Alles Teufelszeug?

Novas
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#101 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Novas » Mo 8. Feb 2016, 14:42

Wir hätten keinen Grund, in der vorliegenden Arbeit die Bibelexegese in ihrer monopolisierten Form als historisch-kritische Methode der Schriftauslegung von der Tiefenpsychologie her einer gründlichen Revision zu unterziehen, wenn nicht diese auf fast allen Lehrstühlen der Bibelwissenschaften als einzig etablierte Form des Umgangs mit den Grundtexten der jüdischen und christlichen Glaubensüberlieferung zutiefst ein Ausdruck eben jener Geisteshaltung wäre, die in der rationalistischen Verstandeseinseitigkeit des 19. Jahrhunderts vom Menschen und seiner Geschichte allein die Welt der objektiven Fakten als historisch wirklich gelten lassen möchte. In ihrer Abgetrenntheit vom Gefühl, in ihrer Isolation vom Subjekt, in ihrer Unfähigkeit, die innere, psychische Realität für unendlich wirklicher zu nehmen als die Ebene der äußeren Tatsachen, ist die Form von Exegese prinzipiell 'gottlos', sooft sie auch den Namen 'Gott' in ihrem Munde führen mag.


Eugen Drewermann

closs
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#102 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von closs » Mo 8. Feb 2016, 14:43

Savonlinna hat geschrieben:Die "dekduktive Methode" gibt es nur bei Dir
Das war auch nicht meine Aussage:
Closs hat geschrieben:Die andere sieht es deduktiv: "Wir wissen aus NICHT-historisch-kritischen Aspekten<= deduktiv>, dass die Bibel ein geistiges Buch ist und 'Faust' im Grunde ebenfalls. Lass uns nun auf dieser NICHT-historisch-kritischen Grundlage ergebnisoffen <induktiv> ermitteln, was es historisch-kritisch dazu zu erkennen gibt".
Das heisst:
Es gibt über der methodischen Induktivität ("Ergebnisoffenheit") seiner historisch-kritischen Studien einen gesamt-kanonischen Kontext, der da heisst: "Es gibt Gott im Sinne des katholischen Verständnisses".

Savonlinna hat geschrieben:Die Frage der Naherwartung ist bereits mit der historisch-kritischen Methode zu klären
Mit welchem Ergebnis? - JA oder NEIN?

Savonlinna hat geschrieben:Andererseits sind Dein häufiger Hinweis darauf, dass alles "Chiffre" sei, eher ein Zeichen dafür, dass Du unter "geistig" nur Inddivuelles meinst
"Individuell" insofern, dass man niemanden vorschreiben kann, ob er beim Einsatz der HKM einen "geistigen" Bezug hat oder nicht. - In beiden Fällen können vollkommen unterschiedliche weltanschauliche SChlussfolgerungen raus: Dann schlussfolgert Ratzi das eine und Kubitza das andere.

Wenn Du dagegen meinen würdest, dass der geistige Ansatz intersubjektiv möglich ist (was ich nach heutiger Definition von "intersubjektiv" nicht erkennen kann, weil es auch das Sehen von Farbe durch Blinde beinhalten müsste), würde ich Dir zustimmen.

Savonlinna hat geschrieben:Aber da es da sehr unterschiedliche Auffassungen gibt, wann der Heilige Geist im Spiel ist und wann nicht, würde Andreas im Kreuzfeuer stehen.
Eben - deshalb mein "individuell".

Savonlinna hat geschrieben:Da ich eine Variante von Andreas bereits als Ergebnis der historisch-kritischen Forschung kannte, habe ich ihm den Artikel in bibelwissenschaft.de verlinkt, und Andreas war begeistert.
Ein programmatisch agnostischer/atheistischer Theologe wäre NICHT begeistert, weil er gar nicht in der Lage sein darf, begeistert zu sein - er MUSS andere Schlussfolgerungen ziehen.

Savonlinna hat geschrieben:Es ist völlig falsch zu glauben, dass die HKM nicht in der Lage sei, das bereits im Text selber enthaltene "Lebendige" herauszuarbeiten.
Ich glaube das doch persönlich auch - aber doch nur, weil es eine Verlinkung zwischen HKM und Geist geben kann - die wiederum seitens agnostischer/atheistischer HKM-ler als "Glaubens-Kram" verworfen wird.

Hierzu sagt Ratzi irgendwo ziemlich wörtlich: "HKM ist super, weil sie sich nach oben ins Geistige öffnen kann" - in anderen Worten: "Sie ist für'n Arsch, wenn sie es NICHT kann". - Aber genau dieses soll ja unterm dem, was hier als HKM-Mainstream vorgestellt wird, NICHT sein.

Unterm Strich:
Ich kann Deiner Meinung schon folgen - aber sie scheint nicht dem HKM-Mainstream in der Theologie zu entsprechen. - Sonst würde es kein Einvernehmen geben können, dass Jesus WIRKLICH und nicht nur methodisch eine Naherwartung hatte.


Savonlinna hat geschrieben:Eugen Drewermann
Danke. :thumbup:

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#103 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Pluto » Mo 8. Feb 2016, 15:44

closs hat geschrieben:Es gibt über der methodischen Induktivität ("Ergebnisoffenheit") seiner historisch-kritischen Studien einen gesamt-kanonischen Kontext, der da heisst: "Es gibt Gott im Sinne des katholischen Verständnisses".
Ist das eine Systeminterne Aussage?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#104 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von closs » Mo 8. Feb 2016, 16:55

Pluto hat geschrieben:Ist das eine Systeminterne Aussage?
Ja. - Wie alles - nur gibt es halt verschiedene System-Ansätze/Prämissen/Modelle - mit dementsprechend unterschiedlichen Ergebnissen zur selben Frage.

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#105 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Savonlinna » Mo 8. Feb 2016, 19:48

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Die "dekduktive Methode" gibt es nur bei Dir
Das war auch nicht meine Aussage:
Closs hat geschrieben:Die andere sieht es deduktiv: "Wir wissen aus NICHT-historisch-kritischen Aspekten<= deduktiv>, dass die Bibel ein geistiges Buch ist und 'Faust' im Grunde ebenfalls. Lass uns nun auf dieser NICHT-historisch-kritischen Grundlage ergebnisoffen <induktiv> ermitteln, was es historisch-kritisch dazu zu erkennen gibt".
Das heisst:
Es gibt über der methodischen Induktivität ("Ergebnisoffenheit") seiner historisch-kritischen Studien einen gesamt-kanonischen Kontext, der da heisst: "Es gibt Gott im Sinne des katholischen Verständnisses".
Es wäre vielleicht besser, Du würdest die Begriffe "Induktiv" und "deduktiv" weglassen, weil ich mit Deinen doch sehr persönlich ausgerichteteten Kategorien niemals klar komme.
Ich habe jedesmal, wenn Du mir erzählst, ich gehe nur induktiv vor, Du hingegen deduktiv, das Gefühl, als kriegte ich eine Watschen in die Fresse und weiß nie, warum.
Du hast Deine ganz eigenen Definitionen, die nur für Dich gelten, und das macht den Dialog mit Dir zu einem Eiertanz.
Sag doch besser inhaltlich, was Du meinst, statt dass es immer Kategorieneinteilungen sein müssen.

Was ist jetzt die Quintessenz Deiner Aussage: dass Literatur geistig ist? Das mögen eingefleischte Materialisten nicht verstehen, aber es ist doch letztlich klar. Die meisten Menschen verstehen das. Wozu bedarf es da der Begriffe induktiv-deduktiv?

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Die Frage der Naherwartung ist bereits mit der historisch-kritischen Methode zu klären
Mit welchem Ergebnis? - JA oder NEIN?
Es gibt da kein Ja oder Nein. Wie soll das denn auch gehen?
Ich bin in der Materie jetzt nicht mehr so drin, aber man hat Tendenzen aufgezeigt, in welche Richtung die jeweiligen Evangelisten dachten.
Dem einen lag es daran, Jesusbild A rüberzubringen, dem anderen, Jesusbild B rüberzubringen.

Ich habe eine Bibel, in der am Rand Kommentare historisch-kritischer Natur sind, die stammt von 1989.
Da gucke ich mitunter nach, wenn in Foren was thematisiert wurde.
So habe ich gestern Abend, als Münek vom Missionsbefehl sprach, nachgeguckt, was diese Bibel zu diesem Thema kommentiert.

Dass dieser nachträglich eingefügt wurde, weiß heute wahrscheinlich jedes Kind. Das haben wir schon im Religionsunterricht gelernt.
Insofern muss sich niemand wundern, dass die realen Jünger wahrscheinlich nicht missioniert haben, weil ja erst der Evangelist seine Erzählung von dem auferstandenen Jesus geschrieben hat, der den Jüngern erschienen ist und den Missionsbefehl erteilt hat.

Und was steht da am Rand meiner Bibel als Kommentar?
Dass dieser Missionsbefehl in seinem Aufbau alttetstamentlichen Schemata folgt, und das wird dann nachgewiesen.
Was ich damit sagen will: dass wahrscheinlich jeder in der damaligen Gemeinde wusste, dass hier Theologie vorliegt und kein Sachbericht.
Nur die Wörtlichleser heute kommen nicht von der Ebene runter, dass mit so einem Missionsbefehl der historische Jesus - als bereits Verstorbener - gemeint ist.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Andererseits sind Dein häufiger Hinweis darauf, dass alles "Chiffre" sei, eher ein Zeichen dafür, dass Du unter "geistig" nur Inddivuelles meinst
"Individuell" insofern, dass man niemanden vorschreiben kann, ob er beim Einsatz der HKM einen "geistigen" Bezug hat oder nicht. - In beiden Fällen können vollkommen unterschiedliche weltanschauliche SChlussfolgerungen raus: Dann schlussfolgert Ratzi das eine und Kubitza das andere.

Wenn Du dagegen meinen würdest, dass der geistige Ansatz intersubjektiv möglich ist (was ich nach heutiger Definition von "intersubjektiv" nicht erkennen kann, weil es auch das Sehen von Farbe durch Blinde beinhalten müsste), würde ich Dir zustimmen.
Was meinst Du denn mit "Einsatz der HKM"?

Ihr habt hier im Dialog oder Trialog eine Sprache entwickelt, die sich völlig von der Realität entfernt hat.
Ich verstehe in Deiner ganzen Aussage nur Bahnhof, und ich möchte da jetzt auch keine Erklärung haben. Denn Ihr habt Euch ein fiktives Fundament erarbeitet, auf dem Ihr diskutiert und das mit der Sachlage rein gar nichts mehr zu tun hat.

Es macht da auch gar keinen Sinn, etwas zu korrigieren, weil das ganze Gebäude fiktiv ist.
Wie kann man da jetzt Ratzinger mit Kubitza vergleichen aufgrund ihrer Weltanschauungen?
Sie sind unterschiedlich in ihrer Klarheit der Gedanken!
Nur da kann man korrigieren.

Die Ergebnisse sind für mich nicht der Punkt. Es ist als allererstes zu zeigen, ob jemand ein Pamphlet geschrieben hat oder das Resultat eines lebenslangen Nachdenkens oder noch etwas anderes.
Die kann ich doch vom Ergebnis nicht vergleichen, weil letzteres bloß den anderen abschießen will, ersterer aber sich nicht gegen jemanden richtet, sondern seine eigenen Richtlinien herausfinden will, seine eigenen Wertungen.

Bezüglich historisch-kritischer Methode wäre also zu klären, was Kubitza drunter versteht, und was Ratzinger.
Das können Sachunterschiede gravierendster Art sein und muss überhaupt nichts mit Weltanschauung zu tun haben.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Aber da es da sehr unterschiedliche Auffassungen gibt, wann der Heilige Geist im Spiel ist und wann nicht, würde Andreas im Kreuzfeuer stehen.
Eben - deshalb mein "individuell".
Okay. Dann scheine ich in dem Punkt mit Dir einer Meinung zu sein. Solche Bezüge zwischen unterschiedlichen Werken stellt sich wahrscheinlich jeder lesende Mensch unbewusst her - jede Literaturgeschichte, die ja auch ständig Literaturkanons aufstellt, tut das.
Auch die Philosophiegeschichte, die Kulturgeschichte: sie alle bilden einen Kanon heraus, auf Grund dessen sie ihre Historie konzipieren.
Und dann gibt es eben die ganz persönlichen Kanons - die Lieblingslekture -, die jeder für sich "geistig" herstellt.

Dieser Kanon ist in dem Fall von kultureller Bedeutung: wir definieren uns irgendwie über unsere Klassiker.
NIchstdestotrotz ist er nicht objektiv und nicht einmal intersubjektiv, wenn man alle Menschen einer Kultur einbezieht.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Da ich eine Variante von Andreas bereits als Ergebnis der historisch-kritischen Forschung kannte, habe ich ihm den Artikel in bibelwissenschaft.de verlinkt, und Andreas war begeistert.
Ein programmatisch agnostischer/atheistischer Theologe wäre NICHT begeistert, weil er gar nicht in der Lage sein darf, begeistert zu sein - er MUSS andere Schlussfolgerungen ziehen.
Fanatiker zumindest sind nur begeistert, wenn sie sich selber hören. Oder die, die ihr Echo sind.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Es ist völlig falsch zu glauben, dass die HKM nicht in der Lage sei, das bereits im Text selber enthaltene "Lebendige" herauszuarbeiten.
Ich glaube das doch persönlich auch - aber doch nur, weil es eine Verlinkung zwischen HKM und Geist geben kann - die wiederum seitens agnostischer/atheistischer HKM-ler als "Glaubens-Kram" verworfen wird.
"Verlinkung zwischen HKM und Geist" - das klingt wieder wie aus Eurer Parallelwelt, die Ihr Euch gebaut und die mit der Erde nichts mehr zu tun hat.
Wie soll es möglich sein, dass eine literarische Methode erst mit dem Geist "verlinkt" werden muss und vorher also ungeistig war?

closs hat geschrieben:Hierzu sagt Ratzi irgendwo ziemlich wörtlich: "HKM ist super, weil sie sich nach oben ins Geistige öffnen kann" - in anderen Worten: "Sie ist für'n Arsch, wenn sie es NICHT kann".
Deine Schlussfolgerung halte ich für komplett falsch. Ratzinger kann das so nicht gemeint haben, denn im Vorwort spricht er ganz gegenteilig.
Aber bevor ich das weiter verfolge, brauche ich erst die wörtliche Aussage von dem, was Du da schreibst.
Es ist mir gänzlich neu, dass irgend jemand es für möglich hält, dass diese Methode ungeistig sein kann.

closs hat geschrieben:Unterm Strich:
Ich kann Deiner Meinung schon folgen - aber sie scheint nicht dem HKM-Mainstream in der Theologie zu entsprechen. - Sonst würde es kein Einvernehmen geben können, dass Jesus WIRKLICH und nicht nur methodisch eine Naherwartung hatte.
Ich habe noch nie einen Forschungsbericht zitiert bekommen, wo dieses Einvernehmen dokumentiert ist.

Ich habe hier im Forum noch nie eine Differenzierung zwischen dem realen Jesus und dem theologisch thematisierten Jesus der Evangelien gelesen.
Mir ist völlig unbekannt, dass der Mainstream dieser undifferenzierten Meinung ist.

Von Stiller Post lasse ich mich nicht beeindrucken.
Zuletzt geändert von Savonlinna am Mo 8. Feb 2016, 20:38, insgesamt 1-mal geändert.

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#106 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Halman » Mo 8. Feb 2016, 19:50

sven23 hat geschrieben:
closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Die will - salopp gesagt - mit dem ganzen Glaubenskram nix am Kopp haben.
Und macht an dessen Stelle Mosaik-Teilchen zum Glaubens-Ersatz - was ist besser? - Du hast überhaupt nicht verstanden, dass geistig-spirituelle Absenz zu einem eigenen Glauben führen kann ("Wir glauben, worauf wir methodisch stoßen").

Und Du bestätigst doch selber, dass Motive wie NT-Paradigmen-Wechsel und Nicht-Verstehen-des-Menschen/der Jünger für Dich fremd klingen. - Und schon hat man eine "wunderbare" Grundlage ("Liebe Textverfasser, wir bestehen darauf, dass Ihr Euch nicht geirrt habt, weil wir sonst unsere Methodik nicht bedienen können").

Oder wir glauben nur das, was wir glauben wollen. Dazu ist die kanonische Exegese bestens geeignet.
Ja, wenn man sie unsachgemäß verwendet. Sachgemäß gebraucht, kann die kanonische Exegese allerdings auch eine Bereicherung sein, nicht als Gegenerin der HKM, sondern als Partnerin. Diesbezüglich verweise ich widerholt auf einen der größten Exegeten seiner Zeit:
Zitat von Erich Zenger:
Die kanonische Perspektive war auch über die Jahrhunderte hinweg eine im Christentum übliche Leseweise, deren Basisaxiom lautete: Sacra Scriptura sui ipsius interpres. Diese Methode hat gewiss die Gefährdung, dass sie in den biblischen Texten das findet, was sie finden will, also zur Eisegese mutiert. Der Siegeszug der historisch-kritischen Exegese in der Neuzeit hängt auch mit derartigen Fehlentwicklungen dieser Methode zusammen. Ihre aktuelle Wiederaufnahme durch die christliche Bibelwissenschaft wurde zum einen durch den christlich-jüdischen Dialog angestoßen, zum anderen hat sie nicht nur mit der skizzierten Bewertung des komplexen Prozesses der Kanonisierung der biblischen Schriften zu tun, sondern auch mit den neuen kulturwissenschaftlichen Einsichten über die Funktion von heiligen und kanonischen Texten überhaupt. Ich kann dies alles hier leider nicht breiter und differenzierter darstellen. Aber ich möchte festhalten, dass die Option des Papstes für die kanonische Lektüre bibel- und kulturwissenschaftlich begründbar ist.
Mehr dazu in meinem Beitrag vom Di 5. Jan 2016, 00:35.

Das obige Zitat ist Zengers Rezension über Razingers Jesus-Buch entnommen, in dem er nicht "breiter und differenzierter" auf die kanonische Exegese einging. Mehr dazu kannst Du im recht komplexen und textreichen Artikel IV „Hermeneutik der kanonischen Dialogizität“: Der Ansatz Erich Zengers / Einleitung nachlesen.
Drei Zitate die kanonische Exegese betreffend hatte ich HIER gesammelt.

Dass die kanonische Exegese tatsächlich "bibel- und kulturwissenschaftlich" begründbar ist, lässt sich Anatzweise meiner Meinung nach aus Zengers PDF-Dokumenten entnehmen, die im Internet einsehbar sind. In meinem Beitrag vom Do 6. Aug 2015, 02:55 hatte ich diesbezüglich einiges zitiert.
Bereits der Bibel ist entnehmbar, dass Esra und Nehemia die Torah als normative Größe voraussetzen. In der Buchrolle der Könige wird offenkundig Deuteronomium als "Basis zur Selbstverpflichtung" kanonisch vorrausgesetzt. Die Propheten beziehen sich auf diesen Kanon.

Die Schreiber der NT-Schriften bezogen sich ganz selbstverständlich auf den Tanach (AT) und rezipierten diesen demzufolge kanonisch. Das Urchristentum kann meiner bescheidenen Auffassung nach nur unter diesen Aspekt verstanden werden.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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#107 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Halman » Mo 8. Feb 2016, 19:59

closs hat geschrieben:Es gibt hier zwei HKM-Fraktionen, von denen auf beiden Seiten schon HKM-mäßig gearbeitet wurde - auf der einen Seite Thaddäus, auf der anderen Seite Savonlinna und ich. - Wer hat nun "recht"? Wahrscheinlich beide, weil es eine reine Konzeptsache ist.

Die eine Seite sieht es rein induktiv: "Wir gucken uns etwas vollkommen voreingenommen an und gucken, was dabei rauskommt". - Wir tun also so, als wüssten wir nichts über Sinn und Zweck der Bibel respektive Sinn und Zweck von Goethes "Faust". - Die andere sieht es deduktiv: "Wir wissen aus NICHT-historisch-kritischen Aspekten, dass die Bibel ein geistiges Buch ist und 'Faust' im Grunde ebenfalls. Lass uns nun auf dieser NICHT-historisch-kritischen Grundlage ergebnisoffen ermitteln, was es historisch-kritisch dazu zu erkennen gibt".

Die eine Seite versucht den geistigen Gehalt ("Jesus hatte eine oder keine Naherwartung") via HKM zu ergründen (das ist flapsig gesagt dasselbe, als wolle man an den Schrauben eines Fernsehers ermitteln, welche Programme kommen). - Die andere GLAUBT, den geistigen Inhalt bereits zu kennen und will ihn verfeinern, gegebenenfalls korrigieren ("Hermeneutischer Zirkel").
Mein Verdacht ist der, dass die HKM im literaturwissenschaftlichen Bereich anders gehandhabt wird, als in der Theologie. Die Theologen scheinen mir mehr auf ihre Autorität als Exegeten zu beharren. Dies mag mit dem "moralischem Gewicht" biblischer Texte zusammenhängen, denn sie entfalten eine viel stärkere gesellschaftlich-religiöse Bedeutung als die meisten (wenn nicht sogar alle) anderen Texte in unserem Kulturkreis. Insofern sind Bibelhermeneutik und Bibelexegese Größen mit soziopolitischer Bedeutung, bis hin zum gesellschaftlichen "Sprengstoff", denke nur an den jüdisch-christlichen Dialog und die historische Last im Umgang mit dem Judentum. Daher zweifle ich an, dass die Exegese in der Theologie so entspannt getätigt wird, wie es sonst in der Literaturwissenschaft üblich ist.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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#108 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von closs » Mo 8. Feb 2016, 23:23

Savonlinna hat geschrieben:Das mögen eingefleischte Materialisten nicht verstehen, aber es ist doch letztlich klar. Die meisten Menschen verstehen das. Wozu bedarf es da der Begriffe induktiv-deduktiv?
Dieses "letztlich klar" gibt es heute leider nicht mehr, weil man komplett ergebnisoffen sein möchte, was im Grunde bis auf neurowissenschaftliche Erkenntnisse über das Gehirn keine Prämissen zulässt - schon gar nicht "Geist" im spirituellen Sinne.

"Induktiv-deduktiv" deshalb, weil halt der eine ergebnisorientiert ergebnissenoffen ist ("Was kommt raus, wenn ich die Bibel ohne jeglichen inneren Bezug lese?") und der andere mit einer Prämisse ("Es gibt 'Gott'"). - Allerdings hast Du insofern besonders recht, dass ich von Anton und Pluto gelernt habe, dass man heute inner-methodisch diese beiden Begriffe genau umgekehrt verwendet - insofern sollte man sie wirklich streichen, weil es nur Verwirrung gibt.

Savonlinna hat geschrieben:Wie kann man da jetzt Ratzinger mit Kubitza vergleichen aufgrund ihrer Weltanschauungen? Sie sind unterschiedlich in ihrer Klarheit der Gedanken!
Beides ist korrekt. - Beide stehen (auf unterschiedlichem Niveau) für zwei Weltanschauungs-Blöcke.

Savonlinna hat geschrieben:Das können Sachunterschiede gravierendster Art sein und muss überhaupt nichts mit Weltanschauung zu tun haben.
Ratzi scheint unter HKM etwas zu verstehen, was eher Deiner (und meiner) Praxis entspricht. - Kubitza steht für eine sachlich andere Art von HKM, schwimmt aber möglicherweise auf der Mainstream-Welle.

Savonlinna hat geschrieben:Wie soll es möglich sein, dass eine literarische Methode erst mit dem Geist "verlinkt" werden muss und vorher also ungeistig war?
In einer Zeit, in der man Turing-Maschinen für bewusstseins-fähig hält, ist eine solche Diskussion leider aktuell.

Davon abgesehen:
Jetzt käme wieder die leidige Frage nach der Definition von "Geist". Aus meiner Sicht ist eine Methode dann "ungeistig", wenn man dazu setzt, dass der menschliche Geist ausschließlich Folge von neuronalen Vorgängen ist. - Dann KANN man die Bibel (und auch anspruchsvolle Literatur) nicht verstehen.

Savonlinna hat geschrieben: brauche ich erst die wörtliche Aussage von dem, was Du da schreibst.
Ich kann es nur aus dem Gedächtnis machen - er schrieb in etwa: "Die historisch-kritische Methode ist wichtig für die Bibel-Auslegung, weil sie sich geistig öffnen kann" - also sehr vorsichtig ausgedrückt - allerdings mit dem Bumerang (das ist jetzt MEINE Umkehrung): "Wenn sie es NICHT tut, ist sie NICHT wichtig für die Bibelauslegung". - Wenn Ratzi "geistig" meint, ist dies bei ihm klar definiert.

Savonlinna hat geschrieben:Ratzinger kann das so nicht gemeint haben, denn im Vorwort spricht er ganz gegenteilig.
Mir ist bei Ratzi aufgefallen, dass er gerne ungemein fein und unverletzend formuliert - die Bomben gehen erst hoch, wenn man sich den Angriff selber formuliert, den er nur indirekt macht.

Savonlinna hat geschrieben:Ich habe hier im Forum noch nie eine Differenzierung zwischen dem realen Jesus und dem theologisch thematisierten Jesus der Evangelien gelesen.
Ich vermute folgendes Missverständnis:

Unter "historischer Jesus" ist aus meiner Sicht gemeint: "Der Jesus, der unter HKM-Gesichtspunkten rauskommt" - also eine Methoden-Aussage ("Wir haben auch diesen Ansatz "HKM" mal probiert und würden dabei auf folgendes Bild kommen: ....").
Verstanden scheint aber "historischer Jesus" zu werden: "Das ist der 'wirklich' Jesus im Gegensatz zum theologischen Jesus".
Lösbar wäre dieses Missverständnis, wenn man nicht vom "historischen Jesus" spräche, sonderm vom "historisch-kritischen Jesus" - dann würde deutlich werden, dass es sich nur um EIN Modell zum Verständnis des "wirklichen" Jesus handelt.

Denn der "theologische Jesus" könnte substantiell dem "wirklichen" Jesus näher sein als der "historisch-kritische" Jesus - das aber könnten wir nur herausfinden, wenn wir uns 2000 Jahre zurück-beamen lassen würden und selbst Ohrenzeugen wären.

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#109 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von closs » Mo 8. Feb 2016, 23:32

Halman hat geschrieben:Mein Verdacht ist der, dass die HKM im literaturwissenschaftlichen Bereich anders gehandhabt wird, als in der Theologie.
So sieht es aus.

Halman hat geschrieben:Die Theologen scheinen mir mehr auf ihre Autorität als Exegeten zu beharren. Dies mag mit dem "moralischem Gewicht" biblischer Texte zusammenhängen, denn sie entfalten eine viel stärkere gesellschaftlich-religiöse Bedeutung als die meisten (wenn nicht sogar alle) anderen Texte in unserem Kulturkreis.
Sicher hat es auch damit zu tun, dass Jesus im Gegensatz zu etwa Hamlet in der Tat als historische Person verstanden wird - und:

Man darf nicht vergessen, dass die HKM anfangs im Kampfmodus gegen die damals herkömmliche Exegese angetreten ist - verbunden mit einer Wissenschafts-Euphorie, in der man tatsächlich geglaubt hat, mit historischen Betrachtungen neues Substantielles erkennen zu können.

Nicht zu vergessen, dass sich heute Theologie nicht mehr über "Gott" definiert, sondern als Wissenschaft von Gott - so wie Du kein Fisch sein musst, um wissenschaftlich über Fische zu arbeiten. - Dies führt zu einer sehr gemischten Bilanz:

1) Durch die HKM wurde wirklich einiger "Muff unter den Theologen-Talaren" gelüftet.
2) Man verzichtet andererseits (offenbar) auf einen substantiellen Bezug zur Geistigkeit der Bibel, um ergebnisoffen bleiben zu können ("Ich darf kein Fisch sein, um wissenschaftlich über Fische zu arbeiten, weil ich dann nicht ergebnisoffen sein könnte" - so ähnlich kommt es mir nach all den Gesprächen und Zitaten hier im Forum vor).

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#110 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Savonlinna » Di 9. Feb 2016, 00:17

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Das können Sachunterschiede gravierendster Art sein und muss überhaupt nichts mit Weltanschauung zu tun haben.
Ratzi scheint unter HKM etwas zu verstehen, was eher Deiner (und meiner) Praxis entspricht.
Meine Praxis in dem Fall besteht darin, dass ich, als wir vor einem Jahr die Parusie besprochen haben, die aktuellen Artikel bei bibelwissenschaft.de gelesen habe.

Die habe ich verlinkt, und daraus habe ich das gezogen, was ich vorhin geschrieben habe.
Du haltst sven und Münek für den Mainstream, und das ist ein fataler Irrtum.

closs hat geschrieben:- Kubitza steht für eine sachlich andere Art von HKM, schwimmt aber möglicherweise auf der Mainstream-Welle.
Wieso machst Du ihn zu einem Vertreter der HKM?
Er ist doch einseitig, das sieht man doch auf den ersten Blick. Die Artikel und die Kommentare, von denen ich sprach, sind nicht einseitig, sondern wissenschaftlich.

Ich vermute, dass Du Dir das reinziehst, was Dich runterzieht.
Schon Andreas versuchte Dir zu vermitteln, dass Du die Sache völlig schief siehst, weil Du die paar Männekens hier für das Maß der neuen Zeit nimmst.
Du hast ihm nicht einmal geantwortet.

Der Unterschied liegt überhaupt nicht - ich wiederhole - in unterschiedlcihen Weltsichten, sondern in der unterschiedlichen Klarheit der Gedanken.
Du lässt Dich voll einseifen von aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben: brauche ich erst die wörtliche Aussage von dem, was Du da schreibst.
Ich kann es nur aus dem Gedächtnis machen - er schrieb in etwa: "Die historisch-kritische Methode ist wichtig für die Bibel-Auslegung, weil sie sich geistig öffnen kann" - also sehr vorsichtig ausgedrückt - allerdings mit dem Bumerang (das ist jetzt MEINE Umkehrung): "Wenn sie es NICHT tut, ist sie NICHT wichtig für die Bibelauslegung". - Wenn Ratzi "geistig" meint, ist dies bei ihm klar definiert.
Woher stammt denn das Zitat? Wo hast Du es gelesen?

Ich brech jetzt hier ab, ein andermal mache ich weiter.

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