Die Früchte des Reduktionismus.

Philosophisches zum Nachdenken
closs
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#11 Re: AT vs. NT

Beitrag von closs » Sa 20. Dez 2014, 23:45

Pluto hat geschrieben:Was wären denn philosophischen Gesichtspunkte, die Reduktionismus "haarig" machen?
Wenn man nur noch Bäume sieht und keinenWald mehr - eine große Gefahr, wenn man kein eigenes Feeling hat, wo's lang geht. - Wir leben ja in einer Zeit, die das eigene Urteil gerne eliminiert - ein konkretes Beispiel:

Es gibt inzwischen furchtbar aufwendige Prozeduren, wenn man jemand im Berufsleben einstellen will. Oft sind Psychologen da, die ihre Listen abarbeiten - am Ende hat ein Kandidat die meisten Punkte. - Ich habe noch einen Fall erlebt, als die "Aktenlage" für Kandidat 5 gesprochen hat, während der Auftraggeber/Arbeitgeber (der bei den Einstellungs-Gesprächen immer dabei gewesen war) zwischen Kandidaten 7 und 10 geschwankt hat. - Als der Auftraggeber/Arbeitgeber nun informiert wurde, dass Kandidat 5 die Nase vorne habe, hat er nicht gesagt "Was habt Ihr für SCheiß-Tests?", sondern "So kann man sich täuschen" - er hat also sein langjähriges Urteil einem externen Test untergeordnet.

Ich sehe darin ein Beispiel für die Verunmündigung unserer Gesellschaft - Hauptsache, die wissenschaftliche Aktenlage stimmt - das ist objektiv, da kann ich mich daran klammern - meine Lebens- und Menschen-Erfahrung klammere ich aus. - Dies scheint mir typisch zu sein in unserer medialen Wirklichkeit. Zum Ausgleich darf man sich dann ein Meinungs-Reservat leisten ("Ich mag gerne Marmelade-Brot mit Byzantinischen Zwiebeln" - "Ah - welch ein außerordentlich Geschmack - interessant" :devil: ).

Pluto
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#12 Re: AT vs. NT

Beitrag von Pluto » So 21. Dez 2014, 00:57

closs hat geschrieben:Es gibt inzwischen furchtbar aufwendige Prozeduren, wenn man jemand im Berufsleben einstellen will. Oft sind Psychologen da, die ihre Listen abarbeiten - am Ende hat ein Kandidat die meisten Punkte. - Ich habe noch einen Fall erlebt, als die "Aktenlage" für Kandidat 5 gesprochen hat, während der Auftraggeber/Arbeitgeber (der bei den Einstellungs-Gesprächen immer dabei gewesen war) zwischen Kandidaten 7 und 10 geschwankt hat. - Als der Auftraggeber/Arbeitgeber nun informiert wurde, dass Kandidat 5 die Nase vorne habe, hat er nicht gesagt "Was habt Ihr für SCheiß-Tests?", sondern "So kann man sich täuschen" - er hat also sein langjähriges Urteil einem externen Test untergeordnet.
Da gebe ich dir völlig recht!
So was würde ich als falsche Anwendung bezeichnen.

Ein weiteres Beispiel aus der Technik, von ebenfalls falschem Reduktionismus:

Stell dir vor, du fragtest mich nach der Funktion des Mausklicks auf einem Feld im Browser auf einer auf dem Bildschirm angezeigten Internet-Seite.
Nun stell dir eine Erklärung vor, die dies anhand der erzeugten Elektronenströme im Computer, im Internet, beim Provider und zurück erklären würde. Das wäre ebenfalls falscher Reduktionismus, weil du hinterher möglicherweise was über Elektronen wüsstest, aber deine Frage nach dem Mausklick unbeantwortet bleibt.

Solche Beispiel ändern aber nichts an der Tatsache, dass Reduktionismus ein extrem nützliches Instrument bei der Untersuchung komplexer Vorgänge ist.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#13 Re: Die Früchte des Reduktionismus.

Beitrag von closs » So 21. Dez 2014, 01:18

Pluto hat geschrieben:Solche Beispiel ändern aber nichts an der Tatsache, dass Reduktionismus ein extrem nützliches Instrument bei der Untersuchung komplexer Vorgänge ist.
Da stimme ich Dir ausdrücklich zu.

Der Punkt ist: Der Begriff "falsche Anwendung" kann nur fallen, wenn man nicht Sklave, sondern Herr des Reduktionismus ist - und das scheint mir verloren zu gehen - es gibt hier Tendenzen zur selbstverschuldeten Entmündigung in unserer Gesellschaft.

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sven23
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#14 Re: AT vs. NT

Beitrag von sven23 » So 21. Dez 2014, 07:36

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Wird sie in dieser Form zur positiven Veranschaulichung der Lehren der Bibel verwendet, beschwert sich Niemand.
Wo passiert das?

Wenn man z. B. die Bibel auf die Bergpredigt reduzieren will. Das wird der Bibel als Gesamtwerk nicht gerecht.

Descartes hielt übrigens Tiere für reduktiv erklärbare Automaten, im Gegensatz zum Menschen.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#15 Re: Die Früchte des Reduktionismus.

Beitrag von closs » So 21. Dez 2014, 09:09

sven23 hat geschrieben:Descartes hielt übrigens Tiere für reduktiv erklärbare Automaten, im Gegensatz zum Menschen.
Interessanter Gedanke, der widerspiegelt, dass geistiges Bewusstsein eine holistische Größe ist. - Wenn man Descartes' scharfsinnige Gedanken zu Grundlagen der Erkenntnis und hier jetzt zu Reduktionismus und Holismus hört, möchte man vermuten, dass er weiter war als diesbezügliche Äußerungen unserer heutigen Zeit.

sven23 hat geschrieben:Wenn man z. B. die Bibel auf die Bergpredigt reduzieren will. Das wird der Bibel als Gesamtwerk nicht gerecht.
Wenn man die Bibel wörtlich versteht, stimmt das.

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#16 Re: Die Früchte des Reduktionismus.

Beitrag von Pluto » So 21. Dez 2014, 10:42

closs hat geschrieben:Der Punkt ist: Der Begriff "falsche Anwendung" kann nur fallen, wenn man nicht Sklave, sondern Herr des Reduktionismus ist - und das scheint mir verloren zu gehen
Bei einem solchen Urteil ist Vorsicht geboten.
Reduktionismus ist grundsätzlich immer nützlich. Man muss sich nur vor einem gierigen Reduktionismus in Acht nehmen, der (wie in den Beispielen) die Fragestellung nicht beantwortet.
Manchmal sagt der Reduktionismus aber auch bloß Dinge vor denen wir lieber die Augen verschließen möchten. Der kritische Reduktionismus mag vielleicht oft unerwünscht grell wirken, ist aber dennoch unverzichtbares Mittel unserer Erkenntnisbildung, weil es die nötige Tranparenz erzeugt durch die man den "Durchblick" zur Realität erhält. Das gilt genauso bei technischen Fragen, wie in allen Lagen unseres Lebens, ganz egal ob in der Psychologie, oder in der analytischen Philosophie.
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#17 Re: Die Früchte des Reduktionismus.

Beitrag von closs » So 21. Dez 2014, 14:56

Pluto hat geschrieben:Reduktionismus ist grundsätzlich immer nützlich.
Als Instrument ja - als Entscheider nein.

Pluto hat geschrieben: Das gilt genauso bei technischen Fragen, wie in allen Lagen unseres Lebens, ganz egal ob in der Psychologie, oder in der analytischen Philosophie.
Bei Philosophie wäre aus meiner Sicht Vorsicht geboten - aber dies mag an meinem klassischen Verständnis des Begriffs "Philosophie" zu liegen ("Weisheit").

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#18 Re: Die Früchte des Reduktionismus.

Beitrag von Pluto » So 21. Dez 2014, 17:46

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Reduktionismus ist grundsätzlich immer nützlich.
Als Instrument ja - als Entscheider nein.
Ich verstehe nicht was du mit "Entscheider" meinst.
Reduktionismus hat doch mit Entscheidung nichts zu tun, sondern er mit Erkenntnis.

closs hat geschrieben:Bei Philosophie wäre aus meiner Sicht Vorsicht geboten - aber dies mag an meinem klassischen Verständnis des Begriffs "Philosophie" zu liegen ("Weisheit").
Warum?

Wikipedia: Weisheit ... bezeichnet vornehmlich ein tiefgehendes Verständnis von Zusammenhängen in Natur, Leben und Gesellschaft...
Reduktionismus dient schließlich der Weisheit.
Wovor sollte man sich da mehr fürchten als in anderen Gebieten oder Disziplinen? Ist es besser, die Weisheit im Dunkeln zu belassen?
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#19 Re: Die Früchte des Reduktionismus.

Beitrag von closs » So 21. Dez 2014, 19:06

Pluto hat geschrieben:Ich verstehe nicht was du mit "Entscheider" meinst.
Das, was nach Sichtung aller Informationen, ein Urteil fällt.

Pluto hat geschrieben: Ist es besser, die Weisheit im Dunkeln zu belassen?
Eben nicht - für mich ist Weisheit immer holistisch begründet - Weisheit steht nach meiner Ansicht über Wissens-Puzzles.

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#20 Re: Die Früchte des Reduktionismus.

Beitrag von Pluto » So 21. Dez 2014, 19:09

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben: Ist es besser, die Weisheit im Dunkeln zu belassen?
Eben nicht - für mich ist Weisheit immer holistisch begründet
Wirklich immer? — Das bezweifle ich doch sehr.

closs hat geschrieben:Weisheit steht nach meiner Ansicht über Wissens-Puzzles.
Auch hier verstehe ich nicht.
Wissen schafft klarheit. — Was ist in diesem Zusammenhang ein "Wissens-Puzzle"?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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