Exegese von Mk. 5,14-20 (Mt.8,33-34 + Lk.8,34-39)
Text Mk. 5,14-20
14 Und ihre Hirten flohen und verkündigten (es) in der Stadt und in den Gehöften; und sie kamen zu sehen, was das Geschehene bedeute. 15 Und sie kommen zu Jesus und schauen den Besessenen sitzen, bekleidet und bei Sinnen, den, der die Legion gehabt hatte, und sie fürchteten sich. 16 Und es erzählten ihnen, die es gesehen hatten, wie dem Besessenen geschehen war, und von den Schweinen. Und sie begannen, ihn zu ersuchen, wegzugehen von ihrem Gebiet.
18 Und als er ins Boot stieg, ersuchte ihn der vormals Besessene, daß er bei ihm sein (dürfe). 19 Und er ließ ihn nicht, sondern sagt ihm: Geh zurück in dein Haus zu den Deinen und verkündige ihnen, was alles der Herr dir getan und (wie er) sich deiner erbarmte. 20 Und er ging und begann zu predigen in der Dekapolis, was alles Jesus ihm getan hatte, und alle wunderten sich. (Mk.5,14-20)
Text Mt.8,33-34
33 Die Hirten aber flohen und gingen in die Stadt und verkündeten alles, auch das mit den Besessenen. 34 Und siehe, die ganze Stadt kam hinaus zur Begegnung mit Jesus, und als sie ihn sahen, ersuchten sie ihn, daß er sich hinwegbegebe von ihrem Gebiet. (Mt.8,33-34)
Text Lk.8,34-39
34 Als aber die Hirten das Geschehene sahen, flohen sie und verkündigten (es) in der Stadt und in den Gehöften. 35 Sie aber kamen hinaus, zu sehen das Geschehene, und kamen zu Jesus und fanden sitzen den Menschen, von dem die Dämonen ausgefahren waren, bekleidet und bei Sinnen, zu den Füßen Jesu, und sie fürchteten sich. 36 Es verkündigten aber ihnen, die es gesehen hatten, wie der vormals Besessene gerettet wurde. 37 Und es flehte ihn an die ganze Menge (aus) der Landschaft der Gerasener, wegzugehen von ihnen; denn von gewaltiger Furcht waren sie befallen.
Er aber stieg in ein Boot und kehrte zurück. 38 Es bat ihn aber der Mann, von dem ausgefahren waren die Dämonen, mit ihm sein (zu dürfen). Aber er schickte ihn fort und sagte: 39 Kehre zurück in dein Haus und erzähle, was alles Gott dir tat. Und er ging hin, in der gesamten Stadt predigend, was alles Jesus ihm getan hatte. (Lk.8,34-39)
Auch die letzten Verse unserer Exorzismus-Perikope enthalten manches Überraschende, wie wir noch sehen werden.
Angesichts ihrer durchgehenden Schweine fliehen deren Hirten in die nächstgelegene Stadt. Das ist nach Mk. und Lk. Gerasa (Γερασηνῶν / Gerasänon) und nach Mt. Gadara (Γαδαρηνῶν / Gadaränon). Jedenfalls werden keine anderen Städte durch den Text nahegelegt. Diese Städte werden zu Beginn der Perikope genannt. Hätten die Redaktoren in ihren Versen Mk.5,14, Mt.8,33 und Lk.8,34 plötzlich eine andere Stadt gemeint, als die bereits genannten Gerasa bzw. Gadara (z.B. das unmittelbar am See Genezareth gelegene Gergesa), hätten sie den Leser darauf aufmerksam machen müssen durch die explizite Ortsnennung von Gergesa, um Missverständnisse zu vermeiden.
Die Hirten verkünden
"in der Stadt und in den Gehöften" nun aber offenbar nicht nur, dass sich ihre (nur bei Mk. etwa 2000) Schweine in den See gestürzt und ersäuft haben, sondern auch, dass Jesus damit irgendetwas zu tun haben muss. Ansonsten bliebe es unverständlich, warum die Hirten, sowie die Stadt- und Gehöftbewohner, sich im Anschluss zu Jesus aufmachen, um von dem zu erfahren, was geschehen ist.
Hätten die Hirten Jesus nicht von Anfang an mit dem Tod der Schweine in Verbindunge gebracht (was nicht der Fall gewesen wäre, wenn sie nichts von dem Exorzismus hätten beobachten können, weil sie zu weit weg standen), dann wäre es am Wahrscheinlichsten gewesen, dass alle Leute zu dem Ort gegangen wären, an dem sich die Tiere ins Wasser gestürzt haben (z.B. um zu sehen, ob es nicht vielleicht doch noch überlebende Schweine gibt).
Die Formulierung
"in der Stadt und in den Gehöften" soll verdeutlichen, dass wirklich
alle kommen, um sich von der Genesung des besessenen Geraseners/Gadareners zu überzeugen und dadurch das von Jesus gewirkte Exorzismuswunder zu bezeugen.
Ob nämlich ein Wunder tatsächlich stattgefunden hat, hing in der Antike davon ab, ob es möglichst viele Menschen bezeugen konnten.
Exkurs: Georg Luck über ein Heilungswunder Vespasians nach Tacitus, Hist. 4.81-84 und Sueton, Vespasian 7.4-7:
Wir haben zwei sich ergänzende Berichte (Tacitus, Hist. 4.81-84 und Sueton, Vespasian 7.4-7) von einer Wunderheilung, die Vespasian in Alexandrien vollzog, offenbar kurz nachdem man ihm als dem neuen Kaiser gehuldigt hatte.
Ein Blinder und ein Lahmer (wie es scheint) traten vor ihn und baten - der eine durch Vespasians Speichel, der andere durch Auflegen seines Fußes -, von ihm geheilt zu werden. Vespasian zögerte zunächst und konsultierte »die Ärzte« (nach Tacitus) oder »die Freunde« (nach Sueton). Die Überlegungen der Ärzte (nach Tacitus) sind bemerkenswert: (1) Medizinisch gesehen, wäre eine plötzliche Heilung nicht ausgeschlossen; (2) vielleicht seien die Götter an dieser Sache besonders interessiert; (3) vielleicht sei er, Vespasian, erwählt zu helfen (divino ministerio... electum); (4) gehe es gut (d.h. trete das Wunder ein), falle der Ruhm auf ihn; gehe es schief, würden die beiden Kranken zum Gespött, nicht aber er, der neue Kaiser.
Auch Vespasians Logik (nach Tacitus) ist aufschlußreich: (1) bei seinem bisherigen Glück ist nichts unmöglich; (2) gelingt das Wunder, wird man ihm künftig alles zutrauen. Er tut also »mit freundlicher Miene«, was man von ihm verlangt und hat Erfolg.
Nun kommt - ebenfalls interessant - Tacitus' eigene Beurteilung der Episode: Sie muß wahr sein, denn Augenzeugen erzählen sie »noch jetzt« (d.h. zur Zeit Trajans), und sie hätten nichts zu gewinnen, wenn sie lügen würden.*
Sueton fügt bei, daß die beiden Kranken im Traum vom Gott Serapis aufgefordert wurden, bei Vespasian Hilfe zu suchen, und für ihn liefert das Wunder dem »neuen, unverhofften Princeps« die auctoritas und maiestas, die ihm noch fehlen. Träume, die den Weg zur Heilung weisen, sind typisch für solche Berichte, und da sich die Episode in Alexandrien abspielt, lag es nahe, an Serapis zu denken. Man kann hier wirklich von einem »kalkulierten Wunder« sprechen. Es ist eine historische Begegnung: nüchterne Argumente auf der Seite der Römer (die aber ein Mitwirken der Götter nicht ausschließen) - unbeirrbarer Wunderglaube auf der Seite der Alexandriner.
Als Wunder wird oft eine sofortige Heilung in Gegenwart von Zeugen bezeichnet.
(Georg Luck, Magie und andere Geheimlehren der Antike, Stuttgart: Kröner 1990, S. 176+177)
* Alle rot markierte Stellen durch Thaddäus hervorgehoben
Mit Mk.5,15:
"Und sie kommen zu Jesus und schauen den Besessenen sitzen, bekleidet und bei Sinnen, ..." kommen wir zu der Stelle, die Lk. schon in Vers 8,27 dazu bewogen hatte, den Besessenen nackt einzuführen (
"... seit geraumer Zeit zog er kein Gewand an ..."). Mk. spricht erst hier davon, dass der ehemals Besessene nun
"bekleidet und bei Sinnen" bei Jesus sitzt. Wenn er aber jetzt - nach dem Exorzismus - wieder bekleidet ist, so schließt Lk. haarscharf aus seiner markinischen Textvorlage, dann muss er vorher wohl nackt gewesen sein. Diese Stelle veranschaulicht ein weiteres Mal, dass und in welcher Weise die Redaktoren in die markinische Textvorlage bewusst und gezielt eingreifen und sie verändern.
Die Menschen fürchten sich vor Jesus bzw. seinem Exorzismus (Mk.5,16 + Lk. 8,35), wie sie sich vor allen übernatürlichen Mächten fürchten, denn das "Heilige" präsentiert sich stets als
Mysterium tremendum et fascinans also als Furcht und Zittern und gleichzeitig fesselndes und faszinierendes Geheimnis, wie der Religionswissenschaftler Rudolf Otto (1869-1937) dies in seinem banhbrechenden Buch über
Das Heilige (1917) anschaulich dargelegt hat. So müssen auch die Engel in z.B. Lk.1,30 und Lk.2,10 zunächst einmal versichern, dass sich Maria und die Hirten nicht zu fürchten brauchen, denn als ehemals dämonische Kräfte (die guten Dämonen wurden erst im frühen Christentum zu Engeln) bewirken auch sie als heilige (= übernatürliche) Wesenheiten im weitesten Sinne (wie die Dämonen) ebenso Furcht wie fasziniertes Staunen.
Exkurs über Dämonen bei Plutarch: Über das Aufhören der Orakel, pp. 414E-415D + pp. 418E-419E
Plutarch: Über das Aufhören der Orakel, pp. 414E-415D
[...] Aber es gibt Leute, die entdeckt haben, daß das Geschlecht der Dämonen, halbwegs zwischen Göttern und Menschen, zwischen Göttern und Menschen eine Verbindung herstellt... Es spielt keine Rolle, ob diese Theorie auf die
magi zurückgeht, die Zoroaster folgten, ob sie thrakisch ist und Orpheus angehört oder ob sie ägyptisch oder phrygisch ist, wie man vermuten kann, wenn man sieht, wie die Riten beider Länder manche Themen einschließen, die mit dem Tod und der Totenklage zusammenhängen, und daß diese einen Bestandteil ihrer Zeremonien und Liturgien bilden.
Von den Griechen scheint Homer beide Bezeichnungen im gleichen Sinn zu verwenden. Manchmal nennt er die Götter »Dämonen«. Hesiod war der erste, der klar und ausdrücklich zwischen den drei Kategorien von vernunftbegabten Wesen unterschied: Götter, Dämonen und Menschen. Das heißt, er glaubte an eine Verwandlung, durch die die Menschen des Goldenen Zeitalters in großer Zahl gute Dämonen wurden und durch die einige Halbgötter in den Rang von Heroen aufstiegen.
Andere dachten an eine Verwandlung der Körper wie der Seelen. So wie man sieht, daß Wasser aus der Erde erzeugt wird, Luft aus Wasser, Feuer aus Luft, wie Materie eine Verwandlung - von Menschen zu Heroen, und von Heroen zu Dämonen -, aber nur wenige, die dem Rang der Dämonen angehören, werden, weil sie sich auszeichnen, im Laufe der Zeit gereinigt und nehmen dann ganz an der göttlichen Natur teil. Aber es kommt auch vor, daß einige von ihnen sich nicht beherrschen können und degradiert werden und wieder in menschliche Körper eintreten und ein dunkles, lichtloses Leben führen müssen, wie Nebel.
Hesiod meint auch, daß Dämonen am Ende von bestimmten Zeitabschnitten sterben müssen...
Die Lebenszeit eines Dämons beträgt neuntausendsiebenhundertzwanzig Jahre.
(Georg Luck, Magie und andere Geheimlehren der Antike, Stuttgart: Kröner 1990, S. 277+278)
Plutarch: Über das Aufhören der Orakel, pp. 418E-419E
»Daß es nicht die Götter sein können,« sagte Herakleon, »die für die Orakel verantwortlich sind - da die Götter frei von allen irdischen Belangen sein müssen -, sondern daß Dämonen als Diener der Götter dafür verantwortlich sind, scheint mir keine schlechte Idee zu sein. Aber eine Handvoll von Versen, wenn ich so sagen darf, aus Empedokles zu zitieren, diesen Dämonen von den Göttern gesandte Sünden, Täuschungen und Irrtümer aufzuerlegen und anzunehmen, daß sie schließlich sterben, als ob sie Menschen wären - das scheint mir doch ein bißchen zu voreilig, zu ungesittet.«
Kleombrotos fragte den Philippos, wer dieser junge Mann [d. h. Herakleon] denn sei und woher er komme, und nachdem er Namen und Herkunft erfahren hatte, sagte er: »Herakleon, wir sind in eine sonderbare Diskussion verwickelt worden, aber wir wissen, was wir tun. Wenn du wichtige Gedanken diskutierst, brauchst du wichtige Grundsätze, wenn du der Wahrheit einigermaßen nahe kommen willst. Aber du bist inkonsequent, denn du nimmst etwas zurück, was du eben zugestanden hast: du räumst ein, daß Dämonen existieren, aber wenn du leugnest, daß sie böse und sterblich sein können, so gibst du nicht länger zu, daß sie Dämonen sind. Denn in welcher Hinsicht unterscheiden sie sich von den Göttern, wenn sie, was ihr Wesen betrifft, Unsterblichkeit besitzen und, was ihre Eigenschaften betrifft, Freiheit von Leidenschaft und Sünde?«
Während Herakleon schweigend nachdachte, sagte Philippos: »Nein, Herakleon: wir haben die bösen Dämonen nicht [nur] von Empedokles übernommen, sondern auch von Platon, Xenokrates, Chrysippos und auch von Demokrit, der durch sein Gebet, >gnädigen Dämonen< zu begegnen, eindeutig die Existenz einer anderen Kategorie [von Dämonen] anerkennt - nämlich solchen, die tückisch und voll von bösen Absichten und Impulsen sind. Was das Problem, ob Dämonen sterben können, betrifft, so habe ich von einem Mann, der weder ein Narr noch ein Betrüger war, folgende Geschichte gehört. [...]
(Georg Luck, Magie und andere Geheimlehren der Antike, Stuttgart: Kröner 1990, S. 279+280)
Wir gelangen nun zu einer außerordentlich bemerkenswerten Stelle in den Texten:
Und sie begannen, ihn zu ersuchen, wegzugehen von ihrem Gebiet. (Mk.5,16)
... und als sie ihn sahen, ersuchten sie ihn, daß er sich hinwegbegebe von ihrem Gebiet. (Mt.8,34)
37 Und es flehte ihn an die ganze Menge (aus) der Landschaft der Gerasener, wegzugehen von ihnen; denn von gewaltiger Furcht waren sie befallen. (Lk.8,37)
Die Menschen bitten bzw. flehen Jesus sogar an, aus ihrer Gegend doch bitteschön zu verschwinden. Bei Lk. tun sie dies explizit, mit der Begründung, dass sie sich (vor Jesus) fürchten. Denkbar ist aber auch, dass die etwa 2000 toten Schweine eine erzählerische Binnenbegründung für diese Bitte sein sollen, denn 2000 tote Schweine würden natürlich einen ganz erheblichen finanziellen Schaden darstellen, der den Besitzern erst durch Jesu Gefälligkeit gegenüber den Dämonen entstanden ist.
Der durch Jesu Exorzismus genesene, vorher besessene Mann sitzt nun ruhig, bekeidet und offenbar wieder bei Verstand bei Jesus, worüber sich die herbeigelaufene Bevölkerung aber nicht recht zu freuen scheint, denn es hält sie nicht davon ab, Jesus dringend darum zu bitten, ihre Gegend zu verlassen.
Bemerkenswert ist diese Stelle, weil es nicht eben für Jesu Beliebtheit spricht, wenn die Menschen einer ganzen Gegend wollen, dass er sich schnellstens davonmacht. Dies läuft dem Bestreben der Synoptiker, Jesus als Messias, Heiland und Gottessohn für alle Menschen darzustellen, deutlich entgegen. Der Umstand, dass die Gerasener Schweine züchten bedeutet, dass es sich bei ihnen nicht um Juden, sondern (mehrheitlich) um Heiden handelt. Soll die Geschichte etwa eine Kritik an der christlichen Heidenmission ausdrücken, die zur Zeit der Abfassung des Mk.-Ev. freilich längst etabliert war? Auch dies ergibt keinen rechten Sinn.
Hinzu kommt, dass die bösen dämonischen Mächte, falls es deren Ziel war Jesus vom Predigen in dieser Gegend abzuhalten, erfolgreich waren. Jesus steigt nach seinem Exorzismus wieder ins Boot und fährt zurück. Um den Dämonen aber nicht gänzlich den Sieg in dieser Hinsicht zu überlassen, beauftagt Jesus den exorzierten Gerasener in Mk.5,19+20 und Lk.8,39 damit, nach Hause zu gehen und alles zu erzählen, was der Herr ihm getan hat. Nicht nur das beginnt der Geheilte allerdings in der Dekapolis
zu predigen, gerade so, als ob er mit seinem Exorzismus gleichzeitig eine Schnellausbildung zum Prediger erhalten hätte: denn es ist eine Sache zu erzählen, dass Jesus ihn von Dämonen mit Namen "Legion" geheilt hat, eine ganz andere ist es aber, stellvertretend und mit Vollmacht Jesu Wort in der ganzen Dekapolis (10-Städte) zu predigen und
sein Wort in seinem Namen zu verbreiten!
Vielleicht heißt es deshalb abschließend in Mk.5,20:
"... und alle wunderten sich". Mt. kürzt alles wieder einmal radikal zusammen. Bei ihm endet die Perikope mit dem Rauswurf Jesu aus dem Gebiet der Gadara(!). Ob ihm die historische Traditionslinie von der Unerwünschtheit Jesu im Gebiet der Gerasener bekannt war und er einfach keine Rücksicht hierauf genommen hat, muss offen bleiben.
Eben weil diese Stelle keinen rechten Sinn ergeben will, egal aus welchem Winkel man sie betrachtet, ist sie mit hoher Wahrscheinlichkeit historisch korrekt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war Jesus in der Gegend um Gerasa (aber nicht um Gadara, weil dies eine spätere Änderung des Mt. aus geographischen Gründen darstellt), nicht willkommen - und er mied sie vermutlich tatsächlich -, aus welchen genauen Gründen auch immer.
Abschließende exegetische Gesamtbetrachtung
Die Detailanalyse der markinischen Perikope von der Heilung des besessenen Geraseners im synotischen Vergleich belegt starke Brüche und redaktionelle Eingriffe bei allen Synoptikern auf der Wortebene, der Grammatik und dem Satzbau, bis hin zur erzählerischen Gesamtkomposition dieser exorzistischen-Wunderheilung und ihrer Motivik (1 oder 2 Besessene, grammatische Ungenauigkeiten des Bezugs, Nacktheit, der Name "Legion" für den Dämon/die Dämonen, unterschiedliche Verortung der Geschichte, Exorzismus einerseits - Schweineherdenepisode andererseits, Anzahl der Schweine: viele oder etwas 2000, Scheitern Jesu in der Gegend um Gerasa, insofern er ersucht wird, die Gegend zu verlassen, Beauftragung zur Predigt).
Die Erzählung weist schon bei Mk. deutliche Brüche und Eingriffe auf. Ob die von massiven redaktionellen Eingriffen des Mk. herrühren oder ob sie Mk. bereits so vorlagen, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Die erkennbaren, unterschiedlichen Traditionslinien und die starken Brüche schon bei Mk. weisen jedoch darauf hin, dass Mk. vermutlich bereits ein stark redaktionell bearbeiteter Text vorgelegen hat, was die Ur-Markus- oder Deutero-Markus-Hypothese stützen würde.
Insgesamt sind mindestens drei unterschiedliche
historische Traditionslinien nachweisbar, die in der Perikope von der Heilung des besessenen Geraseners zu einer einzigen Wundererzählung zusammengeführt wurden!
- Die Wunderheilung eines Besessenen durch Exorzismus (vermutlich nicht in der Gegend um Gerasa).
- Eine volkstümliche Erzählung (vermutlich aus der Gegend um Gerasa) um eine Schweineherde, die (auf mysteriöse Weise) zu Tode kommt.
- Die höchstwahrscheinlich historische Tatsache, dass Jesus im Gebiet um Gerasa nicht gewirkt hat, weil er dort unerwünscht war und auf Widerstand aus der Bevölkerung gestoßen ist.
Als historischen Kern der Perikope darf eine Jesus zugeschriebene Heilung eines Besessenen durch einen Exorzismus angesehen werden.
Es handelt sich um einen und nicht um zwei Besessene, da Mt. lediglich aus erzählerischen Gründen das Wunder doppelt (ein an vielen Stellen bei Mt. und Lk. nachweisbare literarische Praxis). Vermutlich hat sich der Exorzismus nicht in der Gegend um Gerasa abgespielt, da
die ganze Perikope als nachträgliche Begründung dafür verwendet wird, dass Jesus in der Gegend um Gerasa
persona non grata war, also eine unerwünschte Person. Hierfür hat es sicherlich einen historischen Anlass gegeben. Welcher das war, ist nicht mehr zu ermitteln.
Die Schweineherden-Episode muss als ursprünglich eigenständige Erzählung angesehen werden, die in die Perikope vom besessenen Gerasener hineinkomponiert wurde, denn sie fügt sich nur sperrig in die historische Ursprungs-Erzählung des Exorzismus eines besessenen Mannes ein.
So funktioniert das Geschehen erzähllogisch nur, wenn die Hirten beobachten, was Jesus tut und seinen Exorzismus in kausale Verbindung mit der panischen Flucht ihrer Schweine bringen können. Während Mt. und Lk. nur "viele" Schweine erwähnen, zählt Mk. etwa 2000 Tiere, was merkwürdig konkret ist. Erst die erzählerische Verbindung der Schweineherden-Episode mit dem Exorzismus hat dazu geführt, dass aus dem von einem Dämon besessenen Mann, einer wurde, der von "vielen" Dämonen besessen ist, nach Mk. - um genau zu sein - von etwa 2000 Dämonen besessen. Erzähl- und wunderlogisch multipliziert dies zwar die Macht Jesu ins Vielfache, aber es wirkt schon für antike Verhältnisse übertrieben und darum unglaubhaft.
Wenn aber gleich die ganze Schweineherde der einen Erzählung mit einem Exorzismus einer ganz anderen Erzählung in eine literarische Verbindung gebracht werden muss, müssen diese beiden Erzählungen eben irgendwie miteinander in Übereinstimmung gebracht werden und dies führt letztlich zu den vielen - nämlich etwa 2000 Dämonen - in nur einer besessenen Person, deren Name "Legion" ist.
Wie erwähnt, könnte der Name "Legion" eine politische Anspielung eines Redaktors auf die Legio X Fretensis und deren Anführer gewesen sein.
Rudolf Bultmann vermutete hinter der Schweineherden-Episode einen volkstümlichen, lokalen Schwank um einen geprellten Teufel bzw. Dämon. Dies mag zunächst abwegig klingen, hat aber eine gewisse Berechtigung: volkstümliche Erzählungen um geprellte und übers Ohr gehauene Dämonen und Teufel, waren schon in der Antike bekannt. So gibt es noch heute eine volkstümliche Erzählung um den geprellten Teufel, der beim Bau des Trierer Doms geholfen hat, weil ihm der gewitzte Trierer Baumeister glaubhaft machen konnte, dass hier ein Wirtshaus in Kirchengröße gebaut würde. Als dem Teufel der Betrug aufging, warf er vor Ärger eine große Säule gegen den Dom, die noch heute dort zerbrochen liegt.
Der Trierer Domstein:
Durch das dritte nachweisbare Erzählmotiv, welches in die Geschichte vom besessenen Gerasener nachträglich hineinkomponiert wurde, soll mit der Perikope erklärt werden (
aitiologische Erzählung), warum Jesus in der Gegend um Gerasa unerwünscht war und selbst nicht lehren konnte. Der Anlass hierfür ist nicht mehr rekonstruierbar.