Sein und Wahrnehmung II

Säkularismus
Geistliches und Weltliches verbinden
Pluto
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#81 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von Pluto » So 22. Nov 2015, 23:51

Thaddäus hat geschrieben:Turing selbst hat dankenswerter Weise gleich selbst die Grenzen einer Turing-Maschine mit beschrieben: so kann eine Turing-Maschine das Entscheidungsproblem nicht lösen und nicht einmal das Halteproblem. Ein Gehirn verfängt sich nicht in endlos rekursiven Schleifen und es kann in der Regel auch klare Entscheidungen treffen.
Ein sehr theoretisches Problem was in der Praxis nicht vorkommt, denn das Gehirn wird nie vor exakt gleiche Situationen gestellt, deshalb ist das Entscheidungsproblem keine Widerlegung dass das Gehirn als Turing-Maschine arbeitet.

Thaddäus hat geschrieben:Eine Turing-Maschine kann dabei helfen, gewisse Hirnfunktionen besser zu verstehen (und auch die philosophische Beschreibung des Leib-Seele-Problems zu präzisieren).
Wenn das Gehirn keine Turing Maschine ist, was sind dann die Alternativen?
Oder gehörst du zu den Anhängern von David Chalmers, (The Hard Problem of Consciousness) die an ein unsichtbares "Etwas" glauben, was für die Entstehung unseres Bewusstseins verantwortlich ist?

Thaddäus hat geschrieben:Fuzzy-Logic ist geeignet, zu Ergebnissen zu führen, wenn keine klaren mathematischen Beschreibungen des Sachverhaltes möglich sind. Ob das Gehirn mit so etwas wie Fuzzy-Logic arbeitet, wissen wir nicht. Immerhin können mit ihr adäquate Beschreibungen gewisser Phänomene geliefert werden, die wir beim Menschen beobachten können.
Nun... Fuzzy-Logic ist nicht die Lösung des Problems. Das Gehirn arbeit nicht wie ein klasischer Computer aus der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wie ich schon sagte, wir brauchen neue Ideen und einen Paradigmenwechsel in der Verarbeitung der Sinneseindrücke — es kommt nicht mehr darauf an, nur schnell rechnen zu können. Es kommt darauf an, Muster zu erkennen und Entscheidungen zu treffen, wie sie in der Realität vorkommen.

Ich habe mir sagen lassen, dass eines der großen Hindernisse bis zur Serienreife von selbstfahrenden Autos es ist, dass sie auf Nebenstraßen nicht in der Lage sind Schlaglöcher zu erkennen und auszuweichen, etwas was man als Mensch sehr schnell lernt, will man sein Auto und sich selbst schonen.

Thaddäus hat geschrieben:Wenn das so stimmen würde, brauchte der Mensch nur sein Stammhirn. Offensichtlich findet alles wirklich Interessante im menschlichen Hirn aber im Großhirn statt. Will sagen: Dick ist ein Idiot, der die Komplexität des Gehirns maßgeblich unterschätzt. ;)
Nein.
Auch wenn wir im Grunde Gefühlswesen bleiben, so sind es doch gerade unsere analytischen Fähifkeiten und unser Urteilsvermögen, was uns zu einem besonderen Wesen in der Tierwelt machen.

Thaddäus hat geschrieben:Das von mir fett Gesetzte dürfte in diesem Satz das Wichtigste sein: symbolhaftes Denken.
Ja. Symbolhaftes Denken ist wirklich wichtig.
Aber ebenso wichtig ist mMn unser soziales Verhalten, und der Wunsch mit anderen Menschen zusammen zu leben und eine Einheit zu bilden: Kurz die Fähigkeiten einerseits zu führen und andererseits uns diszipiiniert unterzuordnen zu können wenn es die Umstände erfordern.

Schau dir dazu mal das Treiben an einem Flughafen an. Da besteigen 200-300 Menschen geordnet und diszipliniert ein Flugzeug, sitzen dann mehrere Stunden dicht gedrängt nebeneinander, bis sie dann am Zielort wieder ihrer Wege gehen. Nichts Besonderes, gell?

Aber nun stell dir dasselbe Bild mit einer Gruppe von 200-300 Schimpansen vor...


Thaddäus hat geschrieben:Weil die Neurowissenschaft z.B. versucht das Gehirn auf neurologischer Grundlage wissenschaftlich zu verstehen. Das bedeutet im Idealfalle, dass sie nur wahre Aussagen über das Gehirn macht. Heraus kommen sollte im Idealfall eine vollständige Beschreibung der Funktionsweise des Gehirns mit einer endlichen Anzahl von wahren Aussagen. Dies ist nach Gödel nicht möglich.
Mir scheint, du gehörst tatsächlich der (schwindenden) Gruppe von Leuten an, die glauben es gäbe ein "Gewisses Etwas" was unseren Geist und unser Bewusstsein ausmacht.
Leider konnte mir bisher kein Mitglied dieser Gruppe, auch nur ansatzweise, erklären was diese fehlende "Etwas" sein soll.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

SilverBullet
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#82 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von SilverBullet » Mo 23. Nov 2015, 13:34

Thaddäus hat geschrieben:Konsens:…
Ja, in Abgrenzung zu einem temporär, an einen Körper gebundenen „Geist“(?) liegen wir auf einer Seite.

Thaddäus hat geschrieben:Dissens:…
Der Hautunterschied besteht für mich (wie du auch schon gesagt hast) in den Vermutungen zur Existenz von Bewusstsein.
Ich denke von diesem Punkt leiten sich alle weiteren Unterschiede automatisch ab. Das geht bis in das Detail der Arbeitsweise von Neuronen, weil sie für eine „Produktion“ etwas viel Hintergründigeres durchführen müssten, als die bedingte Weitergabe von elektrischen Impulsen – sie müssten sozusagen zugleich „Produktion und Kommunikation“ sein.

Thaddäus hat geschrieben:Phänomenologisch gehe ich davon aus, dass es sie selbstverständlich gibt und nicht geleugnet werden können. Du scheinst mir das Vorhandensein von Bewusstsein und Selbstbewusstsein leugnen zu wollen.
Aus meiner Sicht ist das Wort „leugnen“ nicht angebracht.

Für „Bewusstsein“ und „Selbstbewusstsein“ ist vollständig unbekannt, was es sein soll und die Existenzbeurteilung kann letztlich nur in den Zusammenhängen auftreten, die sich selbst für „Bewusstsein“ halten – es ist also keine unabhängige Einschätzung.

Vor diesem Hintergrund hat niemand den Anspruch, eine Existenzvermutung als den Normzustand festzulegen, so dass andere Lösungsvermutungen als „Leugnung“ deklariert werden können.

Egal, welches Verständnis „innerhalb des Bewusstseins“, über das Bewusstsein vorhanden sein kann, bleibt die Frage, um was es sich bei „Verständnis“ handelt und wie es hergestellt wird.
Ohne eine bestätigte Antwort auf diese Frage, gibt es keine Verbindung zur materiellen Welt und damit auch keinen, über einen unbekannten Vorgang/Prozess/Ablauf hinausgehenden, Anspruch auf Existenzgewissheit.

Thaddäus hat geschrieben:Neuronen sind - nach allem, was ich weiß - keine bloßen Ein-/Aus-Schalter
„Ein-/Ausschalter“ klingt ein wenig nach „Licht an, Licht aus“.
„Schalter“, im Sinne von Durchschalten/Weiterleiten hört sich schon besser an. Wenn es dann noch zu einem Sammeln von Eingangspotentialen und der Weitergabe nach dem „Alles-Oder-Nichts“-Prinzip kommen soll, dann gibt es schon eine grosse Nähe zu einem Neuron.

Bei der Verwendung von „Transistor“ und „integrierter Schaltkreis“ sehe ich nicht, wohin das führen soll, aber zumindest ist auch bei diesen Analogien klar, dass die reine Datenverarbeitung nicht verlassen wird.

Thaddäus hat geschrieben:Den Informatikern ist es gelungen, die neuronale Vernetzung des Gehirns irgend einer Nacktschnecke grundsätzlich nachzubauen. Das Ergebnis war, soweit ich weiß, dass die nachgebaute Schnecke sich so verhielt, wie die biologische Schnecke.
Ich denke, es könnte sich eher um einen 1mm grossen Wurm handeln, dessen neuronale Verschaltung schon lange exakt vorliegt (-> OpenWorm-Projekt).
Das Problem bei einer Simulation besteht darin, die neuronalen Schwellenwerte, das zeitliche Verhalten und die Wirkungen von hemmenden und verstärkenden Stoffen nachzubilden.
Um dies lösen, haben die Entwickler wohl auf „evolutionäre Algorithmen“ (also Algorithmen, die sich durch „zufällige“ Veränderungsmassnahmen einem Optimum nähern sollen – Fehlversuche werden verworfen) gesetzt und versucht eine Konfiguration der vorliegenden neuronalen Verschaltung zu finden, die dem Verhalten des Lebewesens nahe kommt.

Thaddäus hat geschrieben:Ich bestreite keineswegs, dass das Gehirn zu ganz erstaunlichen Leistungen in der Lage ist.
Ich bestreite allerdings, dass das Gehirn in klassischer Weise rechnet.
„Rechnen“ steht (für mich) bei einer Datenverarbeitung für den algorithmischen Umgang mit Daten. Für kleine neuronale Netze kann man dies noch mathematisch formulieren, aber selbstverständlich verwenden die Neuronen keine Zahlen, keine Variablen und keine Formelsymbole (moderne Datenverarbeitungsanlagen auch nicht).

Der Begriff „Berechnung“ ist sehr gut geeignet, um die Normalität, das Unspektakuläre rund um die Arbeit des Gehirns auszudrücken.
Bei einer Berechnung spielen normale Zusammenhänge eine Rolle, es kommt zu Abläufen und Wechselwirkungen, aber es können sich daraus keine Existenzen ergeben.

Dass du dich als Anhänger einer Art „Produktion durch das Gehirn“ gegen den Begriff wehrst, bestätigt genau diese Absicht:
Meiner Meinung nach, macht das Gehirn nur das, was man von aussen beobachten kann – elektrische Impulse werden in einem neuronalen Netz, mit viel Parallelität verarbeitet – „mehr“ nicht.
(„Berechnen“ ist für jeden eine erkennbare Distanzierung von z.B. elektromagnetischen Energieverhältnissen aus denen eine unsichtbare „Bewusstseinsblase“ entsteht, die dann als eine Art „Aura“ mit dem Gehirn wechselwirken soll)

Wenn man das Gehirn anschaut, dann erkennt man die Sensorik (Sinneszellen), die Daten (elektrische Impulse), die Verarbeitung (das Netz mit einer differenzierten Verschaltung) und die Steuerverbindungen zum Körper (Motoneurone).
Insgesamt: Datenverarbeitung.

Wie ich schon geschrieben habe, ist dies ein Funktionsrahmen, aus dem man explizit heraustreten (aber auch wieder eintreten) können muss, wenn man das Bewusstsein als „entstehendes, existierendes Etwas“ festlegen möchte.

Meines Wissens hat diesbezüglich niemand eine konkrete Idee.

Es gibt wohl nur unklare Oberbegriffe:
„Quanteneinflüsse“ (Quantenbewusstsein), „globales Bewusstsein“ (Panpsychismus), „Emergenz“ (???).
Man kann mit solchen Dingen zwar „aufwendig formulierte“ Bücher verkaufen, aber man kann keine Lösung aufbauen – noch nicht einmal im Ansatz.

Am Ende bleibt immer noch das „unaufgeregt, aktive Gehirn“ übrig.

Deshalb vermute ich, dass die Lösung genau dort zu finden ist.
Im Grunde haben wir alles, was wir brauchen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit kommt kein Materiezusammenhang mehr dazu, der den Rahmen einer Datenverarbeitung sprengen könnte.

Als Konsequenz, ist man somit gut beraten, wenn man nachschaut, ob man die richtigen Fragen stellt, wenn es um „das Mentale“ geht.
Die bisherigen kulturellen Ideen, „Ich bin immateriell“ (Metaphysik), „Ich habe ein Bewusstsein“, „Ich habe einen Körper“, „Ich existiere unabhängig vom Körper“ sind ganz nett und sicherlich vor dem Hintergrund der Undurchsichtigkeit verständlich, aber dieses „Zeugs“ passt nicht zum aktiven Gehirn.

Somit habe ich mich gefragt, ob ich vor dem Ausgangspunkt einer beobachtbaren Datenverarbeitung, irgendwie beweisen kann, dass „ich mehr bin“, als reine virtuelle Zusammenhänge, die komplett (also jede Nuance) durch das Gehirn über die Zeit berechnet werden.
Sozusagen: ich suche selbst nach einem Argument gegen meine Vermutung.
=> Ich habe nichts gefunden - Ich sehe kein Argument dagegen.
Im Gegenteil, wenn man all die „komischen“ Effekte, all die Krankheiten und Verletzungsauswirkungen betrachtet, kann man sie sehr gut auf Berechnungsumstände zurückführen.

Ein kleines Beispiel, das jeder kennt:
25 Bilder pro Sekunde ergeben „im Bewusstsein“ einen kontinuierlichen Film.
Warum eigentlich?
OK, die neuronale Bildaufbereitung kostet Zeit, aber ich habe nicht den Eindruck, dass ich in der Zwischenzeit irgendwo bin und warte, oder dass ich mich dafür entscheiden könnte, nicht zu warten, sondern die „Zwischenzeiten“, aktiv zu durchleben.
Nein, ich finde eher auf eine Art statt, dass diese Taktung für mich, wie ein ununterbrochener Zusammenhang wirkt.

Das Gehirn kann sehr wohl schneller reagieren, allerdings nicht mit Bewusstsein.
Die einfachste Erklärung ist, das Gehirn koordiniert viele der parallelen Abläufe in einer rhythmischen Abstimmung: „dem Bewusstsein“, also einer Animation von Verstehzusammenhängen.

Drastisch formuliert:
Ich finde nur ca. 25 mal in der Sekunde statt. Da ich aber den Eindruck eines „ununterbrochenen Vorhandenseins“ habe, ist die einfachste Lösung, dass dieser „Eindruck“ nichts mit den 25 Etappen zu tun haben kann, sondern exakt („absichtlich“) so zustande kommen soll -> das Gehirn rechnet das „Verständnis einer Kontinuität“ ins Bewusstsein ein (und dort gibt es keine Möglichkeit dies zu hinterfragen).

25 „Aktualisierungen“ pro Sekunde sind immer noch sehr schnell, wodurch das Bewusstsein sozusagen live am wirklichen Umweltgeschehen teilhaben kann – zumindest aus der Verstehsicht, die sich im Bewusstsein ergibt.

Das Raffinierte dabei ist: das Bewusstsein hat keinerlei Eigenleben und das Gehirn berechnet zwar minuziös jede „Bewusstseinsnuance“, aber nicht, dass das Gehirn als Aktivität dahinter steckt.

(Ich sage wieder ausdrücklich dazu, dass dies nur meine Vermutungen sind)

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#83 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von Thaddäus » Di 24. Nov 2015, 19:50

@ pluto
@ silverbullet

Ich werde versuchen klarer zu machen, was mir eigentlich an euer beider Position zum Thema nicht so gut gefällt. Wenn ich nur auf gewisse konkrete Repliken antworte, wird das nicht so klar, befüchte ich. Doch zunächst noch folgende Repliken:

Pluto hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Turing selbst hat dankenswerter Weise gleich selbst die Grenzen einer Turing-Maschine mit beschrieben: so kann eine Turing-Maschine das Entscheidungsproblem nicht lösen und nicht einmal das Halteproblem. Ein Gehirn verfängt sich nicht in endlos rekursiven Schleifen und es kann in der Regel auch klare Entscheidungen treffen.
Ein sehr theoretisches Problem was in der Praxis nicht vorkommt, denn das Gehirn wird nie vor exakt gleiche Situationen gestellt, deshalb ist das Entscheidungsproblem keine Widerlegung dass das Gehirn als Turing-Maschine arbeitet.
Das ist richtig.

Pluto hat geschrieben: Wenn das Gehirn keine Turing Maschine ist, was sind dann die Alternativen?
Oder gehörst du zu den Anhängern von David Chalmers, (The Hard Problem of Consciousness) die an ein unsichtbares "Etwas" glauben, was für die Entstehung unseres Bewusstseins verantwortlich ist?
Nun, Qualia sind kein unsichtbares Etwas. Qualia sind vielmehr qualitative Empfindungswerte bzw. -Inhalte. Mit Geistern in Maschinen haben Qualia nichts zu tun. Und ich denke, du sprichst von Chalmers Qualia-Theorie.

Pluto hat geschrieben:... es kommt nicht mehr darauf an, nur schnell rechnen zu können. Es kommt darauf an, Muster zu erkennen und Entscheidungen zu treffen, wie sie in der Realität vorkommen.
Das kann jeder Schachcomputer/ jedes Schachprogramm. Es rechnet, erkennt durchaus auch Muster (z.B. im Endspiel) und trifft Entscheidungen: denn es macht irgendwann einen Zug. Trotzdem spielen Computer Schach nicht wie Menschen. Ich behaupte sogar, dass Schachcomuter gar kein Schach spielen können. ;) Aber das würde längerer Erklärungen bedürfen.

Pluto hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Wenn das so stimmen würde, brauchte der Mensch nur sein Stammhirn. Offensichtlich findet alles wirklich Interessante im menschlichen Hirn aber im Großhirn statt. Will sagen: Dick ist ein Idiot, der die Komplexität des Gehirns maßgeblich unterschätzt. ;)
Nein.
Auch wenn wir im Grunde Gefühlswesen bleiben, so sind es doch gerade unsere analytischen Fähifkeiten und unser Urteilsvermögen, was uns zu einem besonderen Wesen in der Tierwelt machen.
Dicks Formulierung ist provokant, das Gehirn sei lediglich eine bessere Leber. Natürlich ist das Gehirn ein Organ wie andere Organe, aber eben auch gerade nicht wie andere Organe. Es steuert eben nicht nur Körperfuntionen.

Pluto hat geschrieben: Ja. Symbolhaftes Denken ist wirklich wichtig.
Und ich vermute, dieses symbolhafte Denken ist dafür verantwortlich, dass wir beim Gehirn nicht von einfachem Rechnen sprechen können.

Pluto hat geschrieben: Schau dir dazu mal das Treiben an einem Flughafen an. Da besteigen 200-300 Menschen geordnet und diszipliniert ein Flugzeug, sitzen dann mehrere Stunden dicht gedrängt nebeneinander, bis sie dann am Zielort wieder ihrer Wege gehen. Nichts Besonderes, gell?

Aber nun stell dir dasselbe Bild mit einer Gruppe von 200-300 Schimpansen vor...
:lol:
Du glaubst gar nicht, wie oft ich mit 200 Schimpansen nach Buenos Aires fliege! :lol: :smiley15: :roll:

Pluto hat geschrieben: Mir scheint, du gehörst tatsächlich der (schwindenden) Gruppe von Leuten an, die glauben, es gäbe ein "Gewisses Etwas" was unseren Geist und unser Bewusstsein ausmacht.
Leider konnte mir bisher kein Mitglied dieser Gruppe, auch nur ansatzweise, erklären was diese fehlende "Etwas" sein soll.
Man darf unter diesem Etwas keine metaphysisch-ontologische Zusatzannahme verstehen, die sich jeder Überprüfung entzieht.
Wie gesagt sind aber z.B. Qualia, also z.B. der Empfindungswert "blau" oder "kalt" oder "Hoffnung" keine metaphysischen Entitäten. Ich bin überzeugt, dass Qualia schlicht und einfach Phänomene eines komplex arbeitenden Gehirns sind.

SilverBullet hat geschrieben: Meiner Meinung nach, macht das Gehirn nur das, was man von aussen beobachten kann – elektrische Impulse werden in einem neuronalen Netz, mit viel Parallelität verarbeitet – „mehr“ nicht.
Dummerweise kann man von Außen meistens nicht beobachten, was das Gehirn macht. Man kann nur beobachten, wie sich ein Körper verhält (der sich z.B. vor Schmerzen krümmt etc.), welche Schallwellen den Mund verlassen oder welche schriftlichen Äußerungen eine Hand niederschreibt. Über letztere Beobachtungsmöglichkeiten kann man lediglich Rückschlüsse darauf ziehen, was in einem Gehirn vorgeht, z.B., wenn ein Student eine ganz und gar unpassende Interpretation der Figur des Faust verbal oder schriftlich darlegt. Dann darf man nämlich davon ausgehen, dass dieser Student die Figur des Faust nicht verstanden hat und also sein Gehirn den Faust nicht verstanden bzw. sein "Geist".

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Okay. Was stört mich eigentlich an eurer (Plutos und SilverBulletts) Position (ohne zu weit ausholen zu wollen)?

1. Ihr beide leugnet meiner Ansicht nach schlicht bestens bekannte und für jeden selbstverständliche und empirisch überprüfbare mentale Phänomene.
Z.B. das Vorhandensein von Bewusstsein und Selbstbewusstsein.
So muss ich an Silverbullet die konkrete Frage stellen, ob er im Ernst leugnen möchte, dass er aufmerksam und bewusst erleben kann, wie es sich anfühlt, wenn z.B. die Sonne auf sein Gesicht strahlt? Oder ob er im Ernst leugnen möchte, dass er sich selbst dabei beobachten kann, wie er z.B. eine Antwort an mich verfasst und in welcher Gemütsverfassung er sich dabei befindet? Und ob er leugnen möchte, dass, wenn ich ihn danach fragte, wie er sich fühlt, wenn er eine Antwort an mich verfasst, er mir nicht Auskunft darüber geben könnte?
Wenn er dies bestreitet, kann ich ihn ehrlich gesagt nicht Ernst nehmen, - denn das sind alles Dinge, die wir tagtäglich zigmal tun!

2. Eure Positionen changieren meiner Meinung nach zwischen einem eliminativen Materialismus (Daniel Dennett), einem semantischen Physikalismus (Rudolf Carnap) und einer bestimmten Form des Behaviorismus (Ludwig Wittgenstein und Gilbert Ryle). Ich halte übrigens alle diese Denker für großartige Philosophen, die sehr innovativ in der Philosophie gewirkt haben!

Gleichwohl haben sie alle unrecht.

Der eliminative Materialismus leugnet jede Art von Bewusstsein, Qualia und innere (private) Zustände, die naturgemäß nicht intersubjektiv überprüfbar sind. Er scheitert daran, dass man nur sich selbst empirisch beobachten muss, seine Gedanken und Gefühlseindrücke, um zu erkennen, dass er Quat*sch ist. Er kann sich gar nicht durchsetzen, weil er der empirisch überprüfbaren Wirklichkeit eines jeden Menschen widerspricht. Natürlich weiß ich, dass ich z.B. in diesem Moment Angst habe und wie sich das anfühlt. Das bestreiten zu wollen, führt in die Absurdität.

Der semantische Physikalismus scheitert daran, dass z.B. der schlichte Wunsch ein Bier trinken zu wollen, nicht konsistent in eine rein physikalische Beobachtungssprache übersetzt werden kann. Beobachtungssätze und Empfindungssätze sind nicht einfach ineinander übersetzbar, aber es ist gar kein Problem, normalsprachlich z.B. über seine Wünsche, Hoffnungen und Ängste zu sprechen und sie auch als hinreichende kausale Auslöser bestimmter Verhaltensweisen zu benennen. "Ich gehe nicht vor die Tür, weil ich Angst vor Terroranschlägen habe" etc.

Wittgenstein und Ryle behaupten, dass es nur Verhaltensweisen gibt, die nicht dispositional beschrieben werden dürfen und dass niemand über seine privaten Empfindungen sinnvoll sprechen kann, wenn er sich dabei auf Empfindungen beruft, die er nur selbst haben kann.
Meiner Ansicht nach kann aber jeder über seinen privaten Schmerz sprechen, weil hinter diesem privaten Schmerzempfinden, eine bestimmte neuronale Aktivität eines physischen Körpers steht, was sie grundsätzlich empirisch überprüfbar macht, wiewohl die Qualität der Schmerzempfindung so nicht überprüfbar ist.

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#84 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von Pluto » Di 24. Nov 2015, 20:50

Thaddäus hat geschrieben:Nun, Qualia sind kein unsichtbares Etwas. Qualia sind vielmehr qualitative Empfindungswerte bzw. -Inhalte. Mit Geistern in Maschinen haben Qualia nichts zu tun.
Doch, den Qualia sind eben diese "Geister in der Maschine", die uns glauben lassen wollen das Gehirn sei mehr als eine Denkmaschine im Turing'schen Sinn.

Thaddäus hat geschrieben:Ich behaupte sogar, dass Schachcomuter gar kein Schach spielen können. ;)
Oh... da würde ich dir sogar zustimmen. :thumbup:


Thaddäus hat geschrieben:Natürlich ist das Gehirn ein Organ wie andere Organe, aber eben auch gerade nicht wie andere Organe. Es steuert eben nicht nur Körperfuntionen.
Was steuert es denn deiner Meinung nach sonst noch?

Thaddäus hat geschrieben:Ich bin überzeugt, dass Qualia schlicht und einfach Phänomene eines komplex arbeitenden Gehirns sind.
Ja. Davon gehe ich auch aus.

Thaddäus hat geschrieben:Okay. Was stört mich eigentlich an eurer (Plutos und SilverBulletts) Position (ohne zu weit ausholen zu wollen)?

1. Ihr beide leugnet meiner Ansicht nach schlicht bestens bekannte und für jeden selbstverständliche und empirisch überprüfbare mentale Phänomene.
Z.B. das Vorhandensein von Bewusstsein und Selbstbewusstsein.
Also, ich fühle mich davon nicht angesprochen. Es gibt selbstverständlich Geist und Bewusstsein, das wird dir jeder Psychologe bestätigen.

Allerdings sind diese Phänomene Prozesse die im Gehirn ablaufen; sie sind somit nicht greifbar. Die Analogie eines Computers kommt da einem in den Sinn, nicht wahr?

Thaddäus hat geschrieben:Ich halte übrigens alle diese Denker für großartige Philosophen, die sehr innovativ in der Philosophie gewirkt haben!
Gleichwohl haben sie alle unrecht.
Oha! :shock:
Das klingt sagen wir mal, etwas anmaßend.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#85 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von SilverBullet » Di 24. Nov 2015, 22:10

Thaddäus hat geschrieben:So muss ich an Silverbullet die konkrete Frage stellen, ob er im Ernst leugnen möchte, dass er aufmerksam und bewusst erleben kann, wie es sich anfühlt, wenn z.B. die Sonne auf sein Gesicht strahlt? Oder ob er im Ernst leugnen möchte, dass er sich selbst dabei beobachten kann, wie er z.B. eine Antwort an mich verfasst und in welcher Gemütsverfassung er sich dabei befindet? Und ob er leugnen möchte, dass, wenn ich ihn danach fragte, wie er sich fühlt, wenn er eine Antwort an mich verfasst, er mir nicht Auskunft darüber geben könnte?
Ich lehne deinen „Leugungs“-Begriff ab.
Das habe ich ja schon geschrieben – warum hast du dazu nichts gesagt?

Selbstverständlich kommt es in meinem Körper zu den oben genannten Fähigkeiten.
Selbstverständlich findet ein vielfältig ausgeprägtes Verstehen in Form der „Überzeugung von Etwas“ statt.

Die zentrale Frage ist: Wie kommt es dazu?
(nur aus der Antwort kann man herauslesen, welche Existenzen, wann vorhanden sind)

Deine Lösung ist ein unsichtbares „Ich“, eine entstehende „Aktivitäts-Instanz“, ein „Subjekt“.
Zitat-Thaddäus: „Man darf unter diesem Etwas keine metaphysisch-ontologische Zusatzannahme verstehen, die sich jeder Überprüfung entzieht.
(was bleibt von der Philosophie übrig, wenn man alle Nicht-XXXX-Aussagen löscht?)

Wie dieses, nicht auffindbare „Ding“ entstehen soll und wie es „danach“ zu denn obigen Fähigkeiten kommen soll, habe ich von dir noch nicht gehört.

Ich kann das Herstellen von Verstehen über meine Vermutung auch nicht erklären, aber ich kann den Rahmen einer Datenverarbeitung verwenden, um das generelle Zustandekommen von Fähigkeiten rund um Bedeutungszusammenhänge einzugrenzen.
Wie ich geschrieben habe:
neuronale Netze teilen Bedeutungszusammenhänge generell beim Lernen in „Einzelteile“ auf, aus denen sich Fähigkeiten zusammensetzen, die nicht alle „im Bewusstsein auftreten“.
D.h. das Bewusstsein ist quasi nur eine „kleine Obermenge“ an möglichen Bedeutungszusammenhängen.

Genau in diesem „Mechanismus“ verankere ich das Herstellen von Verstehen.
Ein „Subjekt“, als existierender Umstand (existierende Einheit), wäre dabei nur hinderlich.

Thaddäus hat geschrieben:Eure Positionen changieren meiner Meinung nach zwischen einem eliminativen Materialismus (Daniel Dennett), einem semantischen Physikalismus (Rudolf Carnap) und einer bestimmten Form des Behaviorismus (Ludwig Wittgenstein und Gilbert Ryle)
Warum nennst du irgendwelche Philosophen, auf die du anschliessend vorgefertigt reagierst?

Zu diesen philosophischen Haltungen kann ich nichts sagen.
Wie soll ich mich mit einer dieser Ideen identifizieren können?

Rede mit mir – ich habe genug geschrieben, um darüber zu diskutieren.

Thaddäus hat geschrieben:Er scheitert daran, dass man nur sich selbst empirisch beobachten muss, seine Gedanken und Gefühlseindrücke, um zu erkennen, dass er Quat*sch ist.
Das ist eine fehlerhafte philosophische Schlussfolgerung, weil hierbei nur das Bewusstsein über sich selbst urteilt, wobei das Bewusstsein keine Ahnung hat, was es ist, was ein Urteil ist und wie es zu diesem Urteil kommt.

Durch das Bewusstsein können keinerlei Existenzwechselwirkungen, unabhängig vom Bewusstsein festgestellt werden.
Man findet das „spektakuläre Ding“ nicht, das in deiner Idee existieren soll – man findet aber etwas anderes: Datenverarbeitung.

Philosophie möchte über das Denken auf die Zusammenhänge schliessen. Hier geht es aber um das Zustandekommen der Denkfähigkeit.

Exakt auf dieser Fehlerbasis wird auch das Wort „Emergenz“ verwendet. Es ist ein Begriff, der nur Sinn macht, wenn eine vollständige Wahrnehmung vorhanden ist – nur über das Verstehen in einer Wahrnehmung, wird ein Zusammenhang als „emergent“ eingestuft.
Der Begriff macht aber aus meiner Sicht keinerlei Sinn, wenn es darum geht, Wahrnehmung aufzubauen.

Thaddäus hat geschrieben:Ich bin überzeugt, dass Qualia schlicht und einfach Phänomene eines komplex arbeitenden Gehirns sind.
Damit hast du mehrere Probleme:
1.
Du kannst immer noch nicht sagen, was Qualia sein sollen und wie sie zustande kommen.
2.
Du musst bei hoch komplexen Anlagen (Supercomputer, Internetaktivitäten) „phänomenale Inhalte“ vermuten.
3.
Du kannst nicht sagen, wo die „Komplexitätsgrenze“ sein soll, ab der Qualia vorkommen können.

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#86 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von JackSparrow » Mi 25. Nov 2015, 10:44

Thaddäus hat geschrieben:1. Ihr beide leugnet meiner Ansicht nach schlicht bestens bekannte und für jeden selbstverständliche und empirisch überprüfbare mentale Phänomene.
Z.B. das Vorhandensein von Bewusstsein und Selbstbewusstsein.
Empirisch überprüfbar ist das Vorhandensein eines Wohnzimmerteppichs. Unter den Dingen, die deine fünf Sinnesorgane wahrnehmen, befindet sich nichts, was du als Bewusstsein bezeichnen könntest.

dass er aufmerksam und bewusst erleben kann, wie es sich anfühlt,
Das Wort "bewusst" ist redundant. Entweder er erlebt es, oder er erlebt es nicht.

Oder ob er im Ernst leugnen möchte, dass er sich selbst dabei beobachten kann, wie er z.B. eine Antwort an mich verfasst und in welcher Gemütsverfassung er sich dabei befindet?
Die Gemütsbewegung findet entweder statt oder sie findet nicht statt. Ein zusätzliches Selbst, das die Gemütsbewegung angeblich beobachtet, kann hingegen niemand beobachten.

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#87 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von Thaddäus » Mi 25. Nov 2015, 19:46

Pluto hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Nun, Qualia sind kein unsichtbares Etwas. Qualia sind vielmehr qualitative Empfindungswerte bzw. -Inhalte. Mit Geistern in Maschinen haben Qualia nichts zu tun.
Doch, den Qualia sind eben diese "Geister in der Maschine", die uns glauben lassen wollen das Gehirn sei mehr als eine Denkmaschine im Turing'schen Sinn.
Geister in (Menschen-) Maschinen anzunehmen, geht letztlich immer von der Descart'schen Unterscheidung zwischen res extensa und res cogitans aus, die beide letztlich inkompatibel zueinander sind, so dass es bereits schleierhaft ist, wie Geist oder Seele auf einen Körper wirken können sollen, wenn Geist und Seele nichts mit Körperlichkeit zu tun haben und teilweise sogar angenommen wird, das Geist/Seele unabhängig von allem Körperlichen existieren können sollen.

Jeder Mensch hat Sinnesreizungen über seinen sensorischen Apparat (seine Sinnes-Rezeptoren), die im Gehirn zu Sinneseindrücken und d.h. nichts anderes als zu Sinnesempfindungen führen (verarbeitet werden). Sinneseindrücke und -empfindungen haben aber einen qualitativen Charakter, der sich auch gar nicht leugnen lässt, - es sei denn man will ernsthaft bezweifeln, dass etwas nach Fisch, etwas anderes nach Rindfleisch schmeckt oder dass etwas blass-rot empfunden werden kann, etwas anderes als karmesinrot usw.

Dennett versucht das Problem der Qualia (wie es nämlich zu solchen qualitativen Sinnesindrücken kommen kann) dadurch zu umgehen, dass er behauptet, jeder solcherart qualitative Eindruck, der aus der Ich-Perspektive gewonnen wird ("Mir schmeckt Fisch nicht" oder "Diese Rose ist wirklich leuchtend rot") könne auch durch Formulierungen in der wissenschaftlichen 3-Person-Perspektive exakt genau so erfasst werden. Z.B.: "Wenn Person x etwas Rotes sieht, dann sieht sie das von einem Objekt reflektierte Licht der Wellenlänge so und so...".
Dies führt ihn zu der Behauptung, dass z.B. eine Person X, die nur Schwarz-Weiß sehen kann, die aber alle physikalischen und optischen Kenntnisse über das Farbensehen hat, sich nicht unterscheidet von einer Person, die tatsächlich Farben sehen kann (das berühmte Mary-Gedankenexperiment).
Das bedeutet: wenn Person X, die nur Schwarz-Weiß sehen kann, aber alles Theoretische über das Farben-Sehen weiß, plötzlich Farben sehen können sollte, dann weiß sie als Farben-Sehende nicht mehr als vorher, als sie nur Schwarz-Weiß gesehen hat, weshalb sich für sie auch nichts ändern würde, wenn sie plötzlich Farben sehen könnte.
Mit Verlaub, aber diese Sichtweise ist absurd und war immer schon absurd. Auch wenn Daniel Dennett diesen Unsinn vertritt.

Durch die Qualität von Sinneseindrücken und Sinnesempfindungen als etwas, das sich so und so anfühlt oder mir qualitativ als so oder so erscheint, wird kein Geist in irgendwas hineingeheimnist, sondern schlicht und einfach festgestellt, dass Sinneseindrücke sinnliche Empfindungen sind, die einen qualitativen Charakter haben.
Wie es zu diesen Qualia kommt, mag durchaus nicht so einfach neurophysiolgisch zu erklären sein. Das bedeutet aber nicht, dass es sie nicht gibt!

Pluto hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben: Ich behaupte sogar, dass Schachcomuter gar kein Schach spielen können. ;)
Oh... da würde ich dir sogar zustimmen. :thumbup:
Exakt aus den von mir oben genannten Grund können Schacomputer nicht Schach spielen. Denn sie wissen buchstäblich nicht, was sie eigentlich tun, wenn sie Schach "spielen".

Pluto hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Natürlich ist das Gehirn ein Organ wie andere Organe, aber eben auch gerade nicht wie andere Organe. Es steuert eben nicht nur Körperfuntionen.
Was steuert es denn deiner Meinung nach sonst noch?
Es steuert z.B. mein Bewusstsein, mein Denken, meine Sprache, mein musikalisches Verständnis, dass ich tanzen kann und und und ...
Empirischer Beweis:
Die wesentlichen Körperfunktionen werden durch das Stammhirn gesteuert (manche sogar nur durch das Rückenmark: z.B. alle Reflexhandlungen). Die Sprache aber durch den Wernicke- und den Broca-Lappen. Das Sehen durch das Sehzentrum im hinteren Hirnbereich. Alle höheren Denkleistungen durch den Stirnlappen usw. usf.
Würde das Gehirn nur die elementaren Körperfunktionen vergleichbar einer Leber oder Niere steuern, dann bräuchten wir nur Rückenmark und Stammhirn. Evolutionär wäre das Großhirn also völliger Unsinn bzw. ein überflüssiger Luxus. Insofern ist Dick mit seiner Behauptung also tatsächlich ein Ignorant.

Pluto hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Ich halte übrigens alle diese Denker für großartige Philosophen, die sehr innovativ in der Philosophie gewirkt haben!
Gleichwohl haben sie alle unrecht.
Oha! :shock:
Das klingt sagen wir mal, etwas anmaßend.
Man sollte vor den großen Denkern wirklich Ehrfurcht haben, allein schon, weil niemand von uns hier zu ihren Leistungen in der Lage ist. Wo sie aber irren, da irren sie eben. ;)
Zuletzt geändert von Thaddäus am Mi 25. Nov 2015, 20:23, insgesamt 3-mal geändert.

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Thaddäus
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#88 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von Thaddäus » Mi 25. Nov 2015, 20:13

SilverBullet hat geschrieben: Selbstverständlich kommt es in meinem Körper zu den oben genannten Fähigkeiten.
Selbstverständlich findet ein vielfältig ausgeprägtes Verstehen in Form der „Überzeugung von Etwas“ statt.
Das bedeutet also, du leugnest nicht, dass du dich selbst dabei beobachten kannst, wie du etwas tust oder denkst oder empfindest. Du leugnest also nicht, dass, wenn du z.B. traurig oder verliebt bist, du dir darüber im Klaren bist, dass du traurig oder verliebt bist. Dich z.B. darüber wunderst, warum du dich ausgerechnet in diese Person verliebt hast oder warum du traurig bist über den Tod dieser oder jener Person, zu der du vielleicht gar nicht eine so intensive Beziehung hattest etc. Du leugnest also nicht, dass du dir im Klaren darüber bist, dass, wenn du mir antwortest, dich vielleicht darüber ärgerst, was die blöde Thaddäus da schon wieder schreibt, so als ob sie gar nicht begriffen hätte, was du ihr doch gerade im letzten Post geschrieben hast.

Wenn du dir über all dies nämlich zumindest prinzipiell im Klaren sein kannst, dann ist es offensichtlich, dass du dich beobachtest. Ja, du kannst dich selbst sogar dabei beobachten, was genau diese Zeilen von mir in dir an Gefühlen und Gedanken auf einer 2. Stufe auslösen, während du gerade auf einer 1. Stufe genau die Gefühle und Gedanken hast, die du hast und die ich gerade anspreche.

SilverBullet hat geschrieben: Die zentrale Frage ist: Wie kommt es dazu?
(nur aus der Antwort kann man herauslesen, welche Existenzen, wann vorhanden sind)
Dich selbst bewusst und unmittelbar beobachten zu können, postuliert noch gar keine eigenen Existenzen und merkwürdige Entitäten. Es heißt zunächst nur, und zwar empirisch gewiss, dass du dich selbst - also deinen eigenen Bewusstseinstrom - beobachten kannst. Du kannst traurig sein - und dich bei deinem eigenen Traurigsein beobachten.
Diese Selbst-Beobachtungsmöglichkeit, die du hast, ist kein merkwürdiger Geist in einer Maschine. Es ist eine Instanz, die das Denken offenbar hat und die du selbst auch empfinden kannst. Sie könnten hirnphysiologisch einfach dadurch entstehen, dass Denken im Gehirn rekursiv funktioniert (oder wie auch immer).

SilverBullet
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#89 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von SilverBullet » Mi 25. Nov 2015, 22:11

Thaddäus hat geschrieben:Das bedeutet also, du leugnest nicht, dass du dich selbst dabei beobachten kannst, wie du etwas tust oder denkst oder empfindest
Mit deiner Formulierung des „Leugnens“ kann ich nichts anfangen.
Dein Versuch, meine Vermutung in irgendeine philosophische Schublade zu packen, ist lustig.

In meiner Vermutung kommt es über neuronale Abläufe zu Bedeutungszusammenhängen, aus denen Verstehfähigkeiten hervorgehen.
Das „ich beobachte mich“ ist ein Verstehzusammenhang, sozusagen eine Art Ergebnisablauf, aber es ist kein Vorgang, bei dem ein „Ich“ über eine „Beobachtungshoheit“ verfügt.

Könnte ein „Ich, sich beobachten“, dann müsste es irgendwie Kontakt zu elektrischen Impulsen aufbauen können, denn diese Impulse sind exakt dort (zwischen den Ohren), wo sich dieses „Ich“ beheimatet fühlt – Fehlanzeige.

Thaddäus hat geschrieben:Wenn du dir über all dies nämlich zumindest prinzipiell im Klaren sein kannst, dann ist es offensichtlich, dass du dich beobachtest
Nein, die korrekte Folgerung ist nur, dass es zu einer Verstehkonstellation kommt.
„Beobachten“ ist ein Bedeutungszusammenhang, eine Vorstellung -> Verstehen.

Ein Datenverarbeitungsprozess kann „sich nicht selbst beobachten“, weil er ansonsten „in sich selbst ablaufen müsste“ – das geht nicht.
“Beobachten“ wird es, wenn das Gehirn bestimmte Datenverarbeitungsprozesse koordiniert und so eine „Überzeugung von Etwas“ aufbaut: -> Bewusstsein.

Thaddäus hat geschrieben:Dich selbst bewusst und unmittelbar beobachten zu können, postuliert noch gar keine eigenen Existenzen und merkwürdige Entitäten.
Warum musst du dann die Wörter „Dich selbst“ verwenden?
Bietet dir das „Meisterwerk“ der Philosophie keine bessere Möglichkeit?

In meiner Vermutung brauche ich diese Wörter nicht – sie gehören in die resultierenden Bewusstseinszusammenhänge, sie sind aber nicht notwendig, um das Bewusstsein herzustellen.

Thaddäus hat geschrieben:Sie könnten hirnphysiologisch einfach dadurch entstehen, dass Denken im Gehirn rekursiv funktioniert (oder wie auch immer).
Ich weiss: „hoch komplex und ganz stark rückgekoppelt“
Vergiss es, diese Wörter sind in einer Datenverarbeitung nicht die Ursache von Funktionen.

Auch wenn der elektrische Impuls derart rückgekoppelt wäre, dass er schon ankommt, bevor er abgeschickt wurde, wird er sich dennoch nicht zu „etwas“ verändern.

Ist dieses „oder wie auch immer“ der aktuelle Zustand in der philosophischen Erkenntnistheorie?

Thaddäus hat geschrieben:Durch die Qualität von Sinneseindrücken und Sinnesempfindungen als etwas, das sich so und so anfühlt oder mir qualitativ als so oder so erscheint, wird kein Geist in irgendwas hineingeheimnist, sondern schlicht und einfach festgestellt, dass Sinneseindrücke sinnliche Empfindungen sind, die einen qualitativen Charakter haben.
Ich denke, dieser Ansatz ist zum Scheitern verurteilt, weil er die Frage „hinter“ den Qualia nicht aufdeckt und mehr auf das „Beobachten durch eine Instanz“ abzielt.
Vom „qualitativen Charakter“ hüpft man dann philosophisch zu scheinbaren Kategorieunterschieden und schon landet man bei der „Anhimmlung der Irreduzibilität“.

Wenn diese Sinneseindrücke, diese Qualitäten so unbekannt, so undurchsichtig, so rätselhaft sind, warum gibt es dann keinerlei Schwierigkeiten, sie zu verstehen?

Schau stundenlang auf eine Farbe und versuche zu analysieren, was du da machst, wenn diese Empfindung stattfindet.
Ergebnis: Nichts.
Das „Ding“ ist einfach „da“ und wird verstanden.

Wenn „etwas“ aber ohne Vorgang und ohne irgendeine Zusammenhangsidee verstanden wird, dann ist es bereits selbst das Verstehen.

Ich sage: das gesamte „mentale Weltkonstrukt“, das Bewusstsein, ist ein reines Verstehen, das über die Bedeutungszusammenhänge in der neuronalen Verschaltung, über die Zeit hinweg, stattfindet – eine „Verstehanimation“.

Das „Ich“ und das „Beobachten“ ist nur ein Anteil innerhalb des gesamten Situationsverstehens.

Das Bewusstsein handelt nicht – es ist das Gehirn, das handelt und einen Verstehablauf berechnet.

Das Verstehen ist die Kernfunktion eines Wahrnehmungssystems.

JackSparrow
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#90 Re: Sein und Wahrnehmung II

Beitrag von JackSparrow » Mi 25. Nov 2015, 22:44

Thaddäus hat geschrieben:Würde das Gehirn nur die elementaren Körperfunktionen vergleichbar einer Leber oder Niere steuern, dann bräuchten wir nur Rückenmark und Stammhirn. Evolutionär wäre das Großhirn also völliger Unsinn bzw. ein überflüssiger Luxus.
Da sich Leute mit Großhirnrinde in der Vergangenheit (zufällig) häufiger fortpflanzten als Leute ohne Großhirnrinde, stellt der Besitz einer Großhirnrinde heute ein erforderliches Statussymbol dar, um sich überhaupt noch fortpflanzen zu können (= positive Rückkopplung). Ähnlich wie die Schwanzfedern eines Pfaus. Die haben auch keinen elementaren Nutzen.

Man sollte vor den großen Denkern wirklich Ehrfurcht haben,
In einem speziellen Fachgebiet eine wichtige Entdeckung gemacht zu haben, nachdem man diesem Fachgebiet sowieso schon sein halbes Leben widmete, ist kein hinreichender Grund für Ehrfurcht. Dafür haben diese Menschen oft Defizite in anderen Fachgebieten.

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