Ruth hat geschrieben: ↑Sa 9. Nov 2019, 10:48
Ich hatte mir gerade schon vorgenommen, dich zu fragen, warum es dir so wichtig ist, dass man deine Erkenntnis als "richtig" wahrnimmt
Vorweg: Unterm Strich erkenne ich in Deinen Aussagen viel Bekanntes - wir sind nicht weit voneinander weg.
Was "meine" Erkenntnis angeht, gibt es eigentlich nur EINE Erkenntnis, deren Mit-Erkennen mir wichtig ist - nämlich dass Erkennen immer ein Vorgang in einem sozusagen "geschlossenen Raum" ist - oder anders: Es gibt kein absolutes Erkennen für den Menschen - was zu dem antiken Spruch hinführt: "Ich weiß, dass ich nichts weiß".
Ruth hat geschrieben: ↑Sa 9. Nov 2019, 10:48
Wenn ich nämlich auf mein persönliches Glaubensleben und der Erkenntnis derselben zurückschaue, dann war beinahe ALLES, was sich hier zur Diskussion unter den verschiedenen Usern abspielt, etappenweise auch bei mir vorhanden.
Das meine ich mit "geschlossene Räume". - Man befindet sich in einem geistigen Raum und erkennt aus der Perspektive dieses Raumes - dann kommt ein Moment, in dem dieser Raum zu klein wird und findet einen nächsten Raum - und immer weiter so. - Ohne dies zu vertiefen: So ähnlich funktioniert auch die Hegelsche Dialektik - mit dem merkenswerten Instrument der "Aufhebung". - Vielleicht doch was dazu:
Man versteht dort Erkenntnis-Entwicklung als "Aufhebung", wobei "Aufhebung" dreifach gemeint ist:
- die Beendigung, Überwindung einer Entwicklungsstufe, z. B. Aufhebung eines Gesetzes, Erlasses - in Deinem Bild: "Du verlässt eine Phase/einen "Raum" - er spielt keine Rolle mehr.
- das Erhalten dessen, was Du verlässt (Du hebst es auf/konservierst , was Du in dem, was was Du verlässt, gelernt hast),
- die Integration dieser Seiten in die höhere Stufe der Entwicklung, wodurch sie eine neue Funktion erlangen (Erhöhung, elevare)[1], i. S. v. etwas vom Boden aufheben - Du hebst den verlassenen Raum hoch (auf), indem Du ihm Sinn gibst.
Konkretes Beispiel:
Du hattest als 4Jährige das Bild ("Raum/Phase 1"), dass Gott ein alter Mann mit Bart ist - als 12Jährige hebst Du dieses Bild auf, weil Du ein neues Verständnis von Gott hast ("Raum/Phase 2"). - Du hebst den Mann mit Bart in dreierlei Weise auf:
1) Du streichst dieses Gottesbild: "Ich brauche es nicht mehr".
2) Du konservierst dieses Gottesbild: "Ich bekenne mich dazu/es war wichtig für diese Zeit meiner Kindheit".
3) Du hebst dieses Gottesbild hoch: "Auch in meinem heutigen Gottesbild ist die Milde, der Schutz und das Allmächtige des Alten Mannes mit Bart enthalten. - Es war damals kein falsches Bild".
Ich weiß nicht, ob ich damit rüberkomme. - Aber das Erkennen dieser "Aufhebung im dreifachen Sinne" lässt einen in Folge erkennen, was eigentlich eigene Geschichte und Heilsgeschichte der Menschheit bedeutet - nämlich Entwicklung nach den Möglichkeiten der Phase/des jeweiligen Raums.
Ruth hat geschrieben: ↑Sa 9. Nov 2019, 10:48
dass im Rückblick darauf die Erinnerung daran schon peinlich ist.
Gerade eben NICHT, wenn man das erkannt hat. - Denn Du darfst Deine Phasen "aufheben" und somit veredeln. --- Es gibt da in "Narnia" eine schöne Szene, in der das Mädchen zu Aslan, dem Löwen (= Gott) sagt: "Ich habe Dich erst spät erkannt und früher anderen gedient", worauf er sinngemäß sagt: "Ich habe das gesehen und deshalb weiß ich, dass Du reinen Herzens gedient hast. Ich rechne Dir deshalb diese Zeit so an, als hättest Du MIR gedient". - Das ist "Aufhebung".
Ruth hat geschrieben: ↑Sa 9. Nov 2019, 10:48
Was ich dir damit sagen möchte...? - Lass es einfach entspannter angehen, mit dem Bewusstsein, dass auch deine Sicht der Dinge nicht vollkommen sind
Falls dieser Eindruck entstanden ist, entspricht das nicht dem, was mein Anliegen ist. - Es geht mir gerade NICHT darum, dass meine Sicht der Dinge vollkommen ist, sondern dass Wahrheit unabhängig von meiner Sicht vollkommen ist - und das vertrete ich in der Tat sehr offensiv. - Meine Sicht, dass meine Sicht NICHT entscheidend ist, wird mir dann aber in einschlägigen Diskussion so ausgelegt, dass dies eine autoritäre Sicht sei (stimmt!), die beweise, dass meine Sicht doch entscheidend sei. - Verstanden? Wenn nicht, macht es nichts, denn es ist genau die Art der satanischen Brillanz, Dinge auf den Kopf zu stellen.
Ruth hat geschrieben: ↑Sa 9. Nov 2019, 10:48
und Gott ALLE Phasen des Lebens (bei anderen Menschen und bei dir) nutzen kann, und es auch tut, um den Menschen das beizubringen, was sie wissen müssen, um das Leben im Glauben zu bestehen.
Das entspricht dem, was wir weiter oben hatten - Zustimmung. --- Jetzt ist eine Frage, die mich momentan umtreibt: Sind wir aufgerufen, den Menschen beizubringen, was sie müssen, oder überlassen wir das einfach Gott?