Flavius hat geschrieben:Thomas, ich versuche schon länger diese deine Unterscheidung zu verstehen/ zu erfassen.. Komme aber nicht oder höchstens ansatzweise dahinter.
Ich gebe zu, dass meine Unterscheidung in dieser Klarheit von vielen Menschen nicht gesehen wird, weder von Atheisten noch von Christen. Es ist aber, insbesondere in der Diskussion um Schöpfung und Evolution absolut notwendig, diese Erkenntnis hat sich bei mir geformt, als ich mein Buch geschrieben habe.
Ich gebe dir einmal eine Kurzzusammenfassung der Unterscheidung:
Naturwissenschaft ist eine
menschliche Art zu verstehen, wie die Natur funktioniert. Die Betonung auf menschlich ist deshalb so wichtig, weil sie betont, dass es der Natur vollkommen egal ist, was wir wie verstehen oder nicht. Natur
IST.
Basis dieser menschlichen Art ist die naturwissenschaftliche Methode, die auf intersubjektiver Beschreibung beruht. Das ist wesensdefinierend von Naturwissenschaft, ohne diese Eigenschaft wäre es keine Naturwissenschaft mehr. Die Beschreibung in der Naturwissenschaft ist unabhängig vom Individuum, also
unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe,
Glaube oder anderen persönlichen Umständen des Beschreibenden.
Alleine die Kenntnis der Methodik ist gefordert.
Das Ergebnis der Naturwissenschaft sind Modelle.
Modelle beschreiben das wahre Ding (das Geschehen in der Natur) immer näherungsweise. Naturwissenschaftliche Modelle gelten
immer nur näherungsweise, deshalb ist der Begriff der Naturgesetze schlecht, sehr schlecht.
Naturwissenschaftlicher Fortschritt besteht darin, dass Modelle weiter entwickelt werden, indem die Grenzen der Näherung immer weiter ausgedehnt werden. Manchmal ist es notwendig, die Fundamente eines Modelles zu ändern, um weiter zu kommen, aber wenn ein Modell mit genügend Daten unterfüttert ist, kann man mit sehr großer Sicherheit sagen "so war es", eventuell "so war es unter den und den Einschränkungen".
Meine wiederkehrende Aussage ist: Ein Modell ist weder falsch noch richtig, sondern nur gut oder schlecht in der Beschreibung der Wirklichkeit.
Nun zur anderen Seite: der Glaube an Gott.
Dass es einen Gott gibt ist keine naturwissenschaftliche Fragestellung. Grund dafür ist, dass sich die naturwissenschaftliche Methodik nicht auf Gott anwenden lässt, prinzipiell nicht. Gottesvorstellungen liegen auf einer vollkommen anderen Ebene als das, was mit Naturwissenschaft beabsichtigt wird.
Mit der Aussage "ich glaube an Gott" oder sogar "ich habe Gott erfahren" oder sogar "Gott hat das und das gemacht" will man
keine Beschreibung der Natur abgeben. Das ist ein vollkommen anderes Ziel, das geht in eine vollkommen andere Richtung als Naturwissenschaft.
Damit liegen die beiden Seiten zunächst einmal unabhängig nebeneinander. Sie liegen in verschiedenen Ebenen und daher können sie auch wunderbar koexistieren bzw. sie können sich auch gegenseitig ignorieren (Das Vorurteil ist, dass Naturwissenschaftler Gott ignorieren und Christen ignorieren Naturwissenschaft).
Es gibt Berührungspunkte, aber diese sind tatsächlich geringfügig. In meinem Buch habe ich diese ausführlich besprochen.
Zurück zur Entstehung des Lebens:
Glaube ich an Gott, dann ist es selbstverständlich, dass ich sage "Gott hat es entstehen lassen". Das ist keine Beschreibung wie das passiert ist, es ist eine theologische Aussage, eine Glaubensaussage. Sie gilt egal, ob ich verstehe, wie das vor sich gegangen ist oder nicht.
Die Aussage galt schon lange, bevor jemand wusste, was Evolution eigentlich ist und wird in alle Zukunft gelten, egal, welchen Fortschritt die Naturwissenschaft macht.
Ich kann diese Aussage aber nur machen, wenn ich an Gott glaube. Die Reihenfolge ist essentiell, ich muss an Gott glauben, damit ich diese Aussage machen kann. Gott entzieht sich jeden Beweises,
er lässt sich auch nicht über die Entstehung des Lebens beweisen oder widerlegen.
Unabhängig, ob ich an Gott glaube oder nicht, kann ich beschreiben, wie Leben entstanden ist. Dazu benutze ich die entsprechenden Methoden. Das Ergebnis nennt sich Evolution und die Benutzung von Statistik - "Zufall" - ist ein untrennbarer Bestandteil dieses Modells. Mit der Evolution beschreibe ich, wie Leben entstanden ist. Das Modell ist noch nicht komplett, es wird noch geformt und Details werden noch erarbeitet.
Aber das ist egal. Evolution - so komplex sie auch immer ist - hat so viele experimentelle Nachweise, dass man sagen muss "so oder so ähnlich war es". Bei Abiogenese muss man sagen "es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie es gewesen sein könnte, wir brauchen mehr Daten"
Bei diesem Thema müssen die Sphären Glaube - Modellierung sehr sorgfältig getrennt werden, weil es bei kaum einen anderen Thema so viele Versuchungen gibt, Grenzverletzungen zu begehen.
Atheisten glaube, nur weil sie das Wie gut beschreiben können, hätten sie alles, was sie brauchen, auch ein Beweis gegen Gott. Logisch, faktisch und methodisch ist das absolut lachhaft.
Christen glauben, nur weil sie an Gott glauben, dürften sie aus alten Texten beliebige Phantasien zusammensetzen, wie die Entwicklung vor sich gegangen ist. Auch das ist logisch, faktisch und methodisch absolut lachhaft.
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.