SilverBullet hat geschrieben: ↑Mi 17. Mär 2021, 22:46
Naqual hat geschrieben:Bei mir ist es (jeder mag es gerne anders sehen), dass ich unter Liebe eine verbindende Kraft verstehe (so wie die Schwerkraft in der Physik und die Fliehkraft als Gegenstück). Aus 2 Personen wird ein „Wir“ (bestehend aus Ichs, die einander auf freiwilliger Basis respektieren) . Ein Wir steht füreinander ein und lebt von den Gemeinsamkeiten.
Bei "lebt von den Gemeinsamkeiten" gehe ich nicht mit, denn meiner Meinung nach geht es um harmonische Ergänzungen (ich habe
an "Ruth" davon geschrieben) - auf die Schnelle: ansonsten würden viel mehr Frau-Frau- und Mann-Mann-Liebes-Beziehungen entstehen
.
Ich habe auch das angeschaut, was du an Ruth geschrieben hast. Und kann es gut nachvollziehen. Hier im Konkreten habe ich aber ein Verständnisproblem:
wenn ich Dich richtig verstehe , entsteht für Dich Liebe aus einer defizitären Situation heraus (die einer Ergänzung bedarf). Ich kann mir Liebe ganz gut vorstellen, wenn zwei eigentlich total zufrieden sind in ihren Lebensumständen, gleiches Geschlecht haben: und "trotzdem" sich gegenseitig lieben (mögen) und für den anderen auch da sind.
Erzwingt die naturwissenschafltiche Orientierung so schnell ein Beispiel aus der Biologie (Fortpflanzung benötigt andersartige Ergänzung). Weil im bloßen Vollzug des Geschlechtsverkehrs sehe ich noch keine Liebe. Das geht auch ohne Liebe mit Spaß (wenn auch mit Liebe schöner ist und den Vorzug haben soll.....) .
Das ist letztlich wie ein unausgesprochener Vertrag auf gegenseitiges Erregen. Eine Vertragspartnerschaft (geben und nehmen) hat mit Liebe erst einmal nichts zu tun. (Schließt diese aber auch nicht aus!)
Hast Du schon mal definiert oder beschrieben was Du unter Liebe verstehst? Weil das wäre jetzt meine Frage an Dich.
Naqual hat geschrieben:Aus mehr Personen kann man dann „größere Wirs“ bilden, theoretisch bis hin zu allumfassend.
Das geht mir natürlich zu sprunghaft und auf Basis meines Ergänzungs-Ansatzes verliert sich hier der Liebes-Bezug immer mehr.
Hier können tatsächlich Ähnlichkeiten für ein Gruppengefühl eine Rolle spielen (Beispiel: Frauen-Gruppen, Männer-Gruppen), aber "Liebe" ist als Wort hier eher nicht angebracht bzw. man verändert unterschwellig die Bedeutung (was man nicht machen sollte).
Sprunghaft? Was sollte man da langsamer machen? Zwei sind sich einig füreinander da sein zu wollen (wofür auch immer) und bilden hierdurch ein "Wir". Was wolltest Du da zwischenschalten?
Wir's können sich sowohl mit Gemeinsamkeiten als auch mit Unterschieden bilden. In der Regel sind es wohl immer Mischungen beider.
Naqual hat geschrieben:Praktisch verändert es sich ständig und wechselt die Eigenschaften nach Umwelteinflüssen oder unterschiedlichen Personen von denen es umgeben ist. (Womit ein selbständiges festes Ich eine Wunschvorstellung ist.)
Vorsicht, hier beginnt schon wieder eine philosophische Falle, Motto: "wie kann ich mich immer als gleichbleibend sehen, wenn sich doch mein Körper verändert"
Die Antwort lautet: die Veränderung des Körpers ist kontinuierlich, so dass es ein korrekter Zusammenhang ist "immer der gleiche Körper zu sein", immerhin ist ein Mensch ein Zellorganismus, der kein extra Wahrnehmungssystem für Zellveränderungen umfasst.
Das Motto kann ich nicht nachvollziehen. Es ergibt für mich keinen Sinn. Es gibt Leute, die verändern sich körperlich rapide bleiben aber als Personen mit ihren Charaktereigenschaften verhältnismäßig unverändert. Und umgekehrt. Warum sollte ich da einen Zusammenhang zimmern?
Meine Blickrichtung war eine andere: die Person, die sich verändert, verändert sich deswegen, weil sich die Umwelt für die Person sich ändert. (Das müsstest Du selbst als dann noch akzeptieren können, wenn du ein 100prozentiger Fundi-Biologe wärest. Wenn das Ich allerdings als Folge von Umwelteinflüssen verändert wird, gibt es kein selbständiges und vor allem kein unveränderliches Ich. Die Schlussfolgerung halte ich für ziemlich zielsicher. Wie würdest Du dagegen argumentieren?
Naqual hat geschrieben:Natürlich ist es funktional z.B. zwischen Eros und Philia zu unterscheiden.
Bei Unterscheidungen ist immer die Frage in welcher Hinsicht die Unterscheidung wichtig sein soll.
Du hast oben von der verbindenden Kraft in Bezug auf "Liebe" gesprochen.
Ich vermute so eine Kraft würdest du klar bei "Eros" vertreten, während du bei "Philia" da schon vorsichtiger sein musst, denn bei Freundschaften spielen eher Vertrauen und gemeinsame Erlebnisse eine Rolle.
Verstehe ich jetzt nicht, warum sollte das Verhältnis von Menschen zueinander keine Liebe sein, weil Vertrauen eine Rolle spielt. Die Bindungswirkung ist doch mit Vertrauen definitiv um Potenzen stärker.
Naqual hat geschrieben:„Nur Philosophie“ halte ich schlicht für eine arrogante Einstellung
Nein, das tust du nicht, denn du sagst ja selbst - Zitat-Naqual:
der Begriff ist so inflationär, dass er in der Bedeutung eher konfus ist und tendenziell jeder etwas anderes meint.
Philosophie hat deutlich zu diesem Durcheinander beigetragen.
Du verwendest eine Begrifflichkeit von Philosophie aus der Trivial-Literatur (so wie auch Sparrow): also mal einfach so rumphilosophieren, sich über dies und das Gedanken machen.
Die Philosophie als wissenschaftliche Disziplin muss man da schon anders orten! Aber ziemlich klar.
Gerade in der Philosophie (wie in allen Geisteswissenschaften) spielt die Definition vom Gegenstand der Forschung eigentlich die erste und oberste Geige. Wer hier einen Hänger hat, hat beim wissenschafltichen Arbeiten schon viel Ärger in Folge. Das war etwas was ich an strikt geisteswissenschaftlichen Schriften immer nervig fand, wenn man erst einmal 50 Seiten liest um nur mal eben den Forschungsgegenstand zu bestimmen. Da sind die Naturwissenschaflter zu beneiden. Was eine Ameise ist, die man erforschen will, ist nun wirklich keine Glanzleistung festzustellen. Mit diesem Erkenntnishorizont allerdings die Geisteswissenschaften beurteilen zu wollen ist schon naiv-selbsterhaben.
Gerade die Philosophie minimiert eigentlich das Durcheinander (hier hat sie ihren Stärken und nicht in der Biologie). Schließt natürlich nicht aus, dass zwei Wissenschaftler aus welchen Gründen auch immer unterschiedlichen definieren wollen (mit implizierten unterschiedlichen Interessenslagen, die man aber auch benennen kann, wenn es "sauber" wissenschaftlich läuft).
Wer sich einmal ernsthaft (und das geht nicht in zwei Wochen) mit den Grundzügen der Erkenntnistheorie auseinandergesetzt hat, wird schnell entdecken, wie wissenschaftlich Philosophie sein kann, z.B. Vergleiche mal den verschiedenen grundlegenden Ansätze von Empirismus, Konstruktivismus, Rationalismus, etc. Oder den feinsinnigen und messerscharfen Streit in der Frankfurter Schule und Popper. (Da hat's mich dann immer rausgehaut, das war mir zu hoch. Aber gut argumentiert haben die!)
Naqual hat geschrieben:Das hat nichts mit wackelig zu tun, sondern damit dass der Begriff in sich zusammenfällt, wenn man seinen Feind liebt.
Du sollst doch gar nicht deinen Feind lieben. Das "Liebe" in "Feindesliebe" ist philosophisches Sackhüpfen - das ist doch das Problem.
Such in den antiken Texten, da steht nicht, dass du aus einem Feind einen Freund machen sollst - wie einfach wäre es gewesen, zu schreiben "Mach aus einem Feind einen Freund" - Nö, das steht da nicht!
Ich denke nicht, dass man muss. Aber es spricht auch nichts dagegen dieses Optimalziel zu erreichen. Hast Du ein Problem damit?
Grundsätzlich hast Du drei Blickrichtungen auf Deinen Nächsten: ich mag den Kerl (Freund) - er ist mir egal (lieblos) - ich hasse ihn (Feindschaft). Der andere hat Dir gegenüber die gleichen drei Möglichkeiten. Ein "Wir" zu bilden über das bloße "Ich" hinaus ist immer ein Vorteil. Beide Beteiligten sind nun (im Regelfall, natürlich gibt es Ausnahmen) flexibel diesbezüglich und können ihr Verhalten dementsprechend auch ändern. Wenn beide gesund sind lieben beide sich selbst. Und das ist ein guter Punkt um die Voraussetzungen so zu ändern, dass aus einem Feind ein Freund wird. Das sehe ich nicht als fremdgesetzte moralische Norm, sondern die Feindesliebe dient doch mir: je stärker der Feind desto mehr sogar (Reduzierung der Gefahr für mich und gleichzeitig einen kompetenten Freund auf den man sich verlassen kann!)
Es ist nur schwerer. Deswegen kneifen wohl die meisten. Feindesliebe verstehe ich aber nicht als ich muss mich von dem schikanieren lassen. Im Gegenteil, damit tue ich IHM keinen Gefallen. Jetzt bin ich zu dem, der mich hasst freundlich (z.B. vermeide die Punkte für die er mich hasst, oder einfach in dem ich ihn respektiere usw. ) . Das reale Leben zeigt hier, dass die meisten Menschen auf einmal umdenken zu einem. Es gibt natürlich auch unveränderliche Dickschädel. Dann kann man nicht helfen, bzw. Abhelfen. Wenn aber die Bemühungen um den Feind erfolgreich sind, fällt der Begriff der Feindesliebe zusammen. Er ist dann ja kein Feind mehr. Wo hast Du da Probleme?
Wenn ich meinen Feind liebe (ihm Gutes will) und gleichzeitig ihn nicht zum Freund machen will. Was soll das sein? Warum sollte ich das ausschließen? Ich fand Deine Feststellung in den antiken Texten der Bibel steht nicht, man soll Feind zu Freund machen interessant. Das war mir noch nicht aufgefallen. Aber anderseits, wo in der Bibel steht "Du sollst Deinen Feind NICHT zum Freund machen"? Also das würde mich schwer wundern (ohne jetzt nachzuschauen).