Betlehem – Eine Momentaufnahme

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Rembremerding
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#1 Betlehem – Eine Momentaufnahme

Beitrag von Rembremerding » Di 17. Feb 2015, 15:30

Hallo zusammen :)
Wem es interessiert, hier auch den Text von ein paar meiner Eindrücke letztens aus Betlehem:


Zwischen Jerusalem und Betlehem befindet sich heute eine 9 Meter hohe Mauer. Von drei Seiten umgibt sie die Geburtsstadt des Herrn. Wachtürme, Soldaten und Checkpoints schotten sie vom jüdischen Staat Israel ab. Betlehem liegt mit seinen 30000 Einwohnern in den palästinensischen Verwaltungsgebieten.

Nach dem Freitagsgebet treffen die palästinensischen Jugendlichen und die israelischen Jugendlichen regelmäßig, bereits ritualisiert zusammen. Die einen mit Pflastersteinen wurfbereit in den Händen, die anderen als wehrpflichtige Soldaten der israelischen Armee. Man ruft sie, indem man Steine an das Eisentor in einem Teil der Mauer wirft. Dahinter stehen die Wasserwerfer und Militärfahrzeuge mit ihrer Besatzung bereit. Das Tor öffnet sich und sie kommen, durch einen Steinhagel begrüßt. Die Wasserwerfer sprühen mit Chemikalien versetztes Wasser. Wird man davon getroffen, stinkt man einige Tage bestialisch. Dies soll abschrecken, nützt aber auch den nächtlichen Kommandos israelischer Soldaten, die dem Geruch folgend in die Häuser der Palästinenser eindringen und die überführten Demonstranten verhaften.

Es kommt auf den diensthabenden Kommandanten der israelischen Einsatzkräfte an, wie aggressiv die Soldaten gegen die palästinensischen Demonstranten nach dem Freitagsgebet vorgehen. Manchmal werden Gummigeschosse abgefeuert, immer wabern jedoch Wolken von Tränengas durch die Straße. Bis zur 2 km entfernten Geburtskirche dringen diese Wolken selten vor, den Lärm der Geschosse hört man aber. Ochse und Esel im weihnachtlichen Stall würden heute ständig erschrecken. Manchmal knattern Militärhubschrauber dicht über die Häuser hinweg und senden drohend die Schatten ihrer Rotoren über die Straßen.

Die palästinensischen Jugendlichen werfen Steine, Böller und feuern Feuerwerkskörper ab, rufen den Soldaten zu, sie sollen aus dem Land verschwinden, ihre Besatzung beenden. Die israelischen Jugendlichen in ihren gepanzerten Fahrzeugen lassen allein ihre militärische Macht sprechen, drängen ihre Angreifer langsam zurück, verfolgen die zu Fuß flüchtenden in die Seitenstraßen. Manchmal heult die Sirene eines Krankenwagens dazwischen. Dieses gespenstische Schauspiel dauert 2, 3 Stunden, dann ist plötzlich alles vorüber. Die Soldaten ziehen sich wieder hinter die Mauer und das Eisentor zurück, ein Räumkommando rückt nun aus, schiebt die geworfenen Steine auf einen großen Haufen zusammen, reinigt die Straße von Geschosshülsen. Alles ist bereit bis zum nächsten Freitag.

Viele der palästinensischen Jugendlichen gehen nun wieder mit vom Tränengas gereizte Augen in ihr Flüchtlingslager zurück. Die beiden Lager in Betlehem gibt es schon eine Ewigkeit, seit 1948, bis zu 15000 Menschen wohnen darin auf gerade mal 1 qkm. Die Lager bestehen nicht mehr aus Zelten, sondern aus eng zusammengebauten, verschachtelten Häusern, dazwischen enge Gassen. Aus einem einstigen Provisorium ist schon längst ein fester Bestandteil Betlehems geworden. Von der UN verwaltet, lebt hier bereits die 3. Generation von Flüchtlingen und Vertriebenen. Es ist Aufgabe der UN die Menschen hier zu versorgen, ärztlich, mit Strom und Wasser. Jeden Morgen wird der weiße Müllcontainer mit UN-Logo geleert, der vor dem Flüchtlingslager steht. Ein Tankwagen liefert Wasser. Manchmal lädt ein anderer Lastwagen einige Paletten Mehl ab und stellt sie vor das Lager, es ist viel zu wenig, um die Menschen zu versorgen. Die Bewohner nennen die UN United Nothing, schon seit Jahrzehnten. Das Lager ist militärisch von Israel abgesichert, ein Wachturm bewacht den Eingang.

Um 18 Uhr formiert sich eine andere Demonstration, eine Prozession unmittelbar an der Mauer, nahe beim Checkpoint. Aber nicht zu nahe, sonst gibt es Ärger mit den Soldaten, wenn von den 20, 30 Mitgliedern der Prozession das Rosenkranzgebet angestimmt wird. Seit einiger Zeit schreiten Emmanuel-Schwestern, christliche Anwohner und Schwestern des christlich geführten Caritas Baby-Hospitals die 200 Meter Sperrmauer vor ihrem Kloster ab, immer wieder. Ihrem Gebet kann sich jeder anschließen, es gilt dem Frieden im Hl. Land und der Versöhnung. Es ist ein eindrucksvolles Zeugnis, wenn dort Gewalt und Hass aufeinanderprallt und 500 Meter weiter die Liebe und Barmherzigkeit angefleht wird, manchmal mit dem beißenden Tränengasgeruch der Unversöhnlichkeit überströmt.

Auf die graue, mächtige Betonmauer, entlang der Rosenkranzprozession, malte ein Künstler ein Bild der Hoffnung: Die weinende Maria, die hier vor 2000 Jahren den Retter der Welt geboren hat, öffnet etwas ihren Mantel. Man sieht eine kleine Tür in dieser Betonmauer der Angst. Dahinter erkennt man Jerusalem, den Berg Zion, Sinnbild der Freiheit, der Hoffnung.

Denn Hoffnung gibt es trotzdem noch viel in Betlehem, in dem 20 % Christen sind. Geht man am Sonntag in die katholische Katharinenkirche nahe der Geburtskirche, gilt diese Hoffnung gerade auch den Katholiken in der Diaspora West- und Mitteleuropas. Die Predigt ist lang und das Gotteshaus ist voll, mit 400, 500 Menschen und vor allen Kinder. Die Kommunionkinder sind Ministranten, viele haben eine kleine Aufgabe, singen, weisen die Gottesdienstbesucher ein, begrüßen sie. Diese Kirche in Bedrängnis ist jung, agil, gibt der alten, schwerfälligen und verkrusteten Kirche anderswo Kraft, wie es katholischer nicht sein kann.

Hoffnung gibt es auch bei anderen Palästinensern. Ihre Mütter und Väter wollen ebenso Frieden für ihre Kinder. Hoffnung hat Omar, der stolze Araber, der 23jährige Juniorchef eines Souvenirladens in Betlehem, der wieder mehr Touristen erwartet, wenn Frieden in Gaza und den Westbanks einkehrt. Dann hat er bald genügend Geld zusammen, um heiraten zu können. Er ruft freundlich jeden herein in seinen Laden, auf einen kleinen arabischen Kaffee, etwas Baklava und einem Gespräch. Hoffnung hat auch der 34jährige Ahmed, der Kellner des christlichen Hotels Paradise, für seine 3 Söhne. Er selbst hat Highschool-Abschluss, sieht für sich aber keine Perspektive mehr im Leben. Jedoch für seine Söhne, vor allen der Jüngste, der cleverste, wie er stolz sagt, er wird in Deutschland studieren, Anwalt oder Arzt werden. Dafür lebt Ahmed.

Der Krieg zerstört alles, aber nicht ihre Hoffnung und Träume. Ein anderer Ahmed hat einen schönen Traum. Er selbst ist Sohn eines muslimischen Palästinensers und einer Christin, in Kuwait geboren. Auch von dort wurden sie vertrieben, nach Syrien, nach Ägypten. Nun ist er in seinem „gelobten Land“ Palästina. Ahmed’s Traum geht so: Eines Morgens sind alle israelischen Zionisten aus dem Land verschwunden und nur mehr Christen, Moslems und Juden leben hier zusammen. Denn die Religion ist das allerletzte Problem in Palästina. Ob es dann Palästina, Israel oder sonstwie heißt, ist egal, Hauptsache man schützt als Soldat gemeinsam dieses freiheitliche, demokratische Land, in dem Frieden herrscht. Ein schöner Traum, sogar schöner als eine Zweistaatenlösung.

Danke fürs lesen und Servus :wave:
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2Lena
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#2 Re: Betlehem – Eine Momentaufnahme

Beitrag von 2Lena » Mi 18. Feb 2015, 08:35

Danke dir!
Wie lange warst du da?

Bethlehem hat sich wohl nicht "geändert" seit Jesu Zeit.
Ein Haus des Kampfes, ein Haus des Brotes (beit lechem)
Nur war damals eine einfache Höhle, wo heute Kirchen stehen.

Welchen Eindruck hattest du von der Geburtskirche?
Man sieht fast kaum etwas - wegen Gedränge bei der Führung und wegen der vielen Lampen und den Ausschmückungen drumherum.

Gehen die Höhlen dort weiter?
Ist etwas zu erfahren, wie die Gegend früher da war.

In der Nähe müsste auch eine Höhle sein, die mit Abraham zu tun hat.
Ist darüber irgend was zu erfahren?
Oder stehen da etwa auch Kirchen / Moscheen drauf und warum.

Martinus
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#3 Re: Betlehem – Eine Momentaufnahme

Beitrag von Martinus » Fr 20. Feb 2015, 21:57

2Lena hat geschrieben: In der Nähe müsste auch eine Höhle sein, die mit Abraham zu tun hat.
Ist darüber irgend was zu erfahren?

wenn ich jetzt nichts verwechsel war es diese Höhle
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Angelas Zeugen wissen was!

Salome23
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#4 Re: Betlehem – Eine Momentaufnahme

Beitrag von Salome23 » Fr 20. Feb 2015, 22:02

Schöne Aufnahme :)

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Magdalena61
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#5 Re: Betlehem – Eine Momentaufnahme

Beitrag von Magdalena61 » Sa 21. Feb 2015, 00:20

Rembremerding hat geschrieben:...
Nach dem Freitagsgebet treffen die palästinensischen Jugendlichen und die israelischen Jugendlichen regelmäßig, bereits ritualisiert zusammen. Die einen mit Pflastersteinen wurfbereit in den Händen, die anderen als wehrpflichtige Soldaten der israelischen Armee. Man ruft sie, indem man Steine an das Eisentor in einem Teil der Mauer wirft. Dahinter stehen die Wasserwerfer und Militärfahrzeuge mit ihrer Besatzung bereit. Das Tor öffnet sich und sie kommen, durch einen Steinhagel begrüßt.
Ungemütlich.
Absolut ungemütlich.

Reisende aus anderen Ländern können sich das anschauen und dann wieder zurückfahren, in ihr ordentliches Land, in ihr friedliches Zuhause.

Die Israeli und die Palästinenser müssen dort bleiben.

Hast du gefunden, was du suchtest, Rembremerding?
LG
God bless you all for what you all have done for me.

Rembremerding
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#6 Re: Betlehem – Eine Momentaufnahme

Beitrag von Rembremerding » Sa 21. Feb 2015, 09:07

Magdalena61 hat geschrieben:
Hast du gefunden, was du suchtest, Rembremerding?
LG
Ja, @magda, das Land, indem der Herr wohnte, bevor er bei mir eingezogen ist.

Und dieses Land und seine Menschen leiden damals wie heute. Und so wie damals findet man dort heute Hoffnung, Hass, Religiosität, Fanatismus, Barmherzigkeit, Unmenschlichkeit, Apartheid, Nächstenliebe, Besatzung, Freundlichkeit und Gewalt in unmittelbarer Nähe zueinander.
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Rembremerding
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#7 Re: Betlehem – Eine Momentaufnahme

Beitrag von Rembremerding » Mo 18. Mai 2015, 13:05

Wen es interessiert - Ein zweiter Bericht aus Betlehem

Seit dem Bau der israelischen Sicherheitsmauer verschärften sich die sozialen Probleme in den Palästinensergebieten und beispielhaft in Betlehem. Sie werden zudem durch kulturelle und religiöse Strömungen innerhalb der Gesellschaft verstärkt. Christen befinden sich oftmals zwischen den Fronten wieder. Einerseits sind sie arabische Palästinenser, andererseits besitzen sie andere moralische und soziale Lebenspläne, als muslimische Palästinenser.

Die Palästinenser fühlen sich in einem von Israel und den Juden besetzten Land beheimatet. Deren mit Zäunen eingefriedeten Siedlungen thronen mit ihren Wachtürmen bedrohlich auf den Hügeln. In den Zonen B und C der Palästinensergebiete im Westjordanland werden sie vom israelischen Militär als Ordnungsmacht geschützt. Die Zone A, in der auch Betlehem liegt, wird von den Palästinensern selbst verwaltet und kontrolliert. Vor allen dort herrscht oftmals Mangel und Anarchie, einerseits bedingt durch die isolierte wirtschaftliche Lage hinter der israelischen Sicherheitsmauer, andererseits durch den rechtlich immer noch nicht definierten Status der Bewohner in den Flüchtlingslagern, die seit 1948 bestehen.

Aus den anfänglich 950000 Flüchtlingen dort sind heute 7,3 Millionen geworden, denn ihre Kinder werden automatisch auch zu Flüchtlingen. Ihre Lager sind schon längst keine Zeltlager mehr. In einem wohnen in Betlehem auf 1 qkm 15000 Menschen in eng gedrängten Häuserreihen. Die Höhe dieser Häuser ist vom israelischen Militär auf 27 Meter beschränkt, um vom dahinter liegenden bewachten Hügel freies Schussfeld zu erhalten. Die Straßenschilder der engen Gassen werden von ihren Bewohnern regelmäßig abmontiert, um dem Militär Razzien zu erschweren. Auch deren an die Häuserwände angebrachten Kennzeichen übermalt man. Die Bewohner besitzen seit 1948 offiziell einen Flüchtlingsstatus, die UN sollte eigentlich ihre Versorgung übernehmen. Doch sie werden United Nothing genannt, denn sie kümmern sich nur mehr um die Müllentsorgung und liefern manchmal ein paar Säcke Mehl. Die Elektrizitäts- und Wasserversorgung unterliegen den israelischen Behörden und diese liefern unregelmäßig. Die dadurch benötigten Wassertanks auf den Flachdächern füllen sich alle 7 bis 10 Tage, je nachdem wie hoch der Wasserverbrauch der israelischen Siedlungen ist. Denn deren Versorgung hat Vorrang, obwohl das Wasser unter palästinensischem Land abgepumpt wird.

Auf dem obersten Betonboden eines niemals fertig gewordenen Hausskeletts steht zwischen hervorstehenden Eisenarmierungen und Treppenhäusern ohne Treppen, aber mit einem 20 Meter tiefen Abgrund, der 32-jährige Ahmed, ein Flüchtling der 4. Generation. Er kam schon viel herum in der Welt, aber nicht wegen einer Urlaubsreise. Geboren als Kind einer Christin und eines muslimischen Palästinensers in Kuwait, musste die Familie nach Syrien und Ägypten fliehen, bis sie in ihr „gelobtes“ Land Palästina kamen – in ein Flüchtlingslager. Doch sie, wie viele andere Palästinenser, wollen ihren Flüchtlingsstatus behalten und gehen hier nicht mehr weg. Palästina war und ist ihre Heimat, als offiziell anerkannte Vertriebene erhalten sie sich ihre Hoffnung einmal wieder in ihre besetzte Heimat zurückkehren zu können. Dies ist natürlich nicht im Sinne des Staates Israel. Er will, dass die Flüchtlinge in andere Länder oder in die Zone A auswandern und fördert dies mit rigorosen Maßnahmen: Ahmed erzählt, dass ein Steinwurf auf einen Polizisten bis zu 23 Jahre Haft nach sich ziehen kann, nächtliche Razzien sind an der Tagesordnung.

Dann runzelte Ahmed seine Stirn und meint ironisch, dass es heute noch gute Zeiten sind, im Gegensatz zu den Anfängen in den Lagern, nachdem die Zelte abgebaut wurden und Baracken aufgestellt. Die Familien mit 5-10 Personen wohnten damals in 3 mal 3 Meter großen Räumen. Für 6000 Flüchtlinge standen jeweils 6 Toiletten zur Verfügung. Verhängte das israelische Militär eine Ausgangssperre, durfte man nicht einmal mehr die Tür öffnen oder die Toilette benützen. Die Scharfschützen auf den Wachtürmen schossen sofort auf jeden, der gegen die Anordnung handelte. Manchmal warfen einige Freiwillige während der mehrtägigen Ausgangssperren unter Lebensgefahr Lebensmittel in die Räume. Man kann in einigen der alten Lagerbaracken noch das kleine Loch über der Tür erkennen, das man einst dafür heraus brach. Wurden diese Freiwilligen verhaftet, erhielten sie wegen Ausübung eines terroristischen Akts regelmäßig 34 Jahre Haft. Diese Verhältnisse sind nun zwar Vergangenheit, erklärt Ahmed, nicht aber das Misstrauen und der Hass, der sich in all den Jahren auf beiden Seiten über Generationen aufbaute. Viele sind bereit zu verzeihen, aber nicht zu vergessen. Auch Ahmed nicht.

Szenenwechsel: Die Milchgrotte in Betlehem, in der laut Tradition Maria bei einer Rast ihr göttliches Kind stillte. Das Heiligtum wird von einem Franziskaner betreut. In der Grotte beten Frauen oftmals verzweifelt um Erfüllung ihres Kinderwunsches, berühren den weißen Kalkfelsen der Grotte, der sich, wie eine fromme Legende mitteilt, nach einem Milchtropfen aus der Brust Mariens weiß färbte. Wird an diesem Ort ein Kind ersehnt, werden unweit davon im La Creche-Waisenhaus die unerwünschten, weggeworfenen Kinder versorgt. Dies geschieht durch Vinzentinerinnen, die sich der ledig geborenen und ausgesetzten Waisenkinder annehmen. Diese Kinder schafften es nur hierher, weil die palästinensische Polizei schneller war, als die streunenden und hungrigen Hunde Betlehems.

Auch im Inzest gezeugte Kinder droht eine Aussetzung. Der Mauerbau isoliert die Familien und lässt die moralische Situation unter den Palästinensern im Westjordanland immer schwieriger werden. Sie sind eingesperrt und ihrer Kontakte zu anderen Familien beraubt. Aus religiösen Gründen verbergen unverheiratete Mädchen oftmals ihre Schwangerschaft, ihnen droht sonst bei Muslimen der Tod. Die jungen Frauen werden zur Schande der Familie. Manchmal tötet man auch die Kinder nach der Geburt. Die Kinder, die es lebend in das Waisenhaus schafften, erhalten in der muslimischen Gesellschaft keinen Namen, sie haben keine Familie und sind rechtlos. Sie sind buchstäblich „nichts“ und dürfen nach islamischem Recht nicht adoptiert werden. Wachsen sie in der Fürsorge einer islamischen Familie auf, sind sie nicht erbberechtigt und dürfen den Familiennamen nicht tragen. Manche von ihnen kommen auch in einem SOS-Kinderdorf unter. Aus einem kleinen Nichts wird später ein erwachsenes Nichts, das keinen Pass erhält.

Vor der Tür des Waisenhauses finden die Schwestern jeden Morgen anonyme Spenden: Fladenbrot, Obst, Kleidung. Die Schwestern kümmern sich liebevoll um die Kleinen, aber können keine Eltern ersetzen. Die Kinder sehnen sich nach ihnen, werden oftmals aggressiv zu anderen Kindern, da diese Konkurrenten für die Aufnahme in Fürsorgefamilien sind. Viele der Kleinen sitzen schüchtern in einer Ecke, klammern sich an einem Stofftier und blicken ängstlich, aber auch neugierig gespannt auf Besucher, denen sie manchmal zögernd ihr Händchen entgegen strecken.

Besser haben es da sicherlich die in intakten Familien aufwachsenden Babys. Werden sie jedoch krank, steht im ganzen südlichen Westjordanland nur ein Krankenhaus zur Verfügung: Das Caritas Baby Hospital in Betlehem. Benedikt XVI. besuchte es bei seiner Hl. Land Reise. Es gibt dort eine Frühgeborenenstation, aber keine chirurgische Abteilung, Kinder werden bis zu 14 Jahren behandelt. Wird ein chirurgischer Eingriff notwendig, muss das Kind nach Jerusalem verlegt werden. Dazwischen liegen jedoch die 9 Meter hohe Sicherheitsmauer und der Checkpoint. Dorthin fährt man das Kind mit einem palästinensischen Krankenwagen, dann wird es in einen Krankenwagen aus Israel umgeladen, selbst bei Notfällen: zeitaufwändig und bürokratisch. Aber wenigstens erwartet es in Jerusalem eine hervorragende ärztliche Versorgung.

Die palästinensische Chefärztin des Baby Hospitals studierte in Würzburg und klärt deshalb in gutem Deutsch über die häufigsten Erkrankungen der Kinder auf. Es sind Magen- und Darmerkrankungen, gefolgt von Atemwegserkrankungen. Auch viele erblich bedingte Stoffwechselerkrankungen, Darm ohne Nervenverbindungen, kommen vor, weil man innerhalb der Familie heiratet. Das Krankenhaus benötigt 8 Millionen Euro im Jahr an Spenden, um den Betrieb aufrechterhalten zu können. Von den oftmals armen Familien wird meist nur ein symbolischer Betrag für Behandlungen verlangt, von staatlicher Seite kann keine Hilfe erwartet werden.

Betlehem, jener Ort, an dem der Retter der Welt geboren und Gott in Jesus Christus Mensch wurde, trägt heute auch sein Kreuz. Hier leben die Ausgegrenzten, Verwundeten, Gefangenen, zum Tode verurteilten, wie auch der Herr es war. Unweit auf dem Hirtenfeld wurde den Völkern vom Engel eine große Freude verkündet. Diese Freude bleibt, auch wenn sie in Betlehem nicht sogleich erkennbar ist. Denn es ist eine viel größere Freude, nicht von und in dieser Welt.

Danke fürs zu Ende lesen
Servus :wave:

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