Könnte es sein, dass Deine Hermeneteutik von der Gnosis beeinflusst ist?Novalis hat geschrieben:@Halman:
Wie sind Christen denn auf die Dreifaltigkeit gekommen? Diese Lehre ist natürlich nicht von Himmel gefallen. Es war wohl eher so, dass Christen in einem langen historischen Prozess um die passenden Begriffe gerungen haben, um das unaussprechliche (!) Mysterium Gottes auszudrücken. Die Bibel selbst gibt uns nur Hinweise und keine fertig verpackten Dogmen. Die eigentliche Aussage der Trinität ist (so verstehe ich es), dass wir alle individuell Anteil am göttlichen Sein haben. Das ist die universelle spirituelle Wahrheit, um die es geht.
Vielleicht denkst Du auch an den Logos-Hymnus. Schauen wir uns die ersten Verse aus dem Johannesevangelium an.
Es ist richtig, dass Jesus gem. dem NT als ὠμονογενης υιος (ho monogenḗs hyiós), d.h. "der einziggezeugte Sohn", bezeichnet wird, was seine Einzigartigkeit hervorhebt. Allerdings lässt sich Luthers Übersetzung von Joh 1:18 durchaus anhand alter Handschriften der Kategorie I stützen, nämlich die Papyri P^75 und P^66, in denen Jesus als ὠμονογενης θεός (ho monogenḗs theós), "der einziggezeugte Gott" (vgl. bitte Kol 1:15, Phil 2:6, Hebr. 1:3 u. Dan 7:12-14), betitelt wird. [Laut anderen Textzeugen steht dort μονογενὴς υἱός (monogenḗs hyiós), d.h. "einziggezeugter Sohn".]
Könnte es nicht sein, dass "Salomo" die Weisheit persönifizierte, um sie anschaulicher beschreiben zu können und diesem Text eine zweite, tiefere Bedeutung zugrundliegt, nämlich die Anspielung auf Jesus Christus als ὠΛόγος (ho Lógos) in seiner himmlischen Präexistenz? Spricht dafür nicht auch Mi 5:1?
Inwiefern ist er μονογενὴς υἱός (monogenḗs hyiós), einziggezeugter Sohn?
Und passt Luthers Übersetzung von Joh 1:18 und die beiden angeführten Textzeugen nicht auch zu Jes 9:5-6, indem Jesus prophetisch als ʼEl Gibbṓr ("starker Gott") betitelt wird?
Jesus sprach von sich selbst als das Wort und die Wahrheit, als er betete: "Dein Wort ist Wahrheit". Dass er damit auf sich selbst angespielt haben kann wird deutlicher, wenn ich den farblich hervorgehobenen Ausdruck durch den griechischen Begriff aus dem Grundtext ersetze (hier in lateinischer Transliteration): Dein Lógos ist Wahrheit.
Dies passt zu dem Hymnus im johanneischen Prolog, denn bereits dort begegnet uns das Wort, ho Lógos. Seine Göttlichkeit kann meiner Meinung nach im Sinne eines Prädikatsnomen verstanden werden.
Der Schluss: „... καί Θεός ἦν ὠΛόγος“ (... und Gott war der Lógos.), erscheint zweideutig. Warum versah Johannes Θεός (theós = Gott) nicht mit dem bestimmten Artikel „ὓ (ho)? Hätte er ὠΘεός (ho theós = der Gott) geschrieben, wäre es eindeutig. Anscheindend wollte "Johannes" nicht aussagen, dass der Lógos der bestimmte Gott ist, sondern lediglich, dass der Lógos ein unbestimmter Gott ist, also der Lógos ein Gott ist. Dadurch, dass "Johannes" den bestimmten Artikel weglässt, kennzeichnet er das Wort Θεός (Gott) als Eigenschaft des Lógos'. Dies deckt sich - so denke ich - auch mit dem, was Johannes im Weiteren in seinem Evangelium verkündet.
Die Wendung pros ton theón (bei dem Gott) ist grammatisch ebenso bestimmt wie das häufig an anderen Stellen vorkommende ho theós (der Gott) und bezieht sich auf dem Schöpfergott, dem himmlischen Vater. Das grammatisch unbestimmte Wort theós im Vers bezieht sich hingegen auf den Lógos.
Man könnte auch sagen: Im Anfang Ä“n theós pros ton theón (war Gott gen dem Gott).
Der Schluss, „... καί Θεός ἦν ὠΛόγος“ (... und Gott war der Lógos), bezieht sich nicht auf „... Ï€Ïός τόν Θεόν ...“ (gen dem Gott), sondern auf ὠΛόγος (der Lógos).
Daher ist in diesem Fall durchaus die Übersetzung aus der Guten Nachricht sinngemäß korrekt:
Der Lógos gleich insofern Gott, ist aber nicht [der] Gott, sondern so wie Gott (von gleicher Wesensart). Diese Deutung stützt auch die Menge-Bibel.Zitat aus Joh 1:1:
1 Am Anfang war das Wort. Das Wort war bei Gott, und in allem war es Gott gleich.
Bemerkenswert finde ich, dass es heißt: göttlichen Wesens. Diese Deutung harmoniert auch mit Johannes 14:28, gem. dem Jesus sagte:Zitat aus Johannes 1, 1 (Menge):
Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott (= göttlichen Wesens) war das Wort.
Mein Fazit: Obwohl der Sohn wesensgleich mit Gott ist, so ist er dennoch nicht identisch mit ihm, also nicht Teil der selben Wesensheit. Ich glaube, der Sohn verfügt über sehr große, aber begrenzte Macht; der Schöpfergott ist hingegen allgewaltig (im Sinne von allherrschend), der einzig gezeugte Sohn hat einen Anfang, Gott ist ewig, und somit ohne Anfang.Zitat aus Johannes 14, 28 (Menge):
Ihr habt gehört, daß ich euch gesagt habe: ›Ich gehe hin und komme wieder zu euch.‹ Hättet ihr mich lieb, so hättet ihr euch gefreut, daß ich zum Vater gehe, denn der Vater ist größer als ich.
Seinen Jüngern offenbarte er: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater als nur durch mich.
Ho Lógos wurde Fleisch, also zum Menschen Jesus. Dieser ist monogenḗs hyiós, der einziggezeugter Sohn (vgl. bitte Joh 17:3).
Darauf folgt natürlich nicht, dass Wahrheit und Leben im abstraktem Sinne gleich Jesus wären. Der Sohn ist der Lógos, der Weg und die Wahrheit, so wie GOTT die Liebe ist. Dies spricht meiner bescheidenen Meinung nach nicht gegen eine himmlische Präexistenz.