Ich denke, Vergebung aussprechen, sowie Vergebung empfangen hängt immer von beiden beteiligten "Parteien" ab. Weil alles, was mit Menschen zu tun hat, geprägt wird von dessen Lebensumständen.
Darum gibt es keine pauschale Regel, wie man vergeben kann oder sollte.
Wenn man zB in einer Partnerschaft immer wiederholt die gleichen Verletzungen zugefügt bekommt, dann prägt das auch die Vergebungskultur der beteiligten Menschen.
Verletzungen schaffen Wunden und Wunden schaffen Narben - die nie gänzlich verschwinden, auch wenn sie nach und nach verbleichen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass solche verblichenen Narben immer wieder bei ähnlichem Muster, im Umgang mit anderen Menschen in Erinnerung kommen. Sie lösen oft ein "Flashback" aus, und man reagiert auf jemanden, der etwas ganz anderes damit meint, so als wenn man den Partner von damals vor sich hat. Man kann dann bestenfalls an seiner eigenen Reaktion arbeiten. Vergebung alleine nützt nichts.
Für den Vergebenden kann eine Vergebung eine Befreiung sein, Lasten abzuwerfen, die zB immer wieder eine Reaktion hervorrufen, die (scheinbare) Angriffe von Anderen abwehren. Es klingt zwar toll, wenn man sagt, man müsse loslassen, aber auch das Loslassen braucht seine Zeit.
So verstehe ich zB diesen Ausspruch:
Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben.
Matthäus 6:14 | LUT |
Mit meinen Worten: Dann, wenn du Vergebung für den Anderen suchst, dann kannst du befreit werden von der Last der Schmerzen deiner Verletzungen.
"Himmlischer Vater" ist der Schöpfer, welcher uns geschaffen hat und ausgestattet mit Gaben - u.a. zu vergeben. Man lässt Gott
in und durch mich wirken und wird dabei selbst befreit.
Für den, dem Vergeben wurde, kann es umgekehrt ähnlich gehen. Er/sie hat Schuldgefühle bei ähnlichen Situationen, wo man andere verletzt hat, weil man wieder seinen eigenen Mustern unterlegen ist. Man sucht die Vergebung, die man empfangen zu haben glaubte, hervorzuholen, um nicht an den Schuldgefühlen zu verzweifeln. Hilfreich ist es dann, wenn man mit dem alten Muster abschließen kann, indem man die Sache mit dem Verletzten der Vergangenheit klärt. Darum hilft das Bekennen vor Allem dem Täter. Wie auch dieser Vers aus den Sprüchen Salomos sehr gut beschreibt:
Sprüche 28,13LUT hat geschrieben: Wer seine Missetat leugnet, dem wird's nicht gelingen; wer sie aber bekennt und lässt, der wird Barmherzigkeit erlangen.
Barmherzigkeit bekommt man nicht nur von anderen. Man kann sie auch für sich selbst nutzen, indem man bekennt und befreit wird von Schuld. Was nicht bedeutet, dass beide Parteien ab nun Freunde werden müssen. Da geht es um verlorenes Vertrauen. Und Vertrauen muss wachsen an der Erfahrung, dass man demjenigen vertrauen kann (weil er die alten Muster ablegt und ganz praktisch zeigt, dass er gewillt ist, sich zu ändern)