closs hat geschrieben: ↑Mi 13. Mär 2019, 09:59
Münek hat geschrieben: ↑Di 12. Mär 2019, 23:32
Es ist völlig egal, welcher dieser vermeintlichen Alternativen ich den Vorzug gebe.
Richtig - deshalb spielt dieses Motiv hier keine direkte Rolle, außer dass einem bewusst wird, dass es nichts ohne Vorannahme gibt.
Der Unterschied besteht letztlich darin, ob du die wahrgenommene Wirklichkeit der Welt als einen von dir unabhängigen Sachverhalt ansiehst oder als subjektiv - und damit von deiner Vorstellung abhängig.
Lapidar ausgedrückt: ich kann nicht verifizieren oder falsifizieren, ob die Welt die ich wahrnehme nach meinem Tod weiter existiert oder nicht.
closs hat geschrieben: ↑Mi 13. Mär 2019, 09:59
PeB hat geschrieben: ↑Mi 13. Mär 2019, 09:09
Es ist - wie alles in der Wissenschaft - eine Definitionsfrage; wenn auch mit unscharfen Rändern.
Richtig - und "Definition" ist bereits eine Vorannahme. - Wenn man definiert, vereinbart man, dass es für eine Wissenschaft oder ein Projekt so ist, egal, ob dies die Wirklichkeit angemessen wiedergibt oder nicht.
Ich habe das Beispiel der Frabe Rot genannt, die - subjektiv - durchaus unterschiedlich wahrgenommen werden kann (Rot-Grün-Blinder) und dennoch normiert definiert ist als Farbe einer Wellenlänge oberhalb 600 nm. Hier wird sehr klar deutlich, dass es sich um eine normierte Definition handelt, wobei als Norm die Wahrnehmung der "Normalsichtigen" genommen wird; im eigentlichen Sinne ist dies eine Mehrheitsentscheidung auf der Suche nach einem Wahrnehmungskonsens. Im Grunde bleibt damit aber nach wie vor offen,
WIE der Einzelne die Farbe Rot wahrnimmt. Auf der Normbasis Rot-Grün-Blinder könnte darüber hinaus die Definition der Farbe Rot lauten: eine Farbe, die im elektromagnetischen Sprektrum zweimal auftaucht, nämlich oberhalb 600 nm und zwischen 520 und 565 nm.
Wäre die Menschheit insgesamt rot-grün-blind, dann müsste auch die Definition von Rot eine andere sein. Das zeigt sehr deutlich, dass der scheinbar übergeordneten Objektivität lediglich ein Mehrheitskonsens subjektiver Eindrücke zu Grunde liegt.
Abgesehen davon gibt es in diesem Beispiel noch weitere subjektive Definitionselemente: die Vereinbarung darüber, was gemessen wird, wie es gemessen wird, was eine Welle ist etc.
closs hat geschrieben: ↑Mi 13. Mär 2019, 09:59
AlTheKingBundy hat geschrieben: ↑Mi 13. Mär 2019, 09:13
Was zur Folge hat, dass der Mensch kein objektives Bild von der Welt haben kann, es sei denn, er ordent sich wissenschaftlicher Methoden und Prinzipien unter.
Man muss aber wissen, dass das, was man "objektiv" nennt, nur im Sinne einer Methodik objektiv ist, UND dass man damit nur einen Teil dessen erfasst, was in der Welt der Fall ist/Wirklichkeit ist.
Letztlich läuft es drauf raus, dass rational-kritisch definierte Wissenschaft (Popper) für Technisches super-gut ist, für Geisteswissenschaftliches periphäer gut ist und ansonsten nichts ausreichten kann - einfach weil es nicht geht.
Ein Beispiel aus meiner Wissenschaft: in den 80er Jahren machte sich ein neuer Wissenschaftszweig auf, der sich "New Archeology" nannte, aus Großbritannien kam und im Wesentlichen den Ansatz verfolgte, die Archäologie zu "vernaturwissenschaftlichen". Die Folge war, dass massenweise Abschlussarbeiten (Magisterarbeiten, Dissertationen...) abgegeben wurden mit Dutzenden von Anhängen voller Tabellen mit Zahlen, die irgendetwas belegen sollten. Wäre es dabei beispielsweise um C-14-Daten gegangen, wäre das sogar eine adäquate Vorgehensweise gewesen (aber C-14 ist auch Physik und nicht Archäologie).
Aber es ging dabei immer wieder um Seriationsdaten zu menschlichen Kulturprodukten unter der "Vorannahme", dass sich dort objektive Gesetzmäßigkeiten finden ließen. Beispiel: Keramikformen. Natürlich findet man dort beispielsweise die Gesetzmäßigkeit, dass Breitgefäße immer breiter als hoch sind - weil Breitgefäße so definiert sind, dass es sich dabei um Gefäße handelt, die breiter als hoch sind. Und wenn man 5000 Gefäße in einer Seriation hat, hat man den Beweis, dass die Realität mit der Definition übereinstimmt.
Völlig aus dem Auge verloren wurde dabei die Zielsetzung der Archäologie als Wissenschaft: nämlich Geschichte auf der Basis von Funden und Befunden zu rekonstruieren. Was sagen also all diese Scheintabellen am Ende der Abschlussarbeiten in Bezug auf diese Zielsetzung aus? NICHTS!
Im Grunde war die "New Archeology" eine Bewegung, die sich durch die Übernahme naturwissenschaftlicher Methoden einen Anstrich der Objektivität geben wollte, der dem Forschungsgegenstand nicht angemessen ist. Grund dafür ist das allgemein vertretene Missverständnis, Objektivität sei gleichzusetzen mit Seriosität. Wenn ich aber einen Forschungsgegenstand untersuche, der unter weitgehend subjektiven Gesichtspunkten (Keramik) von Menschen hergestellt wurde, hilft mir eine objektive Betrachtung lediglich bei der Ausarbeitung allgemeingültiger Definitionsgrundlagen. Bei der Deutung des Objekts oder der Fundumstände muss ich hingegen subjektive Gesichtspunkte berücksichtigen (Faktor Mensch in der Geschichte).
Meine persönliche Erfahrung mit der New Archeology: nachdem bei meiner Dissertation der Versuch einer edv-gestützten Keramikseriation völlig in die Hose gegangen ist, habe ich die Keramik wieder rein subjektiv-visuell in Typen und Subtypen eingeteilt mit dem Ergebnis, dass meine daraus abgeleiteten Aussagen vollständig ins Bild passten.