Wie wahr sind Tatsachen?

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Thaddäus
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#111 Re: Wie wahr sind Tatsachen?

Beitrag von Thaddäus » So 11. Jun 2017, 09:53

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:„Tatsache“ ist ein reiner Wahrnehmungsbegriff. Wer diesen Begriff einsetzt, möchte damit ausdrücken, dass er, rund um einen Zusammenhang, keinen Zweifel mehr für angebracht hält. „Tatsache“ soll also das Verhalten des Wahrnehmenden beschreiben.
Das ist eine klare Antwort, die allerdings mit anderen Auffassungen kollidiert, dass "Tatsache" ein Synonym ist für "Faktum" im Sinne von "es IST sicher so".
Das ist zwar eine klare Antwort SilverBullets, aber eine klar falsche. Ist eigentlich auch sehr leicht zu sehen ...

1. ist Tatsache kein Wahrnehmungsbegriff. Wahrnehmungsbegriffe sind sehen, hören, schmecken, fühlen, riechen, wahrmehmen, beobachten, entdecken, aufmersam werden, feststellen, Schmerzen haben usf.usf. "Tatsache" allerdings ist kein Begriff der Wahrnehmung und gehört nicht zur Kategorie solcher Begriffe.

2. wenn "Tatsache ein Begriff wäre, den jeder zurecht verwenden darf, wenn "er, rund um einen Zusammenhang, keinen Zweifel mehr für angebracht hält", dann dürfte closs völlig zurecht sagen, dass es eine "Tatsache" sei, dass Jesus keine Naherwartung gehabt hat und Bibelfundamentalisten, dass es selbstverständlich eine "Tatsache" sei, dass die Erde in 7 Tagen erschaffen worden ist, denn beide sind der Überzeugung (aus welchen vorgetragenen Gründen auch immer), dass sie keine Zweifel an ihren Ansichten für angebracht halten. Sonst würden sie diese Ansichten ja nicht mit Überzeugung vertreten. Mithin wären es also "Tatsachen", dass Jesus in Wahrheit keine Naherwartung hatte und die Erde, entgegen der wissenschaftlichen Auffassung, in 7 Tagen von einem Gott erschaffen worden ist.
Und dazu soll "Tatsache" lediglich das "Verhalten" beschreiben, dass man sich seiner Sache subjektiv absolut sicher ist. Das ist gleich doppelt falsch, denn sich einer Sache sicher zu sein, ist gewiss kein "Verhalten" und sich über einen Sachverhalt subjektiv sicher zu sein, macht noch lange keine Tatsache aus.
:shock: Hm, also völlig unbrauchbar diese "Tatsachen"-Defintion.

closs hat geschrieben: Halten wir also fest - "Tatsache" kann heißen:
1) Menschliche Erkenntnis eines Zusammenhangs, an dem man keinen Zweifel für angebracht hält.
Aus obigen Gründen unbrauchbar.

closs hat geschrieben: 2) Das, was ohne Zweifel ontologisch "ist".
Ebenfalls unbrauchbar, jedenfalls so formuliert. Richtig formuliert muss es heißen: "Das, was ontisch ist.Was nichts anderes bedeutet als: "Das, was der Fall ist".
"Ohne Zweifel" darf nicht vorkommen, weil nur Subjekte an etwas zweifeln können. Was eine Tatsache ist, darf aber nicht davon abhängen, was ein Subjekt darüber zu glauben oder zu wissen meint. Wäre dem so, wären Tatsachen alle Überzeugungen von Subjekten, an denen diese Subjekte aus welchen Gründen auch immer nicht zweifeln. Und das würde bedeuten, es gäbe nur Überzeugungen, aber eben keine Tatsachen oder eben, dass Tatsachen nur Überzeugungen sind.
"Ontologisch" darf es nicht heißen, weil hier eine direkte Aussage über die Welt getroffen wird, womit etwas ontisch behauptet wird: nämlich das ein Sachverhalt tatsächlich besteht!

Wegen dieser ontologischen Probleme, definiert z.B. Markus Gabriel den Begriff "Tatsache" (in Sinn und Existenz) als "wahre Aussage über einen Sachverhalt".
Diese Defintion verhindert, dass es nur um die subjektive Überzeugung geht, deren man sich subjektiv sicher ist und darum nicht mehr zweifelt. Wenn ich also aus welchen Gründen auch immer der festen Überzeugung bin, dass es gerade jetzt in Bueno Aires regnet, dann mag es sein, dass ich mir ganz sicher hierüber bin. Eine Tatsache ist es aber nur, wenn es sich tatsächlich auch so verhält. Ich könnte auch rein zufällig damit richtig liegen. Dann träfe ich zufällig eine wahre Aussage über einen Sachverhalt und dies wäre dann die Feststellung einer Tatsache.
Zuletzt geändert von Thaddäus am So 11. Jun 2017, 10:28, insgesamt 5-mal geändert.

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sven23
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#112 Re: Wie wahr sind Tatsachen?

Beitrag von sven23 » So 11. Jun 2017, 09:55

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Deshalb ist allein schon die Frage, warum ihm nicht alle Juden gefolgt sind, unsinnig.
Warum? - Es geht um das Faktum, dass ihm die Juden nicht gefolgt sind - egal warum.
Das "warum" ist die alles entscheidende Frage. Die Juden konnten gar nicht in eine neue Religion konvertieren, genau wenig, wie du zum Judentum, Islam oder Hinduismus konvertieren würdest.
Dass die Schreiber auf die Ablehnung mit offenem Antijudaismus reagierten, könnte man auch als kindische Bockigkeit ansehen. Von geistiger Reife zeugt es jedenfalls nicht.


closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Und vor allem: wohin gefolgt? In die Apokalypse, die nicht kam?
Nein, in das, was Jesus Erfüllung des AT und der theologische Volksmund NT nennt.
Das NT und die paulinische Kreuzestheologie hat er mit Sicherheit damit nicht gemeint. Das ist wieder mal christliche Vergewaltigung der Texte.
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#113 Re: Wie wahr sind Tatsachen?

Beitrag von closs » So 11. Jun 2017, 17:25

Pluto hat geschrieben:Tatsache heißt nichts von alledem und ist auch kein Polysem, sondern es bezieht sich auf das was (tatsächlich) IST (egal ob ontologisch oder epistemologisch).
EINES muss der Maßstab sein: Entweder "das, was ist" ist der Maßstab oder ein menschliches Verfahren zur Ermittlung "dessen, was ist" - beides gleichzeitig geht nicht.

Thaddäus hat geschrieben: "Tatsache" allerdings ist kein Begriff der Wahrnehmung und gehört nicht zur Kategorie solcher Begriffe.
Das wäre der Gegenentwurf zu SilverBullet. - Wie gesagt: Ich bin da wirklich offen, hätte aber gerne mal eine klare Definition, bevor man überhaupt anfängt.

Thaddäus hat geschrieben: Mithin wären es also "Tatsachen", dass Jesus in Wahrheit keine Naherwartung hatte und die Erde, entgegen der wissenschaftlichen Auffassung, in 7 Tagen von einem Gott erschaffen worden ist.
Oder dass er eine Naherwartung hatte. - Denn "Wissenschaft" gehört ebenfalls zu "Wahrnehmung" (wozu denn sonst?).

Thaddäus hat geschrieben:, also völlig unbrauchbar diese "Tatsachen"-Defintion.
Unter ontologischen Gesichtspunkten absolut richtig - deshalb die Frage: Wie willst Du das Problem lösen, dass menschliches Wissen IMMER wahrnehmungs-bedingt ist (auch wenn man gut organisierte Methodiken hinzuzieht)? - Dann gäbe es doch aus menschlichem Vermögen überhaupt keine "Tatsachen".

Natürlich entspricht das nicht der Praxis: Auch für mich ist es eine Tatsache, dass es den Mond als Entität gibt - weil ich stillschweigend den "Glaubensentscheid" vorschiebe, dass die Res Extensae keine Täuschung sind. - Und wenn ich mich in das Denken der HKM einfühle, ist es sogar eine Tatsache, dass Jesus eine Naherwartung hatte - weil ich stillschweigend für einen Moment die HKM-Setzungen als wahr annehme. - Und wenn ich mich in das Denken der gott-gläubigen Theologie einfühle, ist es ebenfalls eine Tatsache, dass Jesus KEINE Nahewartung hatte - weil ich in diesem Moment die Setzungen einer gott-gläubigen Theologie als wahr annehme.

Problem: Von den letzten beiden Beispielen kann nur eines ontologisch wahr sein, weil Jesus nicht beides gemeint hat. - Um es kurz zu machen: Sollte man den Begriff "Tatsache" nicht einfach aus der Wissenschaft verbannen und ihn nur noch ontologisch oder umgangssprachlich einsetzen? - Alternativ sollte man - und da ist Theißen ausdrück zu loben - von "methodischen Ergebnissen" sprechen ("Wenn meine methodischen Annahmen richtig sind, dann erscheinen folgende mehodischen Ergebnisse als Tatsache - es könnte aber auch ganz anders sein" - das schreibt er ziemlich wörtlich. - Chapeau!).

Thaddäus hat geschrieben:"Ohne Zweifel" darf nicht vorkommen, weil nur Subjekte an etwas zweifeln können. Was eine Tatsache ist, darf aber nicht davon abhängen, was ein Subjekt darüber zu glauben oder zu wissen meint.
Da gebe ich Dir recht.

Thaddäus hat geschrieben:"Ontologisch" darf es nicht heißen, weil hier eine direkte Aussage über die Welt getroffen wird, womit etwas ontisch behauptet wird: nämlich das ein Sachverhalt tatsächlich besteht!
Verstehe ich nicht ganz. - Welches Adjektiv würdest Du qualifizierend verwenden, dass etwas unabhängig von Wahrnehmung "ist" - geht aus Deiner Sicht folgender Satz: "Dass der Mensch an Gott glaubt, bedeutet nicht, dass es ontisch Gott gibt" - "Dass der Mensch Masse mißt, bedeutet nicht, dass es Masse ontisch gibt (es könnte auch eine Vorstellung des Messenden sein)". - Wäre hier "ontisch" aus Deiner Sicht das richtige Wort?

Thaddäus hat geschrieben: Eine Tatsache ist es aber nur, wenn es sich tatsächlich auch so verhält.
Wie willst Du das ontisch(?) nachprüfen? Du kannst doch nur auf Wahrnehmungs-Ebene nachprüfen (und dazu gehört Wissenschaft auch).

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#114 Re: Wie wahr sind Tatsachen?

Beitrag von closs » So 11. Jun 2017, 17:27

sven23 hat geschrieben:Das "warum" ist die alles entscheidende Frage. Die Juden konnten gar nicht in eine neue Religion konvertieren
Erstmal ist das Faktum entscheidend: "Sie haben ihre Religion/das AT nicht im Sinne Jesu erfüllt".

Warum? - Nun: Jesus hat oft genug mit Pharisäern/SChriftgelehrten gesprochen - wenn diese Jesus verstanden hätten und sie ihn gefördert hätten, hätte sich das Judentum schon im Sinne Jesu entwickeln können.

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sven23
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#115 Re: Wie wahr sind Tatsachen?

Beitrag von sven23 » So 11. Jun 2017, 17:58

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Das "warum" ist die alles entscheidende Frage. Die Juden konnten gar nicht in eine neue Religion konvertieren
Erstmal ist das Faktum entscheidend: "Sie haben ihre Religion/das AT nicht im Sinne Jesu erfüllt".

Warum? - Nun: Jesus hat oft genug mit Pharisäern/SChriftgelehrten gesprochen - wenn diese Jesus verstanden hätten und sie ihn gefördert hätten, hätte sich das Judentum schon im Sinne Jesu entwickeln können.
Im Sinne Jesu hätte es keiner paulinischen Kreuzestheologie bedurft. Umkehr durch schärfere und strengere Thoraauslegung hätte ihm wohl genügt, da die Königsherrschaft eh vor der Tür stand.
Nach Daniel 7,13.14 soll der Messias in siegreicher, strahlender Glorie sein von Gott gegebenes Königsamt antreten.
Dass Jesus wie ein gewöhnlicher Verbrecher einen schändlichen Tod am Kreuz starb, war für die Juden gerade der Beweis, dass er nicht der Messias war.
Warum also sollten sie ihm folgen?
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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Thaddäus
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#116 Re: Wie wahr sind Tatsachen?

Beitrag von Thaddäus » So 11. Jun 2017, 19:28

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben: "Tatsache" allerdings ist kein Begriff der Wahrnehmung und gehört nicht zur Kategorie solcher Begriffe.
Das wäre der Gegenentwurf zu SilverBullet. - Wie gesagt: Ich bin da wirklich offen, hätte aber gerne mal eine klare Definition, bevor man überhaupt anfängt.
Eine bruchbare Defintion habe ich schon mehrfach gegeben. Du musst sie nur zur Kenntnis nehmen. "Tatsachen sind wahre Aussagen über Sachverhalte".
Mit dieser kurzen Definition umschifft man die meisten der sich auftuenden ontologischen und erkenntnistheoretischen Klippen und Sandbänke.

closs hat geschrieben:Denn "Wissenschaft" gehört ebenfalls zu "Wahrnehmung" (wozu denn sonst?).
Wahrnehmung (worunter freilich auch Schmerzen, Gefühle und Stimmungen fallen) gehören zur Wissenschaft, wie diverses eingekauftes Grünzeug und Gemüse zum Anrichten eines schönen, bunten Salates. Ohne das kann man keinen Salat machen. Mehr nicht. Die Methoden der Wissenschaften braucht man so, wie man ein möglichst schrafes Küchenmesser benötigt, um das ganze Grünzeug für einen Salat schnell und akkurat kleinschneiden zu können.

Das ganze Wahrnehmungs- und Setzungsgeplappere, das hochtrabende, theoretisierende Gerede von "kritischem Rationalismus", Ontologie, Dialektik und angeblichem Zeitgeist und euer Hang, euch gegenseitig beständig in vorgegeben beschriftete Schubladen einzusortieren, ohne einmal wirklich ernsthaft in diese Schubladen hineinzusehen, um zu schauen, was da tatsächlich drin ist, an denen ihr euch hier ebenso unermüdlich wie fruchtlos abarbeitet, versperrt euch lediglich den Blick darauf, wie sich die Probleme tatsächlich darstellen und welche Lösungen sich vorurteilslos anbieten.

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:, also völlig unbrauchbar diese "Tatsachen"-Defintion.
Unter ontologischen Gesichtspunkten absolut richtig - deshalb die Frage: Wie willst Du das Problem lösen, dass menschliches Wissen IMMER wahrnehmungs-bedingt ist (auch wenn man gut organisierte Methodiken hinzuzieht)? - Dann gäbe es doch aus menschlichem Vermögen überhaupt keine "Tatsachen".
Eben! Und jedem, der alle Kerzen auf der Torte hat, sollte deshalb eigentlich klar sein, dass es ziemlich hirnrissig ist, das Bestehen von Tatsachen schlicht- und rundweg deshalb bestreiten zu wollen, weil der Mensch einen Wahrnehmungsapparat hat und wahrnimmt und sich gelegentlich über seine Wahrnehmungen auch täuschen kann. Dass sich jeder Mensch zuweilen hinsichtlich seiner Wahrnehmungen täuscht, beweist nicht, dass er sich immer und stets täuscht. Wir können vielleicht nicht, wie Kant sagt, die Dinge an sich erkennen. Wir können aber die Erscheinungen der Dinge erkennen und das ist alles, was wir können müssen, um uns in der Welt zurecht zu finden.

closs hat geschrieben:Natürlich entspricht das nicht der Praxis: Auch für mich ist es eine Tatsache, dass es den Mond als Entität gibt - weil ich stillschweigend den "Glaubensentscheid" vorschiebe, dass die Res Extensae keine Täuschung sind.
Du musst keinen - achherrje wie dramatisch - "Glaubensentscheid" über "res extensae" treffen, um die Tatsache anerkennen zu können, dass es einen Mond gibt, der die Erde umkreist. Du musst hierfür lediglich kein Radikalskeptiker sein. Eine radikalskeptische erkenntnistheoretische Haltung, die davon ausgeht, dass wir letztlich gar nichts wirklich erkennen können und alles nur eine Illusion ist, kann man einnehmen, wenn man unbedingt will.
Am Ende gibt es aber keine zwingenden Gründe, eine solche radikalskeptische Haltung einnehmen zu müssen.

Der Neuro-Konstruktivismus und -relativismus, der behauptet, alles, was wir erkennen können, wäre vom Gehirn lediglich konstruiert und darum alles am Ende nur Schein und Illusion, scheitert z.B. schon an dem sehr einfachen Einwand, dass dies ja dann auch wohl für die Haupterkenntnis und Haupthese des Neurokonstruktivismus selbst gelten muss, die damit nichts als Schein und Illusion wäre. Aus der Nummer ist bislang kein Neurokonstruktivist und -relativist herausgekommen. Der Neurokonstruktivismus widerlegt sich am Ende selbst.

Den intelligentesten Radikalskeptizismus vertritt die antike pyrrhonische Skepsis. Die hat sogar ein Argument gegen den Einwand gefunden, das der radikale Skeptizismus immerhin annehmen müsse, dass er selbst wahr ist, was ja eine sichere Erkenntnis darstellen würde. Die pyrrhonische Skepsis hat diesen Einwand aber sehr klug argumentierend erfolgreich zurückgewiesen.
Aber wie gesagt besteht keinerlei Grund, überhaupt eine radikalskeptische Haltung einzunhemen. Die muss man als erkenntnistheoretische Grundhaltung explizit selbst "wählen", weil man Spaß daran findet.

closs hat geschrieben: Sollte man den Begriff "Tatsache" nicht einfach aus der Wissenschaft verbannen und ihn nur noch ontologisch oder umgangssprachlich einsetzen? -
Nein, denn dazu besteht kein Anlass.

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben: Eine Tatsache ist es aber nur, wenn es sich tatsächlich auch so verhält.
Wie willst Du das ontisch(?) nachprüfen? Du kannst doch nur auf Wahrnehmungs-Ebene nachprüfen (und dazu gehört Wissenschaft auch).
Das ist dein Lieblingsspielplatz.
Beweise, Nachweise, Evidenzen, Plausibilitätsketten und gute Argumente werden heute genau so (zurecht) verwendet, wie sich ihre brauchbare Verwendung in den letzten 2500 Jahren etabliert hat. Wie sie heute verwendet werden und mit welchen Axiomen, Grundannahmen und Prämissen dabei gearbeitet wird, hat sich ja nicht zufällig ergeben, sondern ist das bisherige Ergebnis einer langen Geschichte von klugen Gedanken, Experimenten, Fehlschlägen, Praktikabilitäten, disziplinären Ausdifferenzierungen, wissenschaftlichen Fortschritten und manchmal einfach nur trial and error. Alle Wissenschaften haben hier ihre eigenen Methodiken ausgearbeitet, mit denen sich innerhalb der einzelnene Disziplinen, die besten - und das heißt intersubjektiv am besten nachvollziehbaren - Ergenisse erzielen lassen. Das Rad muss nicht jede Woche neu erfunden werden!

Einaches Beispiel.
Wennn ich hier festhalte, ich sitze im Engilschen Garten in München im Schatten und schreibe diese Zeilen (was im Augenblick tatsächlich eine Lüge wäre), dann handelt es sich bei dieser Aussage entweder um eine Tatsache oder eben nicht. Wenn jemand bezweifelte, dass es sich um eine Tatsache handelt, dann habe ich diverse Möglichkeiten, es zu beweisen. Ich kann z.B. ein Bild von mir machen, auf dem man mich und den Englischen Garten erkennen kann und es posten. Natürlich darf auf dem Foto von mir nicht im Hintergrund der Eiffelturm zu sehen sein. Das würde mich sofort der Lüge überführen. Es dürfen also keine Widersprüchlichkeiten in meiner Behauptung zu finden sein usf. Antwortet jemand, dies könnte ein Fake sein, dann könnte ich einen Livestream von mir im Englischen Garten posten. Wird auch das bezweifelt, könnte ich vertrauenswürdige Zeugen benennen (also Menschen, die bisher nicht dadurch aufgefallen sind, dass sie schon oft und nachweislich gelogen haben). Reicht das immer noch nicht, kann ich alle Zweifler einladen, mich mit dem Flugzeug zu besuchen und sie können sich Vorort selbst davon überzeugen, dass ich in München im Englischen Garten sitze u.s.w.
Zweifelt dann jemand immer noch, dann ist das wirklich sein Problem und nicht mehr meines!

Das wäre z.B. ein gängiges Verfahren, eine Tatsache festzustellen und dass ich eine wahre (und keine falsche) Aussage über einen Sachverhalt getroffen habe. Das ganze Wahrnehmungsgequatsche ist also völlig überflüssig.
Zuletzt geändert von Thaddäus am So 11. Jun 2017, 21:47, insgesamt 14-mal geändert.

SilverBullet
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#117 Re: Wie wahr sind Tatsachen?

Beitrag von SilverBullet » So 11. Jun 2017, 19:34

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:„Tatsache“ ist ein reiner Wahrnehmungsbegriff. Wer diesen Begriff einsetzt, möchte damit ausdrücken, dass er, rund um einen Zusammenhang, keinen Zweifel mehr für angebracht hält. „Tatsache“ soll also das Verhalten des Wahrnehmenden beschreiben.
Das ist eine klare Antwort, die allerdings mit anderen Auffassungen kollidiert, dass "Tatsache" ein Synonym ist für "Faktum" im Sinne von "es IST sicher so".
Sorry, du redest von „kollidieren“ und wiederholst dann aber nur genau das, was ich sage, nämlich die Einstellung, dass keine Zweifel angebracht sind, dass „es also sicher so und so ist“.

Das Wort „Tatsache“ und der eigentliche „Inhalt“, also „was Tatsache sein soll“, gehören ins „Reich der Zusammenhänge“.
Das „Reich der Zusammenhänge“ ist aber nicht das „Reich der Existenzen“ (was auch immer „Existenz“ sein mag).

Du zielst mit dem gross geschriebenen „IST“ jedoch genau in das „Reich der Existenzen“ hinein.

Ein Datenverarbeitendes Wahrnehmungssystem („Gehirn“) kommt nicht an das „Reich der Existenzen“ heran – der bioelektrische Impuls ist quasi ein „Hochsicherheitstrakt für Zusammenhänge“, aus dem ein Übergang zu existenziellen Verhältnissen nur auf explizite Weise erfolgen kann (z.B. Motoneuronen -> Muskulatur -> Bewegung)

Ich ziehe die Konsequenz daraus und belasse das Wort „Tatsache“ im „Reich der Zusammenhänge“. Nur auf diese Weise ist die Frage „Wie wahr sind Tatsachen?“ gerechtfertigt, denn Zusammenhänge können auch dann falsch sein, wenn zuvor nie jemand daran gezweifelt hat und plötzlich jemand sagt, dass „der Kaiser nackt ist“.

Das ist schon oft passiert, was man dann als „Rückkehr zum Boden der Tatsachen“ bezeichnet.
Techniker können ein Liedchen davon singen: obwohl sie die ganze Zeit „nur den Tatsachen“ folgen wollen und auch davon überzeugt sind, genau dies zu tun, gehört es zum Alltag, dass sie grosse Äuglein machen und verdutzt sagen „eigentlich hätte es jetzt funktionieren sollen“ :-)
Irgendwo wartet dann eine „versteckte Tatsache“, mit der sich „die Lage der Tatsachen“ grundlegend ändert.

closs hat geschrieben:Halten wir also fest - "Tatsache" kann heißen:
1) Menschliche Erkenntnis eines Zusammenhangs, an dem man keinen Zweifel für angebracht hält.
2) Das, was ohne Zweifel ontologisch "ist".
Dein Punkt 2 zielt auf Existenz ab – sorry: nicht machbar.

closs hat geschrieben:Da 1) kategorial etwas anderes ist als 2), wäre es schön, wenn es eine einvernehmliche Definition gäbe (rein aus Gründen des sauberen Arbeitens, damit nicht wieder Polyseme in der Diskussion rumgeistern)
Punkt 2 steht für den philosophischen Behauptung einer übergeordneten Stellung des Denkens („alles durchdringend“).
Wo willst du die Funktion zum Erreichen einer anderen „Kategorie“ herzaubern?
(das Gehirn kann es jedenfalls nicht)

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Thaddäus hat geschrieben:1. ist Tatsache kein Wahrnehmungsbegriff. Wahrnehmungsbegriffe sind sehen, hören, schmecken, fühlen, riechen, wahrmehmen, beobachten, entdecken, aufmersam werden, feststellen, Schmerzen haben usf.usf. "Tatsache" allerdings ist kein Begriff der Wahrnehmung und gehört nicht zur Kategorie solcher Begriffe.
Du magst für den Begriff „Wahrnehmung“ irgendeine Einteilung der Vorgänge erfinden, aber du wirst grosse Probleme haben, diese Einteilung mit dem Aufbau und den Abläufen des Gehirns zu begründen.

Es fällt auch auf, dass du nicht angibst wo denn dann „Tatsache“ hingehören soll :-)
Eigentlich hättest du das sofort geschrieben, wenn du es gekonnt hättest.

Thaddäus hat geschrieben:2. wenn "Tatsache ein Begriff wäre, den jeder zurecht verwenden darf, wenn "er, rund um einen Zusammenhang, keinen Zweifel mehr für angebracht hält"
Das Wort „Tatsache“ ist nicht der Zusammenhang, um den es in einer Aussage gehen soll, sondern es soll einen zusätzlichen Zusammenhang ausdrücken.
Es soll verdeutlichen, dass an dem eigentlichen Zusammenhang nicht gezweifelt wird und auch nicht gezweifelt werden darf/kann/soll.
=> Dieser Zusatz betrifft nur das potentielle Wahrnehmungsverhalten an dem eigentlichen Zusammenhang zu zweifeln.
=> das eigene Weglassen des Zweifels, obwohl dieser möglich ist und vielleicht sogar bereits stattgefunden hat, wird im „Bewusstsein“ als ein Verhalten, als „das Einnehmen einer Position“ verstanden. Dies ist abstrakt gesehen auch korrekt, denn es findet eine Reaktion im Gehirn statt.

Das Wort „zurecht“ hat erst einmal nichts mit dem Wort „Tatsache“ zu tun, sondern ist wiederum ein zusätzlicher Zusammenhang.
Dass du das Wort „zurecht“ überhaupt in Bezug auf „Tatsache“ einsetzen kannst (hier in deiner „Wenn“-Aussage), verdeutlicht, dass „Tatsache“ nicht automatisch für ein wahrnehmungsunabhängiges „zurecht“ steht.

Thaddäus hat geschrieben:Und dazu soll "Tatsache" lediglich das "Verhalten" beschreiben, dass man sich seiner Sache subjektiv absolut sicher ist. Das ist gleich doppelt falsch, denn sich einer Sache sicher zu sein, ist gewiss kein "Verhalten" und sich über einen Sachverhalt subjektiv sicher zu sein, macht noch lange keine Tatsache aus.
Ich kann nur wiederholen, dass es ganz normal ist, von einer „Tatsache“ auszugehen, eines Bessern belehrt zu werden (z.B. wegen Nicht-Funktionalität) und sich anzupassen.

Wenn es nicht um ein Verhalten ginge, was ändert sich dann beim „sich anpassen“?
Nimmt man an Gewicht zu?

Thaddäus hat geschrieben:Was eine Tatsache ist, darf aber nicht davon abhängen, was ein Subjekt darüber zu glauben oder zu wissen meint.
Woher soll die Korrektur kommen, wenn sich ein oder mehrere Subjekte einig (im Sinne von Überzeugung) sind?

Wie „closs“ möchtest du eine übergeordnete Position beanspruchen.

Woher kommt die Fähigkeit dazu?

Thaddäus hat geschrieben:Wäre dem so, wären Tatsachen alle Überzeugungen von Subjekten, an denen diese Subjekte aus welchen Gründen auch immer nicht zweifeln. Und das würde bedeuten, es gäbe nur Überzeugungen, aber eben keine Tatsachen oder eben, dass Tatsachen nur Überzeugungen sind.
Tja, die „schrägen Linien“ sind ja auch nicht schräg.
Obwohl du das weisst, schaust du auf das Bild und zack: „schräg“.
=> du kannst nicht zweifeln
=> die „Tatsache der Schräge“ ist eine Überzeugung auf die dein Verhalten festgelegt ist.

Thaddäus hat geschrieben:Wegen dieser ontologischen Probleme, definiert z.B. Markus Gabriel den Begriff "Tatsache" (in Sinn und Existenz) als "wahre Aussage über einen Sachverhalt".
Diese Defintion verhindert, dass es nur um die subjektive Überzeugung geht, deren man sich subjektiv sicher ist und darum nicht mehr zweifelt.
Das Wort „wahr“ verändert rein gar nichts (du machst den gleichen Fehler – siehe nächster Abschnitt), sondern ist ein reines Schauspiel, da nur Subjekte „wahr oder nicht-wahr“ feststellen (wobei mir "Subjekt" nicht gefällt und ich lieber neutral von einem Wahrnehmungsvorgang sprechen würde).

Der Philosoph möchte hier vermutlich den Zusammenhang der „existenziellen Grundlage“ ins Spiel bringen, also einer „Unabhängigkeit vom Subjekt“.

Das Feststellen einer Wahrnehmungsunabhängigkeit wird jedoch immer durch ein Wahrnehmungssystem durchgeführt und somit handelt es sich maximal um eine Wahrscheinlichkeitsaussage. Genau dies ist jedoch schon die Grundlage der Überzeugung, um das Wort „Tatsache“ einzusetzen, also ist „wahr“ überflüssig bzw. ungeeignet.

Wo soll da noch ein Sicherheitsanteil dazukommen?

Der Philosoph hat am Ende des Tages rein gar nichts am Status Quo verändert, sondern wieder einmal nur suggestiv die Behauptung einer Fähigkeit aufgestellt.

Thaddäus hat geschrieben:Wenn ich also aus welchen Gründen auch immer der festen Überzeugung bin, dass es gerade jetzt in Bueno Aires regnet, dann mag es sein, dass ich mir ganz sicher hierüber bin. Eine Tatsache ist es aber nur, wenn es sich tatsächlich auch so verhält.
Offensichtlich hast du nicht gemerkt, dass du das Wort „tatsächlich“ als wesentliche Grundlage für das Verwenden des Wortes „Tatsache“ voraussetzt, was mehr als ungünstig ist.

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#118 Re: Wie wahr sind Tatsachen?

Beitrag von closs » So 11. Jun 2017, 19:57

sven23 hat geschrieben:Im Sinne Jesu hätte es keiner paulinischen Kreuzestheologie bedurft. Umkehr durch schärfere und strengere Thoraauslegung hätte ihm wohl genügt, da die Königsherrschaft eh vor der Tür stand.
Aber das macht doch nur dann Sinn, wenn man "Königsherrschaft" so wie Du verstehst und nicht so wie die Theologie.

sven23 hat geschrieben:Dass Jesus wie ein gewöhnlicher Verbrecher einen schändlichen Tod am Kreuz starb, war für die Juden gerade der Beweis, dass er nicht der Messias war. Warum also sollten sie ihm folgen?
Wenn sie ihn verstanden hätten, hätten sie gewusst, warum er am KReuz gestorben ist. - Dass sie ihn NICHT verstanden haben, ist nicht überraschend - aber das ist genau das, was das NT ausmacht.

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#119 Re: Wie wahr sind Tatsachen?

Beitrag von sven23 » So 11. Jun 2017, 20:56

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Im Sinne Jesu hätte es keiner paulinischen Kreuzestheologie bedurft. Umkehr durch schärfere und strengere Thoraauslegung hätte ihm wohl genügt, da die Königsherrschaft eh vor der Tür stand.
Aber das macht doch nur dann Sinn, wenn man "Königsherrschaft" so wie Du verstehst und nicht so wie die Theologie.
So wie die glaubensdogmatische Theologie, musst du dazu sagen. Die forschende Theologie hält sich an die Textquellen und die jüdischen Wurzeln Jesu.
Was spätere Generationen daraus gemacht haben, ist eine andere Geschichte.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Dass Jesus wie ein gewöhnlicher Verbrecher einen schändlichen Tod am Kreuz starb, war für die Juden gerade der Beweis, dass er nicht der Messias war. Warum also sollten sie ihm folgen?
Wenn sie ihn verstanden hätten, hätten sie gewusst, warum er am KReuz gestorben ist. - Dass sie ihn NICHT verstanden haben, ist nicht überraschend - aber das ist genau das, was das NT ausmacht.
Auch das ist natürlich nachträgliche christliche Umdeutung. Jesus hatte nie die Absicht, sich als Sühneopfer für die Menchheit hinzugeben. Das ist, wie Bultmann richtig sagt, primitive Mythologie, die noch ganz im Alten Testament verhaftet ist. (Sündenbock und Opfermythologie)
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#120 Re: Wie wahr sind Tatsachen?

Beitrag von closs » So 11. Jun 2017, 21:01

Thaddäus hat geschrieben:Eine bruchbare Defintion habe ich schon mehrfach gegeben. Du musst sie nur zur Kenntnis nehmen. "Tatsachen sind wahre Aussagen über Sachverhalte". Mit dieser kurzen Definition umschifft man die meisten der sich auftuenden ontologischen und erkenntnistheoretischen Klippen und Sandbänke.
Nur dann, wenn man sie ignoriert. - Ist Dir eigentlich klar, dass Du Silverbullets Definition verwirfst, Dich verbal auf eine ontische Antwort festlegst, um exakt dann das Gegenteil zu tun, indem Du wieder con variazione volle Pulle bei SilverBullets Version zu landen?

Thaddäus hat geschrieben:Wahrnehmung (worunter freilich auch Schmerzen, Gefühle und Stimmungen fallen) gehören zur Wissenschaft
Mir ging es umgekehrt darum, dass Wissenschaft zur Wahrnehmung gehört, weil Wissenschaft von Menschen betrieben wird - und die können nur wahrnehmen.

Thaddäus hat geschrieben:Das ganze Wahrnehmungs- und Setzungsgeplappere, das hochtrabende, theoretisierende Gerede von "kritischem Rationalismus", Ontologie, Dialektik und angeblichem Zeitgeist und euer Hang, euch gegenseitig beständig in vorgegeben beschriftete Schubladen einzusortieren, ohne einmal wirklich ernsthaft in diese Schubladen hineinzusehen, um zu schauen, was da tatsächlich drin ist, an denen ihr euch hier ebenso unermüdlich und fruchtlos abarbeitet, versperrt euch lediglich den Blick darauf, wie sich die Probleme tatsächlich darstellen und welche Lösungen sich vorurteilslos anbieten.
Da läuft Du jetzt Gefahr, wie viele andere auch erst ab einem bestimmten Punkt x mit dem Denken anzufangen. - "Diese Schublade" sollte u.a. enthalten:
1) Was ist "Tatsache" unter Berücksichtigung des Radikal-Skeptizismus?
2) Was bedeutet es in Bezug auf "Tatsache", wenn der Kritische Rationalismus nur das beachtet, was vom Menschen falsifizierbar ist?

Thaddäus hat geschrieben: Und jedem, der alle Kerzen auf der Torte hat, sollte deshalb eigentlich klar sein, dass es ziemlich hirnrissig ist, das Bestehen von Tatsachen schlicht- und rundweg deshalb bestreiten zu wollen, weil der Mensch einen Wahrnehmungsapparat hat und wahrnimmt und sich gelegentlich über seine Wahrnehmungen auch täuschen kann.
"Tatsache" wäre also eher ein pragmatischer/methodischer Begriff - da wird sich SilverBullet freuen.

Thaddäus hat geschrieben:Du musst keinen - achherrje wie dramatisch - "Glaubensentscheid" über "res extensae" treffen, um die Tatsache anerkennen zu können, dass es einen Mond gibt, der die Erde umkreist.
Wenn man philosophisch bis zum Ende denkt, muss man das - doch. - Pragmatisch im Alltag macht man das natürlich nicht.

Zur Erinnerung an den Ausgangspunkt dieser Diskussion: Es wird von einigen Kreisen so dargestellt, "Jesus hatte eine Naherwartung" eine Tatsache sei und "Jesus hatte KEINE Naherwartung" KEINE Tatsache sei. - Versteht man "Tatsache" als methodische Größe versteht ("Unter den Bedingungen meiner Grundannahmen läßt sich objektiv-nachvollziehbar systematisch, dass ..."), haben beide recht - das kann man jeweils nachweisen. - Versteht man "Tatsache" als ontische Größe ("Wir versuchen zwar wissenschaftlich dem, was wirklich ist/war näherzukommen, wissen aber nie, ob unsere Grundannahmen die im Einzelfall richtigen sind"), weiß am Ende keiner, ob er recht hat - er hat nur eine nachvollziehbare Version dafür.

Da Du zwischen ontisch-definierter ("was wahr ist") und wahrnehmungs-definierter ("sich in der Welt zurecht zu finden") Antwort auf unsere Frage schwankst, wird nicht klar, was Du meinst - etwa beides gleichzeitig?

Thaddäus hat geschrieben:Aber wie gesagt besteht keinerlei Grund, überhaupt eine radikalskeptische Haltung einzunhemen.
Pragmatisch ist das in der Tat nicht nötig - es geht aber sehr wohl um Ansprüche innerhalb des Materialismus, kritisch-rationale Ergebnisse seien "wahr". - Es sei also bspw. "wahr", dass der historische Wirkungszusammenhang nicht durchbrochen sein könne (also keine Wunder und keine leibliche Auferstehung Jesu).

Vermutlich kann man daraus sogar rekrutieren, dass es "Gott" als Entität nicht geben könne (sondern nur als Wahrnehmungs-Vorstellung des Menschen). - Und dann ist der Punkt erreicht, an dem nur pragmatischer Umgang mit dem Wort "Tatsachen" (was dasselbe ist wie "Faktum"?) nicht mehr ausreicht.

Thaddäus hat geschrieben:Das wäre z.B. ein gängiges Verfahren, eine Tatsache festzustellen und dass ich eine wahre (und keine falsche) Aussage über einen Sachverhalt getroffen habe. Das ganze Wahrnehmungsgequatsche ist also völlig überflüssig.
Auf diesem pragmatischen Level hast Du recht. - Wenn Du aber sagen würdest "Mir ist gerade im Englischen Garten Jesus erschienen", sieht es anders aus.

Denn Dir kann Jesus (als Entität, nicht als psychische Eigenproduktion) "tatsächlich" erschienen sein - und dann nützen Photos oder Zeugen nichts (die können allenfalls sagen, Thaddäus hat sich "komisch" verhalten) - und auch Deine Zweifler, die Du herkarrst, können sich von nichts überzeugen.

Wir halten also fest: "Jesus ist heute im Englischen Garten Thaddäus WIRKLICH erschienen" ist ontisch eine Tatsache, die auf Wahrnehmungs-Ebene nicht als solche bezeichnet werden kann - obwohl es eine "IST". - Deshalb nochmals meine Frage: Ist "Tatsache" eine ontische oder eine (intersubjektiv belegbare) Wahrnehmungs-Größe?

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