhängt.

Rembremerding hat geschrieben:Gier, Hass, Selbstsucht, das alles kann ich doch erst als Leid empfinden, wenn ich erkannt habe, dass es vom gerechten Maß des Gebens, der Liebe und der Hingabe abweicht.
Das erkennt der Mensch ganz allein, weil diese moralischen Werte ihm sozusagen von der Natur "angezüchtet" wurden. Diejenigen Menschen die diese moralischen Werte hatten, waren die Erfolgreichen.
Nun wirst du vielleicht entgegnen, "was ist mit Psychopathen?". Ein sehr berechtigter Einwand, aber erstens ist Psychopathie eine geistige Störung (Krankheit), und zweitens gibt es diese Menschen überall, auch unter denjenigen, die sich als Christen bezeichnen.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#15 Re: Was versteht man unter Weisheit?

Beitrag von Rembremerding » Fr 9. Sep 2016, 12:36

erbreich hat geschrieben:
Auch das ist ein Missverständnis: Der Buddhismus lehrt keinen Ursprung - auch kein Nichts als Ursprung, was ja ein offensichtlicher Unsinn wäre: aus nichts kann nicht etwas entstehen - sondern er lehrt die Anfangslosigkeit des Seienden. In keiner Form lehrte der Buddha die Suche nach einem Ursprung oder Erstanfang des Lebens, vielmehr gelten Fragen über Uranfang, Ewigkeit, Vernichtung (des Seins und unseres "Selbst") als sinnlose Fragen, die der Leidbefreiung nicht dienlich sind.
So verstehe ich den Buddhismus auch, gut dass du es dargelegt hast. Deshalb sprach ich auch vom "reinsten" Atheismus, denn es wird im Buddhismus weder ein göttlicher Ursprung des Seins angenommen noch die Ersatzgötzen belassen, wie etwa beim heutigen Atheismus, denn von ihnen geht ja gerade das Leid aus, von dem sich der buddhistische Weg befreien will.
Das Missverständnis hatte als Ursache ein Gedankengang von mir, den ich nicht niederschrieb, aber als von dir angenommen voraussetzte.

Die buddhistische Lehre zeigt sich mir hier als eine Umsetzung kontemplativer Betrachtung in eine philosophische Weltanschauung. Dabei kann ein Ansatzpunkt zum Christentum erkannt werden. Die Kontemplation in der christlichen Mystik kann dann erfolgreich sein, wenn sie sich letztendlich kein Bild von Gott macht, wenn sie weder Gedanken an Irdischem, Gefühlen, Menschen noch göttlichen Tugenden verschwendet. Es gilt leer zu werden. Bis zu diesem Punkt wird sich buddhistische Meditation und christliche Kontemplation nicht unterscheiden, ja auch hier hat das Seiende keinen Anfang. Nun aber kommt die Differenz: Christsein bedeutet das Seiende zwar ohne Anfang zu betrachten, aber als Seiend. Bei aller Leere im Denken hat hier die Kontemplation ein Ziel, oder vielmehr, das Ziel ist der Grund der Kontemplation, weil es sich dem Menschen aus Gnade schenkt, ohne dass der Mensch es selbst erreichen kann.

Das erkennst du eben in dem Masse, als du konkret erkennend erlebst, dass gieriges, hassvolles, selbstsüchtiges Verhalten dich und andere leiden macht. Und wenn du dann zu üben beginnst und erlebst, dass friedfertiges, grosszügiges, selbstloses Tun dich selber und andere glücklich macht, dann wirst du mehr und mehr diesen Weg einschlagen - wann immer es geht. Es gibt niemanden, der nicht gerne glücklich ist.
Hier sehe ich eben eine Inkonsequenz. Atheisten flüchten sich in die Evolution, Buddhisten lassen wenigstens die Antwort offen.
Erkenntnis, auch über das Leid, kann nicht allein durch Beobachtung erlangt werden. Es gibt Kulturen, in denen das Recht des Stärkeren zählt, in denen der glücklich ist, weil er Ansehen durch viel Besitz erlangt. In einer Kultur lieben sie ihren Nächsten, in einer anderen essen sie ihn.

So muss es eine Art Naturrecht, ein Sittengesetz geben, das schlecht und gut, recht und unrecht nicht als moralische Wertung betrachtet, sondern als Abgleich mit der Wahrheit, mit der Natur des Menschen. So ist etwa die Vernunft die erste Form göttlicher Offenbarung.
Über recht und unrecht gibt es Streit. Streit gibt es nur, weil es recht und unrecht gibt.
Der objektive Maßstab dafür kann nur in der Wahrheit, konkret im natürlichen Interesse des Menschen liegen, was wiederum nichts mit Evolution zu tun hat. Der Maßstab kann etwa nicht die Zustimmung eines Menschen zu irgendeinen Maßstab sein (... ich bin des Mordes nicht schuldig, weil ich und das Opfer zustimmten), auch nicht eine statistische Erhebung (... weil alle es tun).

Von einer anderen Seite beleuchtet: Der Mensch hat nicht das natürliche Recht, diese oder jene Sprache zu erlernen, aber er hat das Recht überhaupt eine Sprache zu erlernen, weil er eine Sprachfähigkeit besitzt.
Oder: Nicht die Frage nach der Ursache des Leids sollte gestellt werden, sondern nach der Ursache der Leidensfähigkeit des Menschen (oweh, kompliziert, aber es ist ja hier der Philosophie-Thread).

Dieses von mir angesprochene Naturrecht, das durch ein natürliches Sittengesetz gewahrt bleibt, ist etwa, als Vergleich, wie das Tao der Chinesen, vielleicht kannst du damit mehr anfangen.
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#16 Re: Was versteht man unter Weisheit?

Beitrag von erbreich » Fr 9. Sep 2016, 13:40

Rembremerding hat geschrieben:Nun aber kommt die Differenz: Christsein bedeutet das Seiende zwar ohne Anfang zu betrachten, aber als Seiend. Bei aller Leere im Denken hat hier die Kontemplation ein Ziel, oder vielmehr, das Ziel ist der Grund der Kontemplation, weil es sich dem Menschen aus Gnade schenkt, ohne dass der Mensch es selbst erreichen kann.
Und worin siehst du nun die Differenz? Auch ich betrachte das Seiende als seiend und nicht etwa als nichtseiend. Und auch meine Kontemplation hat ein klares Ziel: nämlich die Befreiung vom Leidverursachen (kürzeste Definition: Befreiung vom selbstsüchtigen Begehren). Oder - in althergebrachter religöser Sprache: Läuterung des Herzens oder auch der Seele von den Leidenschaften. Da staune ich übrigens immer wieder, wenn ich, wie zur Zeit gerade wieder einmal, die Philokalie studiere, wie nah und in vielem übereinstimmend christliche und buddhistische Kontemplation sein können (vorausgesetzt, man ist in der Lage, nicht den personalen oder den phänomenalen Aspekt des Ziels absolut zu setzen, sondern diese Aspekte quasi als zwei Seiten derselben Münze zu erfahren).

Erkenntnis, auch über das Leid, kann nicht allein durch Beobachtung erlangt werden.
Zuallererst wird das Leiden erlebt. Und es ist unter Umständen ein langer Weg, bis ein Mensch bereit ist zu akzeptieren - also zu erkennen - dass Leben unabdingbar auch Leiden ist, dass jede Lebensform der Vergänglichkeit, dem Leiden und dem Sterben unterworfen ist (die erste der vier edlen Wahrheiten Buddha's).

So muss es eine Art Naturrecht, ein Sittengesetz geben, das schlecht und gut, recht und unrecht nicht als moralische Wertung betrachtet, sondern als Abgleich mit der Wahrheit... Der objektive Maßstab dafür kann nur in der Wahrheit, konkret im natürlichen Interesse des Menschen liegen...
Ganz genau, und das tut es auch, denn das natürliche Interesse des Menschen - und aller Lebewesen - besteht im Streben nach angenehmem Erleben und im Streben nach Vermeidung unangenehmen Erlebens.

Kein Wesen will leiden. Jeder Mensch tut, was er tut, in der Meinung, es verhelfe ihm zum Wohlergehen. Doch genau hierbei macht ihm die Verblendung (das selbssüchtige Begehren) einen Strich durch die Rechnung, indem er Dinge tut oder Dinge zu tun unterlässt, die im wirklich Wohlergehen bescheren würden und - eben verblendet - Dinge tut, die ihm und seiner Umwelt Leiden verursachen. Aber der Mensch ist - wenn auch sehr bedingt - lernfähig. Einige lernen daraus und entwickeln sich in Richtung Wahrheit, passen sich der Wahrheit an. Andere nicht. Das lässt sich nicht ändern und, da bin ich auch mit dir einig, wird sich auch nicht "evolutionär" ändern.

Nicht die Frage nach der Ursache des Leids sollte gestellt werden, sondern nach der Ursache der Leidensfähigkeit des Menschen (oweh, kompliziert, aber es ist ja hier der Philosophie-Thread).
Guter Einwand, denn nur durch die Fähigkeit das Leiden der Existenz (zuerst wie gesagt zu erkennen und dann) zu ertragen, also durch Leidensfähigkeit, kann das Leidverursachen überwunden werden. Jesu Aufforderung "Wer mir nachkommen will verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz täglich auf sich und folge mir nach" sagt eigentlich alles: Selbstlosigkeit und Leidensfähigkeit sind gefragt.

Dieses von mir angesprochene Naturrecht, das durch ein natürliches Sittengesetz gewahrt bleibt, ist etwa, als Vergleich, wie das Tao der Chinesen, vielleicht kannst du damit mehr anfangen.
Das Tao der Chinesen ist der Dharma der Buddhisten. :)

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#17 Re: Was versteht man unter Weisheit?

Beitrag von Rembremerding » Fr 9. Sep 2016, 14:52

erbreich hat geschrieben:vorausgesetzt, man ist in der Lage, nicht den personalen oder den phänomenalen Aspekt des Ziels absolut zu setzen, sondern diese Aspekte quasi als zwei Seiten derselben Münze zu erfahren.
Genau dies kann aber nicht möglich sein, zumindest im Christentum. Hier kam Gott ins Fleisch, in Zeit und Raum und ist auferstanden von den Toten. Das Phänomenale wurde damit aufgehoben und sichtbar personalisiert. Dahinter kann man nicht mehr als Christ zurück, die Vorzeichen haben sich vollständig verändert. Deshalb können Christen sicher davon ausgehen, dass es zwischen dem Sein (ohne jetzt das Wort Gott zu verwenden) und dem Menschen eine persönliche Beziehung geben kann. Und dann wird auch die unendlich große Entfernung zwischen Gott und dem Menschen offenbar. Sie kann nur von Gott überwunden werden, niemals vom Menschen. Aber hier liegt gerade das Gnadenvolle: das leichte Joch Gott wiederzulieben vermeidet verkrampfte Werkgerechtigkeit, lässt Gott alles weitere tun.

Hier zu versuchen, eine Brücke zwischen Buddhismus und Christentum zu bauen, würde beiden nicht gerecht. Die Brücken sind woanders zu finden.

Zuallererst wird das Leiden erlebt. Und es ist unter Umständen ein langer Weg, bis ein Mensch bereit ist zu akzeptieren - also zu erkennen - dass Leben unabdingbar auch Leiden ist, dass jede Lebensform der Vergänglichkeit, dem Leiden und dem Sterben unterworfen ist (die erste der vier edlen Wahrheiten Buddha's).
Diese Unbedingtheit, dass Leben automatisch an sich Leid bedeutet, hat Christus nicht mehr gelehrt. Gerade weil durch ihn das Sterben zum Beginn des ewigen Lebens gelangt.
Erlebtes Leid ist stets persönlich. Ein Mensch leidet darunter als Opfer für einen Götzen dargebracht zu werden, der andere sieht es als Freude für seinen Götzen geopfert zu werden. Leid zu erleben kann also nicht der Maßstab sein, Leid zu erkennen. Im christlichen Sinn leidet bei meinem Beispiel in beiden Fällen sicher immer einer: Gott, der Lebendige. Denn das natürliche Interesse des Menschen ist zu leben. Wird dieses Naturrecht gebrochen, entsteht objektiv Leid.
Buddha geht den Weg dem Leid die Nahrung zu entziehen, Leid zu vermeiden. Christus geht den Weg dem Leid Sinn zu verleihen, es aufzuarbeiten.

Ganz genau, und das tut es auch, denn das natürliche Interesse des Menschen - und aller Lebewesen - besteht im Streben nach angenehmem Erleben und im Streben nach Vermeidung unangenehmen Erlebens.
Aber wenn es nur das wäre? Selbst jenseits dem Religiösen, im Epikureismus, weiß man davon, dass Menschen zur Erlangung eines für sie höheren Wertes unangenehmes er-leiden.
Im Christentum kann das persönliche Leid auch eine Chance sein. Man muss es nicht suchen, aber man braucht es auch nicht allein tragen. Es erhält durch Christus einen Sinn und ein Ziel. Anders steht es mit Leid, das durch falsche Bindungen entsteht. Dieses Leid braucht nicht einmal vermieden werden, es ist im Grunde unnötig. Hier sind sich, so denke ich, Buddhismus und Christentum einig.

Das Tao der Chinesen ist der Dharma der Buddhisten. :)
Nicht ganz, aber es läuft zumindest beides im Kreis und nicht auf einer Linie, wie im Christentum. :D

Was das Naturrecht betrifft, hier ein gutes Buch, von einer Autorin, die keineswegs religiös geprägt ist:
"Die Natur des Guten" von Philippa Foot.
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#18 Re: Was versteht man unter Weisheit?

Beitrag von erbreich » Fr 9. Sep 2016, 17:07

Lieber Rembremerding, du gehst jetzt ziemlich in's konkret Theologische, es ist klar, dass sich in vielen Konzepten - und das sind sie aus buddhistischer Sicht - Buddhismus und Christentum widersprechen. Das streite ich natürlich nicht ab und wir können gerne auch die Widersprüche diskutieren. Ich gehe jedoch davon aus, dass die Widersprüche eben nur konzeptioneller Natur sind und vom Einzelnen, der die eine Wahrheit realisiert, in der Realisation überwunden werden. Dass da eben am Ende des Weges die Erlösung steht, wie auch immer sie theologisch oder philosophisch definiert wird. Aber ich gehe mal auf ein paar Widersprüche ein:

Rembremerding hat geschrieben:Hier kam Gott ins Fleisch, in Zeit und Raum und ist auferstanden von den Toten.
Auferstehung von den Toten gibt es aus buddhistischer Perspektive noch und noch: sie ist das Normale. Jedes Sterben ist gleichzeitig die Geburt einer neuen Existenz. Geborenwerden, Altern, Leiden, Sterben, wieder Geborenwerden, usw. Das nennt sich im buddhistischen Konzept Samsara. Der Daseins- oder eben Leidenskreislauf. Im Modell des Palikanons zieht sich dieser Kreislauf durch 18 Daseinsbereiche, wobei der menschliche Bereich die viertunterste Stufe darstellt (darunter sind absteigend das Gespensterreich, das Tierreich, die Hölle). Über der menschlichen Daseinsebene werden 14 himmlische Welten beschrieben, von dem menschennahesten sinnlichen Himmel bis hin zu vollkommen formloser Existenz. Je göttlicher die Bereiche, desto länger dauern die Existenzen, da wird von tausenden von Äonen gesprochen, die so eine Existenz dauern kann. Aus buddhistischer Sicht, wäre also Jesus, insofern er als personales Wesen gedacht wird, in einem dementsprechenden Himmel anzusiedeln (aus dem er, nach seinen eigenen Worten, ja auch noch einmal zurückkommen wird).

Nun gibt es aber in buddhistischer Sichtweise kein individuelles Leben, das als solches "ewig" wären könnte. Wesen werden geboren und sterben oder sie entstehen geistunmittelbar und erlöschen aus diesem Existenzbereich auch wieder. Das gilt auch für ein Wesen, das von sich selber und von anderen Wesen als Schöpfergott angesehen wird. Hierzu möchte ich anmerken, dass viele ernsthafte Christen eine solches, antropomorphes Gottesbild nicht mehr vertreten. Ich persönlich kann "Gott" und "Nirvana" gleichsetzen in dem Sinne, als sie beide Bild für das Zeitlose sind, für das Ungeborene, Ungewordene, Ungeschaffene und daher auch Todlose, Leidlose.

Übrigens: Indem der Christ Gott als Ursprung (der Schöpfung) setzt, Gott selber aber doch auch als anfangslos sich denkt, hat er die Tatsache der Anfangslosigkeit nur mit einem anderen Namen versehen... die Schöpfung ist also eigentlich auch gemäss der Bibel anfangslos, das sie ja aus dem Anfangslosen kommt.

Und dann wird auch die unendlich große Entfernung zwischen Gott und dem Menschen offenbar.
Die zwischen dem Nirvana und dem Menschen ist genauso gross: Der Mensch ist dem Leiden unterworfen, das Nirvana ist das Leidlose. Der Mensch ist dem Tod unterworfen, Nirvana ist das Todlose. Und doch wird auf beiden Wegen das ferne Ziel - oder besser: der ferne Sinn - sich im Menschen aktualisieren. Sei es eben definiert als Christus in mir oder als Selbstlosigkeit (anatta).

Aber hier liegt gerade das Gnadenvolle: das leichte Joch Gott wiederzulieben vermeidet verkrampfte Werkgerechtigkeit, lässt Gott alles weitere tun.
Die Wichtigkeit des eigenen Einsatzes wird in der Bibel genauso betont wie vom Buddha. "Vollendet eure Rettung unter Furcht und Zittern...", heisst es da beispielsweise und Jakobus 2 betont ausserordentlich die Verbundenheit von Glaube und Werk. Natürlich können wir es in letzter Konsequenz nicht machen, sondern nur es an uns geschehen lassen. "...denn Gott ist es, der das Wollen und Vollbringen wirkt nach seinem Wohlgefallen." Das gilt auch für den Buddhisten. Es ist ein weiterer Irrtum, zu denken, der Buddhist könne das Nirvana machen. Wäre es so, dann könnte Nirvana nicht das Ungewordene und Ungemachte sein. Der Buddhist wird sich - wie es auch vom Christ gefordert ist - mit allen ihm zur Verfügung stehenden Kräften und Fähigkeiten darum bemühen, das seinige dazu zu tun, damit die Erlösung geschehen kann ("seine Talente also nicht vergraben"), machen kann er sie nicht.

Diese Unbedingtheit, dass Leben automatisch an sich Leid bedeutet, hat Christus nicht mehr gelehrt. Gerade weil durch ihn das Sterben zum Beginn des ewigen Lebens gelangt.
Im Buddhismus führt der Tod unweigerlich zur Wiedergeburt - solange nicht der Ausweg aus dem Leidenskreislauf gefunden worden ist. Dieser besteht in der Realisation der Selbstlosigkeit.

Buddha geht den Weg dem Leid die Nahrung zu entziehen, Leid zu vermeiden. Christus geht den Weg dem Leid Sinn zu verleihen, es aufzuarbeiten.
Wenn Leiden Sinn machen soll, dann wäre das Ziel grösstmögliches Leiden, also die "Hölle". Aber so meinst du es natürlich nicht. Da bist du mit dem "Aufarbeiten" schon wieder näher beim Buddha: Aufarbeiten tut ein Mensch das Leiden, wenn er es als das erkennen lernt, was es ist und wenn er die Tatsache der durchgängigen Leidunterworfenheit des Lebens (der "Kreatur") zu akzeptieren lernt. Leidfreiheit ist Sinn und Ziel der Existenz, nicht Leiden, auch in der Bibel.

Anders steht es mit Leid, das durch falsche Bindungen entsteht. Dieses Leid braucht nicht einmal vermieden werden, es ist im Grunde unnötig. Hier sind sich, so denke ich, Buddhismus und Christentum einig.
Ja, kein Widerspruch.

erbreich hat geschrieben:Das Tao der Chinesen ist der Dharma der Buddhisten. :)
Rembremerding hat geschrieben:Nicht ganz, aber es läuft zumindest beides im Kreis und nicht auf einer Linie, wie im Christentum. :D
Richtig.

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#19 Re: Was versteht man unter Weisheit?

Beitrag von Rembremerding » Fr 9. Sep 2016, 18:32

erbreich hat geschrieben:Lieber Rembremerding, du gehst jetzt ziemlich in's konkret Theologische, es ist klar, dass sich in vielen Konzepten - und das sind sie aus buddhistischer Sicht - Buddhismus und Christentum widersprechen. Das streite ich natürlich nicht ab und wir können gerne auch die Widersprüche diskutieren.
Die Widersprüche dürfen nicht verschwiegen werden. Das "andere Konzept" des Christentums ist einfach, dass es auf Gottes Sohn und nicht auf einem Menschen basiert. So ist etwa die größte menschenmögliche Freiheit Buddhas nicht dieselbe Freiheit des Herrn. Sie war eher die letzte, die Furcht auflösende Erkenntnis, dass die gefallene Welt nichtig ist. Buddha wollte das Leid und die Welt auflösen, indem er beides überwand, Jesus, indem er beides mit Gottes Liebe verwandelt und damit erneuert. Die Freiheit des Herrn kommt aus der Liebe Gottes, seine Gesinnung ist der von Gottes Ernst getragene Wille, die Welt zu heilen. Jesus hat sich nicht aus einer Fesselung heraus zur Freiheit durchgerungen oder aus Ungewissheit zur Erkenntnis, wie Buddha. So wird für Christen nicht das Ziel maßgeblich, eine Aufgabe, sondern allein Jesus Christus, der Lebendige.

Nun gibt es aber in buddhistischer Sichtweise kein individuelles Leben, das als solches "ewig" wären könnte. Das gilt auch für ein Wesen, das von sich selber und von anderen Wesen als Schöpfergott angesehen wird. Hierzu möchte ich anmerken, dass viele ernsthafte Christen eine solches, antropomorphes Gottesbild nicht mehr vertreten.
Dieses Gottesbild dürfen sie vertreten, jedoch verlieren sie mit diesem Bild ihr Christwerden im Wortsinn, weil sie sich von Christus verabschieden.
Übrigens: Indem der Christ Gott als Ursprung (der Schöpfung) setzt, Gott selber aber doch auch als anfangslos sich denkt, hat er die Tatsache der Anfangslosigkeit nur mit einem anderen Namen versehen... die Schöpfung ist also eigentlich auch gemäss der Bibel anfangslos, das sie ja aus dem Anfangslosen kommt.
Hier darf man nicht die Anfangslosigkeit als Zeitbegriff mit der Anfangslosigkeit als Eigenschaft eines Wesens verwechseln. Natürlich setzt die Bibel einen Anfang, als die Schöpfung in Zeit und Raum tritt, aber sie betont gleichzeitig, dass der Schöpfer nicht Teil dieses Anfangs ist.

Die zwischen dem Nirvana und dem Menschen ist genauso gross: Der Mensch ist dem Leiden unterworfen, das Nirvana ist das Leidlose. Der Mensch ist dem Tod unterworfen, Nirvana ist das Todlose. Und doch wird auf beiden Wegen das ferne Ziel - oder besser: der ferne Sinn - sich im Menschen aktualisieren. Sei es eben definiert als Christus in mir oder als Selbstlosigkeit (anatta).
Eine schöne Gemeinsamkeit. Vor allen, weil diese unendliche Entfernung nicht deprimiert, nicht entmutigt, sondern weil vom Ziel, vom fernen Sinn her die Sehnsucht und Hoffnung genährt wird, es zu erreichen. Und im Christentum kommt von diesem Sinn auch die Kraft und Möglichkeit es zu erreichen.

Im Buddhismus führt der Tod unweigerlich zur Wiedergeburt - solange nicht der Ausweg aus dem Leidenskreislauf gefunden worden ist.
Hiervon hat Christus die Menschen erlöst. Die Wiedergeburt im Hl. Geist macht den Menschen lebendig, der Keim zum ewigen Leben ist eingepflanzt. Der Tod wird so zur Pforte in die Vollendung, der Gemeinschaft mit Gott "von Angesicht zu Angesicht".

Leidfreiheit ist Sinn und Ziel der Existenz, nicht Leiden, auch in der Bibel.
Das stimmt nicht ganz. Das Vorzeichen ist ein anderes: Sinn und Ziel der Existenz ist nicht die Leidfreiheit, sondern die Liebe, letztendlich die Freude. Und diese kann auch im Leid sein. Hier gilt der Neuanfang, den Christus gesetzt hat.


Im übrigen sehe ich Gemeinsamkeiten zum Buddhismus, wenn etwa der Kontemplative das Bedürfnis hat, das Werk in Sprache zu kleiden. Dann wird auch in der christlichen Mystik ein einsilbiges Wort mit Gottesbezug empfohlen, damit so die Sprache dieselbe Reduzierung erfährt, wie die Seele, die sich auf ihren Wesensgrund begibt.
Im Zen, wie im Werk der Mystik, erlangt man zudem nicht etwas Dauerhaftes. Es bleibt eine Mühe, die immer wieder aufs neue gewirkt werden muss.

Mögen es andere Christen anders sehen, aber Gott hat uns nicht gesagt, welche Vorkehrungen er für andere Menschen getroffen hat. Wir Christen wissen nur, dass außer durch Christus kein Mensch erlöst werden kann. Ob nun nur diejenigen durch ihn erlöst werden, die ihn auch kennen, erfahren haben, wissen wir nicht.

Servus :wave:
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#20 Re: Was versteht man unter Weisheit?

Beitrag von NIS » Fr 9. Sep 2016, 19:38

Jesus ist der Weg, die Wahrheit und die Offenbarung der Liebe Gottes!
Denn die Liebe Christi ist der Ursprung von jedem Leben gewesen,
und es gibt keinen und auch nicht einen einzigen, der nicht durch diese Liebe Christi geboren wurde.
Amen
Der Heilige Geist (Hauke)

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