Parusieverzögerung II

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Münek
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#501 Re: Parusieverzögerung II

Beitrag von Münek » Mo 25. Mai 2015, 07:18

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Dass Du den forschenden Wissenschaftlern indirekt unterstellst, sie würden ihre Aufgabe nicht professionell erledigen
So weit würde ich nicht gehen - es ist eine Frage der Gewichtung. - Unterschiedliche Gewichtungen sind in der Wissenschaft nicht unredlich.

Nee, nee, mein Lieber,

persönliche Glaubensvorstellungen haben immer außen vor zu bleiben. Da bringt es auch nichts,
dass Du "Glaubensvorstellungen" mit dem Begriff "Gewichtungen" zu kaschieren versuchst.

Nee, nee. Sofort durchschaut. ;) Ich weiß ja, auf welch speziellem Pfad Du Dich bewegst....


Hier auf theologisch-wissenschaftlichem Terrain bewegst Du Dich nach meiner Wahrnehmung wie ein "Fremdkörper" (nicht böse gemeint)...

Samantha

#502 Re: Parusieverzögerung II

Beitrag von Samantha » Mo 25. Mai 2015, 09:04

Manche Gläubige können für sich selber reden, sind aber oft gezwungen, die Bibel zu zitieren. Atheisten & Co. zitieren einfach Wissenschaftler und Theologen, um möglichst glaubwürdig zu wirken. Die Wahrheit befindet sich aber ganz woanders - sie kann nicht seziert werden.

@Münek
@Zeus
@Sven

Könnt ihr auch ohne wissenschaftlichen Brimborium überzeugen? Habt ihr auch eine eigene Meinung oder lasst ihr euch instruieren?
Wer in einem Religionsforum ist, glaubt entweder an Gott, will Glaube oder Religion verarbeiten oder hasst dergleichen. Ist hier eine Kampfarena?

Von wegen ... "Glaubensvorstellungen haben immer außen vor zu bleiben"... Sie sind Hauptsache, die erkennbare Realität oder die immer dazulernende Wissenschaft dienen nur zum Abgleich! Sie sind kein Gottersatz, denn die Geschichte hat gezeigt, dass alles, was als nicht angreifbar breit getreten wird, gern als Mittel zum Zweck missbraucht wird.

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Savonlinna
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#503 Re: Parusieverzögerung II

Beitrag von Savonlinna » Mo 25. Mai 2015, 10:13

Münek hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:
Reden wir doch Klartext:

Es gefällt Dir absout nicht, dass die Uni-Professoren an den Fakultäten einvernehmlich zu der Erkenntnis gelangt sind, dass die jesuanischen Ankündigungen sich aus historischer Sicht als ein völliger Fehlschlag entpuppt haben.
Sie sind ja gar nicht "einvernehmlich" zu dieser Erkenntnis gelangt.
Nicht wahr? Das hat unsere Diskussion hier doch ergeben
.

Beim Teutates :devil: :devil: :devil: ...

was redest Du da - sorry - für einen Unsinn? Ich wiederhole sinngemäß Deinen Text:

Unsere Diskussion hat ergeben, dass keine Einvernehmlichkeit in der Frage zu Jesu Naherwartung
und seinem Irrtum innerhalb der wissenschaftlichen Theologie besteht? :o :shock: :o

Ist das Dein Ernst? :o Wieviele Zitate von höchst renommierten Theologen soll ich denn noch präsen-
tieren, bis der Groschen fällt?

Sorry, soll ich jetzt lachen oder weinen? Eher wohl weinen...


Wieso ist es Dir und vor allem Kurt nicht möglich, "mal ne Gegenmeinung" aus dem theologischen La-
ger auf den Tisch zu legen. Schriftliche Belege... Nur an solchen könnte ich mich dann abarbeiten...
Aber da kommt rein gar nix... Nur Ausreden, warum und wieso jetzt keine Belege beigebracht oder
Ross und Reiter benannt werden können ...

Ich habe Belege gebracht. Den letzten sogar vor ein paar Tagen - am Sa 23. Mai 2015, 22:53

Ich werde meine Belege gleich noch einmal zitieren, aber vermutlich wirst Du trotzdem weiter behaupten, dass ich nie je welche gebracht hätte.
So bist Du nun einmal.
Der Thread besteht aber nicht nur aus Deinen Beiträgen, sondern auch zum Beispiel aus meinen.

Und abgesehen von meinen Belegen:
Die Summe Deiner Zitate von "höchst renommierten Theologen" ergibt noch lange keine "Einvernehmlichkeit". Das ist eine Frage von Mathematik und logischem Denken.

Und, wie auch schon oft gesagt: "Einvernehmlichkeit" ist kein Wesen der Wissenschaft, sondern Vielfalt und Widerspruch.
Darum war Deine ewig wiederholte Behauptung von "Konsens" und "Einvernehmlichkeit" schon von Anfang an unwissenschaftlich und konnte nur eine Verunglimpfung der Wissenschaft sein.

Nun zu meinem Beleg von Sa 23. Mai 2015, 22:53 ->

Ich gab einen Link aus dem Vorlesungsverzeichnis der Hamburger Universität, Fachbereich Theologie, Neues Testament,
und Anton B. und ich zitierten daraus.
Hier ist noch einmal der Link:
https://www1.theologie.uni-hamburg.de/s ... e15/nt.pdf

und hier ist noch einmal ein Auszug (aus der Ankündigung des Hauptseminars "Himmelreich und Gottesherrschaft im Matthäusevangelium (Typ A)":

Fachbereich Evangelische Theologie hat geschrieben:Anhand ausgewählter Texte des Alten Testaments, der jüdischen Umwelt und des Matthäusevangeliums (Bergpredigt, Wundergeschichten, Gleichnisse) soll die Tradition der Rede von Gott als König und die Bedeutung der Predigt vom Reich Gottes beim historischen
Jesus und im frühen Christentum exemplarisch erschlossen werden. Durch Lektüre von Sekundärliteratur werden verschiedene forschungsgeschichtliche Ansätze bekannt gemacht und auf der Grundlage eigener exegetischer Arbeit diskutiert werden.
Mein Beleg ist hier nur kurz, aber er zeigt, dass es verschiedene forschungsgeschichtliche Ansätze gibt und keine "Einmütigkeit" wie Du stur durch behauptest und damit die Wissenschaft in den Dreck ziehst.

Ein weiterer Beleg, den ich früher brachte, ist länger, und da habe ich mir viel Arbeit bei gemacht.
Du hast ihn ignoriert, leugnest außerdem "stur durch", dass ich ihn gebracht habe und wirst es meiner Erfahrung nach weiterhin leugnen.
Nichtsdestotrotz, hier ist er noch einmal.
Ich bringe ihn wegen seiner Länge im nächsten post.

- Fortsetzung in meinem nächsten post -

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Savonlinna
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#504 Re: Parusieverzögerung

Beitrag von Savonlinna » Mo 25. Mai 2015, 10:14

Fortsetzung meines vorigen posts.

Ich zitiere hier noch einmal aus meinem post von So 17. Mai 2015, 14:44, aus dem hervorgeht, dass Münek Unrecht hat mit seiner "Einmütigkeit" der Forschung.
Ist gerade erst einmal eine Woche her, und schon wird seine Existenz seitens Münek abgestritten. ->


Savonlinna hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:
closs hat geschrieben: Das ist wirklich die Krone der Unverschämtheit. - Man definiert den Kern der christlichen Lehre einfach weg und macht mit dem Rest sein Ding. - Das wäre "Wissenschaft"?
Moment, da hast du sicher was mißverstanden. Das "innere Gottesreich" gehört ja zum Glaubensinhalt und das wird von der Forschung nicht bewertet, sondern lediglich beschrieben.
Die Forschung wird ja aber wohl noch nach Deinem Verständnis die Texte untersuchen dürfen?
Oder zensierst Du den Text und glaubst, das würde die Forschung auch tun?
Doch wohl eher nicht, oder?

Ich nehme als Beleg die Übersetzungsmöglichkeiten von Lukas 17,21b ->

Davon gibt es im Prinzip zwei Übersetzungsvarianten, was einen dazu zwingt, das "Original" hinzuzuziehen, siehe weiter unten.

Vorausgehend muss aber dies erwähnt werden:
Jede Übersetzung ist bereits Deutung. Das gilt vor allem dann, wenn bereits das Original mehrdeutig ist. Der Übersetzer muss sich für eine Variante entscheiden und damit die andere für den Leser unsichtbar machen.
Darum sollte man sich nicht nur auf eine einzige Bibelübersetzung stützen.

Hinzu kommt, dass auch das griechische "Original" bereits Deutung ist. ->
Wikipedia hat geschrieben:Die Texte des Neuen Testaments sind überliefert in über 5000 griechischen Handschriften. Keine von ihnen ist das Autograf einer neutestamentlichen Schrift. In einem über Jahrhunderte währenden Tradierungsprozess haben sich beim fortwährenden Kopieren Textvarianten (so genannte Lesarten) ergeben, die teils auf Schreib-, Hör- oder Verständnisfehler zurückgehen, teils bewusste Änderungen darstellen, weil dem Kopisten die Vorlage nicht (mehr) verständlich, oder er mit der Textgestalt nicht einverstanden war (Revision, bzw. Rezension).
http://de.wikipedia.org/wiki/Novum_Testamentum_Graece
Der verlinkte Wikipedia-Artikel zeigt in dem Abschnitt "Textkritische Methode" auf, wie die historische Textkritik dabei vorgeht.

Die neueste Ausgabe des griechischen Neuen Testamentes ist die 28. Auflage aus dem Jahr 2012.
Sie beinhaltet einen Textapparat, in dem alle oder die wesentlichen Varianten der Handschriften verzeichnet sind und begründet wird, warum man sich in der Rekonstruktion des nicht überlieferten Originals jeweils für die eine oder die andere Variante entschieden hat.

Die 28. Auflage ist auch online, aber wohl nur auf Griechisch, wenn ich das richtig gecheckt habe.
In Buchform kann man sie mit einem griechisch-deutschen Vokabular kaufen:
http://www.amazon.de/gp/product/3438051 ... 3438051419

Interlinear-Versionen - griechischer Text, darunter Wort für Wort die Übersetzung - gibt es ebenfalls online, sind aber älter.
Ich werde eine davon gleich nutzen und hier zitieren, um Lukas 17, Vers 21 zu problematisieren.

Ich sagte schon, das es im Prinzip zwei deutsche Übersetzungsvarianten in unseren Bibelübersetzungen gibt.

Die eine Übersetzungsvariante finden wir zum Beispiel in der Lutherübersetzung von 1545 (letzte Hand):
Luther 1545 (letzte Hand) hat geschrieben:21. Man wird auch nicht sagen / Sihe hie / oder da ist es. Denn sehet / Das reich Gottes ist inwendig in euch.
Die zweite Übersetzungsvariante finden wir beispielweise in der Elberfelder Bibel:
Elberfelder Bibel hat geschrieben: 21 auch wird man nicht sagen: Siehe hier! Oder: Siehe dort! Denn siehe, das Reich7 Gottes ist mitten unter8 euch.
Die Anmerkung 8 hinter "mitten unter" lautet:
oder "ist innerhalb von euch".

Die eine Übersetzung scheint mehr zu betonen, dass das Reich Gottes in jedem Menschen selber liege, die andere, dass es innerhalb der Menschen liege.

Guckt man sich die lateinische Vulgata an - Latein kann ich im Gegensatz zum Griechischen lesen -, kann man etwas deutlicher sehen, woher die beiden Deutungsmöglichkeiten kommen:

Vulgata hat geschrieben:21 neque dicent ecce hic aut ecce illic ecce enim regnum Dei intra vos est
"Das Reich des Gottes ist nämlich innerhalb (="intra") euch".

Die Mehrdeutigkeit beider Übersetzungsvarianten liegt in meinen Augen in diesem "intra vos".
Entweder man versteht das so, dass das Reich Gottes in einem selber liege, also in jedem der Angesprochenen,
oder man versteht das so, dass das Reich Gottes zwischen den Angesprochenen liege.
Ungefähr so, wie Matthäus 18, Vers 21 sagt:
"Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen."

Ich selber neige mehr dazu, das so zu verstehen, dass der Plural "vos" bei "intra vos" meint: "zwischen euch" oder eben "innerhalb von euch" - und nicht: "in euch". Dass es also eine Sache der zwischenmenschlichen Beziehung sei - so wie die Betonung der "Nächstenliebe" von Jesus dies ja auch bestätigen könnte.

Wie auch immer: das Reich Gottes ist bei allen Deutungen dieses Verses kein "Kommen", auch keine "Erwartung auf eine äußere Handlung", sondern die Möglichkeit des Herstellens des Reiches Gottes - entweder im Einzelmenschen oder in den zwischenmenschlichen Beziehungen.

Nun der griechische Text in der erwähnten neuesten, 28., Auflage von 2012

Griechisches Neues Testament hat geschrieben:21 οὐδὲ ἐροῦσιν, Ἰδοὺ ὧδε ἤ, Ἐκεῖ, ἰδοὺ γὰρ ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ ἐντὸς ὑμῶν ἐστιν

In der online vorhandenen Interlinearübersetzung steht es, wie es für mich aussieht, Wort für Wort auch so, und da steht als wörtliche Übersetzung drunter:
"THE Kingdom Of-THE God INside (="Entoc") OF-YOU (=Plural) IS.

Hier kommt nun drauf an, was das altgriechische "entoc" alles bedeuten kann.
So, wie die englische Übersetzung es ausdrückt, scheint es eher in die Richtung zu gehen von:
"in euch". Also: Das Reich Gottes sei jeweils in euch.

Vers 20 und 21 werden in dieser Interlinearfassung in guter englischer Syntax so ausgedrückt:

"And when he was demanded of the Pharisees, when the kingdom of God should come, he answered
them and said, The kingdom of God cometh not with observation:
Neither shall they say, Lo here! or, lo there! for, behold, the kingdom of God is within you."


Mit anderen Worten:
Die Pharisäer fragen Jesus nach dem Zeitpunkt, und Jesus sagt:
Beobachtbar ist das nicht, denn das Reich Gottes ist in euch bzw. innerhalb euch.

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Savonlinna
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#505 Re: Parusieverzögerung II

Beitrag von Savonlinna » Mo 25. Mai 2015, 10:35

- 3 -

Und weil ich ihn gerade gefunden habe, zitiere ich noch einmal auch noch einen weiteren Beleg meinerseits dafür, dass Münek mit seiner einseitigen Behauptung Unrecht hat.

Dieser Beleg von mir stammt von Mi 29. Apr 2015, 13:47 - ist also auch noch nicht dermaßen lange her, dass man seine Existenz einfach leugnet.

Hier also noch einmal dieses post - damit das Ableugnen nicht mehr so einfach ist:

Savonlinna hat geschrieben:Und hier ein Artikel aus der schon einmal erwähnten Website http://www.bibelwissenschaft.de/startseite/, die nach streng wissenschaftlicher Methodik zu arbeiten sich auf die Fahnen geschrieben hat.

Über diese Website schreibt Wikipedia:
Wikipedia hat geschrieben:
Das Wissenschaftliche Bibellexikon (WiBiLex) ist ein frei im Internet zugängliches, von Fachwissenschaftlern erstelltes Bibellexikon.http://de.wikipedia.org/wiki/Das_wissen ... m_Internet


Mein Hinweis auf die Wissenschaftlichkeit dieser Artikel soll kein Hinweis auf Irrtumsfreiheit sein. In der Wissenschaft ist immer alles im Fluss. Aber da das Lexikon ständig erweitert wird, ist die Aktualität des Forschungsstandes gewährleistet.

Der Artikel, aus dem ich nun zitiere, stammt von Christfried Böttrich, ordentlicher Professor für Neues Testament an der Universität Greifswald.
Veröffentlicht wurde der Artikel im April 2014, der Titel lautet: "Apokalyptik (NT)".

Belegen möchte ich mit diesem Artikel die Auffassung, dass die "Apokalypitk" in der Form, wie sie im Neuen Testament steht, aus der Zeit stammt, als das Neue Testament entstand: also lange nach Jesu Tod.

Das habe ich schon mit einem anderen Artikel belegt, den ich früher zitiert habe;
aber nun noch einmal mit diesem Artikel:


Christfried Böttrich hat geschrieben:
1. Problematik
Das Judentum zur Zeit der Jesusbewegung und der frühen Christenheit ist in nahezu allen seinen Gruppierungen und theologischen Strömungen von den Denkstrukturen der „Apokalyptik“ (Tilly, 2012) geprägt. „Längst schon sind auch die Perspektiven und Motive apokalyptischer Theologie aus dem Bereich elitärer Schriftgelehrsamkeit aus- und in das breit gefächerte Spektrum der Volksfrömmigkeit eingewandert. Die Liaison von prophetischer Geschichtsdeutung und Endzeiterwartung mit weisheitlichem Denken, wie sie vor allem die spätere Apokalyptik kennzeichnet (Osten-Sacken, 1969), erfährt im 1. / 2. Jh. n. Chr. eine Popularisierung, der sich niemand entziehen kann. Sie ist in der Zeit, in der das NT entsteht, „moderne Theologie“.

Ernst Käsemann hat angesichts dieser Situation sein vielzitiertes Diktum von der Apokalyptik als der „Mutter aller christlichen Theologie“ formuliert (Käsemann, 1960). Man könnte auch von einer Matrix, Substruktur oder Bezugsgröße sprechen. Wenn die Autoren des NT das Christusereignis in das Licht der alttestamentlichen Verheißungs- und Hoffnungsgeschichte stellen, dann knüpfen sie nicht einfach bei den – inzwischen schon mehr als 400 Jahre alten – Propheten an. Vielmehr lesen sie die Propheten im Lichte ihrer zeitgenössischen Auslegungs- und Rezeptionsgeschichte. Die aber steht massiv unter dem Einfluss apokalyptischen Denkens (Koch, 1970).

Die Verkündigung der nahen Gottesherrschaft durch → Jesus von Nazareth nimmt einen Topos auf, dessen Profil maßgeblich durch die Erwartung des endzeitlichen Kommens Gottes, eines universalen Gerichts sowie des Beginns einer neuen Weltzeit geformt ist. Auch Paulus geht von dem Gedanken einer Äonenwende oder Zeitenwende aus, wie ihn grundlegend erst die Apokalyptik entwickelt hat. Solche Modelle oder Denkmuster stellen den Horizont dar, in dem sich die christliche Theologie zu entfalten beginnt.


Christfried Böttrich hat geschrieben:
2. Motive
Verschiedene Motive, die für die frühjüdische Apokalyptik charakteristisch sind, finden sich auch in den Schriften des NT. Sie begegnen dort im Kontext ganz unterschiedlicher Textsorten wie → Brief und → Evangelium oder eben auch in der → „Offenbarung des Johannes“, die den Begriff der „Apokalypse“ schon im Titel führt. Dabei werden diese Motive unter einer ganz bestimmten Perspektive verändert und weiterentwickelt: Tod und Auferstehung Jesu Christi sind nun der Ansatzpunkt, um auch die → Herrschaft Gottes, die Sicht von Zeit und Geschichte, messianische Erwartungen, Welt Gottes, Gericht, Totenauferstehung und anderes mehr noch einmal neu zu gewichten.


Christfried Böttrich hat geschrieben:
2.1. Gottesherrschaft
Das Kommen der „Königsherrschaft Gottes“ (βασιλεία τοῦ θεοῦ basileia tou theou) ist das zentrale Thema der Botschaft Jesu. Darin klingt zunächst ein Topos der späten Prophetie an: → Deuterojesaja ruft ganz allgemein dazu auf, das Kommen Gottes vorzubereiten; Mal 3 präsentiert → Elia als einen Herold, der diesem Kommen vorausgeht. Namentlich → Lukas, der den prophetischen Typos Jesu betont, spielt immer wieder und in unterschiedlichen Zusammenhängen darauf an (Lk 1,76; Lk 7,16 u.ö.).

Jesus selbst verbindet die Proklamation der Gottesherrschaft mit dem Aufruf zur Umkehr und zum Glauben „an das Evangelium“ (Mk 1,15 / Mt 4,17). Dabei rückt das Kommen Gottes jedoch in ein völlig neues Licht. Aus der „Nähe Gottes“, von der auch die Apokalyptiker schon ausgingen, wird nun im Auftreten Jesu „Gegenwart“: Die Gottesherrschaft ist „mitten unter euch“ (ἐντὸς ὑμῶν entos hymōn) (Lk 17,21). Im Ganzen bleiben die Aussagen allerdings in der Schwebe: Die Grenzen zwischen Zukünftigkeit, andrängender Nähe und unmittelbare Gegenwart der Gottesherrschaft sind fließend und lassen sich am besten in der Formel von „schon und noch nicht“ erfassen. Doch der Hauptakzent ist dabei deutlich auf das „schon“ gerückt. Das entscheidende Heilsereignis ist mit → Tod und → Auferweckung Jesu bereits erfolgt. Von diesem neuen Gravitationszentrum aus erhalten auch alle anderen Motive ihr neues, „christliches“ Profil.

http://www.bibelwissenschaft.de/wibilex ... 513826f38/

Der ganze Artikel zeigt, dass eine bestimmte Form des eschatologischen Denkens erst lange nach Jesu Tod entwickelt wurde.
Weiter zeigt er, dass keine Eindeutigkeit des Verstehens vorliegt.
Und drittens zeigt er - für mich besonders interessant -, dass "das entscheidende Heilsereignis" durch Tod und Auferweckung im Bewusstsein der Gläubigen bereits eingetreten sei.
Und viertens, ebenfalls interessant: dass das "Kommen Jeus" bereits schon als "Gegenwart" empfunden wurde. Es liegt in dieser Argumentation also keine Verzögerung vor.

Der Text zeigt sehr schön die Viefältigkeit des Gemeinten und des Deutbaren.
Von "Einmütigkeit" keine Spur.
Das Reich Gottes wird also auch als "schon da" beschrieben.
Nach dieser Variante hat Jesus sich nicht geirrt.

Samantha

#506 Re: Parusieverzögerung II

Beitrag von Samantha » Mo 25. Mai 2015, 10:53

Savonlinna hat geschrieben:Der Text zeigt sehr schön die Viefältigkeit des Gemeinten und des Deutbaren.
Von "Einmütigkeit" keine Spur.
Das Reich Gottes wird also auch als "schon da" beschrieben.
Nach dieser Variante hat Jesus sich nicht geirrt.
Danke, Savonlinna!

closs
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#507 Re: Parusieverzögerung II

Beitrag von closs » Mo 25. Mai 2015, 11:09

Münek hat geschrieben:Dass Du nach einer Stellungnahme Kaspers suchst" oder "Erklärendes" von dem katholischen Großtheologen Rahner verwundert mich deshalb, weil sich die beiden doch klar und deutlich zum Thema geäußert haben. Was suchst Du da noch?
Mich interessiert, ob sie sagen "Jesus hatte eine Naherwartung" oder ob sie sagen "Jesus hatte nach der historisch-kritischen Methode eine Naherwartung". - Das ist nur aus dem Zusammenhang ermittelbar, den ich leider nicht kenne.

Münek hat geschrieben:Unsere Diskussion hat ergeben, dass keine Einvernehmlichkeit in der Frage zu Jesu Naherwartung und seinem Irrtum innerhalb der wissenschaftlichen Theologie besteht?
Davon abgesehen, ob es wirklich ein Einvernehmen gibt, ändert dies nichts an der Tatsache, dass das gegenteilige Ergebnis locker innerhalb der historisch-kritischen Methode möglich ist - man muss nur Bewertungs-Kriterien anders gewichten.

closs
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#508 Re: Parusieverzögerung II

Beitrag von closs » Mo 25. Mai 2015, 11:44

sven23 hat geschrieben: und deshalb können die Schreiber sie nicht ignorieren
Tun sie ja nicht - aber sie scheinen gelegentlich nicht zu verstehen, WAAAAS damit gemeint ist.

sven23 hat geschrieben:Kehrt, um, tut Buße, bevor es zu spät ist" ist ein klarer Hinweis auf etwas Ereignishaftes
Wenn das Jesus vor seinem Tod sagt, kann das AUCH bedeuten: Macht Euch JETZT bereit, es ist bald so weit". - Ich sage nicht, DASS es das bedeutet, sondern dass die Deutungs-Stränge vielfältig sind, je nach dem, woher man kommt. - Es kann sich auch auf den eigenen Tod beziehen - dass der Mensch bis dahin bereit sei. - Es kann sich auf ein Nahereignis in Deinem Sinne beziehen. - Es kann ein Fehlverständnis des Textverfassers sein, das es ihn so schreiben lässt.

Alle diese Möglichkeiten sind begründbar - die Frage ist, wie man "historisch-kritisch" definiert (also welche dieser realen Möglichkeiten man innerhalb der historisch-kritischen Methode berücksichtigen kann).

Geh mal durch die theologischen Fakultäten und sprich die Professoren zu dieser Bibelstelle an: Sie werden Dir möglicherweise unterschiedlichste Interpretationen geben - der Fundamental-Theologe, Eschatologe, Historisch-Kritische. - Wenn sich diese Professoren dann in der Mensa treffen und auf Dich zu sprechen kommen, werden sie sich gegenseitig fragen: "Und was hast Du ihm gesagt?". - Und wenn die Antworten unterschiedlich sind, wird man nicht streiten, sondern feststellen, dass unterschiedliche wissenschaftliche Perspektiven unterschiedliche Antworten bedingen.

Unterm Strich kann trotzdem EIN Ganzes herauskommen - nämlich, dass aus Sicht A "das Heil" kurzfristig nach Jesus Tod kommt, dass aus Sicht B "das Heil" inwendig ist, dass aus Sicht C "das Heil" erst in fernen Zeiten kommt. - In allen drei Fällen ändert sich nichts an der christlichen Grund-Aussage. - Und deshalb werden sich diese Professoren wahrscheinlich auch nicht streiten, sondern feststellen: "Ach - SOOO seht Ihr das bei Eurem Ansatz". - Aber ein Historisch-Kritischer wird nie zu seinem Kollegen sagen: "Unsere Ergebnisse sind real und Eure nicht". Mit einer solchen Aussage würde er sich lächerlich machen. - Vielmehr würde der Historisch-Kritische sagen: "Bei unserer Perspektive können wir nur Dieses, aber nicht Jenes berücksichtigen". - Das ist absolut entspannt - eben wissenschaftlich entspannt unter Kollegen verschiedener Sparten.

sven23 hat geschrieben: Du hast doch eingestanden, daß der biblische Jesus eine Naherwartung hatte und der "echte" Jesus nicht.
Such mal, wo das steht - samt Kontext.

Unabhängig davon: Aus Sicht der/mancher Textverfasser hatte Jesus das wohl - wobei ich nochmal darauf hinweise, dass ich es früher IMMER anders gelesen habe (im unschuldigsten Sinne des Wortes und ohne Kenntnis der Problematik "Parusie"). - Mit anderen Worten: Man sollte nicht allen Text-Verfassern unterstellen, dass sie es NICHT in Erkenntnis der inneren Parusie geschrieben hätten.

sven23 hat geschrieben:Weiß hatte nachgewiesen, dass Jesus das Reich Gottes als nahes, aber zukünftiges Weltende im Sinne des von Gott herbeigeführten Endgerichts verstand
Erneut: Man KANN das wissenschaftlich gar nicht nachweisen. - Man kann Unterschiedliches aus unterschiedlichen Perspektiven wissenschaftlich belegen.

sven23 hat geschrieben:Schweitzers Werk gilt als weitgehende Widerlegung der liberalen Leben-Jesu-Forschung.
Gut möglich - das sind inner-wissenschaftliche Methoden-Streitigkeiten, die mit Jesus selbst erst mal nichts zu tun haben.

Münek hat geschrieben: Da bringt es auch nichts, dass Du "Glaubensvorstellungen" mit dem Begriff "Gewichtungen" zu kaschieren versuchst.
Mit Verlaub: Du hast philologische Wissenschaft nicht verstanden. - Philologische Wissenschaft nimmt verschiedenen Perspektiven ein (damit sind "Gewichtungen" vorgebenen) und versucht, die jeweilige Perspektive nach den Regeln der Wissenschaft zu belegen.

Münek hat geschrieben:Hier auf theologisch-wissenschaftlichem Terrain bewegst Du Dich nach meiner Wahrnehmung wie ein "Fremdkörper
Theologisch habe ich nicht gearbeitet, aber philologisch habe ich sehr wohl wissenschaftlich gearbeitet - inklusive Veröffentlichungen, die heute noch zitiert werden. - Und deshalb weiss ich doch, dass - ein konkretes und unbiblisches Beispiel - der späte Friedrich Schiller unter der Perspektive der Romantik ganz anders zu bewerten ist als unter der Perspektive der Klassik - BEIDE Ansätze sind wissenschaftlich bearbeitbar UND kommen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. - Das ist con variazione in der Theologie genauso.
Zuletzt geändert von closs am Mo 25. Mai 2015, 11:47, insgesamt 2-mal geändert.

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#509 Re: Parusieverzögerung II

Beitrag von sven23 » Mo 25. Mai 2015, 11:45

Savonlinna hat geschrieben: Der Text zeigt sehr schön die Viefältigkeit des Gemeinten und des Deutbaren.
Von "Einmütigkeit" keine Spur.
Das Reich Gottes wird also auch als "schon da" beschrieben.
Nach dieser Variante hat Jesus sich nicht geirrt.

Das eine muß das andere ja nicht ausschließen. Gäbe es nur das innere Gottesreich, das schon da ist, würde auch die spätere Verweisung in die Zukunft keinen Sinn machen.
Worauf würde unser Freund Hemul dann eigentlich noch warten? Die Offenbarung hätte man sich auch schenken können.
Also mit dem inneren Gottesreich kann man nur einen kleinen Teil abdecken.
Kehrt um, tut Buße, bevor es zu spät ist. Paßt auf , daß ihr von dem erwarteten Ereignis nicht überrascht werden, seid vorbereitet, noch ist es Zeit usw. deutet doch gerade auf etwas Ereignishaftes hin, das da kommen sollte, und es sollte bald kommen, so das Versprechen.
"Ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende kommen" und "Ihr werdet das alles noch erleben" sind eindeutige Hinweise darauf.
Auch wenn man sich die Situation der unzufriedenen Menschen mit der römischen Besatzungsmacht vor Augen hält, die eine Veränderung/Verbesserung ihrer Lage herbei sehnen, dann macht ein "inneres" Gottesreich als Lösung des Problems wenig Sinn. Da muß schon etwas wirkmächtiges passieren, das die Verhältnisse sichtbar und nachhaltig verändert. Dieses Versprechen gab ein Endzeitprophet wie Jesus.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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Zeus
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#510 Re: Parusieverzögerung II

Beitrag von Zeus » Mo 25. Mai 2015, 11:50

Savonlinna hat geschrieben:- 3 -

Und weil ich ihn gerade gefunden habe, zitiere ich noch einmal auch noch einen weiteren Beleg meinerseits dafür, dass Münek mit seiner einseitigen Behauptung Unrecht hat. Christfried Böttrich hat geschrieben:
2.1. Gottesherrschaft
...
...
Im Ganzen bleiben die Aussagen allerdings in der Schwebe:
Sag mal Savonlinna, willst du uns verarschen?
Warum zitierst du schon wieder den Herrn Böttrich. Ich hatte dich doch schon zweimal darauf hingewiesen, dass Böttrich NICHT der Naherwartung Jesu widerspricht. Er enthält sich der Stimme.
Wir haben dir Zitate von zehn Bibelforschern und Theologen und die Meinung des Kardinals präsentiert.
Und Münecks Feststellung, dass unter renomierten Theologen etc. weitgehende Einigkeit besteht, wird auch durch deine Meinung (very sorry) nicht falsch.
e^(i*Pi) + 1 = 0
Gott ist das einzige Wesen, das, um zu herrschen, noch nicht einmal existieren muss.
(Charles Baudelaire, frz. Schriftsteller, 1821-1867)

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